In seiner Studie untersucht Grewing für den Zeitraum 1814 bis 1871 den sozialen Status und die gesellschaftliche Verortung einer Berufsgruppe, deren Angehörige aufgrund ihrer akademischen Ausbildung und durch den Bedeutungsgewinn des Gymnasiums bestrebt waren, eine Position im Bürgertum zu finden. Er sieht seine Arbeit, die als Dissertation an der Universität Köln angenommen wurde, als Beitrag zur Mentalitätsgeschichtsforschung und konzentriert sich auf die Rheinprovinz mit den Städten Bonn, Neuss und Duisburg, um gezielt kleinere Städte mit unterschiedlichen gymnasialen Schulformen in den Blick zu nehmen. Dabei stützt er sich zunächst auf die Jahresberichte der höheren Lehranstalten als serielle Quelle, da hier Namen und wichtige Daten zur Lehrerschaft zu finden sind, die die Voraussetzung darstellen bei der Suche nach weiteren Quellen, die deren Lebenswandel und ihre Berufskarriere erforschen lassen. Die Auswertung von Biografien, Schulchroniken, Zeitungsartikeln, Festschriften, Schulreden und Personalbögen macht deutlich, dass die Situation der Gymnasiallehrerschaft keine einfache war: Auf der einen Seite spielten sie eine wichtige Rolle bei der Erziehung der männlichen Jugend im Sinne des preußischen Staates sowie bei der Verteilung von Karrierechancen, die im Laufe der Jahre immer stärker von einem guten Schulabschluss abhingen, und fühlten sich entsprechend als wichtiger Teil der Gesellschaft. Auf der anderen Seite scheiterten viele Gymnasiallehrer bei dem Bestreben, vom etablierten Bürgertum anerkannt zu werden, da die materielle Ausstattung ihres Berufs keine entsprechende Lebensführung zuließ. Lediglich Schuldirektoren erlangten gelegentlich einen gewissen Wohlstand, wie er für das gehobene Bürgertum selbstverständlich war, und fanden so Eingang in das gesellschaftliche Leben. Die meisten Lehrer lebten indes eher zurückgezogen und besannen sich auf ihr vorhandenes kulturelles Kapital. Die solide und gut lesbare Arbeit von Grewing zeigt diesen Zwiespalt auf, ohne freilich einen Ausblick auf die weitere Entwicklung zu geben. Weitere Studien, auch zu anderen Regionen, sind also wünschenswert.
EWR 9 (2010), Nr. 1 (Januar/Februar)
Die Mentalität des „neuen Bürgertums“ im 19. Jahrhundert
Studien zur rheinischen Gymnasiallehrerschaft im Kontext bürgerlicher Aufbrüche
(Ortstermine – Historische Funde und Befunde aus der deutschen Provinz; Bd. XIX)
(Ortstermine – Historische Funde und Befunde aus der deutschen Provinz; Bd. XIX)
Siegburg: Rheinlandia 2008
(495 S.; ISBN 978-3-938535-41-7; 35,00 EUR)
Rüdiger Loeffelmeier (Berlin)
Zur Zitierweise der Annotation:
Rüdiger Loeffelmeier: Annotation zu: Grewing, Ben: Die Mentalität des „neuen Bürgertums“ im 19. Jahrhundert, Studien zur rheinischen Gymnasiallehrerschaft im Kontext bürgerlicher Aufbrüche (Ortstermine – Historische Funde und Befunde aus der deutschen Provinz; Bd. XIX). Siegburg: Rheinlandia 35,0. In: EWR 9 (2010), Nr. 1 (Veröffentlicht am 05.02.2010), URL: http://klinkhardt.de/ewr/annotation/978393853541.html
Rüdiger Loeffelmeier: Annotation zu: Grewing, Ben: Die Mentalität des „neuen Bürgertums“ im 19. Jahrhundert, Studien zur rheinischen Gymnasiallehrerschaft im Kontext bürgerlicher Aufbrüche (Ortstermine – Historische Funde und Befunde aus der deutschen Provinz; Bd. XIX). Siegburg: Rheinlandia 35,0. In: EWR 9 (2010), Nr. 1 (Veröffentlicht am 05.02.2010), URL: http://klinkhardt.de/ewr/annotation/978393853541.html