Dieser Band, der von Hildegard Stumpf unter Mitarbeit von Bettina Kruhöffer und Michael Wirries verfasst wurde, entstammt einer Reihe, die darauf abzielt, zentrale Persönlichkeiten und Ideen unterschiedlichster Fachgebiete – beispielsweise der Philosophie, der Soziologie oder auch der Ökonomie – zu präsentieren.
In Bezug auf den zu rezensierenden Band ist dabei zum einem das auf dem Klappentext formulierte Versprechen attraktiv, dass „anhand der Hauptrichtungen der Pädagogik zentrale Personen mit ihren pädagogisch richtungsweisenden Ideen und Positionen vorgestellt“ werden. Zum anderen locken die Aussicht auf eine knappe, komprimierte Zusammenfassung und der niedrige Preis.
Inhaltlich gliedert sich das Werk in fünf Kapitel, denen eine kurze Einleitung vorangestellt ist. In dieser wird das abzuhandelnde Gegenstandsfeld folgendermaßen eingegrenzt: „Pädagogik ist zum einen Theorie, Lehre von der Bildung des Menschen und reflektierendes und projektierendes Nachdenken über Erziehung. Zum anderen meint Pädagogik ebenso die Praxis des erzieherischen Handelns in den verschiedensten Bereichen wie Familie, Kindergarten, Schule, Betrieb und ist somit ein Sammelbegriff für alle Bemühungen, mit der die eine Generation der nachkommenden bei Reifungs-, Eingliederungs- und Bildungsprozessen helfen will“ (7). Von diesem vieldeutigen Gegenstandsverständnis ausgehend wird die Auswahl der bedeutsamsten Pädagogen und – obwohl im Titel nicht erwähnt – auch Pädagoginnen aus Sicht der Verfasser „bewusst weit gefasst“ (7): Berücksichtigt werden sollen „namhafte Stifterinnen und Stifter von Leitideen der Erziehung sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Bedingungen und Ergebnisse pädagogischer Bemühungen zu analysieren suchen, [...] aber auch Gründerinnen und Gründer beispielhafter Erziehungseinrichtungen und Bildungsorganisationen“ (7).
Befremdlich wirkt der Zeithorizont, der für die nachfolgenden Ausführungen aufgemacht wird: Die in Antike und Mittelalter erfolgenden Reflexionen und Diskussionen um Fragen der Erziehung und des Lernens werden als einer „übergeordneten Philosophie, Theologie oder Kosmologie“ (8) unterworfen verstanden und daher außer Acht gelassen. Erst die Renaissance gilt den AutorInnen als die Epoche, mit der in der Gesellschaft eine eigenständige Diskussion um erzieherische Fragen, Problemlagen und Perspektiven beginne, die in der Gegenwart in modifizierter Form und unter veränderten Bedingungen weitergeführt werden könne (vgl. 7f.). Zur Illustration dieser These wird auf Fragen der Autorität und des Strafens im Erziehungsprozess verwiesen. – Problematisch an dieser Setzung erscheint, dass auf diese Weise ein fragmentarisches, erklärungsbedürftiges Bild der Tradition pädagogischen Denkens entsteht. Beispielsweise wird der Bildungsbegriff mit einer derartigen Setzung der Entwicklungsgeschichte seiner bei den mittelalterlichen Mystikern liegenden Wurzeln beraubt.
Innerhalb der fünf zur Darstellung ausgewählten Epochen – nämlich „Renaissance, Humanismus und Reformation“ sowie „Barock“, „Aufklärung“, „Neuhumanismus“ und „19. und 20. Jahrhundert“ – fällt auf, dass den mit Ende des 19. Jahrhunderts einsetzenden Entwicklungen fasst die Hälfte des gesamten Werkes gewidmet wird. Gemeinsam ist den dargestellten Epochen trotz des unterschiedlichen Umfangs der Darstellung der jeweilige Aufbau der Ausführungen: Nach einer knappen Einführung in die historischen Kontexte werden ausgewählte Pädagogen – und für die letzten 200 Jahre dann auch Pädagoginnen – anhand von lebensgeschichtlichen Daten und zentralen Gedanken darzustellen versucht.
