EWR 7 (2008), Nr. 4 (Juli/August)

Albert Ilien
Lehrerprofession
Grundprobleme pädagogischen Handelns
2., überarbeitete Auflage
Wiesbaden: VS Verlag 2008
(263 S.; ISBN 978-3-531-15460-2; 29,90 EUR)
Lehrerprofession „Daß der Lehrerberuf zu den Professionen zählt, wird im allgemeinen unterstellt“ [1], scheint jedoch – wie ebenfalls im Zitat angedeutet wird – keinesfalls sicher. Zumindest hat der Versuch, die Veredelung des Lehrerberufs zur Profession unter Anwendung der Kriterien des klassischen Professionenkonzepts zu begründen bzw. voranzutreiben, kein eindeutiges Ergebnis hervorgebracht: Gemessen an diesen Kriterien wurde der Lehrerberuf vielmehr letztlich als semi-professionell bezeichnet, ein konzeptioneller Kompromiss – aus Verlegenheit und mit geringer Aussagekraft. Die alten Ansätze der Professionsdebatte konnten dem Lehrerberuf jedenfalls nicht gerecht werden. Infolgedessen wurden und werden mit Blick auf Lehrerinnen und Lehrer unterschiedliche Konzeptionen einer speziellen Professionalität mehr oder weniger unabhängig vom klassischen Konzept diskutiert, die u.a. die besondere Struktur und Charakteristika der Berufstätigkeit zum Ausgangspunkt der Analyse machen. Ein einheitliches Professionsverständnis wurde mit Blick auf den Lehrerberuf bei diesen Bemühungen bislang jedoch nicht hervorgebracht.

In Anbetracht der skizzierten, wenig Eindeutigkeit stiftenden Ausgangslage verspricht eine nunmehr in zweiter Auflage erschienene Monographie mit dem selbstbewussten, ja programmatischen Titel Lehrerprofession differenzierte Antworten auf die nach wie vor nicht abschließend geklärte Frage nach dem professionellen Status des Lehrerberufs und den Charakteristika der Berufsinhaber als Professionelle zu geben. Denn dass es sich bei dem Lehrerberuf um eine Profession handelt, scheint für den Autor Albert Ilien unzweifelhaft.

Was zeichnet den Lehrerberuf – ggf. im Vergleich zu anderen Berufsgruppen, die man nicht mit diesem Etikett auszeichnen würde – auf der Grundlage welchen Professionenkonzepts als Profession nach Ilien aus? Sind es gemäß dem Untertitel die „Grundprobleme pädagogischen Handelns“, die auf die grundlegenden Schwierigkeiten des Berufs verweisen und den Professionalitätsstatus an ihrer – sofern möglich – erfolgreichen Handhabung, gar Lösung messen? Oder schließt Ilien mit Verweis auf die Grundprobleme pädagogischen Handelns an Werner Helspers Konzept an, demzufolge die Widersprüche, mit denen Lehrerinnen und Lehrer in ihrem Berufsalltag konfrontiert werden, als Basis für die Charakterisierung des Lehrers als Professionellem in Anspruch genommen werden? [2]

Ein Überblick über die Struktur und Inhalte der Darstellung zeigt, dass der Autor mit seiner Vorstellung von Lehrerprofession trotz einer auf den ersten Blick ähnlich erscheinenden Ausgangslage, nämlich der Thematisierung widersprüchlicher, als paradox markierter Ansprüche und Handlungsbedingungen, nicht an die Überlegungen von Helsper anschließt. Stattdessen versucht Ilien, die Frage nach dem Professionscharakter des Lehrerberufs in fünf Kapiteln über drei inhaltliche Schwerpunkte zu erfassen.

Zunächst werden in dem ersten, einleitenden Kapitel (20-56) auf der Basis der eigenen Lehrerfahrungen Iliens Problembereiche der Hochschullehre mit Studierenden, die ein Lehramt anstreben, behandelt. Diese Erfahrungen dienen als Ausgangspunkt der Analyse des Lehrerhandelns in dem folgenden zweiten Kapitel unter der Prämisse, dass diese – Iliens – Probleme als Hochschullehrer „den alltäglichen Schwierigkeiten tendenziell jedes amtierenden Lehrers strukturähnlich sind“ (21).

