EWR 8 (2009), Nr. 6 (November/Dezember)

David L. Sheffler
Schools and Schooling in Late Medieval Germany
Regensburg, 1250-1500
(Education and Society in the Middle Ages and Renaissance; Bd. 33)
Leiden; Boston: Brill 2008
(417 S.; ISBN 978-90-04-16664-6; 119,00 EUR)
Schools and Schooling in Late Medieval Germany Die aus einer Dissertation an der University of Wisconsin-Madison entstandene Studie David L. Shefflers zu den Bildungslandschaften des spĂ€tmittelalterlichen Regensburg beginnt mit einer Feststellung, die sich bei der LektĂŒre des Buches als programmatisch erweist: „The medieval educational landscape was complex, even chaotic“ (1). Damit trifft Sheffler einen Punkt, der auch in der aktuellen deutschsprachigen Forschung ins Bewusstsein rĂŒckt – das spĂ€tmittelalterliche Schulwesen lĂ€sst sich nur unter grĂ¶ĂŸten Schwierigkeiten in das unzeitgemĂ€ĂŸe Konzept eines systematisch aufgebauten ‚Bildungswesens‘ pressen. In Absetzung von Ă€lteren Traditionen der Bildungsgeschichte sucht Sheffler daher anstatt einer Überblicksdarstellung eine vertiefte und möglichst differenzierte Auseinandersetzung mit der vielschichtigen Bildungslandschaft nur einer Stadt vorzunehmen. Was die Beschreibung Regensburgs vor dem Hintergrund spĂ€tmittelalterlicher Bildungslandschaften betrifft, kann Sheffler dieses Anliegen in Teilen auch ĂŒberzeugend einlösen.

Die Arbeit, die durchweg in Auseinandersetzung mit der deutschsprachigen wie internationalen Forschung argumentiert, besteht aus einer Einleitung, drei Hauptkapiteln und einem umfĂ€nglichen, ungefĂ€hr ein Drittel des Gesamtumfangs ausmachenden Registerteil. Einleitend verortet Sheffler seine Untersuchung zunĂ€chst knapp in der Forschung, indem er auf Ă€ltere und jĂŒngere Kontroversen z.B. um die Natur stĂ€dtisch-‚bĂŒrgerlicher‘ Erziehung oder laikaler Schriftlichkeit Bezug nimmt. Drei Kapitel stellen dann basierend auf verschiedenen Quellen die Regensburger Schulen dar: Sie werden in ihrer historischen Entwicklung beschrieben (15-84), nach den Inhalten der Wissensvermittlung (85-160) untersucht, und schließlich widmet sich ein Kapitel der Vernetzung zwischen Regensburg und der universitĂ€ren Welt und beschĂ€ftigt sich ausfĂŒhrlich mit Regensburger Studenten an verschiedenen UniversitĂ€ten (161-212). Dem schließen sich Listen und Register an (219-376), in denen Regensburger Lehrer und SchĂŒler sowie auch Regensburger UniversitĂ€tsstudenten bio-bibliographisch aufgelistet werden.

Die ausfĂŒhrliche Beschreibung der Regensburger Schulen in Kapitel zwei (The Educational landscape) trĂ€gt zunĂ€chst das vorhandene Wissen ĂŒber schulische Institutionen in Regensburg zusammen und ergĂ€nzt es mit (leider erst im 14. und 15. Jahrhundert reichlicher werdenden) Befunden anhand ungedruckter Quellen. Die Darstellung liefert dabei nicht nur einen Überblick ĂŒber die Regensburger Schulen, sondern kann vor allem sozio-politische Konstellationen der Schulausbildung in Regensburg herausarbeiten. Wie Sheffler aufzeigt, bestanden beispielsweise sehr enge BezĂŒge zwischen den stĂ€dtischen FĂŒhrungsgeschlechtern und geistlichen Schulen, etwa denen der Kathedrale, der Alten Kapelle und des Klosters St. Emmeram. Zwar gelang eine UniversitĂ€tsgrĂŒndung in Regensburg nie, doch dĂŒrften wenigstens die Studia der Bettelorden, u.a. der Augustinereremiten und Dominikaner, zumindest in einigen BlĂŒtephasen fĂŒr die Ordensangehörigen sehr hochwertigen Unterricht geboten und somit auch die Stadt intellektuell bereichert haben. Obwohl ihre Schulen nur den Ordensangehörigen offen standen, seien die Ordensgelehrten etwa als TrĂ€ger von Wissenstransfer per Buchproduktion und Predigt anzusehen. Auch die Themen Unterricht fĂŒr Frauen und jĂŒdische Schulen werden zumindest kurz gestreift.

