
Der Inhalt des kleinen Büchleins ist allerdings alles andere als metaphorisch und greift zurück auf empirische Befunde aus der zweibändigen Studie „Störer und Gestörte“ (2006), die als eindrückliches Thema eine „strukturelle Verantwortungslosigkeit“ im Hinblick auf schwierige Schülerinnen und Schüler in Schule und Jugendhilfe aufzeigte. Nun geht es um die Möglichkeiten und Bedingungen einer strukturellen Verantwortung im pädagogischen Handeln. Sie wird in den insgesamt vier Kapiteln angemahnt. Eine pointierte – bisweilen polemische – Kritik an den gegenwärtig hoch gehandelten pädagogischen Ansätzen vor allem in der Sozial- und Sonderpädagogik schließt sich an: Der Ressourcen-Ansatz wird ebenso auf seine blinden Flecken und Verharmlosungen hin untersucht wie der Resilienz-Ansatz, hier am Beispiel des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans. Beides Fälle eines „pädagogischen Jargons“ (75) und für Thomas von Freyberg eine „zentrale berufliche Ideologie“ (8), die eine professionelle Schonhaltung erzeuge. Die Gefahr des Verharmlosens und Verschleierns des sozialen Ortes der Erziehung und der Ausblendung eines fundierten Fallverstehen als der elementaren Ausgangslage eines Verstehens der Schwierigkeiten von „schwierigen“ Schülerinnen und Schülern sieht Thomas von Freyberg als großes Problem für eine strukturelle Verantwortung – und damit für ein demokratisches Bildungssystem. Als Folge dieser Schonhaltung entsteht eine „zweifache Professionalisierungslücke“ (141), die letztlich die gesellschaftlichen Grenzen der Pädagogik schützt.
Vielleicht erscheint der Vergleich zu kühn: Doch kann man das kleine Büchlein von Thomas von Freyberg in der Tat neben das kleine Büchlein von Siegfried Bernfeld (Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung) stellen. Beide Bücher sollten Pädagoginnen und Pädagogen vor der Hybris der Pädagogik warnen, die darin besteht, den sozialen Ort der Erziehung auszublenden, zu negieren oder schlicht nicht ernst zu nehmen. Und vor allem erinnert das Buch „Tantalos und Sisyphos in der Schule“ daran, dass mündige Erziehung auch mündige Erzieher braucht, die sich der Widersprüche ihres professionellen Handelns nicht nur bewusst, sondern diese auch nicht länger widerstandslos hinzunehmen bereit sind. Erst auf dieser Grundlage ließe sich eine strukturelle Verantwortung übernehmen und verteidigen.