
Im ersten, fächerübergreifenden Teil werden essentielle Grundfragen und Grundlagen einer zu entwickelnden inklusiven Didaktik bearbeitet bzw. zusammengetragen. So setzen sich zum Beispiel Kersten Reich und Bettina Amrhein mit zentralen Prinzipien einer noch zu entwickelnden inklusiven Didaktik auseinander und Kerstin Ziemen analysiert „didaktische Konzepte und Ideen, die bislang weniger prominent die didaktische Landschaft mitbestimmen“ (48), aber die Teilhabe aller Kinder und Jugendlichen in Schule unterstützen bzw. sichern sollen. Neben einer soziologisch fundierten Auseinandersetzung mit dem Inklusionsbegriff – von Franziska Herrmanns – werden aber u. a. auch Einblicke in universitär unterstützte und begleitete phasenübergreifende Professionalisierungsprozesse zur Umsetzung schulischer Inklusion im Kontext von Schulentwicklungsprozessen und Schulbegleitforschungen gegeben (Andreas Köpfer & Ursula Böing).
Im zweiten Teil werden fachspezifische Aspekte inklusiver Didaktik sowohl für den Bereich der Primarstufe als auch für den Bereich der Sekundarstufe diskutiert und dargestellt. Da die Beiträge überwiegend von Autor_innen stammen, die an der Universität zu Köln tätig sind, beziehen sich schulpraktische Konkretisierungen der Beiträge des fachspezifischen Teils auf das Land Nordrhein-Westfalen und die entsprechenden (z.B. schulrechtlichen) Rahmenbedingungen.
Die Ausführungen im fachspezifischen Teil bleiben mitunter auf einer sehr allgemeinen bzw. über die im fächerübergreifenden Teil zugrunde gelegten Prinzipien wenig hinausgehenden respektive diese nur in Teilen konkretisierenden Ebene. Teilweise sind die Ausführungen in den Beiträgen des fachspezifischen Teils zudem nicht konsistent zu den Beiträgen des ersten, fächerübergreifenden Teils. Dies spiegelt jedoch den Status quo inklusionsbezogener fachdidaktischer Entwicklungen in den verschiedenen Fächern durchaus wider. Fraglich ist dennoch hiervon ausgehend, warum der Sachunterricht als zentrales und fächerintegrierendes Grundschulfach jedoch im vorliegenden Werk nicht repräsentiert ist, obgleich die fachdidaktischen Diskussionen um Inklusion hier im Vergleich zu anderen Grundschulfächern verhältnismäßig weit sind. [1]
Der vorliegende Band stellt erste, allerdings nicht unbedingt neue Annäherungen an eine inklusive Didaktik zusammen. Der Anspruch, Annäherungen an inklusive Fachdidaktiken zu liefern, gelingt nicht umfassend bzw. nur punktuell in vagen Zügen und wird oft auf methodische Fragen verkürzt, wobei es mitunter an grundlegenden bildungstheoretischen Überlegungen mangelt. Während im fächerübergreifenden Teil insgesamt bekannte, grundlegende Prinzipien einer inklusiven Didaktik zusammengetragen werden, wird im fachspezifischen Teil des Bandes das „kleine Einmaleins guten integrativen und inklusiven Unterrichts“ (z. B. Vielfalt anerkennen, individuelle Lernwege, selbstbestimmtes und kooperatives Lernen ermöglichen, innere Differenzierung, Kooperation und Team-Teaching etc.) auf die verschiedenen Disziplinen zu wenden versucht. Die Konkretisierungen der jeweiligen Beiträge liefern dabei keine neuen Erkenntnisse. Zum Teil wird der in der Einleitung des Bandes erhobene Anspruch, sich auf Inklusion „in einem weiten Sinne“ (8) zu beziehen von den Beiträgen deutlich verfehlt bzw. nicht konsequent eingehalten. Auch fehlen insgesamt detaillierte Auseinandersetzungen mit Fragen grundlegender Veränderungen von Unterricht und Schule, wie exemplarisch die Frage nach der Partizipation von Lernenden bei didaktischen Fragen, die im fächerübergreifenden Teil zumindest angedeutet wird. Somit entsteht der Eindruck, dass einem Großteil (zumindest der fachspezifischen Beiträge) teilweise kein grundlegend verändertes Verständnis von Schule und Unterricht zugrunde liegt. Vielmehr fällt im Widerspruch zum Titel eine Verengung auf sonderpädagogische Fragestellungen auf. Problematisch erscheinen diese Tendenzen, da sie von den Herausgeberinnen trotz bzw. gerade wegen der an den Band gestellten Ansprüche nicht kritisch reflektiert werden.
Gleichwohl werden detaillierte Einblicke in eine sich verändernde Ausbildungspraxis gegeben, und es wird die Suche nach dem Wesen inklusiver Didaktik in den verschiedenen Fächern gegeben. Der Band zeigt letztlich zweierlei Dinge deutlich: Erstens, dass erste Schritte in Richtung einer inklusiven (Fach-)Didaktik in den letzten Jahren bereits gegangen worden sind, aber teilweise unstrukturiert verlaufen. Und zweitens: Nach wie vor bedarf es dringend der Diskussionen und gehaltvollen Anregungen für allgemeine und fachspezifische Konzepte einer inklusiven Didaktik.
[1] Pech, D. / Schomaker, C.: Inklusion und Sachunterrichtsdidaktik. Stand und Perspektiven. In: Ackermann, K.-E. / Musenberg, O. / Riegert, J. (Hrsg.): Geistigbehindertenpädagogik!? Disziplin – Profession – Inklusion. Oberhausen: Athena, 2013, 341–359.