
Diese Erkenntnis thematisiert und vertieft der Sammelband in Einzelaspekten für die interkulturelle Bildungsforschung. Dabei geht es nur zum Teil um die konventionelle Form der Komparatistik, den Vergleich von Bildung und Aufwachsen in verschiedenen Gesellschaften und Nationen unter einem Kriterium, das aus keinem der betrachteten Kontexte stammt, sondern von außen angelegt wird und deshalb in der Komparatistik als tertium comparationis bezeichnet wird. Die meisten Beiträge beziehen sich auf eine interkulturelle Bildungsforschung im Inland, indem die dort anzutreffenden Differenzmarkierungen kultureller Art am Beispiel des Migrationsanderen (Paul Mecheril) erörtert werden. Hier steht derzeit die Einsicht im Vordergrund, dass solche Markierungen mit Verweis auf irgendetwas „Kulturelles“ von etwas anderem entweder überlagert sind oder ideologisch verschleiern sollen, dass da „in Wirklichkeit“ etwas anderes am Werke sei. Jede Rede über Kulturdifferenz steht deshalb unter Ideologieverdacht. Andererseits wird in den Beiträgen aber auch deutlich, dass es offenbar nicht leicht fällt oder auch ganz unmöglich ist, das Intendierte ganz ohne eine Kategorie von Kultur – verstanden zumeist als Beschreibung, als Lebenswelt oder Milieu, also als das Insgesamt der Deutungsmuster einer definierten und für das betrachtete Individuum relevanten Sozietät, Referenzgruppe – angemessen zu verstehen und zu erfassen. Diese Thematik wird gewissermaßen quer verbunden mit dem anderen großen methodologischen Thema der zeitgenössischen Bildungsforschung, dem Verhältnis der beiden Grundformen empirischer Forschung als quantitativ und qualitativ. Damit ist zum einen das nomothetische Paradigma zur Überprüfung von Hypothesen zu Gesetzmäßigkeiten im Experiment und die Bestätigung von Aussagen als repräsentativ in Grundgesamtheiten gemeint und zum anderen ein Paradigma, das einerseits an der Texthermeneutik der Kulturwissenschaften anschließt und andererseits an der von Edmund Husserl begründeten Phänomenologie als Möglichkeit einer Wesensschau aus der Analyse von Einzelelementen.
Die einzelnen Beiträge in den vier Thementeilen: 1.Erkenntnisinteresse und Methodologie, 2. Methodologie und Methodik, 3. Empirische Forschungsfelder und 4. Quantität und Qualität greifen diese beiden miteinander verbundenen Fragestellungen in je unterschiedlichen Fokussierungen auf. Wie bei solchen Sammelbänden mit ihrer synoptischen Absicht unvermeidlich, findet sich dabei Etliches, was von den AutorInnen schon anderswo zu lesen war. Innovativ und weiterführend sind beispielsweise die Beiträge von dem Herausgeber Wassilios Baros über eine sozialpsychologische Rekonstruktion von indignationaler Migration und Wiebke Waburg zu der Frage: Braucht die qualitative erziehungswissenschaftliche Bildungs- und Sozialforschung das Konzept der Intersektionalität? Baros analysiert mit einem von ihm selbst weiterentwickelten qualitativen Instrument der sozialpsychologischen Rekonstruktion im Anschluss an Kempf Typisches der gegenwärtig in den Vordergrund getretenen Migration aus Gründen des Staatsversagens im Herkunftsland, im Anschluss an eine Beschreibung des Philosophen Simon Crichtley (2008) indignationale Migration genannt. Waburg zeigt auf, dass die verwirrende und in der Metaphorik irreführende Rede von der Intersektionalität nicht erforderlich ist, um das damit intendierte Anliegen, die sich akkumulierenden Exklusionseffekte einer Mehrfach-Nichtzugehörigkeit von MigrantInnen, bildungswissenschaftlich angemessen erfassen zu können.
Der Sammelband liefert anregende und wichtige Beiträge zu zwei aktuellen Diskursen: einerseits zu dem methodologischen Diskurs einer empirischen Bildungsforschung, die sich methodisch in der Neukombination von quantitativem und qualitativem Paradigma verorten möchte; andererseits zu einer sich kritisch verstehenden bildungswissenschaftlichen Migrationsforschung, und dies im Blick auf das Thema der mehrkulturellen Zugehörigkeiten und Nichtzugehörigkeiten und ihrer Effekte für Lebenslage, Lebensqualität und Bildungsmöglichkeiten der davon Betroffenen.