Das berufliche Handeln von Lehrerinnen und Lehrern ist komplex. Unter anderem wird von ihnen verlangt, dass sie instruieren, diagnostizieren, mit Heterogenität umgehen und insgesamt Klassen führen. Neben der Aneignung solcher hierfür notwendigen Kompetenzen stehen angehende Lehrerinnen und Lehrer vor der Aufgabe, sich als eigene Lehrperson zu definieren. Insbesondere in den Praxisphasen erhalten sie hierfür die Möglichkeit, ihr eigenes Handeln zu reflektieren und die Fülle der Aufgaben des Berufs vor dem Hintergrund des Lehrerinnen- und Lehrerwerdens kennen zu lernen. Um die damit verbundenen Reflexionsprozesse zu unterstützen, wurden in den letzten Jahren, basierend auf den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz für die erste Phase der Lehrerausbildung, vermehrt Portfolios in den Praxisphasen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung eingesetzt. Der vorliegende Sammelband bietet einen breitgefächerten Einblick bezüglich dieses Einsatzes von Portfolios in den Praxisphasen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung.
In 19 Beiträgen skizziert der Herausgeberband von Maria Boos, Astrid Krämer und Meike Kricke vorläufige Erkenntnisse und Erfahrungen zum Einsatz von Portfolios in den Praxisphasen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung und ist dabei in fünf Teilabschnitte gegliedert. Der Band entstand als Reaktion auf den seit 2009 im nordrhein-westfälischen Lehrerausbildungsgesetz verankerten Ausbildungsbaustein „Portfolio Praxiselemente“. Der überwiegende Anteil der Beiträge basiert auf Portfoliokonzepten, die vor diesem Hintergrund umgesetzt wurden.
Im ersten Teilabschnitt – einer Art Einleitung – führt Edwin Stiller in das „Portfolio Praxiselemente“ ein. Beiträge zu empirischen Befunden im Hinblick auf die Reaktion und die Reflexionsfähigkeit von Studierenden schließen sich im zweiten Teilabschnitt an. Im dritten Großkapitel wird der Frage nachgegangen, wie Beratung und Begleitung in der Portfolioarbeit jeweils umgesetzt werden kann. Der vierte Teilabschnitt thematisiert konkrete Umsetzungsmöglichkeiten innerhalb der praktischen Lehrerinnen- und Lehrerbildung, sowohl in der ersten als auch in der zweiten Phase. Im abschließenden fünften Teilabschnitt schildern zwei angehende Lehrer ihre Erfahrungen mit dem Portfolio.
Der zweite Teilabschnitt erweckt zunächst den Eindruck, dass die Forschungslage zum Einsatz von Portfolios in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung kaum existent ist. So zeigen Florian Hofmann et al. in ihrem Beitrag zur aktuellen empirischen Befundlage, dass mehr Fragen als vorläufige Erkenntnisse zum Einsatz von Portfolios in den Praxisphasen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung vorliegen. Lediglich acht empirische Artikel erfüllen für die Autoren die Mindestkriterien für empirische Studien in der Portfolioarbeit. Die Autoren bemerken, dass die meisten dieser Studien eine geringe Aussagekraft haben, da sich diese auf die Erfassung der Akzeptanz und Motivation mit Bezug zum Einsatz von Portfolios fokussieren. Insbesondere wird in dem Beitrag deutlich, dass kaum hypothesengeleitete, (quasi-) experimentelle Studien in der Forschung zur Portfolioarbeit in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung vorliegen. Zudem ist die Reflexion als Hauptanliegen der Portfolioforschung meist nicht Gegenstand der Studien. Demgegenüber wird im darauffolgenden Beitrag von Nicole Valdorf, Agnieszka Werfel und Lilian Streblow der Nutzen und die Wirksamkeit des Portfolios im Rahmen einer Längsschnittstudie erfasst. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Studierenden eine eher skeptische Haltung gegenüber dem Nutzen und der Wirksamkeit des eingesetzten Portfolios einnehmen und das Portfolio zudem nur oberflächlich nutzen. Der Beitrag von Sebastian Barsch und Nina Glutsch thematisiert ein zentrales Ziel der Portfolioforschung, die Reflexionstiefe. Auf Grundlage des Modells von Hatton und Smith wurde von 792 Studierenden die Reflexionstiefe anhand der studentischen Portfolioeinlagen erfasst. Es zeigt sich, dass die meisten Studierenden nur eine geringe Reflexionstiefe erreichen und das Portfolio lediglich als beschreibendes Instrument nutzen. Insgesamt ist mit Blick auf den zweiten Teilabschnitt zur empirischen Befundlage der Portfolioforschung festzustellen, dass einerseits die Beforschung des Portfolios als didaktisches Instrument bislang kaum berücksichtigt wurde und andererseits hinsichtlich der bisher untersuchten Konzepte diese von den Studierenden eher mit großer Skepsis angenommen werden.
