Christoph Türcke widmet sich in seinem neuen Buch wieder einem pädagogischen Thema, nämlich der „neuen Lernkultur“ und ihren Effekte bzw. ihrem Unheil in der Schule. Türcke tut dies in Form einer Zurückweisung von vergleichsweise neuen politischen Forderungen an die Schule (Komptenzwahn und Inklusionswahn sind die entsprechenden Überschriften, die seine Haltung dazu anschaulich anzeigen) und wendet diese in ein Plädoyer für die Rückbesinnung auf den Lehrerstand und -beruf.
Er bezieht sich auf prominente Vertreter, die sich in den vergangenen Jahren durchweg als Kritiker der neuen Bildungssteuerung hervorgetan haben. Aber auch die von ihm ins Visier genommenen Behavioristen, Reform-Apologeten und Verfechtern der Kompetenzorientierung kommen zu Wort, man müsse schließlich „dieses Richtliniengeschwafel wörtlich zitieren, um ein Gefühl für seine Nähe zur Lifestylewerbung zu bekommen“ (41). Diese Referenzen zeigen einen – für einen an Bildung interessierten Philosophen – hohen Stand an Informiertheit über bildungstheoretische und -philosophische Diskurse an. Allein der Verweis auf Pranges Zeigetheorie fehlt, was hinsichtlich Türckes Identifikation des Zeigens (vor Dritten) als elementarster Lehrhandlung überrascht.
Tatsächlich erfasst Türcke die aktuellen Transformationen des Bildungssystems und die dahinter liegenden bildungspolitischen Dynamiken in angemessener Breite und holt sogleich zum Rundumschlag aus: gegen Inklusion, gegen Neuro-Lernen, gegen Kompetenzorientierung und -modellierung, gegen Evidenzbasierung, gegen Abschaffung elementarer Kulturtechniken wie dem Innehalten, dem Lesen und händischen Schreiben, gegen arbeitsblattdominierten Unterricht – kurzum: gegen Abschaffung des Lehrens als Praxis, als Ethos und Beruf. Allein das letzte Drittel des Buches irritiert dann (sachlich, nicht vor dem biographischen Hintergrund des Autors) ob der Hineinnahme der Freud’schen Psychoanalyse und der Figur der Übertragungsliebe als Movens lehrender Handlungen.
Bei allgemeinpädagogisch versierten Lesern rennt der Autor meist offene Türen ein, obgleich vielzählige Entzündungsflächen bleiben. Als durchaus sinnvoll erweisen könnte sich seine essayistische Sammlung dennoch, als sie mittels ihrer verständlichen Sprache und Unterfütterung mit anschaulichen Beispielen eine Vermittlungsfunktion zwischen (kritischer) Bildungsphilosophie und alltäglicher Schulpraxis übernehmen kann. Die Rezeption bei den Betroffenen – Türcke adressiert sie als Kollegen und skizziert im Voraus den „Lehrer-Widerstand gegen die neoliberale Gehirnwäsche“ (137) – darf jedenfalls mit Spannung erwartet werden.
EWR 15 (2016), Nr. 3 (Mai/Juni)
Lehrerdämmerung
Was die neue Lernkultur in den Schulen anrichtet
MĂĽnchen: C. H. Beck 2016
(159 S.; ISBN 978-3-406-68882-9; 14,95 EUR)
Marc Fabian Buck (Berlin)
Zur Zitierweise der Annotation:
Marc Fabian Buck: Annotation zu: TĂĽrcke, Christoph: Lehrerdämmerung, Was die neue Lernkultur in den Schulen anrichtet. MĂĽnchen: C. H. Beck 2016. In: EWR 15 (2016), Nr. 3 (Veröffentlicht am 25.05.2016), URL: http://klinkhardt.de/ewr/annotation/978340668882.html
Marc Fabian Buck: Annotation zu: TĂĽrcke, Christoph: Lehrerdämmerung, Was die neue Lernkultur in den Schulen anrichtet. MĂĽnchen: C. H. Beck 2016. In: EWR 15 (2016), Nr. 3 (Veröffentlicht am 25.05.2016), URL: http://klinkhardt.de/ewr/annotation/978340668882.html