Auf Seiten der Lehramtsstudierenden unterscheidet der Autor vier Typen, von denen drei die Komplexität des pädagogischen Handelns – so seine grundlegende These – in jeweils unterschiedliche Richtungen deutlich vereinseitigen bzw. verkürzen und für Probleme in der Lehre sorgen: die sog. Inhaltevertreter, die Schülerfreunde und die nach seinem Dafürhalten nicht zu unterschätzende Zahl der grundsätzlich nicht Engagierten, die mangels Alternativen ein Lehramtsstudium aufnehmen [3]. Ob und in welchem Maße diese auf individueller Erfahrung basierende Typisierung den Lehramtsstudierenden an den deutschen Universitäten gerecht wird, bleibt abgesehen von den Verweisen auf die eigene langjährige Lehrerfahrung offen. Insofern haben diese und auch die im Folgenden anzutreffenden Typenbildungen bestenfalls den Charakter von Vermutungen, schlechterenfalls von Unterstellungen, zumal Hinweise auf die Quantitäten in der Darstellung mitschwingen (25f.), die jedoch über den individuellen Erfahrungskreis hinaus kaum seriös zu machen sind.

Zur Frage der empirischen Erfassung und Qualifizierung der Anteile der vier Studierendentypen bemerkt der Autor selbst: „Die Idee, durch genauere Quantifizierung ein tief sitzendes Problem besser verstehen oder gar angehen zu können, ist mir zutiefst fremd“ (25). Um die Existenz und Relevanz der angeführten Problematik mit Blick auf die Lehramtsstudierenden beurteilen und über den Status erfahrungsbasierter subjektiver Theorien zu heben, wäre eine breitere Basis für die angeführte Typologie indes durchaus zu fordern. Zudem könnte die Zurkenntnisnahme der Forschung zu den Berufswahlmotiven von angehenden Lehramtsstudierenden die unterstellten Vereinseitigungen der Orientierungen schnell relativieren, da ebensolche Orientierungen bspw. an den Unterrichtsfächern und am Motiv der Vermittlung von Inhalten (Inhaltevertreter) oder an den Schülerinnen und Schülern bzw. der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen (Schülerfreunde) entsprechenden Untersuchungen zufolge kaum allein, sondern vielmehr häufig in Kombination die Motivstruktur prägen. Im Übrigen weisen diese Untersuchungen auch darauf hin, dass das Verlegenheitsmotiv weniger relevant ist, als unterstellt, und die Lehramtsstudierenden bzw. die, die ein solches Studium nach dem Abitur bzw. der Matura anstreben, vielfach einem zielgerichteten Berufswunsch folgen.

Als Ergebnis einer „bildungsideegeleiteten Analyse“ (13), die Ilien ebenfalls in dem ersten, einleitenden Kapitel vornimmt, und ausgehend von der Grundannahme, dass „sich Pädagogik nicht als Wissenschaft – im Sinne von objektivistischer Erfahrungswissenschaft – aufbauen lässt, sondern nur auf einer Philosophie der Bildung“ (35), sowie der These, dass das Lehrerhandeln „unter neuzeitlichen Bedingungen nicht ohne bildungstheoretische Bezüge“ hinreichend verstanden werden könne, identifiziert der Autor drei Bildungsparadoxien als Grundprobleme neuzeitlicher Pädagogik.

Das zentrale pädagogische Paradoxon mit gewichtigen Handlungsproblemen als Folge lautet „Pädagogik ist Fremdförderung zur Selbstwerdung“ (39) und wird von Ilien als Grund- oder als Beziehungsparadoxie bezeichnet. Hinzu kommt die sog. Gesellschaftsparadoxie, der zufolge nur die hinreichend humanisierte Gesellschaft „den Bildungsauftrag angemessen erteilen“ kann, diesen jedoch, ist sie hinreichend humanisiert, gar „nicht mehr erteilen müsste“ (43). Als Drittes benennt Ilien die Organisationsparadoxie. Diese verweist darauf, dass die fremdgeförderte Selbstwerdung organisiert, also im Rahmen einer Organisation wie dem Schulsystem ermöglicht werden könne, der Erfolg der Bemühungen indes nicht organisational gesichert, sondern stattdessen häufig im Einzelnen eher behindert werde. Für die Lehrerinnen und Lehrer schließt Ilien, dass sie „mit den besagten Paradoxien […] handelnd umgehen [müssen], ohne sie auflösen zu können“ (44). Dies erinnert an die Konsequenzen für das Lehrerhandeln und die Frage nach der Professionalität der Lehrkräfte im Anschluss an die „Antinomien des Lehrerhandelns“, wie sie Helsper beschrieben hat. Widersprüchliche Anforderungen an die Lehrerinnen und Lehrer einer Thematisierung von professionellem Handeln im Lehrerberuf zugrunde zu legen, ist jedenfalls nicht neu. Berücksichtigt wird Helspers Ansatz bei Ilien jedoch nicht, obwohl Ersterer die konstitutiven pädagogischen Handlungsantinomien auch in einen weiteren Rahmen von insgesamt vier Paradoxien einbettet [4].

