EWR 18 (2019), Nr. 4 (Juli/August)

Nele McElvany / Wilfried Bos / Heinz Günter Holtappels / Johannes Hasselhorn / Annika Ohle-Peters (Hrsg.)
Bedingungen erfolgreicher Bildungsverläufe in gesellschaftlicher Heterogenität
Interdisziplinäre Forschungsbefunde und Perspektiven für Theorie und Praxis
Münster: Waxmann 2018
(168 S.; ISBN 978-3-8309-3778-4; 29,90 EUR)
Bedingungen erfolgreicher Bildungsverläufe in gesellschaftlicher Heterogenität Die Heterogenität von Lernenden in Lernprozessen und Institutionen gewinnbringend zu handhaben und strukturelle Benachteiligungen zu vermeiden ist ein Dauerthema, dass bereits zahlreiche Forschungs- und Entwicklungsprojekte (gegenwärtig beispielsweise etliche Projekte im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung) hervorgebracht hat und weiterhin noch hervorbringt. Sowohl innerhalb der Empirischen Bildungsforschung als auch in anderen Disziplinen erfolgte in den letzten zwei Dekaden eine erhebliche Ausdifferenzierung der Forschung, zu der auch der vorliegende Band aus der Reihe des „Dortmunder Symposium der Empirischen Bildungsforschung“ aus eben jener Perspektive der Empirischen Bildungsforschung beiträgt. Er ist aus der gleichnamigen Veranstaltungsreihe des Dortmunder Instituts für Schulentwicklungsforschung hervorgegangen und ist demgemäß als Dokumentation zu verstehen. Wie die beiden vorhergehenden Bände widmet sich auch dieser Band der Bedeutung von Heterogenität für Bildungsprozesse im weitesten Sinne und hat den Anspruch, den „Focus auf gesellschaftliche Heterogenität und damit auf für Bildungsprozesse einflussreiche Faktoren des außerschulischen Kontextes“ (S. 5) zu richten.

Die Herausgeberinnen und Herausgeber Nele McElvany, Wilfried Bos, Heinz-Günther Holtappels, Johannes Hasselhorn und Annika Ohle-Peters benennen für die insgesamt neun Beiträge eine Dreiteilung des Bandes (die jedoch nicht als solche im Inhaltsverzeichnis kenntlich gemacht wird): Teil I bildet mit fünf Beiträgen „grundlegende Ergebnisse zum Stand der Empirischen Bildungsforschung in Bezug auf Zusammenhänge zwischen gesellschaftlicher Heterogenität und Bildungsverläufen“ (5) ab, Teil II beinhaltet zwei Beiträge von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern und Teil III greift mit weiteren zwei Beiträgen aktuelle Bildungsdebatten auf und soll „Implikationen für die empirische Bildungsforschung“ (6) aufzeigen.

Den Auftakt macht der Beitrag von Anne Christine Holtmann, Laura Menze und Heike Solga, der sich mit Ausbildungschancen von leistungsschwachen Jugendlichen befasst und hierfür Daten des NEPS auswertet. Ziel des Beitrags ist zu eruieren, inwiefern eigene Bemühungen um einen Ausbildungsplatz und Persönlichkeitsmerkmale die eher schwachen Schulleistungen kompensieren können. Aufgrund der Analysen wird deutlich, dass die untersuchte Gruppe zwar als „ausbildungsreif“ (30) bezeichnet werden kann, jedoch eine Kombination aus Selbst- und Fremdselektionsmechanismen ihre Chancen am Ausbildungsmarkt verringert.

Die beiden folgenden (kürzeren) Beiträge von Rainer Watermann und Susanne Prediger beziehen sich (offensichtlich aus dem Tagungsformat übernommen) diskutierend auf diesen einleitenden Beitrag, indem zunächst Watermann die präsentierten Befunde aus methodischer Perspektive kritisch diskutiert und mögliche pädagogische Maßnahmen ableitet. Prediger macht mit ihrem Diskussionsbeitrag aus einer mathematikdidaktischen Perspektive darauf aufmerksam, welche Impulse eine fachdidaktische Entwicklungsforschung leisten kann, wenn sie darauf abzielt, Lehrkräfte bei der konkreten Unterrichtsgestaltung resp. den Aufgaben zu unterstützen und damit das Problem von gering qualifizierten Jugendlichen auf Faktoren zu lenken, „die tatsächlich förderbar sind“ (44).

