EWR 9 (2010), Nr. 1 (Januar/Februar)

Uwe Maier
Wie gehen Lehrerinnen und Lehrer mit Vergleichsarbeiten um?
Eine Studie zu testbasierten Schulreformen in Baden-Württemberg und Thüringen
Baltmannsweiler: Schneider 2009
(415 S.; ISBN 978-3-8340-0576-2; 36,00 EUR)
Wie gehen Lehrerinnen und Lehrer mit Vergleichsarbeiten um? Uwe Maier schafft mit seiner Habilitationsschrift „Wie gehen Lehrer mit Vergleichsarbeiten um?“ eine Verbindung von Bildungsforschung und Schulpädagogik. Thematisch knüpft Maier an die aktuelle, bundesweite Bildungsreform an. In der Folge der Einführung nationaler Bildungsstandards wurden in allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland landesweite Leistungsmessungen in Form zentraler Vergleichsarbeiten eingeführt. Mit „Wie gehen Lehrer mit Vergleichsarbeiten um?“ thematisiert und untersucht Uwe Maier die konzeptionellen und empirischen Implikationen dieser sogenannten „testbasierten Schulreformen“ (TBSR) für die Arbeit von Lehrern. Darüber hinaus nennt er zur begrifflichen Eingrenzung von TBSR – neben den Bildungsstandards und Leistungsmessungen – weitere, wichtige Elemente: Die evidenzbasierte Bildungspolitik auf der Schulsystemebene und die datenbasierte Schulentwicklung auf der Einzelschulebene. Dabei verfolgt Maier mit seiner Studie mehrere Ziele. Im theoretischen Teil der Arbeit geht es zum einen um eine Verortung der Vergleichsarbeiten und den testbasierten Schulreformen in der internationalen und nationalen Diskussion. Zum anderen wird aus schultheoretischer Sicht die Relevanz testbasierter Schulreformen für das Steuerungshandeln auf der Ebene der Einzelschule beleuchtet. Im empirischen Teil untersucht die Studie die Rezeption und Nutzung von Rückmeldungen der Vergleichsarbeiten durch Lehrkräfte. Ausgehend von Interviews und schriftlichen Befragungen von Lehrerinnen und Lehrern in zwei Bundesländern wird einerseits untersucht, welche Formen der professionellen Nutzung von Vergleichsarbeiten realisiert werden. Andererseits geht es Maier auch darum, heraus zu finden, was die Bildungsstandards und Vergleichsarbeiten für die Weiterentwicklung von Schulen leisten und ob bzw. inwieweit Leistungsrückmeldungen zur Verbesserung von Unterricht und zur Diagnose von Schülerleistungen genutzt werden.

Zunächst beleuchtet Maier in Kapitel zwei sehr detailliert die internationale, insbesondere angelsächsische Diskussion um den Begriff einer testbasierten Schulreform, um im Anschluss daran auf die Situation in Deutschland einzugehen, was durchaus eine sinnvolle Vorgehensweise darstellt. Dabei vergleicht er die in den 1980er Jahren eingeführte TBSR in den USA mit der Einführung von Bildungsstandards und Bildungsmonitoring in Deutschland. Testbasierte Schulreform sieht er so als Teil einer internationalen Reformbewegung, wobei Maier länderspezifisch grundlegende Unterschiede im Hinblick auf die Testformen und institutionelle Rahmenbedingungen (z.B. Rechenschaftsablegung der Schulen) herausarbeitet. Er stellt dabei zu Recht fest, dass sich die Diskussion aus den USA nicht auf Deutschland übertragen lässt, da dort – im Gegensatz zu Deutschland – andere Testverfahren (high stakes testing) verwendet werden. Außerdem ist hierbei der Hinweis wichtig, dass in Ländern, die bereits auf längere Erfahrungen zurückblicken, testbasierte Schulreformen tendenziell kritischer betrachtet werden als dies bezogen auf die in Deutschland zu beobachtenden testbasierte Schulreform der Fall ist.