Die Renaissance beispielsweise wird als eine Epoche dargestellt, die durch die Wiederentdeckung griechischer Ideen und Ideale – die von den Verfassern in der Einleitung paradoxerweise als irrelevant aussortiert wurden – ebenso bestimmt sei wie durch den Niedergang des Feudalstaats, den Niedergang des kirchlichen Deutungs- und Lehrmonopols, die Betonung der Diesseitigkeit und die Entdeckung von Identität und Nationalbewusstsein. Die Bedeutung dieser Veränderungen wird am Beispiel der Humanisten Erasmus von Rotterdam und Michel de Montaigne sowie anhand des Reformators Martin Luther und seines Zeitgenossen Philipp Melanchthon aufzuzeigen versucht. Erfreulich ist dabei, dass – wie in den anderen Kapiteln auch – nicht nur im Anschluss an die Kurzcharakteristik der jeweiligen Epoche weiterführende Literaturhinweise angeführt werden, sondern dass zudem auch zu den jeweiligen Personenporträts Primär- und Sekundärquellen angegeben werden.
Das Zeitalter des Barock wird in Abgrenzung zum vorhergehenden Zeitalter und in Abgrenzung zur nachfolgenden Aufklärung als eine Epoche charakterisiert, die „wieder verstärkt die Tendenz zu Machtballung und Zentralisierung“ (24) zeige. Als prägend für die Pädagogik der Epoche wird „eine eigentümliche Mischung aus naturalistisch-rationalistischen und theologischen Gedanken“ (25) ausgemacht. Was das im Einzelfall bedeuten kann, wird am Beispiel von Comenius aufgezeigt, bevor die pädagogische Relevanz des mit Ende des 16. Jahrhunderts aufkommenden Pietismus an der Person August Hermann Franckes diskutiert wird.
Als eine „Gegenbewegung zum 17. Jahrhundert“ (34) wird anschließend das 18. Jahrhundert dargestellt, das angesichts der steigenden Relevanz von Freiheit und Vernunft und der Diskussionen um den Menschen und dessen Erziehung zum „pädagogischen Jahrhundert“ erklärt wurde. Die Auswirkungen dieser Entwicklung auf das Schulwesen, die Entstehung des Philanthropismus, die Entstehung von pädagogischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Pädagogik werden skizziert. Stellvertretend werden der Schulreformer Basedow, der Verfasser der ersten deutschsprachigen Pädagogik-Enzyklopädie (Campe), der Inhaber des ersten Pädagogik-Lehrstuhls (Trapp), und der Begründer der Landerziehungsheime (Salzmann) vorgestellt. Über die deutsche Entwicklung hinaus werden Rousseau als epochemachender Impulsgeber der Pädagogik und Locke als Urheber eines modernen philosophischen Empirismus und somit ‚Vater der Erziehungswissenschaft’ (36) gezeigt.
Die nachfolgende Epoche des Neuhumanismus wird als eine Zeitphase konturiert, die durch das Ineinandergreifen zweier Strömungen definiert sei: einerseits den Volksbildungsgedanken, andererseits das Interesse an Irrationalität, Romantik, individueller Freiheit und Vervollkommnung. Die mit einem ganzheitlichen Bildungsanliegen einhergehenden Veränderungen des Bildungswesens werden skizziert und im zeithistorischen Kontext eingebettet. Pestalozzi wird von den VerfasserInnen als Verfechter einer ‚parteiisch fürs Volk’ (58) eintretenden Erziehung vorgestellt. Humboldt wird in seiner Bedeutung für die Entwicklung des modernen Bildungswesens dargestellt. Schleiermacher wird als ein Theologe beschrieben, dessen besondere Relevanz für die Pädagogik in der Einbettung der Erziehung in kulturelle Kontexte und in der Grundlegung einer Wissenschaft von der Pädagogik liege. Als ein Mitbegründer dieser Wissenschaft präsentiert wird Herbart, dessen Leistungen in den Gebieten der Didaktik und der Methodenforschung betont werden. Fröbel erscheint als Begründer einer in Reaktion auf die Industrialisierung entstehenden institutionalisierten Kinderpädagogik mit „religiös-mystisch“ (75) und autobiographisch geprägten Wurzeln.