In Kapitel vier (Regensburg and the Universities), das sich detailliert mit dem UniversitĂ€tsstudium von Regensburgern befasst und die erarbeiteten Befunde dabei immer wieder mit vorhandenen Studien zu anderen StĂ€dten in Bezug setzt, kann Sheffler Entwicklungstendenzen der Muster des UniversitĂ€tsbesuchs sowohl aufzeigen als auch erklĂ€ren. Besonders gelungen erscheint die starke BerĂŒcksichtigung sozialer Vernetzungen in und um Schulen und UniversitĂ€ten, wie sie in der Forschung gegenĂŒber Ă€lteren, nur auf das ‚Bildungswesen‘ fokussierten AnsĂ€tzen zuletzt immer lauter gefordert worden ist. Durch ein UniversitĂ€tsstudium, so Sheffler etwa, suchte man Söhnen aus hochrangigen Patrizierfamilien nicht nur gesicherte (meist klerikale) Karrieren zu ermöglichen, sondern erweiterte auch die eigenen sozialen Netzwerke. Die Wanderungen von Regensburger Studenten zu verschiedenen UniversitĂ€ten untersucht er entsprechend nicht nur im Kontext geographischer NĂ€he und lokaler materieller Bedingungen, sondern setzt sie auch mit vorhandenen Handelsnetzwerken in Bezug. Insgesamt entsteht so ein differenziertes Bild bildungsbezogener Wanderungen, das besonders den Transfer neuer WissensbestĂ€nde in die StĂ€dte im fĂŒnfzehnten Jahrhundert erklĂ€rt und dabei sowohl Eigenheiten Regensburgs wie allgemeine Tendenzen des spĂ€tmittelalterlichen Reichs vermittelt. An vorliegende Forschungen zum UniversitĂ€tsbesuch im Reich wird dabei produktiv angeschlossen [1].

Einige Probleme der Studie kommen dagegen am deutlichsten in Kapitel drei (Inside the schools) zum Tragen, in dem Sheffler die an den verschiedenen Schulen gebotenen Lehrinhalte analysiert. Die großenteils durchgehaltene Orientierung an verschiedenen Niveaus des Unterrichts (meist Grundlagen, ‚voruniversitĂ€re‘ und ‚höhere‘ Bildung) macht fĂŒr die Darstellung der Schulen sowie die Beschreibung von UniversitĂ€tskarrieren durchaus Sinn. In der Darstellung der Bildungsinhalte bewirkt sie freilich, dass Sheffler entgegen seinen einleitenden Überlegungen die sehr inhomogenen Curricula der verschiedenen Schulen doch wieder in ein starres, von ihm an die Quellen herangetragenes System presst. Die in den anderen Teilen meist ĂŒberzeugend gelungene Kontextualisierung einzelner historischer Entwicklungen im stark gerafften Überblick gerĂ€t zudem in diesem Kapitel zu einer Art Überblicksdarstellung mittelalterlicher Bildungsinhalte, in dem dann ĂŒberraschenderweise das FrĂŒhmittelalter eine ĂŒbermĂ€ĂŸig große Rolle spielt – sogar Cassiodors († 580) Vivarium wird erwĂ€hnt, wĂ€hrend die doch wohl relevanteren UmwĂ€lzungen des 12. Jahrhunderts praktisch ausgeblendet bleiben.