Vor diesem Hintergrund lenkt der Autor des Weiteren den Fokus auf die Ländervergleiche von Baden-Württemberg und Thüringen, die starke Differenzen bezogen auf die formale Umsetzung zentraler Lernstandserhebungen (z.B. der Rückmeldeformate, der Leistungsüberprüfung und -diagnose) aufweisen und gerade deshalb für Maiers Untersuchung im Hinblick auf den Erkenntnisgewinn methodisch sinnvoll gewählt sind. Während das Land Baden-Württemberg Vergleichsarbeiten seit 2002 in Form von bewertenden Leistungsmessungen eingeführt hat und dort die Ergebnisse der Leistungsmessungen als zusätzliche Klassenarbeit in die Jahresendnote mit einfließen, zeigt das Beispiel Thüringen eine andere, stärker koordinierte und vernetzte Variante: Hier werden Kompetenztests seit 2007 geschrieben, welche auf fachspezifischen Kompetenzmodellen basieren. Die Rückmeldung der Ergebnisse erfolgt auf Klassen- und Individualebene mit kriterialen (Leistungs-)Daten. Im Anschluss daran sollen die Ergebnisberichte (vor allem mit den landesweiten Vergleichsdaten) dahingehend genutzt werden, Maßnahmen – insbesondere auf der Klassenebene – abzuleiten.

In dem folgenden Kapitel drei „Schultheoretische Perspektiven und empirische Befunde“ erfolgt eine ausführliche, theoretische Analyse von nationalen und internationalen Formen testbasierter Schulreform aus verschiedenen schultheoretischen Perspektiven. Die von Maier selbst als dialektisch bezeichnete Vorgehensweise ist hierbei sinnvoll, weil auf diese Weise diese sehr umfassende und differenziert dargelegte Diskussion – insbesondere mit den relevanten Anknüpfungspunkten Schulsystem und Allgemeinbildung, Organisation und realisiertes Curriculum, pädagogische Professionalität und Lehrerwissen, Lehren und Lernen sowie Schulentwicklung und Evaluation zu TBSR – verständlich und nachvollziehbar wird. Dabei wird zum einen insbesondere die hohe Komplexität der Diskussion um TBSR und zum anderen die Notwendigkeit einer Systematik hinsichtlich der schultheoretischen Theorien deutlich.

Anknüpfend an Kapitel drei werden in Kapitel vier zu „Desiderata und Forschungsfragen“ die schultheoretischen Ansätze überblickartig zusammengefasst und kritisch bewertet. Dieses rundet den (theoretischen) Argumentationsverlauf der Arbeit ab. Sehr ansprechend in diesem Zusammenhang ist die übersichtliche, tabellarische Darstellung der theoretischen Perspektiven, welche die Ansprüche, Problematik und sich daraus ergebende Fragen von TBSR zu den einzelnen Perspektiven abbildet. Auf diese Weise wird auf einen Blick ersichtlich, dass beispielsweise die Hauptproblematik von TBSR aus der Schulentwicklungsperspektive in der Diskrepanz zwischen der Rechenschaftsablegung nach außen und der internen Schulentwicklung besteht und sich dabei Fragen zur Verknüpfung externer und interner Schulentwicklungsstrategien und zur Relevanz der Rückmeldedaten für die innerschulische Entwicklung ergeben. Im Anschluss daran werden die schultheoretischen Perspektiven auf die Forschungsfragestellungen hin gefiltert, so dass in erster Linie die professionstheoretischen Ansätze und Modelle der Datennutzung in der Schule bestehen bleiben. Das ist insofern angemessen, als dass Maier sich im darauf folgenden, empirischen Kapitel ausschließlich der Lehrerperspektive – bezogen auf den Umgang und Nutzen aus Testrückmeldungen – widmet. Hieraus resultiert auch die Überleitung zu den empirischen Fragestellungen und Überlegungen.