Im dritten Teilabschnitt zur Gestaltung von Reflexion und Beratung in der Portfolioarbeit thematisiert Fred Korthagen den Core-Reflection Ansatz. Dieser Ansatz ist im Gegensatz zum klassischen ALACT-Modell, der zyklisch angelegt ist, ein Schichtenmodell. Angehende Lehrpersonen sollen durch den Ansatz angeregt werden, mit jeder Schicht tiefer über sich als Lehrperson zu reflektieren. Herauszustellen ist am Core-Reflection Ansatz die Orientierung an den eigenen Stärken der Person. Mit dem Core-Reflection Ansatz scheint ein Modell vorzuliegen, welches das Potential bietet, die Reflexionstiefe von angehenden Lehrpersonen stärker zu fördern als es momentan der Fall ist. Ein weiteres Modell zur Förderung von Reflexion durch Beratung stellen Myrle Dziak-Mahler, Donald Hemker und Julia Schwarzer-Wild vor. In ihrem Beitrag beschreiben sie einen coachingbasierten Ansatz mit dem Namen ZESS (Zukunft, Entscheidungen, Stress- und Selbstmanagement), der begleitend zur Portfolioarbeit umgesetzt werden kann. Sie sprechen damit den starken Wunsch von angehenden Lehrpersonen zur persönlichen Begleitung in der Portfolioarbeit an, welcher im Beitrag von Valdorf et al. im vorherigen Teilabschnitt aufgezeigt wurde. Besonders gelungen erscheint dieser Ansatz, da er gegensätzlich zum oftmals erfahrenen Systemdruck von Studierenden wirkt: Das Coaching ist nicht verpflichtend, aber zugleich berichten die teilnehmenden Studierenden über den persönlichen Mehrwert des Ansatzes.
Im vierten Beitrag stellt Claudia Priebe das reflexive Schreiben als zentrale Tätigkeit der Reflexion in den Vordergrund. Reflexives Schreiben stellt angehende Lehramtsstudierende häufig vor Schwierigkeiten. Priebe befürwortet daher eine Schreibarbeit in Seminaren, die den Schreibprozess anhand isolierter Schreibimpulse fördert. Der fünfte Beitrag stellt den Einsatz von E-Portfolios für Promovierende vor und weicht damit thematisch von den vorherigen Beiträgen dieses Teilabschnittes ab. Gaby Schwager-Büschges und Diandra Dachtera stellen ein Konzept zur Umsetzung eines Präsentationsportfolios in der Lernplattform Ilias vor. Die Erstellung eines Präsentationsportfolios erscheint als interessante Idee, allerdings ist anzuzweifeln, ob „Vertrauen und Sicherheit im Arbeitsumfeld“ (116) hierdurch erzeugt werden kann. In der Rückschau auf diesen Teilabschnitt zeigen sowohl der Beitrag von Korthagen als auch der Beitrag von Dziak-Mahler et al. jeweils einen interessanten wie auch im Diskurs möglicherweise weiterführenden Ansatz, Reflexion und Beratung in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung zu fördern.
