EWR 7 (2008), Nr. 4 (Juli/August)

Albert Ilien
Lehrerprofession
Grundprobleme pÀdagogischen Handelns
2., ĂŒberarbeitete Auflage
Wiesbaden: VS Verlag 2008
(263 S.; ISBN 978-3-531-15460-2; 29,90 EUR)
Lehrerprofession „Daß der Lehrerberuf zu den Professionen zĂ€hlt, wird im allgemeinen unterstellt“ [1], scheint jedoch – wie ebenfalls im Zitat angedeutet wird – keinesfalls sicher. Zumindest hat der Versuch, die Veredelung des Lehrerberufs zur Profession unter Anwendung der Kriterien des klassischen Professionenkonzepts zu begrĂŒnden bzw. voranzutreiben, kein eindeutiges Ergebnis hervorgebracht: Gemessen an diesen Kriterien wurde der Lehrerberuf vielmehr letztlich als semi-professionell bezeichnet, ein konzeptioneller Kompromiss – aus Verlegenheit und mit geringer Aussagekraft. Die alten AnsĂ€tze der Professionsdebatte konnten dem Lehrerberuf jedenfalls nicht gerecht werden. Infolgedessen wurden und werden mit Blick auf Lehrerinnen und Lehrer unterschiedliche Konzeptionen einer speziellen ProfessionalitĂ€t mehr oder weniger unabhĂ€ngig vom klassischen Konzept diskutiert, die u.a. die besondere Struktur und Charakteristika der BerufstĂ€tigkeit zum Ausgangspunkt der Analyse machen. Ein einheitliches ProfessionsverstĂ€ndnis wurde mit Blick auf den Lehrerberuf bei diesen BemĂŒhungen bislang jedoch nicht hervorgebracht.

In Anbetracht der skizzierten, wenig Eindeutigkeit stiftenden Ausgangslage verspricht eine nunmehr in zweiter Auflage erschienene Monographie mit dem selbstbewussten, ja programmatischen Titel Lehrerprofession differenzierte Antworten auf die nach wie vor nicht abschließend geklĂ€rte Frage nach dem professionellen Status des Lehrerberufs und den Charakteristika der Berufsinhaber als Professionelle zu geben. Denn dass es sich bei dem Lehrerberuf um eine Profession handelt, scheint fĂŒr den Autor Albert Ilien unzweifelhaft.

Was zeichnet den Lehrerberuf – ggf. im Vergleich zu anderen Berufsgruppen, die man nicht mit diesem Etikett auszeichnen wĂŒrde – auf der Grundlage welchen Professionenkonzepts als Profession nach Ilien aus? Sind es gemĂ€ĂŸ dem Untertitel die „Grundprobleme pĂ€dagogischen Handelns“, die auf die grundlegenden Schwierigkeiten des Berufs verweisen und den ProfessionalitĂ€tsstatus an ihrer – sofern möglich – erfolgreichen Handhabung, gar Lösung messen? Oder schließt Ilien mit Verweis auf die Grundprobleme pĂ€dagogischen Handelns an Werner Helspers Konzept an, demzufolge die WidersprĂŒche, mit denen Lehrerinnen und Lehrer in ihrem Berufsalltag konfrontiert werden, als Basis fĂŒr die Charakterisierung des Lehrers als Professionellem in Anspruch genommen werden? [2]

Ein Überblick ĂŒber die Struktur und Inhalte der Darstellung zeigt, dass der Autor mit seiner Vorstellung von Lehrerprofession trotz einer auf den ersten Blick Ă€hnlich erscheinenden Ausgangslage, nĂ€mlich der Thematisierung widersprĂŒchlicher, als paradox markierter AnsprĂŒche und Handlungsbedingungen, nicht an die Überlegungen von Helsper anschließt. Stattdessen versucht Ilien, die Frage nach dem Professionscharakter des Lehrerberufs in fĂŒnf Kapiteln ĂŒber drei inhaltliche Schwerpunkte zu erfassen.

