Medien in der Schule – das ist ein Thema, das mittlerweile zu einer breiten Diskussion in der Gesellschaft avanciert ist. Während einerseits Kritiker/innen diskutieren, inwieweit Kinder überhaupt mit Medien in Kontakt kommen sollten, beschäftigt sich die (Medien-)Pädagogik mit Fragen des sinnvollen Einsatzes von Computer, Tablet & Co. im Unterricht. Auch für die Bildungspolitik ist die mediale Ausstattung von Schulen zu einem großen Thema erwachsen und erreicht mit dem Digitalpakt nun auch auf bundespolitischer Ebene Bedeutung. Umso stärker drängt sich nun die Frage in den Vordergrund, wie eine sinnvolle Didaktik aussieht, die Medien als Ergänzung bereits bestehender Unterrichtsmaterialien betrachtet und Kinder bei ihrer Entwicklung zu medienkompetenten Nutzern unterstützt. Oftmals stehen hier die Sekundarstufe I und II im Fokus. Dabei sind Kinder im Grundschulalter bereits sehr aktive Mediennutzer, weswegen eine altersgerechte Medienbildung und -erziehung hier von großer Bedeutung ist.
Hier knüpfen Birgit Brandt und Henriette Dausend mit ihrem Sammelband zum ersten Symposium „Lernen digital“ an, welches 2017 an der TU Chemnitz stattfand. Der Band vereint fächerübergreifende und interdisziplinäre Beiträge mit dem Ziel, fachliche und überfachliche Perspektiven zusammenzubringen, die sonst meist getrennt und unabhängig voneinander diskutiert werden. Hieraus wurden unterschiedlichste Beiträge generiert, die sowohl Theorie- und Forschungsbestände als auch die Handlungspraxis fokussieren, um somit eine umfassende und vielfältige Grundlage für die Diskussion fachlicher Lernprozesse anzuregen.
Den Einstieg im Rahmen der Hauptvorträge des Symposiums macht Petra Anders mit Ideen zu einem medienintegrativen Deutschunterricht nach Jenkins’ Partizipationskultur. Hierbei werden nach ihrem Ansatz Grundschüler/innen bei der Nutzung von Scratch „vom User zum Maker“ (17) und können eigene Geschichten erzählen und gestalten, was nicht nur die fachlichen, sondern auch die medial-gestalterischen Kompetenzen schulen soll (17ff). Dass die Nutzung digitaler Medien auch hinsichtlich der sich verändernden Lebenswelt von Kindern überdacht und angepasst werden muss, zeigt der Beitrag von Annika Kolb und Thomas Raith. Anhand von zwei Unterrichtsbeispielen diskutieren sie, wie Fremdsprachenunterricht und auch Kompetenzen im Umgang mit Medien in der Grundschule gefördert werden können. Angelehnt an die KMK-Kompetenzen wurde beispielsweise ein Kooperationsprojekt initiiert, für das Schüler/innen an zwei unterschiedlichen Orten per Blog über Geschichten auf Englisch digital interagieren. In einem weiteren Projekt wurden digitale Bilderbücher erstellt, sodass neben dem Erwerb von Englisch auch Kompetenzen im Verfassen von multimedialen und multimodalen Texten erworben wurden (37ff). Dass Unterricht jedoch nicht nur digital oder nur analog sein muss, veranschaulicht der Ansatz von Silke Ladel. Bei der handlungsorientierten Unterstützung im Rahmen des Erwerbs mathematischer Kompetenzen zeigt sie anhand von Praxisbeispielen die wirkungsvolle Kombination virtueller und physischer Materialien auf, die sie mit der Artifact-Centric Activity Theory begründet. Mit dem Einsatz verschiedener Tools wie Osmo, Tiggly oder Fingu beschreibt sie, wie dies gelingen kann (53ff).
Die folgenden drei Beiträge machen deutlich, inwieweit sehr fortgeschrittene Inhalte in der Grundschule mit Hilfe medialer Unterstützung vermittelt werden können. Daniel Frischemeier erläutert, wie Kinder in der Grundschule an statistische Grundkenntnisse herangeführt werden und mit Hilfe der App TinkerPlots eigene statistische Projekte durchführen können, in denen bereits auch größere, reale Datensätze bearbeitet werden (73ff). Im Sachunterricht sei die Anwendung von Medien für digitale Sachinhalte sehr gut möglich, wie Roland Hirsch und Sulamith Frerich erläutern. Sie stellen dar, wie Kinder in einem Projekt die Messdatenerfassung sowie die Bedeutung der angezeigten Werte kennenlernen konnten, was im Unterricht ohne großen Aufwand möglich sei und den Schüler/innen einen sehr guten Einblick in ein lebensweltnahes Thema ermöglichen würde (103ff). Um die Sprachenvielfalt in der Schweiz bereits im Grundschulalter zu fördern, haben sich Vincenzo Todisco und Marco Trezzini näher mit dem Projekt AlpConnectar beschäftigt. Aufgrund von Benachteiligung in der Austauschpädagogik ist es über digitale Technologien möglich, den Austausch zwischen muttersprachlichen und solchen Klassen zu ermöglichen, die diese Sprache aktuell lernen. Bei der Erprobung mit Schüler/innen zeigte sich, dass neben digitalen Kompetenzen auch die Motivation zur Kommunikation in einer Fremdsprache erhöht sowie die Hemmschwelle, dies zu bewerkstelligen, gesenkt werden konnte (119ff).
