Der Ruf nach „besseren“ Lehrerinnen und Lehrern ist fester und wiederkehrender Bestandteil schulpolitischer Debatten. Das scheint ganz konform zu der medial in den vergangenen Jahren viel diskutierten Hattie-Studie, die im Kern betont, dass es für den Lernerfolg auf die Lehrerin bzw. den Lehrer ankommt.
Martin Drahmann widmet sich in seiner Studie einer Gruppe, von der man hoffen könnte, dass sie diese herbeigesehnten „besseren“ Lehrerinnen und Lehrer werden: Lehramtsstudierenden in Begabtenförderungswerken. In dieser Gruppe laufen zwei entgegen gerichtete Zuschreibungen auf interessante Art und Weise zusammen. Das Prestige des Lehramtsstudiums rangiert eher in der unteren Hälfte, der Stipendiatenstatus in einem Begabtenförderwerk dagegen hebt diese Studierenden positiv ab von der Mehrheit der Studierenden. Knapp zusammengefasst möchte die Arbeit herausfinden, wer die Lehramtsstudierenden in den Förderwerken sind (soziodemografische Charakteristika), wie sie in die Förderung einer Stiftung kamen und welchen Nutzen sie daraus ziehen.
Das auf seiner Dissertation beruhende Buch gliedert sich klassisch in einen umfangreichen Forschungsstand (ca. 130 S.), eine Methodenbeschreibung und eine anschließende ausführliche Darstellung und Diskussion der Ergebnisse (ca. 120 S.). Im Forschungsstand nähert sich Drahmann dem Gegenstand von drei Seiten. Er gibt eine materialreiche und informative Einführung in Geschichte, Anspruch und Funktion der Begabtenförderwerke, beschreibt lehramtsspezifische Förderprogramme und die dazu existierende Forschung und fasst schlussendlich den Stand des Wissens über Lehramtsstudierende im Allgemeinen zusammen. All dies geschieht dicht an den einschlägigen Quellen und sehr detailliert. Für die interessierte Leserschaft ist allein schon dieser Teil lohnenswerte Lektüre.
Im Methodenteil wird sichtbar, dass es sich um eine quantitative Onlinebefragung von Stipendiatinnen und Stipendiaten aus sechs Begabtenförderwerken handelt (Ev. Studienwerk Villigst, Heinrich-Böll-Stiftung, Konrad-Adenauer-Stiftung, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Stiftung der Deutschen Wirtschaft, Studienstiftung des deutschen Volkes). Das Design ist aufwendig, als Vergleichsgruppen dienen zum einen Stipendiatinnen und Stipendiaten anderer Studiengänge und zum anderen Lehramtsstudierende ohne Stipendium. Letztere wurden per Paper & Pencil an den Universtäten Köln, Münster und Siegen befragt. Insgesamt liegen Daten von 1649 Befragten vor. Der umfangreiche Fragebogen (der im konkreten Wortlaut nicht verfügbar ist) erhob neben den soziodemografischen Merkmalen, Studien- und Berufswahlmotive, berufsbezogene Motive und Überzeugungen, die Lern- und Leistungsmotivation, die Nutzung und Bewertung der ideellen Förderung (im Kontrast zur materiellen Förderung) sowie Angaben zum Selbstbild. Etwas falsche Erwartungen könnten die Passagen wecken, die von einer Kombination quantitativer und qualitativer Verfahren sprechen. Der „qualitative“ Teil der Studie beschränkt sich auf einige offene Fragen im Fragebogen, bei denen die Antworten inhaltsanalytisch kodiert und kategorisiert wurden, um sie dann einer konsequent quantitativen Analyse zu unterziehen. Allein schon die sehr ausführliche quantitative orientierte Diskussion der Gütekriterien für derartiges Kodieren verdeutlicht, dass genuin qualitative Forschungslogik hier außen vor bleibt. Man muss es dem Autor zu Gute halten, dass er nicht verschweigt, dass die Interkoderreliabilität am Ende deutlich unter den Erwartungen blieb. Nichtsdestotrotz wäre eine ähnlich kritische Diskussion der Güte auch bei einigen der quantitativen Fragen denkbar, zum Beispiel bei der Frage nach dem subjektiv vermuteten Grund für die Aufnahme in das Förderwerk. Dies tut der Arbeit als Ganzes aber keinerlei Abbruch, solange man sie als fundierte quantitative Erhebung liest. Deren Durchführung und Methodik sind in jedem Fall transparent beschrieben. Die gelegentlich längeren grundlegenden Ausführungen zu bestimmten Forschungsmethoden oder Auswertungsverfahren sind im Kontext einer Dissertation nicht unüblich und kommen Leserinnen und Lesern aus anderen Fachgebieten sicher entgegen.