ZunĂ€chst werden in dem ersten, einleitenden Kapitel (20-56) auf der Basis der eigenen Lehrerfahrungen Iliens Problembereiche der Hochschullehre mit Studierenden, die ein Lehramt anstreben, behandelt. Diese Erfahrungen dienen als Ausgangspunkt der Analyse des Lehrerhandelns in dem folgenden zweiten Kapitel unter der PrĂ€misse, dass diese – Iliens – Probleme als Hochschullehrer „den alltĂ€glichen Schwierigkeiten tendenziell jedes amtierenden Lehrers strukturĂ€hnlich sind“ (21).

Auf Seiten der Lehramtsstudierenden unterscheidet der Autor vier Typen, von denen drei die KomplexitĂ€t des pĂ€dagogischen Handelns – so seine grundlegende These – in jeweils unterschiedliche Richtungen deutlich vereinseitigen bzw. verkĂŒrzen und fĂŒr Probleme in der Lehre sorgen: die sog. Inhaltevertreter, die SchĂŒlerfreunde und die nach seinem DafĂŒrhalten nicht zu unterschĂ€tzende Zahl der grundsĂ€tzlich nicht Engagierten, die mangels Alternativen ein Lehramtsstudium aufnehmen [3]. Ob und in welchem Maße diese auf individueller Erfahrung basierende Typisierung den Lehramtsstudierenden an den deutschen UniversitĂ€ten gerecht wird, bleibt abgesehen von den Verweisen auf die eigene langjĂ€hrige Lehrerfahrung offen. Insofern haben diese und auch die im Folgenden anzutreffenden Typenbildungen bestenfalls den Charakter von Vermutungen, schlechterenfalls von Unterstellungen, zumal Hinweise auf die QuantitĂ€ten in der Darstellung mitschwingen (25f.), die jedoch ĂŒber den individuellen Erfahrungskreis hinaus kaum seriös zu machen sind.

Zur Frage der empirischen Erfassung und Qualifizierung der Anteile der vier Studierendentypen bemerkt der Autor selbst: „Die Idee, durch genauere Quantifizierung ein tief sitzendes Problem besser verstehen oder gar angehen zu können, ist mir zutiefst fremd“ (25). Um die Existenz und Relevanz der angefĂŒhrten Problematik mit Blick auf die Lehramtsstudierenden beurteilen und ĂŒber den Status erfahrungsbasierter subjektiver Theorien zu heben, wĂ€re eine breitere Basis fĂŒr die angefĂŒhrte Typologie indes durchaus zu fordern. Zudem könnte die Zurkenntnisnahme der Forschung zu den Berufswahlmotiven von angehenden Lehramtsstudierenden die unterstellten Vereinseitigungen der Orientierungen schnell relativieren, da ebensolche Orientierungen bspw. an den UnterrichtsfĂ€chern und am Motiv der Vermittlung von Inhalten (Inhaltevertreter) oder an den SchĂŒlerinnen und SchĂŒlern bzw. der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen (SchĂŒlerfreunde) entsprechenden Untersuchungen zufolge kaum allein, sondern vielmehr hĂ€ufig in Kombination die Motivstruktur prĂ€gen. Im Übrigen weisen diese Untersuchungen auch darauf hin, dass das Verlegenheitsmotiv weniger relevant ist, als unterstellt, und die Lehramtsstudierenden bzw. die, die ein solches Studium nach dem Abitur bzw. der Matura anstreben, vielfach einem zielgerichteten Berufswunsch folgen.

Als Ergebnis einer „bildungsideegeleiteten Analyse“ (13), die Ilien ebenfalls in dem ersten, einleitenden Kapitel vornimmt, und ausgehend von der Grundannahme, dass „sich PĂ€dagogik nicht als Wissenschaft – im Sinne von objektivistischer Erfahrungswissenschaft – aufbauen lĂ€sst, sondern nur auf einer Philosophie der Bildung“ (35), sowie der These, dass das Lehrerhandeln „unter neuzeitlichen Bedingungen nicht ohne bildungstheoretische BezĂŒge“ hinreichend verstanden werden könne, identifiziert der Autor drei Bildungsparadoxien als Grundprobleme neuzeitlicher PĂ€dagogik.