Im Rahmen der Workshop-Beiträge beschäftigt sich Karen Glaser mit dem Mehrwert von TING-Hörstiften im Englisch-Unterricht an der Grundschule, die sie nicht nur hinsichtlich ihrer Motivationssteigerung oder Material- und Methodenvielfalt, sondern auch bezüglich des unbegrenzten Abrufs akustischen Inputs sowie der lexikalischen Umwälzung, die Buch und Stift bieten, diskutiert (151ff). Lennart Goecke, Jurik Stiller und Detlef Pech heben die Bedeutung informatischer Bildung im Sachunterricht in der Grundschule hervor. Am Beispiel von Cubelets erproben sie den Einsatz in der Schule, welcher zeigt, dass informatische Bildung bereits in der Grundschule möglich ist und Kinder beim Entdecken und Verstehen ihrer digitalen Lebenswelt unterstützen kann (179ff). Insgesamt muss bei der Arbeit mit digitalen Medien in der Grundschule beachtet werden, wo jeweils die Chancen und Grenzen eines Mediums liegen, sodass der Einsatz sinnvoll und für die Schüler/innen gewinnbringend ist. Daher gilt es nach Ulrich Kortenkamp und Heiko Etzold Lehrer/innen hierfür zu schulen, was sie ausführlich am Einsatz der Stellenwert-App und dem dahintersteckenden Potenzial sowie an sachlogischen Grenzen der App festmachen (205ff). Abschließend betrachtet Rebekka Schmidt den Einsatz von Tablets im künstlerischen Bereich und systematisiert die didaktischen Herangehensweisen „Wahrnehmen – Betrachten – Gestalten“ unter der Prämisse eines Medieneinsatzes neu, um daraus eine reflektierte kunstdidaktische Perspektive zu entwickeln (217).
Die Vielfalt der Beiträge spiegelt sich deutlich in den zahlreichen Einsatzmöglichkeiten von Medien im Grundschulunterricht wider. Dabei handelt es sich unter anderem auch um niedrigschwellig angelegte, aber dennoch mit viel Potenzial bedachte Projekte bzw. Unterrichtsmaterialien, die nicht in allen Fällen einer teuren Ausstattung bedürfen und zudem auch für Lehrkräfte leicht umzusetzen sind. Zudem sind die Projekte so angelegt, dass die Schüler/innen durchweg eine aktive Rolle einnehmen können und neben den fachlichen Kompetenzen einen kompetenten Umgang mit digitalen Medien erwerben.
Besonders hervorzuheben ist die Kombination theoretischer Aspekte mit praktischen Ansätzen sowie oftmals auch die Reflexion einer zwar exemplarischen, aber praktischen Durchführung der jeweiligen Szenarien. Dadurch entsteht ein sehr umfassender, durchdachter und reflektierter Eindruck; eine vereinseitigende Perspektive wird vermieden. Dies führt jedoch gleichzeitig auch zu einem Kritikpunkt an der Publikation, der sich in der Frage des Zielpublikums konkretisiert. Während die wissenschaftlichen Ausführungen keinen allzu fundierten Anspruch erheben und eher einen Überblick geben, sind die praxisorientierten Anteile zwar reflektiert, jedoch nicht so ausführlich, dass sie als Unterrichtsleitfaden zu verstehen wären. So eignet sich das Buch insbesondere für Einsteiger/innen in das digitale Unterrichten, dies insbesondere um erste Eindrücke, aber auch wissenschaftliche Begründungen und Praxisideen zu erhalten. Geeignet ist es aber auch für Multiplikator/innen, die diese Thematik vermitteln. Studierenden der Grundschulpädagogik bietet das Buch einen sehr guten Einstieg in die digitale Praxis.
Insgesamt handelt es sich hier um einen wichtigen Beitrag der zeigt, dass Grundschüler/innen maßgeblich und auf vielfältige Art und Weise von einem digitalen Medieneinsatz in der Schule profitieren können. Zudem schlägt das Buch eine Brücke zwischen Theorie und Praxis, die ansonsten häufig getrennt bzw. weniger gemeinsam an konkreten Beispielen betrachtet wird. Somit kann dieser Sammelband verschiedene Gruppen von Lehrenden wie Studierende, Praxiseinsteiger/innen und Multiplikator/innen bereichern.
EWR 18 (2019), Nr. 2 (März/April)
Digitales Lernen in der Grundschule
Fachliche Lernprozesse anregen
MĂĽnster: Waxmann 2018
(236 S.; ISBN 978-3-8309-3792-0; 34,90 EUR)
Kathrin Mertes (Mainz)
Zur Zitierweise der Rezension:
Kathrin Mertes: Rezension von: Brandt, Birgit / Dausend, Henriette (Hg.): Digitales Lernen in der Grundschule, Fachliche Lernprozesse anregen. MĂĽnster: Waxmann 2018. In: EWR 18 (2019), Nr. 2 (Veröffentlicht am 10.05.2019), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383093792.html
Kathrin Mertes: Rezension von: Brandt, Birgit / Dausend, Henriette (Hg.): Digitales Lernen in der Grundschule, Fachliche Lernprozesse anregen. MĂĽnster: Waxmann 2018. In: EWR 18 (2019), Nr. 2 (Veröffentlicht am 10.05.2019), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383093792.html