
Der Sammelband beginnt mit dem systematisch gehaltenen Beitrag „Lehrerinnen- und Lehrerbildung und die Berufspraxis – Anmerkungen zu einem vielfach missverstandenen Verhältnis“ von Hermann J. Forneck. Der Beitrag greift die Theorie-Praxis-Problematik unter dem Stichwort der „Evidenzbasierung“ pädagogischen Handelns auf (15) und legt eine konzise Analyse vor: Der Autor arbeitet heraus, inwiefern Evidenzbasierung „standardisierte Kontextbedingungen“ voraussetze (19) womit „Evidenzen auf einer Ebene generiert [würden], die oberhalb der Ebene des konkreten pädagogischen Handelns liegt“ (19). Entsprechend, so die These des Beitrags, werde durch individualisierende Kontextualisierung im Praxisfeld weniger Evidenz als vielmehr Varianz erzeugt. In einem weiteren Schritt analysiert der Autor, inwiefern empirischer Bildungsforschung zudem ein „praktisches Erkenntnisinteresse“ innewohnt, weil sie „einen besseren Unterricht und damit eine Vorstellung gelingender Bildung bzw. gelingenden Lernens“ anstrebe (19). Lernen, so resümiert der Autor, sei entsprechend „kein empirischer Gegenstand, sondern einer des Sein-Sollens, dem die Praxis noch nicht genügt“ (21). In der „Triangulation von Theorie, Empirie und handlungsorientierter Konstruktivität“ (20) sieht der Autor einen „methodologischen Paradigmenwechsel im Bereich erziehungswissenschaftlicher Forschung“ (21), der die wissens- und geltungstheoretisch ungeklärte Vermittlung von vermeintlicher Evidenzbasierung und Handlungsorientierung durch empirische Bildungsforschung aufzubrechen vermag.
Der Beitrag „Epistemische Kulturen und Kompetenzerwerb an Pädagogischen Hochschulen“ von Jan Weisser versucht mit dem Begriff der „epistemischen Kulturen“, der „die Evolution kognitiver Leistungen ─ Verfahren und Methoden, geprüftes Wissen, neue Ideen und Ansätze“ in den Blick nehmen soll (28), das Studienangebot Pädagogischer Hochschulen auf Kompetenzerwerbsprozesse hin zu beschreiben. Inwiefern die vom Autor eingeräumten Unklarheiten des Kompetenzbegriffs (35) für die theoretisch gehaltene Analyse ein Problem darstellen, bleibt dabei offen. Stattdessen wird erläutert, wie aus Sicht des Autors „Kompetenzerwerb in Modullandschaften“ (38) Pädagogischer Hochschulen unter den Rahmenbedingungen der Bologna-Reform vonstattengeht.
„Zum Verhältnis von Lehrpersonenbildung und Hochschuldidaktik“ schreibt Markus Weil und fordert, „dass einer Lehrpersonenbildung, die auf Hochschulbildung angesiedelt ist, eine entsprechende Hochschuldidaktik zur Seite zu stellen ist“ (53). Sie könne dabei „an Lehrpersonenbildung anknüpfen und muss sich über singuläre methodische Überlegungen hinaus zu ihr ins Verhältnis setzen“ (54). Sicherlich lohnt es sich, diesem Gedanken Weils weiter nachzugehen. Dazu erscheint es allerdings unabdingbar, zunächst noch genauere theoretische und empirische Klärungsarbeit zu leisten.
Begriffliche Klärung oder empirische Analysen stehen auch nicht im Zentrum des Beitrages „Inklusion als Impuls für Organisationsentwicklung an Hochschulen. Das Beispiel des Studiengangs Organisationsentwicklung und Inklusion der Hochschule Neubrandenburg“ von Steffi Kraehmer, wenngleich der Inklusionsbegriff als „gesellschaftsorientiertes und menschenrechtsbasiertes Paradigma“ eingeführt wird (57). Der Beitrag verfolgt vielmehr das Ziel, „Inklusion als Thematik aufzugreifen und als Impuls für Organisationsentwicklung im Hochschulbereich zu nutzen“ (58). Dieser programmatischen Ausrichtung des Textes sind vermutlich Aussagen wie „Viele Akteurinnen und Akteure gewinnen dem Inklusionsansatz [...] etwas Positives ab“ (59) oder Appellen wie „Inklusion fordert eine aktive Gesellschaft, die in den Unterschieden der Menschen eine Bereicherung sieht“ (59) geschuldet, die eher affirmativ-normativen als theoretischen bzw. empirischen Charakter tragen. Inklusion erfordere, so die Autorin, „Change Management“ (65), auf das hin die Gestaltungselemente des von ihr vorgestellten Studiengangs ausgerichtet sind, wie abschließend dargelegt wird.