Das zentrale pĂ€dagogische Paradoxon mit gewichtigen Handlungsproblemen als Folge lautet „PĂ€dagogik ist Fremdförderung zur Selbstwerdung“ (39) und wird von Ilien als Grund- oder als Beziehungsparadoxie bezeichnet. Hinzu kommt die sog. Gesellschaftsparadoxie, der zufolge nur die hinreichend humanisierte Gesellschaft „den Bildungsauftrag angemessen erteilen“ kann, diesen jedoch, ist sie hinreichend humanisiert, gar „nicht mehr erteilen mĂŒsste“ (43). Als Drittes benennt Ilien die Organisationsparadoxie. Diese verweist darauf, dass die fremdgeförderte Selbstwerdung organisiert, also im Rahmen einer Organisation wie dem Schulsystem ermöglicht werden könne, der Erfolg der BemĂŒhungen indes nicht organisational gesichert, sondern stattdessen hĂ€ufig im Einzelnen eher behindert werde. FĂŒr die Lehrerinnen und Lehrer schließt Ilien, dass sie „mit den besagten Paradoxien [
] handelnd umgehen [mĂŒssen], ohne sie auflösen zu können“ (44). Dies erinnert an die Konsequenzen fĂŒr das Lehrerhandeln und die Frage nach der ProfessionalitĂ€t der LehrkrĂ€fte im Anschluss an die „Antinomien des Lehrerhandelns“, wie sie Helsper beschrieben hat. WidersprĂŒchliche Anforderungen an die Lehrerinnen und Lehrer einer Thematisierung von professionellem Handeln im Lehrerberuf zugrunde zu legen, ist jedenfalls nicht neu. BerĂŒcksichtigt wird Helspers Ansatz bei Ilien jedoch nicht, obwohl Ersterer die konstitutiven pĂ€dagogischen Handlungsantinomien auch in einen weiteren Rahmen von insgesamt vier Paradoxien einbettet [4].

Das zweite Kapitel der Monographie behandelt im Anschluss an die skizzierten drei sog. Bildungsparadoxien den ersten inhaltlichen Schwerpunkt: die Strukturanalyse des pĂ€dagogischen Handelns von Lehrerinnen und Lehrern. Ilien unterscheidet drei Ebenen des Lehrerhandelns: erstens die Ebene der zu vermittelnden Inhalte und Kompetenzen, zweitens die Ebene des individuellen Arbeitsverhaltens (auf Seiten der SchĂŒler und ihre Förderung durch die Lehrkraft) und drittens die Ebene einer zu vermittelnden kulturellen Grundhaltung (GrundverstĂ€ndnis demokratischer Kultur). Als professionell wird der Lehrer bezeichnet, wenn er sich auf den drei benannten Ebenen bewegt (72), sein Tun erweist sich als professionell, wenn die drei Ebenen im Rahmen des Handelns bewusst unterschieden werden (73).

Das Grundproblem dieses professionellen „neuzeitlichen pĂ€dagogischen Lehrerhandelns“ auf den genannten drei Ebenen stellt, so der Autor weiter, das SchĂŒlerhandeln dar, das nicht auf Lernbereitschaft schließen lĂ€sst und den Lehrer zu dem Versuch zwingt, den SchĂŒler „zu einer VerhaltensĂ€nderung zu bewegen“ (80). Dieses SchĂŒlerhandeln wird bei Ilien vor allem auch deshalb zum Grundproblem, weil er entsprechend einer die gesamte Monographie durchziehenden kulturpessimistischen und gesellschaftskritischen Sicht davon ausgeht, dass „Lehrer noch zu keinem Zeitpunkt, seit es ein öffentliches Schulsystem gibt, Ă€hnlich hĂ€ufig mit fĂŒr sie nicht-wĂŒnschenswertem Lernverhalten von SchĂŒlern konfrontiert waren wie in den letzten Jahren unter den Bedingungen einer sich beschleunigenden wirtschaftlichen Globalisierung mit ihren sozialen Folgewirkungen“ (80).