Diese Schwierigkeiten erweisen sich bei genauem Hinsehen zum Teil als Problematiken des gesamten Forschungsfelds – einige Ungenauigkeiten erscheinen etwa als typische Folgen einer thematischen Systematisierung von bruchstĂŒckhaftem und heterogenem Material. Doch einige Verallgemeinerungen hĂ€tten sich wohl vermeiden lassen. Sheffler weist etwa die Leserschaft ein ums andere Mal pflichtgemĂ€ĂŸ auf LĂŒcken in den BestĂ€nden und die Unmöglichkeit von Generalisierungen hin. Meist nimmt er freilich nur wenige Zeilen spĂ€ter eben diese Generalisierungen dann doch vor, und dadurch muss es fast zwangslĂ€ufig zu Verallgemeinerungen kommen, wie man sie gerade aus den Ă€lteren, die historische KomplexitĂ€t einzelner Schullandschaften allzu stark systematisierenden Darstellungen kennt. Als besondere Probleme erscheinen die (anscheinend aus dem Wunsch nach gleichmĂ€ĂŸiger Darstellung gespeisten) RĂŒckschlĂŒsse auf VerhĂ€ltnisse in Regensburg auf der Basis von Materialien von außerhalb [2] sowie ebenfalls stark verallgemeinernde Zusammensichten frĂŒh-, hoch- und spĂ€tmittelalterlicher VerhĂ€ltnisse etwa fĂŒr monastische Schulen. Die seltsame Akzentuierung des frĂŒhen und hohen Mittelalters scheint sich freilich nicht nur aus der berechtigten Überlegung zu speisen, dass man die Regensburger Schulen nicht ohne eine ErwĂ€hnung Otlohs von St. Emmeram behandeln möchte. Sie reflektiert vielmehr offenbar auch den letztlich ungenĂŒgenden Forschungsstand – Ă€ltere bildungsgeschichtliche Überblicksdarstellungen haben typischerweise einen FrĂŒh- und Hochmittelalterschwerpunkt, neuere Darstellungen, die nicht nur UniversitĂ€ten, sondern auch Schulen behandeln, gibt es kaum. Einige wichtige neuere Literatur bleibt bei Sheffler allerdings unerwĂ€hnt [3].

Eine Ablösung von den problematischen Strukturen der Ă€lteren, positivistischen Institutionengeschichte oder gar deren produktive Weiterentwicklung gelingt in der zu besprechenden Studie somit nur in Teilen. In der Darstellung von Wissensinhalten möchte man kĂŒnftigen Studien den Mut wĂŒnschen, zusammenfassende potted history wegzulassen und den gewonnenen Platz fĂŒr innovativere Fragen nach der Konzeptualisierung von Bildung und Wissen in spezifischen Gemeinschaften des SpĂ€tmittelalters zu nutzen. StĂ€rken liegen dagegen in der Bereitstellung und Analyse ausfĂŒhrlicher prosopographischer Forschungen und in der knappen Darstellung, die sich in Teilen sogar fĂŒr die exemplarische LektĂŒre von Studierenden eignen mag. Auch der gute Blick Shefflers fĂŒr die Verflechtungen zwischen Schulen, UniversitĂ€ten und stĂ€dtischen Eliten ĂŒberzeugt sehr weitgehend und geht nicht nur mit aktuellen universitĂ€tsgeschichtlichen Forschungen konform, sondern auch mit Forderungen nach einer dynamisierten, sozialen und politischen Netzwerken Rechnung tragenden Untersuchung von ‚Wissenskulturen‘ oder ‚CommunautĂ©s de savoirs‘ (Mews) [4].