„Die Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern: vom Staatsmonopol zum handelbaren Gut?“ von Lucien Criblez liefert eine historische Perspektive auf die Lehrerbildung in der Schweiz vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Ein Schwerpunkt liegt zum einen in der Betrachtung der 1960er und 1970er Jahre, wo die Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern als Staatsaufgabe begriffen wurde und zum anderen in der seit den 1990er Jahren vollzogenen Wende hin zu Marktorientierung und Dezentralisierung. „Markt oder Staat – oder: Ist die Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer ein ‚handelbares‘ Gut?“ (84), so spitzt Criblez die Frage zu und zeichnet unter dieser Überschrift aktuelle Entwicklungen im Rahmen von GATS, dem „General Agreement on Trade in Services“ nach (84f.). Sein Resümee lautet: „Ist (Weiter-)Bildung ein international handelbares Gut, ist weder ein kantonal geschützter Markt für Weiterbildungsangebote noch ein staatliches Monopolangebot aufrechtzuerhalten“ (85)? Ein weiterer Reformschub stünde bevor, so der Autor. Interessant wäre freilich auch die inhaltliche Bearbeitung der von ihm aufgeworfenen Frage, z. B. unter Rückgriff auf bildungstheoretische Kategorien.
Bildungstheoretische Reminiszenzen scheinen hingegen im Beitrag „Lesesozialisation verstehen und das Lesen verständig unterstützen. Aufgaben für Lehrerinnen und Lehrer“ von Andrea Bertsch-Kaufmann auf. „Das eigene im Anderen des Textes wiederkennend sind Lesende erst einmal bei sich“ heißt es zur Literalität als Norm (94), womit auf „Persönlichkeitsbildung im humboldtschen Sinn“ (95) angespielt wird. Der Beitrag geht auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen ein, die gegenüber der bürgerlichen Lesekultur zu New Literacies führten (101) und resümiert, jugendliche Lesepraktiken seien „anders und besser als ihr Ruf“ (104). Der Beitrag widerspricht somit „einer kulturpessimistischen Einschätzung jugendlichen Leseverhaltens“, der „oft mit Bezug auf PISA vorgenommen wird“ (104).
Mit seinem Beitrag „Schulinternes Qualitätsmanagement fördert den Unterricht am besten, wenn es sich selbst begrenzt“ zeigt Wolfgang Beywl, was schulisches Qualitätsmanagement zentral von Qualitätsmanagement in ökonomischen Kontexten unterscheidet und stützt sich dabei auf den Gedanken, dass sich „Unterricht [...] in ständiger Koproduktion von Lehrenden und Lernenden“ vollziehe (113). Qualitätssicherung könne daher nicht wie „in standardisierter Produktion“ verfahren (114). Koproduktionsprozesse seien schließlich „unvermeidbar in hohem Masse personen- und situationsabhängig“ (115). Planung geschehe entsprechend, so der Autor, „immer in der Gewissheit um das Risiko des Scheiterns“ (115). „Gelungene Selbstbegrenzung des schulinternen Qualitätsmanagements“ sei daher „in allen seinen Ebenen auf das Notwendige beschränkt“ (125), womit der Autor die Standardisierungsproblematik des ersten Beitrags im Rahmen des Unterrichtsqualitätsdiskurses konkretisiert.
Der Band schließt mit dem Beitrag „Die Gesellschaftlichkeit der Erziehung. Ansätze, Rezeption und Resonanzräume der erziehungstheoretischen Positionen von Anna Siemsen“ von Katrin Kraus. Mit Anna Siemsen führt die Autorin zentrale Gedankengänge der in der Erziehungswissenschaft wenig rezipierten „Theoretikerin des Sozialismus und Professorin der Erziehungswissenschaft“ (132) vor. So zeichnet die Autorin Siemsens gesellschaftstheoretische Sicht auf Erziehung in die „Resonanzräume“ Frauenbewegung (134ff), Reformpädagogik (137f) und Berufspädagogik ein und zeigt u. a., wie Siemsens Gedankengänge anti-rationalistischen Impulsen der Reformpädagogik und der Berufsbildungstheorien wehren. Durch eine Auseinandersetzung mit ihrem Werk könne, so das Fazit, das „Verhältnis von Individuum, Gesellschaft und Erziehung“ (141) verstärkt in den Blick gerückt werden. Die Klärung dieser Verhältnisbestimmung ist freilich von jeher Kernbestand nachaufklärerischen pädagogisch-systematischen Denkens, was im Beitrag allerdings nicht weiter thematisch wird.
Die Reflexion dieser von Kraus angesprochenen Verhältnisbestimmung dürfte in der Tat ein zentraler Beitrag zur „Bildung von Lehrerinnen und Lehrern“ sein, um die „Herausforderungen in Schule, Hochschule und Gesellschaft“, wie es im Titel des Sammelbandes heißt, adäquat in den Blick nehmen zu können. Der Band lässt entsprechend systematische Beiträge zur Themenstellung erwarten, was er allerdings in dieser Form nicht an allen Stellen einzulösen vermag, vor allem dort nicht, wo einzelne Beiträge sowohl theoretische als auch empirische Klärungen vermissen lassen. Wo sie vorgenommen werden, bieten sie, wie der erste Beitrag anschaulich demonstriert, anregende Impulse für die in den Blick genommenen Herausforderungen.