Den empirischen Nachweis fĂŒr diese weitreichende These bleibt Ilien allerdings schuldig, zumal die Klage ĂŒber den RĂŒckgang der LeistungsfĂ€higkeit und die Leistungsbereitschaft sowie die Zunahme von VerhaltensauffĂ€lligkeiten bzw. unerwĂŒnschtem Verhalten der jeweils gegenwĂ€rtigen SchĂŒlergeneration so alt ist wie der Lehrerberuf und die Schule selbst. Neu erscheint hingegen, dass ‚die Globalisierung‘ auch in diesem Zusammenhang pauschal in die Verantwortung genommen wird.

Ilien sieht es als eines der zentralen Probleme der aktiven LehrkrĂ€fte wie der Lehrerbildung und der SchulpĂ€dagogik an, dass diese die Existenz pĂ€dagogisch nicht erreichbarer, schwieriger „im Sinne von (umgangssprachlich) ‚asozial’ “ (92) sich verhaltender SchĂŒler ausblenden oder gar in dem Sinne tabuisieren, dass „kein SchĂŒler problematisch sein darf“ (93). In diesem Zusammenhang prĂ€sentiert der Autor eine weitere Typenbildung, und zwar eine aktuelle Typisierung „asozialer SchĂŒler-Haltungen“ (102), die sich wiederum auf eigene Beobachtungen sowie die Schilderungen von LehrkrĂ€ften stĂŒtzt.

Unterschieden werden erstens der Typ aggressiver Neonazi, zweitens der Typus rĂŒcksichtslos aggressiver, gewaltbereiter „deutschstĂ€mmiger SchĂŒler aus Osteuropa“, drittens der aggressive religiöse Fundamentalist – an anderer Stelle wird auch von „nichtchristlichen Migranten“ gesprochen (103) – und viertens der Typus des Modernisierungsgewinners, der die Menschen anderer Sozialmilieus verachtet.

Diese zweite Typenbildung erscheint nicht nur aufgrund fehlender Belege bzw. der Missachtung jeglicher Forschung ebenfalls problematisch [5], sie arbeitet zudem mit höchst zweifelhaften Stereotypen, die nicht nur in einer wissenschaftlichen Darstellung, so sie eine sein soll, deplatziert sind. Bezogen auf die Ausgangsfrage nach dem professionellen Status des Lehrerberufs erfĂ€hrt der Leser in diesem Zusammenhang lediglich, dass LehrkrĂ€fte, wenn sie professionell handeln, in Konfrontation mit den vier SchĂŒler-Typen in Handlungskonflikte geraten.

Zusammengefasst identifiziert Ilien auf den drei unterschiedenen Ebenen des Lehrerhandelns im zweiten Kapitel etwa in Auseinandersetzung mit den ‚asozial handelnden SchĂŒlern‘ fĂŒr den Lehrer unlösbare Probleme, die auf den bisweilen „aussichtslos-dramatischen Charakter“ der Lehrerarbeit verweisen (110), wobei die beharrliche Bearbeitung dieser Probleme zugleich seine ProfessionalitĂ€t ausmacht.

Im anschließenden dritten Kapitel (111-174) soll der gesellschaftliche Bildungsauftrag des Lehrerberufs in diachroner Perspektive ĂŒber die Rekonstruktion des neuzeitlichen „Bildungs-„Denkens“ (111), die schließlich in die Diagnose der globalisierungsbedingten Krise des gegenwĂ€rtigen Schul- und Bildungssystems mĂŒndet, erfasst werden. Insbesondere Rousseau wird in diesem Zusammenhang als GewĂ€hrsmann fĂŒr die Paradoxien, die Ilien dem professionellen und zugleich „unmöglichen“ Lehrerhandeln zugrunde legt, in Anspruch genommen, ebenso wie erwartungsgemĂ€ĂŸ Kant (vgl. die Autonomieantinomie bei Helsper) und Herder. In der inhaltlichen Ausgestaltung des zweiten Schwerpunkts der Darstellung geht es zusammengefasst weniger um den gesellschaftlichen Bildungsauftrag der Lehrerinnen und Lehrer als vielmehr (1.) um die Entwicklung des neuzeitlichen Bildungsdenkens unter BerĂŒcksichtigung (2.) relevanter gesellschaftlicher Bedingungen und Kontexte, die letztlich zur diagnostizierten Bildungskrise fĂŒhren. Fragen nach der Konzeptionalisierung und Charakterisierung von LehrerprofessionalitĂ€t treten in den Hintergrund.