Das zweite Kapitel der Monographie behandelt im Anschluss an die skizzierten drei sog. Bildungsparadoxien den ersten inhaltlichen Schwerpunkt: die Strukturanalyse des pädagogischen Handelns von Lehrerinnen und Lehrern. Ilien unterscheidet drei Ebenen des Lehrerhandelns: erstens die Ebene der zu vermittelnden Inhalte und Kompetenzen, zweitens die Ebene des individuellen Arbeitsverhaltens (auf Seiten der Schüler und ihre Förderung durch die Lehrkraft) und drittens die Ebene einer zu vermittelnden kulturellen Grundhaltung (Grundverständnis demokratischer Kultur). Als professionell wird der Lehrer bezeichnet, wenn er sich auf den drei benannten Ebenen bewegt (72), sein Tun erweist sich als professionell, wenn die drei Ebenen im Rahmen des Handelns bewusst unterschieden werden (73).

Das Grundproblem dieses professionellen „neuzeitlichen pädagogischen Lehrerhandelns“ auf den genannten drei Ebenen stellt, so der Autor weiter, das Schülerhandeln dar, das nicht auf Lernbereitschaft schließen lässt und den Lehrer zu dem Versuch zwingt, den Schüler „zu einer Verhaltensänderung zu bewegen“ (80). Dieses Schülerhandeln wird bei Ilien vor allem auch deshalb zum Grundproblem, weil er entsprechend einer die gesamte Monographie durchziehenden kulturpessimistischen und gesellschaftskritischen Sicht davon ausgeht, dass „Lehrer noch zu keinem Zeitpunkt, seit es ein öffentliches Schulsystem gibt, ähnlich häufig mit für sie nicht-wünschenswertem Lernverhalten von Schülern konfrontiert waren wie in den letzten Jahren unter den Bedingungen einer sich beschleunigenden wirtschaftlichen Globalisierung mit ihren sozialen Folgewirkungen“ (80).

Den empirischen Nachweis für diese weitreichende These bleibt Ilien allerdings schuldig, zumal die Klage über den Rückgang der Leistungsfähigkeit und die Leistungsbereitschaft sowie die Zunahme von Verhaltensauffälligkeiten bzw. unerwünschtem Verhalten der jeweils gegenwärtigen Schülergeneration so alt ist wie der Lehrerberuf und die Schule selbst. Neu erscheint hingegen, dass ‚die Globalisierung‘ auch in diesem Zusammenhang pauschal in die Verantwortung genommen wird.

Ilien sieht es als eines der zentralen Probleme der aktiven Lehrkräfte wie der Lehrerbildung und der Schulpädagogik an, dass diese die Existenz pädagogisch nicht erreichbarer, schwieriger „im Sinne von (umgangssprachlich) ‚asozial’ “ (92) sich verhaltender Schüler ausblenden oder gar in dem Sinne tabuisieren, dass „kein Schüler problematisch sein darf“ (93). In diesem Zusammenhang präsentiert der Autor eine weitere Typenbildung, und zwar eine aktuelle Typisierung „asozialer Schüler-Haltungen“ (102), die sich wiederum auf eigene Beobachtungen sowie die Schilderungen von Lehrkräften stützt.

Unterschieden werden erstens der Typ aggressiver Neonazi, zweitens der Typus rücksichtslos aggressiver, gewaltbereiter „deutschstämmiger Schüler aus Osteuropa“, drittens der aggressive religiöse Fundamentalist – an anderer Stelle wird auch von „nichtchristlichen Migranten“ gesprochen (103) – und viertens der Typus des Modernisierungsgewinners, der die Menschen anderer Sozialmilieus verachtet.