Der empirische Teil der Arbeit erfolgt in Kapitel fünf und sechs und beinhaltet sowohl die Forschungsmethoden als auch die Ergebnisse aus den Erhebungen zu der Rezeption und Nutzung von Rückmeldungen aus Vergleichsarbeiten in Baden-Württemberg und Thüringen. Der Ausgangspunkt für den Autor, sich thematisch mit TBSR auseinander zu setzen und seine eigene Untersuchung voran zu bringen, war die Einführung der Bildungsstandards im Jahr 2004 in Baden-Württemberg. Maiers Studien sind sehr umfangreiche, explorative (Quasi-)Längsschnittuntersuchungen aus den Jahren 2004 bis 2007, die zweifellos eine Stärke des Bandes darstellen. Methodisch teilt er seine Untersuchungen in fünf einzelne Teilstudien, die alle zeitlich aufeinander folgen. Im Mittelpunkt steht hierbei die Lehrerperspektive. Positiv hervorzuheben ist dabei, dass der Autor sowohl quantitative Lehrerbefragungen als auch qualitative Interviews durchgeführt und diese in einem weiteren Schritt durch Fragen zu der neuen Form der Schulsystemsteuerung bzw. dem schulinternen Umgang mit Testrückmeldungen, die sich aus den testbasierten Schulreformen ergeben, ergänzt hat. In dem (speziellen) Methodenkapitel werden die Stichproben aus den einzelnen Teilstudien auf sehr detaillierte Art und Weise beschrieben und – was die qualitativen Erhebungen angeht – vor allem auch die inhaltsanalytische Auswertung des Interviewmaterials präzise und umfangreich erläutert.

Abschließend erfolgt in Kapitel sieben eine kritische Zusammenfassung der Ergebnisse im Hinblick auf die Forschungsfragen. Die Darstellung der Ergebnisse ist differenziert und nachvollziehbar. Daran knüpft ein Ausblick vor dem Hintergrund der schultheoretischen Perspektiven an. Die Lehrer in den zwei untersuchten Ländern Baden-Württemberg und Thüringen weisen deutliche Unterschiede hinsichtlich der Akzeptanz und Nutzung der Vergleichsarbeiten auf Lehrerebene auf. In Thüringen werden Kompetenz- und Leistungstests in der Regel eher akzeptiert und haben auch einen höheren lerndiagnostischen Charakter. Auch werden hier die Ergebnisse innerhalb der Fach- und Gesamtlehrerkonferenzen deutlich mehr diskutiert als in Baden-Württemberg. Außerdem werden diese insgesamt in ein umfassendes Fortbildungs- und Weiterentwicklungskonzept integriert. In Baden-Württemberg dagegen werden die Rückmeldungen vordergründig als Hinweise für die Notengebung verwendet. Positiv werden die Tests hier als ein objektiver und landesweiter Vergleichsstab, negativ dagegen als ein Kontrollinstrument bewertet. In beiden Ländern kam aber dasselbe Ergebnis hinsichtlich der Abhängigkeit der Testakzeptanz und -nutzung und der getesteten Fächer heraus: Im Fach Mathematik lässt sich die beste Nutzung der Rückmeldungen feststellen, da dieses als ein “testfreundliches“ Fach gesehen wird. Problematisch hingegen stuft Maier in diesem Kontext die ausschließliche Prüfung nur eines Bündels von Rückmeldemerkmalen und die fehlenden Daten auf der Schulebene ein.

Die resümierende Einschätzung Maiers, dass eine neue, ergebnisorientierte Schulsystemsteuerung wesentlich von der Konzeption und den Rückmeldeformaten der Lernstandserhebungen abhängt, knüpft auch in der Diskussion an die Ergebnisse von Hosenfeld, Schrader und Helmke aus dem Jahr 2006 an [1]. Demnach müssen zentrale Tests messorientierten Anforderungen genügen und gleichzeitig Innovationspotential für die Lehrkräfte entfalten. Vor allem die Weiterentwicklung von TBSR hinsichtlich der Aspekte formativer Evaluation spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Besonders relevant ist Maiers Hinweis, dass nach dem derzeitigen Stand zentrale Leitungstests nicht per se abgelehnt werden, aber ein subjektiv empfundener Nutzen auf Seiten der Lehrer bei Testrückmeldungen von zentraler Bedeutung ist. Daraus leitet der Autor mehrere, wichtige Konsequenzen ab:

Erstens ist von entscheidender Bedeutung, dass Rückmeldungen für Lehrkräfte verständlich, praktikabel und relevant, d.h. in einem professionellen Handlungsbereich nutzbar, gestaltet sind. Zweitens lässt sich aus den Ergebnissen der Studien die Wichtigkeit der Lehrerfortbildungen (vor allem bezogen auf die Interpretation und Verwendung von Ergebnissen aus Vergleichsarbeiten) und der Integration von TBSR in weitere Reformkonzepte, ableiten. Drittens sind verschiedene Kontextfaktoren (wie z.B. Testmerkmale, Schulform, gesellschaftliche Relevanz, individuelle oder institutionelle Bedingungen etc.) bei der Rezeption und Nutzung von Rückmeldungen aus Vergleichsarbeiten zu berücksichtigen. Insgesamt lassen sich die Ergebnisse aus den Studien Maiers an bisherige Rezeptionsstudien angliedern.

Aufgrund der großen Bandbreite des Themenfeldes, welches Maier in seiner Habilitationsschrift abdeckt, ist der Adressatenkreis dementsprechend auch breit gefächert. Dieses Buch ist sowohl an Bildungspolitiker und Fachleute (z.B. aus dem Bereich der Schulverwaltung und der Landesinstitute) als auch an Erziehungs- und Bildungswissenschaftler gerichtet. Die beiden ersteren erhalten zum einen wertvolle Informationen darüber, ob und inwiefern Lehrer die Ergebnisse aus den Rückmeldungen der Vergleichsarbeiten überhaupt nutzen und zum anderen durchgängig differenzierte Hinweise, wo sich die Schwachstellen bei testbasierten Schulreformen befinden und wo sich eine Notwendigkeit zur Weiterentwicklung und Veränderung feststellen lässt (z.B. Unterstützung der Autonomie der Einzelschule, lokale Unterstützungssysteme, mehr didaktisch bezogene Rückmeldeformate, Sinn von Rechenschaftsablegung etc.). Zusätzlich ist insbesondere für Erziehungs- und Bildungswissenschaftler interessant, dass sich weitere, an Maiers Studien vertiefende – vor allem organisations- und professionstheoretische – Forschungsfragen in dem noch immer recht neuen Forschungsfeld anschließen lassen.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Maier durch die fundierten Ergebnisse und Befunde (besonders im Hinblick auf die Rezeption und Nutzung von Testrückmeldungen der Lehrkräfte) aus seinen Studien einen wichtigen Beitrag zur aktuellen, testbasierten Schulreformdiskussion in Deutschland leistet. Dem Leser werden außerdem zahlreiche Verbesserungsvorschläge, wie TBSR noch optimiert und dadurch die systematische Schul- und Unterrichtsentwicklung weiter vorangebracht werden kann, aufgezeigt; – auch wenn die Ergebnisse der Studien ein etwas ernüchterndes Bild dahingehend zeigen, ob die großen Zielsetzungen von zentralen Leistungstests und Vergleichsarbeiten überhaupt erreichbar sind. Allerdings wäre eine sowohl inhaltliche Vertiefung als auch methodisch spezifischere Vorgehensweise bei der Differenzierung der Nutzungstypen (instrumentelle/ strategische/ keine Nutzung) aus den Testrückmeldungen der Vergleichsarbeiten, die Maier einzig aus den Lehrerinterviews aus Thüringen und rein explorativ ableitet, wünschenswert gewesen. Gleichzeitig kann dieser Band als ein wichtiger Baustein einer erziehungswissenschaftlichen Rezeptionsforschung gesehen werden.

[1] Hosenfeld, I./Schrader, F.-W./Helmke, T.: Von der Rezeption zur Ergebnisrückmeldung: Leistungsevaluation im Spannungsfeld von System-Monitoring und Schulentwicklung. In: Hosenfeld, I. /Schrader, F.-W. (Hrsg.): Schulische Leistung: Grundlagen, Bedingungen, Perspektiven. Münster: Waxmann 2006, S. 289-313.
Barbara Muslic (Berlin)
Zur Zitierweise der Rezension:
Barbara Muslic: Rezension von: Maier, Uwe: Wie gehen Lehrerinnen und Lehrer mit Vergleichsarbeiten um?, Eine Studie zu testbasierten Schulreformen in Baden-Württemberg und Thüringen. Baltmannsweiler: Schneider 2009. In: EWR 9 (2010), Nr. 1 (Veröffentlicht am 05.02.2010), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383400576.html