Den dritten und letzten Schwerpunkt der Darstellung sollen die psychischen Belastungen der LehrertĂ€tigkeit (Kap. 4, 176-221) bilden. Ilien begrĂŒndet die psychischen Kosten der professionellen LehrertĂ€tigkeit ursĂ€chlich „mit unzureichenden BerufsselbstverstĂ€ndnissen vieler Lehrer“ (175). Das Grundproblem liegt demnach nicht in den zuvor behandelten Paradoxien und den als unlösbar charakterisierten Schwierigkeiten auf den drei Ebenen des Lehrerhandelns, sondern in den scheinbar verbreiteten UnzulĂ€nglichkeiten der LehrkrĂ€fte selbst.

Um diese These zu belegen, greift der Autor jedoch nicht auf die reichhaltige, insbesondere persönlichkeitspsychologisch orientierte Forschung zur Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf, sondern auf die „selbstpsychologisch-narzissmustheoretischen Arbeiten“ von Heinz Kohut zurĂŒck. Dieser theoretische Bezugspunkt wird in einem ausfĂŒhrlichen Kohut-Referat vorgestellt und schließlich um die Überlegungen von Otto F. Kernberg ergĂ€nzt (176-206). ZurĂŒck bei den LehrkrĂ€ften (206ff.) nimmt der Autor eine dritte und letzte Typologisierung vor: eine Typologie unangemessener beruflicher SelbstverstĂ€ndnisse bei Lehrerinnen und Lehrern.

Nach Ilien bewegt sich das „professionsangemessene Engagement des Lehrers“ strukturell zwischen den Unterrichtsinhalten, den SchĂŒlern, der Selbstdarstellung und dem Selbstschutz (207). Mit diesen vier Bezugspunkten ergebe sich eine Berufsstruktur, die in ihrer Problematik öffentlich unterschĂ€tzt und in der Lehrerausbildung tabuisiert werde. Das verbreitet unangemessene SelbstverstĂ€ndnis von Lehrerinnen und Lehrern zeige sich in der Vereinfachung bzw. Vereinseitigung der Aufgabenstruktur, die sich in den vier Typen „eines unangemessenen PraxisverstĂ€ndnisses“ widerspiegelt: Dem Inhaltevertreter, dem SchĂŒlerfreund, dem Sich-selbst-Darsteller und dem Sich-selbst-SchĂŒtzer (208). Gemeinsam sei diesen Typen, dass die Berufsstruktur bis zur UnprofessionalitĂ€t vereinfacht werde.

Die oben bereits angefĂŒhrten EinschrĂ€nkungen sind auch am Beispiel dieser letzten Typisierung erneut geltend zu machen und mĂŒssen also nicht wiederholt werden. Bemerkenswert erscheint, dass Ilien selbst die folgende EinschrĂ€nkung macht: „Meine Unterscheidung darf [
] nicht als trennscharfe und empirisch ohne weiteres abbildbare missverstanden werden“ (208). Es bleibt indes die Frage nach dem Zweck dieser Typisierung(en) ĂŒber die Illustration der eigenen Mutmaßungen hinaus. Der Autor möchte jedenfalls der Typenbildung „eine gewisse RealitĂ€tshaltigkeit nachsagen, die sich fĂŒr mich wie angedeutet aus dem Kontakt mit vielen Lehrern, einer Reihe von Kollegien und der Beobachtung zahlreicher Diskussion in den Lehrerkollegien begrĂŒndet“ (212). UnabhĂ€ngig von der forschungsmethodischen Orientierung ist dies jedoch keine adĂ€quate Grundlage fĂŒr Aussagen, die dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit genĂŒgen sollen, im Übrigen auch dann nicht, wenn sie mit mannigfaltigen bildungstheoretischen BezĂŒgen garniert werden.