Im Mittelpunkt der Ergebnisdarstellung steht der Vergleich der drei Studierendengruppen. Wiederkehrender Gegenstand der Diskussion ist die Frage, inwieweit und hinsichtlich welcher Merkmale oder Skalen sich die Lehramtsstudierenden in den Begabtenförderwerken von den Studierenden anderer Fächer in den Förderwerken und von den Lehramtsstudierenden außerhalb der Förderwerke unterscheiden. An dieser Stelle kann weder auf die 14 Hypothesen noch auf jeden einzelnen Bereich der Auswertung separat eingegangen werden. Nach sorgfältiger Lektüre der zahlreichen Tabellen und der ausführlichen Texte zur Beschreibung der Inhalte der Tabellen ergibt sich grob vereinfacht folgendes Bild: Die Lehramtsstudierenden in den Begabtenförderwerken unterscheiden sich nur geringfügig (wenn überhaupt) von den anderen Stipendiatinnen und Stipendiaten in den Förderwerken. Aber sie unterscheiden sich in zahlreichen Punkten deutlich von den Lehramtsstudierenden außerhalb der Förderwerke. Die geförderten Lehramtsstudierenden haben bessere Abiturnoten, ihre Eltern höhere Bildungsabschlüsse und Berufspositionen, sie weisen mehr soziales Engagement auf, haben eine stärkere Wissenschaftsorientierung und höhere Lern- und Leistungsmotivation als ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen außerhalb der Förderwerke. Überraschend ist dies nicht, denn diese Eigenschaften spielen eine zentrale Rolle in den Auswahlverfahren der Stiftungen.
Eine interessante Wendung bekommen diese Ergebnisse dadurch, dass die Berufswahlsicherheit bei den geförderten Lehramtsstudierenden sichtbar niedriger ist, als bei den Lehramtsstudierenden außerhalb der Förderwerke. Der Befund ist nicht überraschend, liegt es doch nahe, dass gerade die Studierenden mit sehr guten Leistungen und hoher Wissenschaftsorientierung auch eher andere Karrierewege (z.B. akademische Laufbahn) in Erwägung ziehen. Aber damit stellt sich die Frage, welcher Art die Beziehung zwischen der Förderung und der möglichen späteren beruflichen Praxis ausfällt (291f). Den Nutzen ideeller Förderung von Lehramtsstudierenden sieht Drahmann damit aber nicht in Frage gestellt, denn zum einen gibt es keinen Grund diesen Studienbereich von der Fördermöglichkeit auszuklammern und zum anderen braucht die Forderung nach „besseren“ Lehrkräften auch einschlägige Angebote. Die ideelle Förderung vielversprechender Studierender erscheint an dieser Stelle als ein möglicher Weg (293).
Lesenswert ist die Studie neben den Akteuren in der Begabtenförderung für mindestens zwei weitere Zielgruppen. Zum einen für diejenigen, die sich professionell mit Lehrerbildung beschäftigen. Sie bekommen insbesondere durch das Vergleichsgruppendesign einen Einblick in Charakteristika, Profil und Motivlagen der Lehramtsstudierenden. Zum anderen ist das Buch eine Fundgrube für diejenigen, die sich für die Geschichte und Funktion der deutschen Begabtenförderwerke interessieren. An dieser Stelle hat Drahmann quasi nebenbei einen aktuellen und systematischen Gesamtüberblick vorgelegt, der nicht übersehen werden sollte.
EWR 17 (2018), Nr. 2 (März/April)
Lehramtsstudierende in Begabtenförderungswerken
Motivation, Überzeugungen und Bewertung der Förderung
Münster/ New York/ München/ Berlin: Waxmann 2017
(340 S.; ISBN 978-3-8309-3615-2; 44,90 EUR)
Thomas Spiegler (Möckern-Friedensau)
Zur Zitierweise der Rezension:
Thomas Spiegler: Rezension von: Drahmann, Martin: Lehramtsstudierende in Begabtenförderungswerken, Motivation, Ãœberzeugungen und Bewertung der Förderung. Münster/ New York/ München/ Berlin: Waxmann 2017. In: EWR 17 (2018), Nr. 2 (Veröffentlicht am 09.05.2018), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383093615.html
Thomas Spiegler: Rezension von: Drahmann, Martin: Lehramtsstudierende in Begabtenförderungswerken, Motivation, Ãœberzeugungen und Bewertung der Förderung. Münster/ New York/ München/ Berlin: Waxmann 2017. In: EWR 17 (2018), Nr. 2 (Veröffentlicht am 09.05.2018), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383093615.html