Grundlage für das Buch bilden die überarbeiteten Beiträge des Stuttgarter Kolloquiums “Demokratiepädagogik. Lernen für die Zivilgesellschaft“ (Juni 2004), auf dem eine Fachdebatte „Politische Bildung“ versus „Demokratiepädagogik“ geführt wurde. Dabei ging es letztlich um nichts Geringeres als eine Neubestimmung und damit auch begriffliche Klärung des Verhältnisses von Politik, Demokratie und Erziehung bzw. Schule. Die Herausgeber – selbst Protagonisten der Demokratiepädagogik – positionieren das Buch also ganz bewusst im Spannungsfeld dieser Kontroverse. In der Einleitung formulieren Wolfgang Beutel und Peter Fauser ihr gesellschaftspolitisches Anliegen: „Es wird immer wichtiger, über Unterricht und Schule hinaus Lernprozesse zu fördern, durch die bloßes Fachwissen überschreitend, prodemokratische und proaktive Haltungen und Handlungskompetenzen entstehen können“ (8).
Der Ausgangspunkt für die pädagogischen Erörterungen ist die Tatsache, dass Demokratie kein selbstverständliches Gut ist, sondern Ergebnis menschlichen Handelns und menschlicher Erziehung. Demnach muss Demokratie gelernt und gestaltet werden, sie braucht die Bereitschaft der Bürger, sich aktiv an ihrem Erhalt und ihrer Gestaltung zu beteiligen. Wie Gerhard Himmelmann, auch Vertreter der Demokratiepädagogik, in seinem Beitrag hervorhebt, geht es um aktive Teilhabe und Gestaltung in dreifachem Sinne: Erstens den Erhalt und die Gestaltung der Demokratie als Herrschaftsform (politische Ordnung und Institutionen: Menschenrechte und Rechtsstaat, Wahlen und Volkssouveränität, Parlamentarismus und Parteienwettbewerb, Gewaltenteilung etc.); zweitens die Gestaltung der Demokratie als Gesellschaftsform (Gesellschaft, Wirtschaft, Recht); drittens die Gestaltung der Demokratie als Lebensform (Lebenswelt und Gestaltung sozialer Beziehungen). Die Entwicklung und die Notwendigkeit ständiger Erneuerung demokratischer Verhältnisse auf allen drei Ebenen bildet hiernach eine bleibende Aufgabe und Herausforderung für Staat, Gesellschaft und Erziehung [vgl. 1].
Der Band ist in drei Teile gegliedert:
- Grundfragen einer Pädagogik für die Demokratie
- Themen der Demokratiepädagogik
- Anhang mit Dokumentations- und Materialteil
Im zweiten Teil des Buches „Themen der Demokratiepädagogik“ werden schulbezogene Aspekte der Demokratiepädagogik behandelt. So werden beispielsweise in den Beiträgen von Wolfgang Beutel und Volker Reinhardt die Potentiale des Projektlernens – festgemacht an best practices – für die Demokratiepädagogik herausgearbeitet. Unter anderem arbeitet Reinhardt im Rekurs auf den pragmatistischen Gehalt der Partnerschaftsschule aus den 1950er Jahren heraus [2], wie fachlicher Wissenserwerb und Handlungsorientierung bei einem projektbezogenen Demokratielernen zusammenwirken können.
In ihrem Beitrag „Mit der Erfahrung von ‚Demokratie’ mündig werden – Aspekte einer ‚Bürgerschule’“ zeigt Enja Riegel am Beispiel der von ihr geleiteten Helene-Lange-Gesamtschule auf, wie „Leistungsschule“ und „Bürgerschule“ Hand in Hand gehen können und welche Arbeits- und Handlungsformen in der Schule dieses Zusammenwirken begünstigen können. Ähnlich ausgerichtet ist der Beitrag von Hans-Wolfram Stein „Demokratisch handeln in der Schule und ‚große Politik’ – Mission impossible?“ Am Beispiel von Projekten verschiedener Schularten in Bremen zeigt Stein die Übertragbarkeit von Themen der „großen Politik“ auf das schulische Umfeld und argumentiert hiermit gegen die Einwände aus der Politikwissenschaft und Politikdidaktik, wonach „große Politik“ nicht auf „kleine Politik“ im Erfahrungsraum Schule und Klassenzimmer übertragbar sei.
Der dritte Teil besteht aus einem umfassenden und sowohl für Bildungspraktiker als auch theoretisch an Fragen der Demokratiepädagogik interessierte Leser nützlichen Anhang. In diesem finden sich Berichte und Kommentare zum Stuttgarter Kolloquium „Demokratiepädagogik“, das mittlerweile in der Fachöffentlichkeit breit rezipierte „Magdeburger Manifest“ sowie eine kommentierte Literaturliste, Arbeitsmaterialien und Kontaktadressen.
Insgesamt bietet das Buch eine gute Übersicht über die komplexe Fachdebatte „Demokratiepädagogik versus politische Bildung.“ Dabei gerät die Ebene des praktischen Demokratielernens aber keineswegs in den Hintergrund. Im Gegenteil, die schulpraktischen Beispiele im zweiten Kapitel flankieren die theoretische Diskussion des ersten Kapitels. Da unterschiedliche Perspektiven auf das Demokratielernen in dem Band nicht nur theoretisch fundiert begründet, sondern auch passioniert vertreten werden, hat er zuweilen Streitschriftcharakter. Gerade deshalb gelingt es, die demokratie- und schultheoretischen Eckpfeiler der Kontroverse zwischen Politikdidaktik und Demokratiepädagogik um das Demokratielernen klar zu markieren und in einen kritischen Dialog zu überführen. Damit leistet das Buch einen wichtigen fachwissenschaftlichen Beitrag für ein tieferes Verständnis demokratietheoretischer sowie schul- und kompetenztheoretischer Dimensionen eines zeitgemäßen Demokratielernens.
[1] Georgi, V. B. (2006): Demokratie Lernen in der Schule. Leitbild und Handlungsfelder. Berlin.
[2] Oetinger F. (1951): Wendepunkt der politischen Erziehung. Stuttgart. Gerhard Himmelmann, G. / Lange D. (Hrsg.): Demokratiekompetenz. Beiträge aus Politikwissenschaft, Pädagogik und politischer Bildung. Schwalbach/Ts. 2006.