Angemerkt sei abschließend zum dritten Schwerpunkt der Darstellung, dass die psychischen Kosten des Lehrerhandelns letztlich nicht im Mittelpunkt stehen. Vielmehr bleibt es bei dem Verweis, dass die MehrdimensionalitĂ€t und ParadoxitĂ€t des Lehrerberufs „ein erhebliches Potential an Krankmachendem“ aufweisen (220).

Welches Bild vom Lehrerberuf als Profession, welche Konzeption von ProfessionalitĂ€t tritt in dieser Monographie zur „Lehrerprofession“ hervor und lĂ€sst sich als Ergebnis der Darstellung abschließend festhalten? Ilien selbst fasst seine Argumentation wie folgt zusammen: „Mein PlĂ€doyer, den Lehrerberuf als Profession aufzufassen, soll also – negativ – einer realitĂ€tsverharmlosenden Sicht der gesellschaftlichen und demzufolge pĂ€dagogischen Entwicklungen vorbeugen. Dadurch, dass man dem Lehrerberuf ProfessionalitĂ€t zubilligt, lassen sich, so nehme ich an, positiv die KomplexitĂ€t, die öffentliche Bedeutung und die durch gesellschaftliche Prozesse selbst verursachten Handlungsprobleme des Lehrerberufs besser unterstreichen“ (236).

Der Professionsbegriff wird so selbst zu einem bloßen Etikett, mit dem eine Sammlung unterschiedlicher Charakteristika eher unsystematisch verbunden wird, die ihrerseits keinen spezifischen Bezug zu einem wie auch immer ausgearbeiteten Professionskonzept hat. Als zentrales sog. Professionskriterium fĂŒr den Lehrerberuf wird die Kenntnis, Bearbeitung bzw. der sorgfĂ€ltige und umsichtige Umgang mit den von Ilien dargestellten drei Bildungsparadoxien benannt. Des Weiteren wird der Lehrer als Professioneller unter anderem wie folgt beschrieben:

● „‚Professionell‘ ist fĂŒr mich der Lehrer, der reflektiert an ‚Bildung’ festhĂ€lt, indem er sie seinen SchĂŒlern unterrichtspraktisch erfahrbar macht“ (21).
● Der gute, der professionelle Lehrer zeichnet sich dadurch aus, dass seine pĂ€dagogische Beeinflussung des SchĂŒlers auf einer in der Persönlichkeit der Lehrkraft verwurzelten kulturellen Haltung grĂŒndet, die sich aus seinem vorbildlichen fachlichen Handeln speist und auf der „Kraft seiner gewaltfreien Argumentation“ fußt (84f.).
● EinfĂŒhlung bzw. Empathie und die „Begabung des Lehrers“ zur Vermittlung machen des Weiteren den guten, den professionellen Lehrer aus. Ilien spricht explizit auch von einer „Dreifachbegabung“: die Lehrkraft muss jeden Unterrichtsstoff „analytisch durchdringen“, sich in die AufnahmefĂ€higkeit und Lernweisen der SchĂŒler altersgemĂ€ĂŸ hineinversetzen und die methodische Synthese des analysierten Unterrichtsstoffs mit den Voraussetzungen der SchĂŒler erstellen (85).
● Der Lehrerberuf erweist sich als „echte Profession“, wenn sich die Lehrperson in einer fallbezogen-individualisierenden Zuwendung zum SchĂŒler „selbst als Vorbild setzt“ (89). Will heißen: handelt der Lehrer vorbildlich, ist er professionell, wobei der umgangssprachlich gebrauchte Begriff Vorbild bei Ilien als „AutoritĂ€t ohne Gewaltanwendung“ definiert wird (96).
● usw.

