EWR 23 (2024), Nr. 3 (Juli)

Björn Elsner
Die Gemeinschaftsschule im sozialräumlichen Kontext
Eine qualitative Untersuchung
Münster, New York, München, Berlin: Waxmann 2021
(202 S.; ISBN 978-3-8309-4357-0; 29,90 EUR)
Die Gemeinschaftsschule im sozialräumlichen Kontext Schulen stehen vor der großen Herausforderung, sich nicht nur als Institution, sondern auch als inklusionsorientierter Lebensraum weiterzuentwickeln. Dabei gilt es die vielfältigen Perspektiven von Akteur:innen zu beachten und miteinander zu vernetzen. Inklusionsorientierte Bildung ist demnach dazu aufgefordert, sich mit dem sie umgebenden Sozialraum zu verknüpfen, um wirklich alle Bedarfe ihrer Schüler:innen wahr- und aufzunehmen. Schulische Transformationsprozesse können sich dabei nicht auf den Raum/die Räume innerhalb von Schule beschränken, sondern müssen aus unterschiedlichen Perspektiven sozialraumorientiert analysiert, gedacht und entwickelt werden. Solche sozialraumorientierten Konzepte werden in den letzten Jahren zunehmend auch für schulische Bildung stärker diskutiert und beschränken sich daher nicht mehr nur auf die Disziplin der Sozialen Arbeit. Diese Konzepte zur strukturierten Vernetzung und Organisation verschiedener Organisationslogiken sowie formeller und informeller Bildungsangebote werden insbesondere breit im Kontext der Verminderung von Bildungsungerechtigkeit diskutiert [1].

Björn Elsner analysiert in seinem Buch „Die Gemeinschaftsschule im sozialräumlichen Kontext“ (2021) Transformationsprozesse, die mit der Etablierung der Gemeinschaftsschule in Baden-Württemberg einhergingen. Dabei richtet er seinen Fokus auf die sozialräumliche Ausrichtung. Innovativ und der inhaltlichen Ausrichtung konsequent folgend widmet sich der Autor in seiner Forschungsarbeit sehr unterschiedlichen Perspektiven auf verschiedenen Akteur:innenebenen. Ziel ist es dabei, „sozialräumliche Vernetzungsprozesse, Kooperationskonzepte und sich daraus ergebende Handlungspraxis in den Blick“ (13) zu nehmen. Ergänzend werden auch subjektive Einschätzungen von Lernenden zum Raum Schule und dem darüberhinausgehenden Sozialraum erhoben und in die Analyse einbezogen.

Insgesamt fokussiert sich der Autor mit einem Multiple-Methods-Design auf vier differente Ebenen: (1) Schulleitung, (2) Kooperationpartner:innen, (3) Eltern und (4) Lernende. Die empirische Arbeit des Autors verortet sich als Teilprojekt im Gesamtforschungsprojekt ‚WissGem‘. Dabei handelt es sich um ein wissenschaftliches Begleitforschungsprojekt „unter Schirmherrschaft der Universität Tübingen am Standort Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd“ (14). Der Autor bewegt sich in seinem Werk daher in den zwei theoretischen Diskursen zur Einführung der Gemeinschaftsschule auf der einen Seite und zur Sozialraumorientierung auf der anderen Seite. Innerhalb eines kompakten Einblicks in die Geschichte und Bedeutung der Gemeinschaftsschule (in Baden-Württemberg), widmet sich der Autor auch der verschränkten Bedeutung von Sozialraumorientierung in Bezug zu dieser Schulart. Dabei greift er u.a. auf ein erweitertes Bildungsverständnis zurück, welches die Notwendigkeit von sozialräumlicher Vernetzung verständlich macht.

Danach wird intensiv ein (Sozial-)Raumverständnis, welches der Arbeit zu Grunde liegt, herausgearbeitet. Dabei lässt der Autor sehr gut die Vielfalt des Diskurses sichtbar werden. Differenziert weist er auf verschiedene theoretische Bezüge hin und legt der Arbeit ein relationales (und damit vorwiegend auf den Perspektiven der Akteur:innen aufbauendes) Raumverständnis zugrunde. Positiv zeigt sich dabei der Ansatz, auch subjektive Einschätzungen von Lernenden in das methodische Design einzubinden. Diesbezüglich umreißt er die Themenfelder ‚Lebenswelt‘ und ‚Partizipation‘. Ein wenig verkürzt stellt sich dabei die Beschreibung zur Partizipation von Lernenden dar, da sich hierzu aktuell ein weit umfangreicherer und kritisch-reflexiverer Diskurs aufzeigen ließe.

Die Arbeit zeichnet sich durch ein sehr umfangreich und vielfältig geplantes und durchgeführtes Methodendesign aus, welches versucht, die bisher genannten Akteur:innenperspektiven aufzufangen. Exemplarisch widmet sich der Autor dabei drei Gemeinschaftsschulen, zu denen er Einzelfalldarstellungen herausarbeitet und diese ergänzend schulübergreifend diskutiert. Dabei nutzt er vor allem klassische Erhebungsmethoden (leitfadengestützte Interviews zur Befragung von Schulleitungen, Kooperationspartner:innen, Eltern; Gruppendiskussion zur Befragung von Lernenden). Den Gruppendiskussionen werden ergänzend sozialräumliche Erhebungsmethoden (Autofotografie und Quartiersbegehung) vorangestellt, deren Erkenntnisse mit den Lernenden diskutiert werden.

