
Warum es einen solchen Zugang überhaupt brauche, rechtfertigt Billett im gesamten Buch eher implizit. Es geht um die Bedeutsamkeit beruflicher Bildung, nicht erst heute, sondern seit den ersten Anfängen menschlicher Kultur. Das – wie er es bezeichnet – „Projekt Berufsbildung“, hervorgegangen aus der Moderne, werde unterschätzt und in seinem Potenzial in einem globalen Umfeld zu wenig gewürdigt. Es gilt also, die Position der beruflichen Bildung zu verdeutlichen (Kapitel 2) und hierbei das Konzept des Berufs (Vocations) und der beruflichen Tätigkeiten bzw. die Beschäftigung (Occupations) zu dieser in Beziehung zu setzen (Kapitel 3 und 4). In einem weiteren Kapitel stellt er die Entstehung der beruflichen Bildung dar (Kapitel 5) und die Absichten und Interessen, die mit ihr in Verbindung gebracht werden (Kapitel 6). Die beiden folgenden Kapitel 7 und 8 beschäftigen sich mit dem Lehrplan bzw. Curriculum, ausgehend von den Absichten, Umsetzungen und Erfahrungen, die damit verknüpft werden, ehe ein abschließendes neuntes den bis dahin entfalteten Argumentationsverlauf zusammenfasst und diesen als Ausblick auf eine weitere Zukunft thematisiert.
Als Schlüsselkonzepte beruflicher Bildung identifiziert er drei Aspekte. Berufsbildung gewährt erstens den Zugang zu einem berufs- oder arbeitsplatzorientierten vielgestaltigen Feld, das Individuen, genauer Jugendliche aber auch Erwachsene, in die Arbeitswelt und Gesellschaft einweise. Berufsbildung ist aber auch ein Sektor des Bildungswesens, der vorberufliche Einrichtungen bis hin zu den Hochschulen einschließe.
Als zweites „key concept“ hebt er die Bedeutung der Beruflichkeit hervor, die im deutschen Sprachraum durch die Verbindung von Berufung (calling bzw. vocation) und bezahlter Beschäftigung (occupation) eine engere Verbindung aufweise, was hiermit auch weiterführende Bildungsansprüche impliziere. Als drittes, allerdings im Buch kaum ausführlicher thematisiertes, Konzept hebt er den „Konstruktivismus“ hervor, der sowohl personal-genetisch im Sinne Piagets aber auch sozial gemäß Berger und Luckmann zu fassen sei. Hierbei wird die Bedeutung der gesellschaftlichen Konstruktion von Wissen ebenso behandelt wie auch die soziale Konnotierung von „beruflich“, wie sie vor allem von gesellschaftlichen Eliten als Kontrastfolie zu ihrer eigenen Bildung im angelsächsischen Raum betrachtet, sich ausprägte. Als deutschsprachiger Leser erkennt man die Debatten Allgemeinbildung versus Berufsbildung wieder.
Basierend auf diesen Eckwerten baut er seine Argumentation kapitelweise auf, hierbei die für die Berufsbildung relevante Fachliteratur aus Anthropologie, Psychologie, Erziehungswissenschaft und Soziologie einbeziehend. Daneben wird aber auch stark auf die philosophische und pädagogische Klassik von Platon, Aristoteles über Rousseau eingegangen. Eigentlich wenig überraschend ist John Deweys bahnbrechendes Werk Demokratie und Erziehung eine zentrale Bezugsgröße, auf die der Autor des Öfteren rekurriert, um hierbei national unterschiedliche Entwicklungen einerseits zu beleuchten, andererseits aber auch seine eigene Zugangsweise zu fundieren in Auseinandersetzung mit Deweys Position zur Berufsbildung. Auch die neuere deutschsprachige Berufspädagogik hat in seiner Darstellung Eingang gefunden.
Angesichts eines so weiten Feldes mit einer Perspektive, die gerade nicht sich auf nationale Traditionen und Strukturen beschränken will, besteht die Gefahr einer Überforderung der Leserschaft und Verzettelung der Argumentation, da viele Aspekte kaum vertieft oder nur kursorisch behandelt werden können. Diesem nicht ganz von der Hand zu weisenden Einwand lässt sich entgegnen, dass es dem Autor mit einem Blick für die wesentlichen Zusammenhänge gelungen ist, eine Auslegeordnung und Agenda darzulegen, die insbesondere die Bedeutung und künftige Stellung der beruflichen Bildung in einer globalen Welt, die mehr und mehr auf Hochschulbildung setzt, zu profilieren.