Diese zweite Typenbildung erscheint nicht nur aufgrund fehlender Belege bzw. der Missachtung jeglicher Forschung ebenfalls problematisch [5], sie arbeitet zudem mit höchst zweifelhaften Stereotypen, die nicht nur in einer wissenschaftlichen Darstellung, so sie eine sein soll, deplatziert sind. Bezogen auf die Ausgangsfrage nach dem professionellen Status des Lehrerberufs erfährt der Leser in diesem Zusammenhang lediglich, dass Lehrkräfte, wenn sie professionell handeln, in Konfrontation mit den vier Schüler-Typen in Handlungskonflikte geraten.

Zusammengefasst identifiziert Ilien auf den drei unterschiedenen Ebenen des Lehrerhandelns im zweiten Kapitel etwa in Auseinandersetzung mit den ‚asozial handelnden Schülern‘ für den Lehrer unlösbare Probleme, die auf den bisweilen „aussichtslos-dramatischen Charakter“ der Lehrerarbeit verweisen (110), wobei die beharrliche Bearbeitung dieser Probleme zugleich seine Professionalität ausmacht.

Im anschließenden dritten Kapitel (111-174) soll der gesellschaftliche Bildungsauftrag des Lehrerberufs in diachroner Perspektive über die Rekonstruktion des neuzeitlichen „Bildungs-„Denkens“ (111), die schließlich in die Diagnose der globalisierungsbedingten Krise des gegenwärtigen Schul- und Bildungssystems mündet, erfasst werden. Insbesondere Rousseau wird in diesem Zusammenhang als Gewährsmann für die Paradoxien, die Ilien dem professionellen und zugleich „unmöglichen“ Lehrerhandeln zugrunde legt, in Anspruch genommen, ebenso wie erwartungsgemäß Kant (vgl. die Autonomieantinomie bei Helsper) und Herder. In der inhaltlichen Ausgestaltung des zweiten Schwerpunkts der Darstellung geht es zusammengefasst weniger um den gesellschaftlichen Bildungsauftrag der Lehrerinnen und Lehrer als vielmehr (1.) um die Entwicklung des neuzeitlichen Bildungsdenkens unter Berücksichtigung (2.) relevanter gesellschaftlicher Bedingungen und Kontexte, die letztlich zur diagnostizierten Bildungskrise führen. Fragen nach der Konzeptionalisierung und Charakterisierung von Lehrerprofessionalität treten in den Hintergrund.

Den dritten und letzten Schwerpunkt der Darstellung sollen die psychischen Belastungen der Lehrertätigkeit (Kap. 4, 176-221) bilden. Ilien begründet die psychischen Kosten der professionellen Lehrertätigkeit ursächlich „mit unzureichenden Berufsselbstverständnissen vieler Lehrer“ (175). Das Grundproblem liegt demnach nicht in den zuvor behandelten Paradoxien und den als unlösbar charakterisierten Schwierigkeiten auf den drei Ebenen des Lehrerhandelns, sondern in den scheinbar verbreiteten Unzulänglichkeiten der Lehrkräfte selbst.

Um diese These zu belegen, greift der Autor jedoch nicht auf die reichhaltige, insbesondere persönlichkeitspsychologisch orientierte Forschung zur Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf, sondern auf die „selbstpsychologisch-narzissmustheoretischen Arbeiten“ von Heinz Kohut zurück. Dieser theoretische Bezugspunkt wird in einem ausführlichen Kohut-Referat vorgestellt und schließlich um die Überlegungen von Otto F. Kernberg ergänzt (176-206). Zurück bei den Lehrkräften (206ff.) nimmt der Autor eine dritte und letzte Typologisierung vor: eine Typologie unangemessener beruflicher Selbstverständnisse bei Lehrerinnen und Lehrern.

Nach Ilien bewegt sich das „professionsangemessene Engagement des Lehrers“ strukturell zwischen den Unterrichtsinhalten, den Schülern, der Selbstdarstellung und dem Selbstschutz (207). Mit diesen vier Bezugspunkten ergebe sich eine Berufsstruktur, die in ihrer Problematik öffentlich unterschätzt und in der Lehrerausbildung tabuisiert werde. Das verbreitet unangemessene Selbstverständnis von Lehrerinnen und Lehrern zeige sich in der Vereinfachung bzw. Vereinseitigung der Aufgabenstruktur, die sich in den vier Typen „eines unangemessenen Praxisverständnisses“ widerspiegelt: Dem Inhaltevertreter, dem Schülerfreund, dem Sich-selbst-Darsteller und dem Sich-selbst-Schützer (208). Gemeinsam sei diesen Typen, dass die Berufsstruktur bis zur Unprofessionalität vereinfacht werde.

