Der Frage nach der Motivation Lernender in pädagogischen Kontexten kommt in doppelter Weise Bedeutung zu. Zum einen ist Motivation eine wichtige Determinante von Lernprozessen und der Leistungsentwicklung. Zum anderen wird der Aufbau stabiler motivationaler Orientierungen als eigenständiges Bildungsziel verstanden. Doch wie entsteht eine solche zeitstabile Orientierung und wie unterscheidet sich diese von einer aktuellen situationsgebundenen Motivation (State-Komponente)? Welche Zusammenhänge bestehen zwischen dieser und der stärker in der Persönlichkeit verankerten Trait-Komponente der Motivation? Und aus pädagogischer Perspektive besonders wichtig: Wie lässt sich die Lernmotivation von Schülerinnen und Schülern fördern? Diesen Fragen widmet sich Esther Winther in ihrer Studie mit konzeptueller und empirischer Präzision.
Den Ausgangspunkt ihrer Überlegungen bildet eine systematische Analyse der Konzepte kognitiver Motivationstheorien. Die Annahmen dieser Theoriegebäude, welche Motivation als Trait-Variable(n) auffassen, werden dabei systematisch auf ihre Übertragbarkeit auf Lernprozesse untersucht. Die Autorin leistet dabei eine sehr gelungene Übersetzungsleistung, sind doch Motivationstheorien in der Regel psychologisch begründet und zumindest nicht originär auf die Beantwortung pädagogischer Fragestellungen ausgerichtet. Mit Bezug auf die pädagogisch-psychologische Interessenforschung führt Winther im zweiten Kapitel eine neue Perspektive in die Diskussion ein. In diesem theoretischen Zugang erfährt der State-Aspekt der Motivation besondere Beachtung. Motivation – bzw. präziser: Interesse – generiert sich demnach im Zusammenspiel personaler und situationaler Faktoren. Zu diesen zählen in pädagogischen Kontexten vor allem die fachlichen Lerninhalte, die in vielen Motivationskonzepten nur ungenügende Beachtung finden.
Im dritten Kapitel des Buches werden die Überlegungen zur Erfassung des Untersuchungsgegenstandes aus Kapitel 1 (Trait-Aspekt) und Kapitel 2 (State-Aspekt) zusammen geführt. Als theoretischer Rahmen fungiert dabei ein Modell selbstregulierten Lernens, in das die Motivationskomponenten integriert werden. Zwei Punkte werden dabei besonders betont: Erstens bedingt die Analyse motivationalen Verhaltens eine Prozessperspektive. Und zweitens können motivationale Prozesse nur im Zusammenspiel mit kognitiven und emotional-volitionalen Variablen erklärt werden. In der Folge leitet Esther Winther fachdidaktische Implikationen für die Gestaltung motivationsförderlicher Lernumgebungen ab. Diese Überlegungen finden Eingang in ein Trainingsprogramm, das sie selbst konzipiert hat (Kapitel 4). Die Schulung wurde mit 20 Lehrpersonen des Unterrichtsfachs Betriebswirtschaft von niedersächsischen Fachgymnasien Wirtschaft durchgeführt.
Die Ergebnisse zur Wirksamkeit des Motivationstrainings legt die Autorin im empirischen Teil ihres Buches vor. Ausgehend von der relevanten Lerneinheit („Das Unternehmen als komplexes wirtschaftliches und soziales System“; Umfang: 80 Unterrichtsstunden), werden die Stichprobe, das Forschungsdesign und das Instrumentarium nachvollziehbar beschrieben. An der 2004/05 durchgeführten Studie im Experimental-Kontrollgruppen-Design nahmen 353 Schülerinnen und Schüler teil. Da die Studie auf Lernprozesse fokussiert, war sie als Längsschnitt mit mehreren Messzeitpunkten angelegt. Zum Instrumentarium sei angemerkt, dass die Reliabilitätskennwerte einzelner Skalen als zumindest grenzwertig zu beurteilen sind. Diese Einschätzung gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Ausprägungen mittels Wiederholungsmessungen miteinander verglichen wurden.
