EWR 23 (2024), Nr. 3 (Juli)

Philipp Grollmann / Dietmar Frommberger / Thomas Deissinger / Uwe Lauterbach / Matthias Pilz / Thomas Schröder / Georg Spöttl (Hrsg.)
Vergleichende Berufsbildungsforschung - Ergebnisse und Perspektiven aus der Theorie und Empirie
Leverkusen: Verlag Barbara Budrich 2022
(400 S.; ISBN 978-3-8474-2676-9; 49,90 EUR)
Vergleichende Berufsbildungsforschung - Ergebnisse und Perspektiven aus der Theorie und Empirie Vergleichende Berufsbildungsforschung ist im deutschsprachigen Raum ein Thema, das anders gelagert ist als eine entsprechend komparatistische angelsächsische Perspektive. Während letztere wesentlich aus einer Defizitdiagnose der Berufsbildung im eigenen Land erfolgt, ist erstere vor allem im Zusammenhang der internationalen Zusammenarbeit zu sehen. Das „deutsche Modell“ der Berufsbildung – öfters mehr im Fremd- als im Selbstbild – wird als Vorbild oder gar als Exportprodukt klassifiziert. Es ist daher nicht erstaunlich, dass auch in der vorliegenden Jubiläumsausgabe, vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) herausgegeben, diese Haltung an der einen oder anderen Stelle durchschimmert. So wird im Grußwort des BIBB-Präsidenten Hubert Esser festgehalten, „andere Staaten bei der Etablierung und Weiterentwicklung ihrer Berufsbildungssysteme zu beraten. Dafür sei das Internationale Handbuch der Berufsbildung hilfreich.

Auch der erste Beitrag, verfasst vom langjährigen geschäftsführenden Herausgeber des Handbuchs, der selbst auch Wesentliches zur wissenschaftlichen Etablierung der beruflichen internationalen Vergleichsforschung in Deutschland geleistet hat, Uwe Lauterbach, weist auf die dem dualen System zugesprochene „Leuchtturmfunktion“, sowohl für den globalen Süden wie auch für die traditionellen Industrieländer hin (S.27).

Anders als dieses Framing vermuten lässt, zeichnen sich allerdings die Mehrzahl der in diesem Jubiläumsband publizierten Abhandlungen und Berichterstattungen durch eine kritische Distanz hinsichtlich eines solchen Export- oder Transfergedankens aus. Im englisch verfassten Abstract auf der allerletzten Seite dieser Veröffentlichung wird resümierend festgestellt, dass die länderspezifischen Charakteristiken und Prinzipien der Berufsbildung im In- und Ausland im Zuge der wachsenden Globalisierung konvergieren würden, eine Behauptung die allerdings in den Beiträgen so kaum thematisiert wird.

Die anlässlich des 25. Geburtstages veröffentlichte Jubiläumsausgabe des Internationalen Handbuchs der Berufsbildung (IHBB) vereinigt 17 Beiträge nebst einer Einleitung der beiden heutigen Geschäftsführenden. Verwiesen wird auf eine Heterogenität der Perspektiven, die als eine der Herausforderungen im Rahmen der vergleichenden Forschung benannt wird. Es sei häufig auch nicht so einfach, geeignete Autorinnen und Autoren für Länderstudien zu gewinnen, wie im sehr informativen Überblicksartikel zur Entstehung und Entwicklung dieses Handbuchprojektes hervorgehoben wird (Arne Adam und Ko-autor:innen).

Thematisiert wird auch der in den 1990er Jahren erfolgte institutionelle Wechsel des IHBB vom universitär geprägten Deutschen Institut für Pädagogische Forschung (DIPF) an das stärker auch auf Berufsbildungspraxis ausgerichtete BIBB, womit eine institutionelle Verfestigung und Etablierung gelang. Das IHBB ist so gesehen eigentlich kein Handbuch im üblichen Sinne, sondern ein Projekt, das im Kern für eine deutsche Leserschaft seit 1992 eine Vielzahl an Länderberichten (zunächst als Loseblattsammlung, von Luxemburg Band 1, bis Mexiko, Band 53) umfasst. Geographisch ist hierbei die ganze Welt eingeschlossen, wobei der afrikanische Kontinent (Tunesien ausgenommen) und der Nahe Osten als Leerstelle zu bezeichnen sind, wie aus der graphischen Darstellung (S. 66) deutlich wird. Für weniger eingeweihte Leser wird damit ersichtlich, dass der vorliegende Band eigentlich nur einen Ausschnitt präsentiert, das heisst, wie es etwas allgemein im Titel formuliert ist, »Ergebnisse und Perspektiven aus Theorie und Empirie« thematisiert.