In Anbetracht dieser beispielhaften Zusammenstellung und der vorhergehenden Analyse wird deutlich, dass hinter einer bildungstheoretischen und psychoanalytischen Kulisse, die Ilien in seiner Monographie aufbaut, weder ein systematisches Bild noch die theoretisch fundierte Konzeption des Lehrerberufs als Profession, geschweige denn einer Profession allgemein aufscheint. Problematisch erscheint zudem, dass Ilien spezifische Begabungen als notwendige Voraussetzung fĂŒr professionelles Handeln anfĂŒhrt, die nicht – etwa im Rahmen der Lehrerausbildung – zu erlernen sind (110) und das Bild vom geborenen Erzieher hervorrufen.

Am Ende der Studie mit dem Titel Lehrerprofession steht die Aussage, dass sich LehrkrĂ€fte „traditionell so schwer tun, ein angemessenes berufliches SelbstverstĂ€ndnis zu entwickeln“ (257). In der Konsequenz der Darstellung insbesondere der Typen von Lehrerinnen und Lehrern mit verbreitet unangemessenen BerufsselbstverstĂ€ndnissen bedeutet dies im Grunde nicht weniger, als dass LehrkrĂ€fte traditionell dazu tendieren, nicht professionell zu denken und zu agieren. Genau dieses Lehrerbild ist es, dass in der Monographie von Ilien transportiert wird: das einer vielfach nicht als professionell zu bezeichnenden Berufsgruppe, einer „traditionell“ eher unprofessionellen „Lehrerprofession“. Da die Darstellung von Ilien, die zum Abschluss ein weiteres Paradoxon zumindest impliziert, jedoch jedweder empirischen Basis entbehrt, muss diese Diagnose Akteure wie Beobachter nicht beunruhigen.

[1] Luhmann, N. (2002): Das Erziehungssystem der Gesellschaft. Hrsg. v. D. Lenzen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 150.
[2] vgl. Helsper, W. (2002): LehrerprofessionalitĂ€t als antinomische Handlungsstruktur. In: Kraul, M./Marotzki, W./Schweppe, C. (Hrsg.): Biographie und Profession. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 64-102 sowie Helsper, W. (2004): Antinomien, WidersprĂŒche, Paradoxien: Lehrerarbeit – ein unmögliches GeschĂ€ft? In: Koch-Priewe, B./Kolbe, U./Wildt, J. (Hrsg.): Grundlagenforschung und mikrodidaktische ReformansĂ€tze zur Lehrerbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 49-98.
[3] Die offen engagierten Lehramtsstudierenden bilden den vierten Typus bei Ilien.
[4] Helsper, W. (1996): Antinomien des Lehrerhandelns in modernisierten pÀdagogischen Kulturen. Paradoxe Verwendungsweisen von Autonomie und Selbstverantwortlichkeit. In: Combe, A./Helsper, W. (Hrsg.): PÀdagogische ProfessionalitÀt. Untersuchungen zum Typus pÀdagogischen Handelns. Frankfurt a.M.: Suhrkam, S. 521-569, hier S. 537ff.
[5] vgl. u.a. Rutter, M./Giller, H./Hagell, A. (1998): Antisocial behavior by young people. Cambridge: Cambridge University Press; Holtappels, H.G./Heitmeyer, W./Melzer, W./Tillmann, K.J. (Hrsg.) (2004): Forschung ĂŒber Gewalt an Schulen. 3. Aufl. Weinheim: Juventa; Tillmann, K.-J./Holler-Nowwitzki, B./Holtappels, H.G./Meier, U./Popp, U. (2007): SchĂŒlergewalt als Schulproblem: verursachende Bedingungen, Erscheinungsformen und pĂ€dagogische Handlungsperspektiven. 3. Auf. Weinheim: Juventa.
Martin Rothland (MĂŒnster)
Zur Zitierweise der Rezension:
Martin Rothland: Rezension von: Ilien, Albert: Lehrerprofession, Grundprobleme pĂ€dagogischen Handelns 2., ĂŒberarbeitete Auflage. Wiesbaden: VS Verlag 2008. In: EWR 7 (2008), Nr. 4 (Veröffentlicht am 06.08.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353115460.html