Auf sehr verständliche und gut strukturierte Weise werden im Werk die Erkenntnisse aus der jeweiligen Akteur:innenperspektive dargestellt und anschließend verschränkt diskutiert. Dabei wird deutlich, dass weitgehend alle Akteur:innen in dem Transformationsprozess und in sozialräumlicher Vernetzung Chancen sehen.

Daneben wird jedoch auch deutlich, dass in diesem Prozess noch deutliches Entwicklungspotenzial liegt. Der (teils auch sehr zugeschnittene) Fokus der Akteur:innen auf Vernetzung mit verschiedenen Akteur:innen, wird dem umfänglichen aktuellen Diskurs um Sozialraumorientierung nicht vollumfänglich gerecht. Zum Beispiel die Verschränkung, Veränderung und Bearbeitung unterschiedlicher Professionsverständnisse oder die Generierung von Angeboten, orientiert an den Lebenswelten von Eltern und Lernenden, scheinen anhand der Ergebnisse noch offene Bereiche zu markieren. Deutlich wird auch in allen drei Fällen, dass der Prozess stark in der Hand der Schulleitung liegt und das Fehlen zeitlicher (und personeller) Ressourcen die beteiligten Akteur:innen stark herausfordert. Diese exemplarischen Erkenntnisse zu Chancen und offenen Herausforderungen werden im Buch sehr gut strukturiert dargestellt und diskutiert. Spannend zeigen sich dabei die ergänzenden subjektiven Perspektiven der Lernenden zu positiv und negativ besetzten Orten in und außerhalb der Schule.

Insgesamt bietet das Buch einen guten ersten Einblick, mit welchen Aspekten Schulen in einem solchen Transformationsprozess hin zur sozialraumorientierten Gemeinschaftsschule konfrontiert sind. Limitiert ist der Einblick jedoch durch die Auswahl der beteiligten Akteur:innen und den inhaltlichen Auswertungsfokus. So wäre es sicherlich spannend gewesen, bei den Kooperationspartner:innen den Fokus nicht ausschließlich auf Schulsozialarbeit zu legen. Insbesondere schulexterne Akteur:innen wären in Anbetracht der sozialraumorientierten Entwicklung sicherlich erkenntnisreich gewesen, vor allem, um weitere Hindernisse in der Kommunikation bzw. Vernetzungsarbeit zwischen Schulen und Sozialraum sichtbar zu machen. Auch die Fokussierung auf Elternvertreter:innen beschränkt die Perspektiven sicherlich deutlich. So wären diese Sichtweisen in ihrer beschränkten Aussagekraft noch kritischer einzuordnen. Dies begründet sich vor allem in der Begrenztheit des repräsentierenden Blicks von Elternvertreter:innen. So weisen aktuelle Erkenntnisse eher auf eine Mittelschichtsorientierung von Elternvertreter:innen hin, wodurch die Perspektiven von bisher ausgeschlossenen/nicht angesprochenen Eltern unsichtbar verbleiben [2]. Solche machtkritischen Aspekte werden zwar im theoretischen Teil angesprochen, jedoch in der Auswahl der Teilnehmer:innen und in der Diskussion nicht vollumfänglich bearbeitet. Der Einbezug von Sichtweisen der Lernenden bezieht sich vor allem auf die Darstellung und Nutzung von Räumen, was sehr interessante Erkenntnisse liefert. Mehr Rückschlüsse auf den in der Arbeit fokussierten Transformationsprozess wären noch spannend gewesen.

Der Autor bietet mit dieser empirischen Arbeit eine wichtige Möglichkeit, sich in die Komplexität der Einführung der Schulart Gemeinschaftsschule und sozialräumlicher Entwicklungsprozesse zu begeben. Dies bietet einen guten Ausgangspunkt, der durch weitere Erkenntnisse hinsichtlich z.B. machtkritischer oder habitussensibler Aspekte usw. ergänzt werden kann und sollte.

[1] El-Mafaalani, A., Kurtenbach, S., & Strohmeier K.P. (Hrsg.) (2015). Auf die Adresse kommt es an … Segregierte Stadtteile als Problem- und Möglichkeitsräume begreifen. Beltz Juventa.
[2] Kruschel, R., Schuppener, S., & Leonhardt, N. (2023). Eltern als Bildungspartner*innen inklusiver Schulen – Familienorientierte Zusammenarbeit in Stadtvierteln in herausfordernder Lage. In M. Hoffmann, T. Hoffmann, L. Pfahl, M. Rasell, H. Richter, R. Seebo, M. Sonntag & J. Wagner (Hrsg.), Raum. Macht. Inklusion. Inklusive Räume erforschen und entwickeln. Tagungsband zur 35. Jahrestagung der Inklusionsforscher*innen 2022 in Innsbruck (S. 295-302). Klinkhardt.
Nico Leonhardt (Leipzig)
Zur Zitierweise der Rezension:
Nico Leonhardt: Rezension von: Elsner, Björn: Die Gemeinschaftsschule im sozialräumlichen Kontext, Eine qualitative Untersuchung. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann 2021. In: EWR 23 (2024), Nr. 3 (Veröffentlicht am 14.08.2024), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383094357.html