Wie Portfolios konkret in der ersten und zweiten Ausbildungsphase von Lehrerpersonen eingesetzt werden können, wird im vierten Teilabschnitt anhand von neun Beiträgen thematisiert. Aufgrund ihres Innovationspotenzials mit Blick auf die Portfolioarbeit werden im Folgenden einige Beiträge aus dem Großkapitel hervorgehoben. Meike Kricke stellt in ihrem Beitrag heraus, dass sich besonders Fragen der Inklusion als Reflexionsgrundlage in der Portfolioarbeit eignen. Insbesondere vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen im Schulkontext erscheint die Frage, wie Inklusion in der Schulpraxis gelingen kann, von Bedeutung. Mittels internationaler Dialogteams wurden über E-Portfolios Fragen im Kontext von Inklusion diskutiert, sodass ein mehrperspektivscher Austausch ermöglicht wurde. Durch die Nutzung von E-Portfolios für den Austausch wurden deren Potenziale weiter ausgeschöpft, da diese Form des Portfolios sonst häufig nur als Ablageort für Portfolioeinlagen verwendet wird. Einen anderen Weg zeigen Eija Liisa Sokka-Meaney und Minna Haring in ihrer Darstellung eines Portfoliokonzeptes aus Finnland auf. Sie verwenden ein reflexives Portfolio in allen Praxiselementen der Lehramtsausbildung. Die Besonderheit dieses Konzeptes ist die zeitintensive 4-stündige Einführung in das Portfolio für angehende Lehrpersonen mit dem Ziel, durch die Betonung des Sinns und der Wichtigkeit des Portfolios, die Akzeptanz für die Arbeit mit dem Portfolio bei den angehenden Lehrpersonen anzuregen. Die Autorinnen zeigen auf, dass im Umkehrschluss eine mangelnde Einführung durch die Studierenden kritisch für die weitere Arbeit mit dem Portfolio gesehen wird. Ein dritter hier hervorzuhebender Beitrag von Heinz Dorlöchter stellt heraus, wie Videographien des eigenen Lehrerhandelns zur Reflexion genutzt werden können. Angehende Lehrpersonen videographieren sich bei diesem Portfoliokonzept periodisch in Lehrsituationen und reflektieren das eigene Handeln vor dem Hintergrund dieser Videos. Exemplarisch anhand der drei ausführlicher skizzierten Beiträge, aber auch mit Blick auf die weiteren Beiträge im Teilabschnitt werden neue und möglicherweise auch zukunftsträchtige Ideen vorgestellt, die Einfluss auf die zukünftige Portfolioarbeit in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung haben können.
Im fünften Teilabschnitt schildern zwei angehende Lehrer ihre subjektiven Eindrücke zum Portfolio. Beide sprechen dem Portfolio jeweils ein großes Potential zu, aber nur unter der Bedingung, dass der Einsatz auch sinnvoll in das Lehramtsstudium eingebunden ist. Ansonsten läuft aus ihrer Sicht das Portfolio Gefahr, nicht die volle Wirkung zu erzielen. Wenngleich Jonathan Rothgenger vor der Gefahr warnt, dass das Portfolio aus Sicht der Studierenden als ein notwendiges Übel der täglichen Studienaufgaben wahrgenommen werden kann, so sieht er eine gute Chance der wirksamen Etablierung, wenn das Portfolio stärker beratend begleitet und in den Seminaren fest verankert wird.
Insgesamt gibt der Herausgeberband einen breiten Ein- und Überblick zur Umsetzung des Portfolios in den Praxisphasen der Lehramtsausbildung sowie zu den damit einhergehenden Potenzialen und Herausforderungen. Ein Desiderat stellt weiterhin die kaum existente empirische Erforschung der Portfolioarbeit dar, sodass kaum empirisch abgesicherte Aussagen über die Wirkung, die Potenziale und Risiken vorhandener wie auch neuer, innovativer Portfolio- und Reflexionskonzepte vorliegen. Wenngleich der Band die Forschungslücke nicht zu füllen vermag, eröffnet er einen breiten Einblick in konzeptionelle Umsetzungsmöglichkeiten des Portfolios in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung, auf deren Grundlage, die Möglichkeiten des Portfolios weiter beforscht werden können.
EWR 17 (2018), Nr. 2 (März/April)
Portfolios phasenübergreifend gestalten
Konzepte, Ideen und Anregungen aus der LehrerInnenbildung
Münster: Waxmann 2016
(248 S.; ISBN 978-3-8309-3427-1; 24,90 EUR)
Christian Burkhart (Freiburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Christian Burkhart: Rezension von: Boos, Maria / Krämer, Astrid / Kricke, Meike (Hg.): Portfolios phasenübergreifend gestalten. Konzepte, Ideen und Anregungen aus der LehrerInnenbildung. Münster: Waxmann 2016. In: EWR 17 (2018), Nr. 2 (Veröffentlicht am 09.05.2018), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383093427.html
Christian Burkhart: Rezension von: Boos, Maria / Krämer, Astrid / Kricke, Meike (Hg.): Portfolios phasenübergreifend gestalten. Konzepte, Ideen und Anregungen aus der LehrerInnenbildung. Münster: Waxmann 2016. In: EWR 17 (2018), Nr. 2 (Veröffentlicht am 09.05.2018), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383093427.html