Ein bedeutsames Thema sind die im zweiten Teil des Jubiläumsbandes diskutierten methodologischen Aspekte der Vergleichsforschung. Hier haben Matthias Pilz, Thomas Deissinger, Lukas Graf zusammen mit Anna Prisca Lohse sowie Viktoria Kis je einen Beitrag beigesteuert. Trotz interdisziplinärer Zugangsmöglichkeiten auf diesen Gegenstand, so argumentiert Pilz, sei eine berufspädagogische Fundierung, die offenzulegen und weiter zu entwickeln ist, zentral für die Vergleichsforschung in diesem Feld. Deissinger wiederum hebt den notwendigen und unabdingbaren historiographischen Teil der Ländervergleiche hervor, der – wie am Beispiel England und Deutschland dargelegt – die Analyse tatsächlich voranbringt. Ein anderer ebenfalls auch historisch informierter Beitrag von Lukas Graf und Anna Prisca Lohse geht der Frage der Akademisierung der Bildungssysteme nach, in welchem zwei Länder, nämlich Deutschland und die Schweiz gegenübergestellt werden. Viktoria Kis wiederum fokussiert die OECD und ihre damit verknüpften internationalen Vergleichsprojekte, wie PISA, die ja in den letzten Jahrzehnten doch einige politische Brisanz erzeugten und auch zu Auseinandersetzungen hinsichtlich wissenschaftlicher Qualität führten.

Im dritten Teil sind dann einige Darstellungen bzw. Entwicklungen in einzelnen Ländern festgehalten, deren Zusammenstellung doch etwas «zufällig» wirkt. Ein sehr informativer Beitrag, verfasst von Hubert Ertl weist auf eine bis anhin kaum zur Kenntnis genommene Alternative zu den «apprenticeships» in England hin: die T-Levels. Irina Rommel wiederum hebt als Bespiel die Berufsbildung in Kuba hervor, um hierbei auch Kritik an einer zu wenig in der Vergleichsforschung entwickelten Systematisierung zu üben.

Fabian Jintae Froese mit Ko-autor:innen beleuchten die Personalrekrutierung in China. Ein weiterer Beitrag, verfasst von Thomas Schröder bietet eine Übersicht zu Institutionen, Programmen und Akteuren über die gesamte ASEAN-Region hinweg.

Danach folgt ein abschliessender vierter Teil, der expliziter als im dritten Teil auch die theoretische Fundierung der Berufsbildungsvergleichsforschung diskutiert. Im Zentrum steht die Vergleichsperspektive als solche, und in einigen Beiträgen dominiert eine – so von Uwe Lauterbach an anderer Stelle bezeichnete – melioristische Perspektive: also vergleichen um zu verbessern.

Sandra Bohlinger und Ko-autor:innen fragen, ob Konvergenzen hinsichtlich der Berufsbildungssysteme zu beobachten sind. Auch wenn sie eine solche Tendenz verneinen, erachten sie dennoch die Frage als solche als bedeutsam.

Vergleichen lassen sich so Dietmar Frommberger auch die dualen Berufsbildungssysteme, die wiederum Anregungen und Hinweise für die Weiterentwicklung der dualen Berufsbildung (zu Hause) ermöglichen.

Philipp Grollmann geht mit Bezug auf die US-Länderstudie des IHBB der Frage nach wie Lernen in der beruflichen Praxis vergleichend und bezüglich Erkenntnisse gewinnbringend entfaltet werden kann.

Christian Ebner wiederum will die international vergleichende Forschung aus einer Vielzahl von Perspektiven als Ressource nutzen, um das duale Ausbildungssystem (in Deutschland) hinsichtlich der Anschlussfähigkeit an einen sich stark wandelnden Arbeitsmarkt einzuschätzen.

Christopher Winch nutzt eine vergleichende Perspektive in Bezug auf mehrere Länder in Europa um das Konzept der «agency», bzw. einen Fähigkeiten und Fertigkeiten einschliessenden Ansatz bezüglich transversaler Kompetenzen zu eruieren.

Silvia Annen wiederum vergleicht Rekrutierungsprozesse ausländischer Fachkräfte in zwei Ländern, nämlich Deutschland und Kanada, um gemeinsame Problemlagen, aber auch Verbesserungsvorschläge im Hinblick auf Anerkennungsprozesse herauszuarbeiten. Der letzte Beitrag von Georg Spöttl widmet sich in einer Übersicht die Lehrerausbildung im Zusammenhang mit TVET und schliesst mit Empfehlungen zur Entwicklung einer solchen ab.
Wie schon eingangs angedeutet, ist das vorliegende Jubiläumswerk mit einigen sehr informativen und auch reflexiven Beiträgen ausgestattet. Es wäre dem Jubiläumsband insgesamt zu wünschen gewesen, den Untertitel dieser Handbuchausgabe «Ergebnisse und Perspektiven» ernster zu nehmen und stärker auch systematisch und wissenschaftlich vertiefend zu bearbeiten. So wäre der Stand der Theorie zu reflektieren, ebenso wie auch die Stärken und Schwächen der deutschsprachigen vergleichenden Berufsbildungsforschung, so wie sie sich im Handbuch-Projekt spiegeln. Trotz diesen Einschränkungen lohnt es sich diese Veröffentlichung von versierten Kolleginnen und Kollegen, in die Hand zu nehmen (und tatsächlich auch zu lesen).
Philipp Gonon (ZĂĽrich)
Zur Zitierweise der Rezension:
Philipp Gonon: Rezension von: Grollmann, Philipp / Frommberger, Dietmar / Deissinger, Thomas / Lauterbach, Uwe / Pilz, Matthias / Schröder, Thomas / Spöttl, Georg (Hg.): Vergleichende Berufsbildungsforschung, Ergebnisse und Perspektiven aus der Theorie und Empirie. Leverkusen: Verlag Barbara Budrich 2022. In: EWR 23 (2024), Nr. 3 (Veröffentlicht am 14.08.2024), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978384742676.html