Die oben bereits angeführten Einschränkungen sind auch am Beispiel dieser letzten Typisierung erneut geltend zu machen und müssen also nicht wiederholt werden. Bemerkenswert erscheint, dass Ilien selbst die folgende Einschränkung macht: „Meine Unterscheidung darf […] nicht als trennscharfe und empirisch ohne weiteres abbildbare missverstanden werden“ (208). Es bleibt indes die Frage nach dem Zweck dieser Typisierung(en) über die Illustration der eigenen Mutmaßungen hinaus. Der Autor möchte jedenfalls der Typenbildung „eine gewisse Realitätshaltigkeit nachsagen, die sich für mich wie angedeutet aus dem Kontakt mit vielen Lehrern, einer Reihe von Kollegien und der Beobachtung zahlreicher Diskussion in den Lehrerkollegien begründet“ (212). Unabhängig von der forschungsmethodischen Orientierung ist dies jedoch keine adäquate Grundlage für Aussagen, die dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit genügen sollen, im Übrigen auch dann nicht, wenn sie mit mannigfaltigen bildungstheoretischen Bezügen garniert werden.

Angemerkt sei abschließend zum dritten Schwerpunkt der Darstellung, dass die psychischen Kosten des Lehrerhandelns letztlich nicht im Mittelpunkt stehen. Vielmehr bleibt es bei dem Verweis, dass die Mehrdimensionalität und Paradoxität des Lehrerberufs „ein erhebliches Potential an Krankmachendem“ aufweisen (220).

Welches Bild vom Lehrerberuf als Profession, welche Konzeption von Professionalität tritt in dieser Monographie zur „Lehrerprofession“ hervor und lässt sich als Ergebnis der Darstellung abschließend festhalten? Ilien selbst fasst seine Argumentation wie folgt zusammen: „Mein Plädoyer, den Lehrerberuf als Profession aufzufassen, soll also – negativ – einer realitätsverharmlosenden Sicht der gesellschaftlichen und demzufolge pädagogischen Entwicklungen vorbeugen. Dadurch, dass man dem Lehrerberuf Professionalität zubilligt, lassen sich, so nehme ich an, positiv die Komplexität, die öffentliche Bedeutung und die durch gesellschaftliche Prozesse selbst verursachten Handlungsprobleme des Lehrerberufs besser unterstreichen“ (236).

Der Professionsbegriff wird so selbst zu einem bloßen Etikett, mit dem eine Sammlung unterschiedlicher Charakteristika eher unsystematisch verbunden wird, die ihrerseits keinen spezifischen Bezug zu einem wie auch immer ausgearbeiteten Professionskonzept hat. Als zentrales sog. Professionskriterium für den Lehrerberuf wird die Kenntnis, Bearbeitung bzw. der sorgfältige und umsichtige Umgang mit den von Ilien dargestellten drei Bildungsparadoxien benannt. Des Weiteren wird der Lehrer als Professioneller unter anderem wie folgt beschrieben:

● „‚Professionell‘ ist für mich der Lehrer, der reflektiert an ‚Bildung’ festhält, indem er sie seinen Schülern unterrichtspraktisch erfahrbar macht“ (21).
● Der gute, der professionelle Lehrer zeichnet sich dadurch aus, dass seine pädagogische Beeinflussung des Schülers auf einer in der Persönlichkeit der Lehrkraft verwurzelten kulturellen Haltung gründet, die sich aus seinem vorbildlichen fachlichen Handeln speist und auf der „Kraft seiner gewaltfreien Argumentation“ fußt (84f.).
● Einfühlung bzw. Empathie und die „Begabung des Lehrers“ zur Vermittlung machen des Weiteren den guten, den professionellen Lehrer aus. Ilien spricht explizit auch von einer „Dreifachbegabung“: die Lehrkraft muss jeden Unterrichtsstoff „analytisch durchdringen“, sich in die Aufnahmefähigkeit und Lernweisen der Schüler altersgemäß hineinversetzen und die methodische Synthese des analysierten Unterrichtsstoffs mit den Voraussetzungen der Schüler erstellen (85).
● Der Lehrerberuf erweist sich als „echte Profession“, wenn sich die Lehrperson in einer fallbezogen-individualisierenden Zuwendung zum Schüler „selbst als Vorbild setzt“ (89). Will heißen: handelt der Lehrer vorbildlich, ist er professionell, wobei der umgangssprachlich gebrauchte Begriff Vorbild bei Ilien als „Autorität ohne Gewaltanwendung“ definiert wird (96).
● usw.