Eine hoch zu veranschlagende Leistung der Darstellung bleibt, zusammenfassend gesagt, somit die differenzierte Aufarbeitung des Materials zu sĂ€mtlichen Regensburger Schulen, das zudem in den umfĂ€nglichen AnhĂ€ngen sehr gut erschlossen wird (bio-bibliographische Register der Regensburger SchĂŒler und Lehrer sowie – mit Tabellen – der Regensburger UniversitĂ€tsstudenten; Bibliographie und Index). FĂŒr weitere Forschungen zu Schulen in Regensburg wie im spĂ€tmittelalterlichen Reich wurde hier substanzielle Arbeit geleistet, denn fĂŒr sie legt Shefflers Buch sehr solide Grundlagen.

[1] Schwinges, Rainer Christoph (2008): Studenten und Gelehrte. Studien zur Sozial- und Kulturgeschichte deutscher UniversitÀten im Mittelalter. Leiden [u.a.]: Brill 2008.

[2]. Wo verschiedentlich (bes. 83, 98, 109f.) LĂŒcken im Wissen ĂŒber die Schulen von Regensburg mit Material aus St. Stephan von Wien aufgefĂŒllt werden, einer wohl nicht gerade typischen Schule, schiene etwa eine zumindest knappe ErlĂ€uterung nötig, inwiefern sich St. Stephan und einzelne Regensburger Schulen denn vergleichen lassen – oder ob ĂŒberhaupt.

[3] An Ă€lteren Überblicksdarstellungen zu Schulen im Mittelalter werden von Sheffler etwa die Darstellungen von Pierre RichĂ© herangezogen (z.B. Écoles et enseignement dans le haut moyen Ăąge: fin du Ve siĂ©cle au milieu du XIe siĂšcle. Paris 1989), denen sich offenbar der FrĂŒh- und Hochmittelalterschwerpunkt verdankt. An neueren Darstellungen vermisst man dagegen etwa die fĂŒr die Kathedralschulen des Hochmittelalters so wichtige Darstellung von C. Stephen Jaeger (The Envy of Angels. Cathedral School Schools and Social Ideals in Medieval Europe 950-1200. Philadelphia 1994) oder die Überlegungen zur Rolle von Gewalt und Strafe im Schulunterricht bei Mia MĂŒnster-Swendsen (The Model of Scholastic Mastery in Northern Europe c. 970–1200. In: Sally N. Vaughn/Jay Rubenstein (Hrsg.): Teaching and Learning in Northern Europe, 1000–1200. Turnhout: Brepols 2006, S. 307-342). Auch der Sammelband zur monastischen Erziehung (G. Ferzoco/C. Muessig (Hrsg.): Medieval Monastic Education. London/New York: Continuum 2000) fehlt, genauso wie neueste Überlegungen zur Rolle der Stadtschreiber (etwa von Michael Jucker: Vom klerikalen Teilzeitangestellten zum gnĂ€digen Kanzler: Aspekte des spĂ€tmittelalterlichen Bildungswesens der Stadtschreiber in der Eidgenossenschaft. In: Traverse 27.3 (2002), 45-54).

[4] Vgl. beispielhaft fĂŒr verschiedene neuere Forschungen zu Wissen in der Vormoderne etwa: W. Detel/C. Zittel: Introduction: Ideals and Cultures of Knowledge in Early Modern Europe. In: Dies. (Hrsg.) (2002): Wissensideale und Wissenskulturen in der frĂŒhen Neuzeit. Ideals and Cultures of Knowledge in Early Modern Europe, Berlin: Akademie Verlag. S. 7-21; Constant J. Mews: CommunautĂ©s de savoir. Écoles et collĂšges Ă  Paris au XIIIe siĂšcle. In: Revue de SynthĂšse 129.4 (2008), 485-507.
Sita Steckel (MĂŒnster)
Zur Zitierweise der Rezension:
Sita Steckel: Rezension von: Sheffler, David L.: Schools and Schooling in Late Medieval Germany, Regensburg, 1250-1500 (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance; Bd. 33). Leiden; Boston: Brill 2008. In: EWR 8 (2009), Nr. 6 (Veröffentlicht am 01.12.2009), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978900416664.html