Der Beitrag von Kai Maaz und Kolleginnen und Kollegen fasst Ergebnisse der BERLIN-Studie zusammen (laut Aussage der Autorinnen und Autoren bereits an andere Stelle publiziert) und analysiert auf Basis von Schulleistungsdaten und Abschlüssen den Erfolg der Reform des Schulsystems in Berlin auf Basis der damit anvisierten Ziele: Weniger Kumulation von eher leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern an einzelnen Schulen und Erhöhung der für die gymnasiale Oberstufe Qualifizierten.

Steffen Schindler nutzt wiederum NEPS-Daten um zu klären, inwieweit sich soziale Ungleichheit bei der Bildungsbeteiligung im Kohortenvergleich verändert, insbesondere wenn das Nachholen von Bildungsabschlüssen berücksichtigt wird.

Lysann Zander und Madeleine Kreutzmann gehen in ihrem Beitrag, der den Auftakt zum zweiten Teil des Bandes bildet, der Frage nach, inwieweit ein fachlicher Austausch als Unterstützung schulischen Lernens zwischen homophil (bezogen auf den Migrationshintergrund) zusammengesetzten Peergroups stattfindet. Die Autorinnen werfen damit einen Blick auf Mikroprozesse innerhalb von Klassen, deren Analysen möglicherweise für das konkrete Lernen (und die Verringerung von Ungleichheiten) vielversprechende Impulse setzen können.

Im zweiten Beitrag, der unter der Rubrik „Nachwuchswissenschaftler/innen“ firmiert, thematisiert Franziska Schwabe die Bedeutung von psychologischen Grundbedürfnissen für die Veränderung von adaptiver bzw. maladaptiver Motivation von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I. Dieser Beitrag fällt insofern aus dem thematischen Rahmen des Bandes, als er die von den Herausgeberinnen und Herausgebern als Leitthema gesetzte „gesellschaftliche Heterogenität“ nicht thematisiert.

Der Band schließt mit zwei Beiträgen, die dem Anspruch nach „aktuelle Bildungsdebatten“ aufgreifen sollen: Einerseits werden von Ilonca Hardy und Astrid Jurecka systematisch Forschungsbefunde zur Relevanz von Erstsprache für das schulische Lernen zusammengetragen. Sie machen damit auf die Komplexität dieser Debatte ebenso aufmerksam, wie auf das Forschungsdesiderat im nationalen Kontext, da die meisten Studien bisher auf den angelsächsischen Raum bezogen sind. Andererseits untersucht Hartmut Esser das Ungleichheitspotenzial der Schulformempfehlung beim Übergang zum Gymnasium.

Fazit: Wie bereits angedeutet hinterlassen die Beiträge in diesem Band einen ungleichen Eindruck. Ihre Zusammenstellung erklärt sich möglicherweise durch das Veranstaltungsformat, ein roter Faden oder ein systematisierendes Konzept ist jedoch kaum erkennbar. Interessant und durchaus erhellend ist die Trias der Beiträge zu Beginn, weil insbesondere mit der mathematikdidaktischen Perspektive von Prediger deutlich wird, welche Konsequenz aus den wiederholten Deskriptionen der Benachteiligung von Schülerinnen- bzw. Schülergruppen für schulisches Lernen zu ziehen sind, um mittel- und langfristig Ungleichheit zu verringern. Leider durchzieht dieses Format nicht den gesamten Band.

Das ambivalente Bild dieses Bandes kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Heterogenitätskategorien Migrationshintergrund und sozioökonomische Herkunft mehrfach thematisiert werden, andere Dimensionen (Geschlecht, Körperlichkeit, etc.) jedoch völlig ausgeblendet bleiben. Das mit dem Titel gegebene Versprechen, „Bedingungen erfolgreicher Bildungsverläufe“ nachzuzeichnen, wird daher mit den versammelten Beiträgen nur ansatzweise eingelöst. Nicht zuletzt wäre auch eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Kategorisierungen, wie sie zum Beispiel Emmerich und Hormel [1] vornehmen, gewinnbringend gewesen.

[1] Emmerich, M. / Hormel, U.: Heterogenität, Diversität, Intersektionalität. Zur Logik sozialer Unterscheidungen in pädagogischen Semantiken der Differenz. Wiesbaden: Springer VS 2013.
Anke B. Liegmann (Essen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Anke B. Liegmann: Rezension von: McElvany, Nele / Bos, Wilfried / Holtappels, Heinz Günter / Hasselhorn, Johannes / Ohle-Peters, Annika (Hg.): Bedingungen erfolgreicher Bildungsverläufe in gesellschaftlicher Heterogenität, Interdisziplinäre Forschungsbefunde und Perspektiven für Theorie und Praxis. Münster: Waxmann 2018. In: EWR 18 (2019), Nr. 4 (Veröffentlicht am 20.11.2019), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383093778.html