Im abschließenden Kapitel zum 19. und 20. Jahrhundert werden zunächst die Folgen der voranschreitenden Industrialisierung und des damit einhergehenden sozialen Wandels erörtert. Erziehungsgeschichtlich führen diese Entwicklungen aus Sicht der AutorInnen „in mehrfacher Hinsicht einen Neubeginn“ (77) herbei, der sich „in der Entstehung neuer Bildungsphilosophien ebenso wie in der empirischen Forschung über pädagogisch erzieherisches Handeln und kindliche Entwicklungsprozesse“ (77) bemerkbar mache. So werden am Beispiel von Helene Lange die für die erziehungswissenschaftliche Historiographie relevanten Auswirkungen der ersten Frauenbewegung demonstriert. Ausgehend von den seit 1933 erfolgten gesellschaftlichen Veränderungen – beispielsweise der Beschleunigung der Lebensverhältnisse, der zunehmenden Anonymität – scheint den VerfasserInnen „keine optimistische Sicht auf den Menschen mehr möglich“ (80). Unter den Bedingungen der Leistungsgesellschaft werden Bildung und Ausbildung ebenso als Aufgaben ausgemacht wie eine Erziehung zur Mündigkeit, eine gerechte Verteilung der Bildungschancen oder die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte.
In den exemplarischen Porträts werden die Entwicklungen im Schulwesen parallel zu den aufkommenden Reformbestrebungen umrissen: Diesterweg wird in seiner Bedeutung für die Aufwertung des niederen Schulwesens und das Renommee des Lehrerstandes gezeigt, Tuiskon Ziller als Vertreter der Herbartianer vorgestellt. Wilhelm Dilthey und sein Werk werden eingeführt als „der stetige Versuch, gegenüber den dominierenden Naturwissenschaften den Geisteswissenschaften zu einer klaren Methode, der Methode des Verstehens, und zu neuem Selbstbewusstsein zu verhelfen“ (87). Die Etablierung der Pädagogik als eigenständiger Wissenschaft und ihre Ausdifferenzierung in Teildisziplinen werden anhand des Wirkens von Herman Nohl veranschaulicht. Daneben wird Peter Petersen als „Begründer der realistischen Erziehungswissenschaft“ (137) angeführt. Seine Verdienste um eine eigenständige Erziehungswissenschaft, schulpädagogische Reformen (Jena-Plan), eine pädagogische Tatsachenforschung und die universitäre Lehrerausbildung werden herausgearbeitet. Mit Blick auf die Sozialpädagogik – in der auch Hildegard Stumpf als Professorin für Methoden und Theorien der Sozialen Arbeit und Didaktik der sozialpädagogischen Praxis beheimatet ist – wird Paul Natorp als prägender Theoretiker des Kaiserreichs und der frühen Weimarer Republik gewürdigt, dessen Leistung darin liege, „große Traditionslinien systematisch mit neuzeitlichen Ansätzen der Sozial- und Vernunftkritik zu einem Modell von wissenschaftlicher Pädagogik verknüpft“ (100) zu haben. Bernfeld wird als Kritiker der bürgerlichen Pädagogik, der seine auf der Psychoanalyse und dem historischen Materialismus basierenden Reformideen auch praktisch erprobte, gezeigt.