Es zeigen sich folgende zentrale Ergebnisse: In Bezug auf die Förderung der aktuellen Motivation (State-Komponente) kann ein Treatmenteffekt beobachtet werden. Der Effekt der Motivationsförderung ist dann besonders hoch, wenn die Unterrichtsinhalte nicht wie im ersten Teil der Lerneinheit mittels eines komplexen Lehr-Lern-Arrangements vermittelt wurden. Offensichtlich beinhaltet diese am Heimatinstitut der Autorin (Seminar für Wirtschaftspädagogik in Göttingen) entworfene und inzwischen in die niedersächsischen Rahmenlehrpläne integrierte Fallstudie viele aktivierende Gestaltungsmerkmale, die eine gesonderte Motivationsförderung nicht zwingend erforderlich erscheinen lassen.
Für die Trait-Komponenten der Motivation zeigt sich kein Treatmenteffekt. Ein solcher wurde aufgrund des geringen zeitlichen Umfangs der untersuchten Lerneinheit von der Autorin auch nicht erwartet. Auf einen Nebenbefund sei allerdings verwiesen, bestätigt er doch ein aus pädagogischer Perspektive ziemlich frustrierendes und auch aus anderen Studien bekanntes Befundmuster. Die als lerngünstig einzuschätzenden Motivationsformen sinken während des Schulbesuchs – mit und ohne Motivationstraining. Darüber hinaus werden mittels Strukturgleichungsmodellen konfirmatorische Analysen zur Erklärung der Lernleistung durchgeführt. Dabei kommt insbesondere den State-Komponenten der Motivation prädiktorische Kraft zur Vorhersage der lernsequenzbezogenen Schulleistung zu. Die Autorin zieht daraus den nachvollziehbaren Schluss, dass für die Erfassung und Beurteilung motivationalen Verhaltens von Schülerinnen und Schülern die Spezifität der einzelnen Lernsequenzen und der dabei vermittelten Lerninhalte besondere Beachtung finden müssen.
Eine neun Seiten umfassende Diskussion rundet die Arbeit ab. Damit kommt einerseits das Sprichwort „In der Kürze liegt die Würze“ zur Geltung. Andererseits hätte man sich z.B. im Hinblick auf zukünftige Forschungsanstrengungen einen etwas stärker differenzierten Ausblick gewünscht. Dadurch wird die Leistung von Esther Winther jedoch nicht geschmälert. Sie verdient – wie Frank Achtenhagen in seinem Geleitwort zum Buch feststellt – höchste Aufmerksamkeit. Das Buch beinhaltet nicht nur für Theoretiker, sondern auch und gerade für Lehrpersonen ökonomischer Fächer wertvolle Hinweise. Besonders sei auf das theoriegeleitete Schulungskonzept zur Motivationsförderung hingewiesen, welches die Idee einer so genannten integrierten Kompetenzförderung verfolgt. Motivationsförderung im Unterricht ist demnach dann besonders Erfolg versprechend, wenn sie auf die ablaufenden kognitiven Prozesse Bezug nimmt. Für pädagogische Kontexte bedeutet dies eine enge Anbindung motivationsstützender Maßnahmen an die zu vermittelnden Lerninhalte.
EWR 7 (2008), Nr. 1 (Januar/Februar)
Motivation in Lernprozessen
Konzepte in der Unterrichtspraxis von Wirtschaftsgymnasien
Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag 2006
(245 S.; ISBN 978-3-8350-0460-3; 49,90 EUR)
Stephan Schumann (ZĂĽrich)
Zur Zitierweise der Rezension:
Stephan Schumann: Rezension von: Winther, Esther: Motivation in Lernprozessen, Konzepte in der Unterrichtspraxis von Wirtschaftsgymnasien. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag 2006. In: EWR 7 (2008), Nr. 1 (Veröffentlicht am 06.02.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383500460.html
Stephan Schumann: Rezension von: Winther, Esther: Motivation in Lernprozessen, Konzepte in der Unterrichtspraxis von Wirtschaftsgymnasien. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag 2006. In: EWR 7 (2008), Nr. 1 (Veröffentlicht am 06.02.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383500460.html