In Anbetracht dieser beispielhaften Zusammenstellung und der vorhergehenden Analyse wird deutlich, dass hinter einer bildungstheoretischen und psychoanalytischen Kulisse, die Ilien in seiner Monographie aufbaut, weder ein systematisches Bild noch die theoretisch fundierte Konzeption des Lehrerberufs als Profession, geschweige denn einer Profession allgemein aufscheint. Problematisch erscheint zudem, dass Ilien spezifische Begabungen als notwendige Voraussetzung für professionelles Handeln anführt, die nicht – etwa im Rahmen der Lehrerausbildung – zu erlernen sind (110) und das Bild vom geborenen Erzieher hervorrufen.

Am Ende der Studie mit dem Titel Lehrerprofession steht die Aussage, dass sich Lehrkräfte „traditionell so schwer tun, ein angemessenes berufliches Selbstverständnis zu entwickeln“ (257). In der Konsequenz der Darstellung insbesondere der Typen von Lehrerinnen und Lehrern mit verbreitet unangemessenen Berufsselbstverständnissen bedeutet dies im Grunde nicht weniger, als dass Lehrkräfte traditionell dazu tendieren, nicht professionell zu denken und zu agieren. Genau dieses Lehrerbild ist es, dass in der Monographie von Ilien transportiert wird: das einer vielfach nicht als professionell zu bezeichnenden Berufsgruppe, einer „traditionell“ eher unprofessionellen „Lehrerprofession“. Da die Darstellung von Ilien, die zum Abschluss ein weiteres Paradoxon zumindest impliziert, jedoch jedweder empirischen Basis entbehrt, muss diese Diagnose Akteure wie Beobachter nicht beunruhigen.

[1] Luhmann, N. (2002): Das Erziehungssystem der Gesellschaft. Hrsg. v. D. Lenzen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 150.
[2] vgl. Helsper, W. (2002): Lehrerprofessionalität als antinomische Handlungsstruktur. In: Kraul, M./Marotzki, W./Schweppe, C. (Hrsg.): Biographie und Profession. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 64-102 sowie Helsper, W. (2004): Antinomien, Widersprüche, Paradoxien: Lehrerarbeit – ein unmögliches Geschäft? In: Koch-Priewe, B./Kolbe, U./Wildt, J. (Hrsg.): Grundlagenforschung und mikrodidaktische Reformansätze zur Lehrerbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 49-98.
[3] Die offen engagierten Lehramtsstudierenden bilden den vierten Typus bei Ilien.
[4] Helsper, W. (1996): Antinomien des Lehrerhandelns in modernisierten pädagogischen Kulturen. Paradoxe Verwendungsweisen von Autonomie und Selbstverantwortlichkeit. In: Combe, A./Helsper, W. (Hrsg.): Pädagogische Professionalität. Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns. Frankfurt a.M.: Suhrkam, S. 521-569, hier S. 537ff.
[5] vgl. u.a. Rutter, M./Giller, H./Hagell, A. (1998): Antisocial behavior by young people. Cambridge: Cambridge University Press; Holtappels, H.G./Heitmeyer, W./Melzer, W./Tillmann, K.J. (Hrsg.) (2004): Forschung über Gewalt an Schulen. 3. Aufl. Weinheim: Juventa; Tillmann, K.-J./Holler-Nowwitzki, B./Holtappels, H.G./Meier, U./Popp, U. (2007): Schülergewalt als Schulproblem: verursachende Bedingungen, Erscheinungsformen und pädagogische Handlungsperspektiven. 3. Auf. Weinheim: Juventa.
Martin Rothland (Münster)
Zur Zitierweise der Rezension:
Martin Rothland: Rezension von: Ilien, Albert: Lehrerprofession, Grundprobleme pädagogischen Handelns 2., überarbeitete Auflage. Wiesbaden: VS Verlag 2008. In: EWR 7 (2008), Nr. 4 (Veröffentlicht am 06.08.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353115460.html