Exemplarisch für die weiteren zeitgenössischen Reformbemühungen werden Maria Montessori und Rudolf Steiner vorgestellt. Als Vertreter eines dialogischen Bildungsverständnisses – aber auch als Erneuerer des Bildungswesens – wird Buber präsentiert. Unterschiedlich akzentuierte Konzepte der später in die Berufsschule einmündenden Arbeitsschule werden anhand der Biographien von Kerschensteiner und Gaudig vorgeführt. Basierend auf der Annahme „einer europäisch-amerikanischen reformpädagogischen Gesamtbewegung“ (103) werden zudem Leben und Werk von John Dewey und Jane Addams dargestellt. Mit Blick auf die internationalen Entwicklungen wird Makarenko als prominentester Repräsentant der sowjetischen Pädagogik sowie als „Erziehungstheoretiker, pädagogischer Erzähler und praktischer Pädagoge“ (148) thematisiert. Freire findet als Vertreter der politisch ambitionierten lateinamerikanischen Volksbildungsbewegung Berücksichtigung: Sein Werk wird vor dem Hintergrund der Globalisierung von den VerfasserInnen als „aktueller denn je“ (159) eingestuft.
Im Überblick über sämtliche Kurzporträts fällt auf, dass einerseits versucht wird, die für das jeweilige Leben und Werk entscheidenden Kontexte und Einflüsse sowie zentrale Werke und Projekte zumindest zu benennen. Erste Hinweise auf die Wirkungsgeschichte der vorgestellten Ideen, Einrichtungen und Organisationen werden der Leserschaft ebenso wie weiterführende Literatur an die Hand gegeben. Andererseits sind einige prominente Namen der Pädagogik – beispielsweise Ellen Key – zu vermissen, und die Darstellungen sind teilweise sehr unterschiedlich gestaltet: Lediglich teilweise – z.B. im Bernfeld-Porträt – wird mit Unterkapiteln gearbeitet. Auch auf Zitate wird in unterschiedlichem Ausmaß zurückgegriffen.
Kritisch einzuschätzen sind zudem die stellenweise anzutreffenden Anspielungen: So wird beispielsweise in Bezug auf Petersen behauptet, es sei ihm „nicht immer gelungen, die unterschiedlichen Ansätze widerspruchsfrei und unmissverständlich miteinander zu verknüpfen“ (139); Belege für diese Einschätzungen werden aber nicht gegeben. An anderer Stelle (97) werden für Natorps Alterswerk Einflüsse des indischen Philosophen Rabindranath Tagore ausgemacht, die allerdings nicht einmal in einem Nebensatz erläutert werden. Darüber hinaus unterbleiben Ausführungen zu den Themen und Personen, die eingangs des 21. Jahrhunderts den pädagogischen Diskurs bestimmen. Das Werk vermittelt folglich zwar den in der Einleitung angesprochenen „interessierten Leserinnen und Lesern“ (7) den angekündigten „Einblick [...] in Leben und Werk verschiedenster Persönlichkeiten, die sich in der Geschichte um Theorie und Praxis der Erziehung verdient gemacht haben“ (7), dürfte jedoch durch die mit der Darstellungsform einhergehenden Zwänge zu Auswahl und Komprimierung weder den auf Überblickswissen ausgerichteten Bedürfnissen von StudienanfängerInnen noch dem auf Spezialwissen ausgerichteten Interesse von Fortgeschrittenen oder gar ExpertInnen gerecht werden.
EWR 7 (2008), Nr. 5 (September/Oktober)
Die wichtigsten Pädagogen
Wiesbaden: Marix 2007
(159 S.; ISBN 978-3-86539-918-2; 5,00 EUR)
Jeanette Bair (TĂĽbingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Jeanette Bair: Rezension von: Stumpf, Hildegard: Die wichtigsten Pädagogen. Wiesbaden: Marix 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 5 (Veröffentlicht am 09.10.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978386539918.html
Jeanette Bair: Rezension von: Stumpf, Hildegard: Die wichtigsten Pädagogen. Wiesbaden: Marix 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 5 (Veröffentlicht am 09.10.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978386539918.html