EWR 17 (2018), Nr. 2 (März/April)

Andrea Daase / Udo Ohm / Martin Mertens (Hrsg.)
Interkulturelle und sprachliche Bildung im mehrsprachigen Ãœbergang Schule-Beruf
Münster / New York: Waxmann 2017
(310 S.; ISBN 978-3-8309-2701-3; 34,90 EUR)
Interkulturelle und sprachliche Bildung im mehrsprachigen Übergang Schule-Beruf Der Übergang von der Schule ins Erwerbsleben ist in den letzten Jahrzehnten in vielen europäischen Ländern schwieriger geworden und er erfährt auch aufgrund der aktuell hohen Zahl von Flüchtlingen, die sich häufig in dieser Übergangsphase befinden, in Deutschland vermehrt Aufmerksamkeit.
Der von Andrea Daase, Udo Ohm und Martin Mertens herausgegebene Band zielt darauf ab, das Handlungs- und Forschungsfeld „Übergang Schule-Beruf“ in den Blick zu nehmen, zu erschließen und Professionalisierungsbedarfe für den Übergang Schule-Beruf herauszuarbeiten. Er ist das Ergebnis einer interdisziplinären Tagung von ExpertInnen aus der Berufspädagogik, den Bildungswissenschaften, dem Fach Deutsch als Zweitsprache, der Erziehungswissenschaft, der Linguistik und der Sozialpädagogik.

In der Einleitung machen die HerausgeberInnen deutlich, dass Aspekte der Heterogenität wie Herkunftssprachen und –kulturen und Deutsch als Zweitsprache zwar zunehmend die Beachtung der ForscherInnen finden, aber diese Beachtung sich meist auf den Schulbereich und nicht auf den Übergang Schule-Beruf bezieht, obwohl gerade in dieser Phase sprachliche und interkulturelle Aspekte eine herausragende Rolle spielen. Sie machen deutlich, dass es hier als Vorbereitung auf konkrete Maßnahmenplanungen zunächst einer Klärung grundlegender Fragen bedarf, z.B. mit welchen in sprachlicher Heterogenität begründeten Herausforderungen es pädagogische Fachkräfte im Übergang Schule-Beruf überhaupt zu tun haben, ob und wie sie diese wahrnehmen und beschreiben, aus welchen Gründen bisher nur eine punktuelle Unterstützung der Lehrkräfte erfolgt und was aus diesen Erkenntnissen für die pädagogische Praxis abgeleitet werden kann. Dementsprechend thematisiert der Band den Professionalisierungsbedarf bei den AkteurInnen, die Mehrsprachigkeit, die Sprachbildung und sprachlichen Anforderungen sowie die interkulturelle Bildung mit dem Ziel, die Phänomene und Zusammenhänge aufzudecken und so eine kritisch-reflexive Analyse des pädagogischen Alltags zu ermöglichen.


Auf die Einleitung folgen vier Kapitel mit jeweils mehreren Beiträgen: Professionalisierungsbedarfe, Mehrsprachigkeit, Sprachliche Bildung, Interkulturelle Bildung.

Arnulf Bojanowski eröffnet das Kapitel „Professionalisierungsbedarfe“ und erläutert die Begrifflichkeit des „Übergangssystems“, das in den letzten 25 Jahren geschaffen wurde um den nach wie vor unübersichtlichen zahlreichen ausbildungs- und berufsvorbereitenden Maßnahmen einen Oberbegriff zu geben. Er erklärt die Gründe für das Anwachsen dieses Übergangsbereichs und stellt einen Handlungs- und Gestaltungsbedarf fest, da einige Jugendliche immer noch komplett „vom Beschäftigungssystem abgekoppelt“ (30) seien. Er fordert daher Aktivität von Politik und Bildungswissenschaften, die sich fünf zentralen fachlichen Entwicklungspunkten widmen sollten. Bei seiner Argumentation nimmt er häufig eine international vergleichende und auch eine historische Perspektive auf Programme, die „Arbeiten und Lernen“ klug miteinander verknüpfen, ein.

Cortina Gentner, Jörg Meier und Martin Mertens widmen sich in ihrem Beitrag dem spezifischen Idealbild und den Anforderungen an ProduktionsschulpädagogInnen, für die bis dato kein klares berufliches Leitbild existiert. Daraus leiten sie einen Aus- und Weiterbildungsbedarf ab, der besonders das informell im Arbeitsprozess erworbene Erfahrungswissen aktivieren und professionalisieren soll. Bei einer bereits durchgeführten Fort- und Weiterbildung, die sie in ihrem Beitrag darstellen, wurde die Frage der Mehrsprachigkeit und Sprachbildung bisher nicht berücksichtigt. Die AutorInnen sehen hier die Notwendigkeit, umzudenken, und davon wegzukommen „den Teilnehmenden [beruflicher Ausbildungs- und Qualifizierungsprogramme] allein die Bewältigung des „Sprachproblems“ aufzubürden“ (47), da dies erfolgreiche Partizipation verhindere.
Sie stellen dann die Möglichkeiten der Sprachbildung im Übergangs Schule-Beruf, diese Lücke zu schließen, dar. Der Beitrag endet mit der Aufstellung von fünf Anforderungsdimensionen für eine erfolgreiche Professionalisierung.

Der oft gestellten Frage „Soll ich jetzt auch noch Deutschlehrkaft sein?“ widmet sich Nicole Kimmelmann in ihrem Beitrag und stellt fest, dass gerade die Produktionsschulen besondere Möglichkeiten der handlungsorientierten Sprachbildung bieten. Um das Personal für einen sensiblen Umgang mit sprachlicher Vielfalt zu qualifizieren, arbeitet sie hierfür sieben relevante Themenbereiche heraus, wie beispielsweise „Sensibilisierung für den Zusammenhang von Sprache und beruflichem Lernen am Übergang Schule-Beruf“, „Sinnvoller Umgang mit Fehlern der Lernenden“ oder „Einbezug und Förderung der Mehrsprachigkeit der Lernenden“. Im Anschluss benennt sie die innerhalb jedes Themenbereichs zu erwerbende Kompetenzen in Form von Kenntnissen, Fertigkeiten und Einstellungen.
Ihr Beitrag schließt mit der Darstellung eines erprobten Praxisprojekts, das sich an den o.g. Überlegungen orientiert, ab. Auch sie stellt wie Gentner, Meier und Mertens fest, dass bei einer solchen Professionalisierungsmaßnahme viel bereits vorhandenes Erfahrungswissen aktiviert und systematisiert wird, um die LehrerInnen für die sprachlichen Herausforderungen der LernerInnen zu sensibilisieren.

Im zweiten Kapitel „Mehrsprachigkeit“ geht es in die pädagogische Praxis. Irene Cennamo widmet sich dem Thema Mehrfachzugehörigkeiten. Mit einem Blick in das Bildungssystem in Südtirol geht sie in ihrer empirisch-qualitativen Explorationsstudie der Frage nach, wie lebensweltliche Vielfalt mit einem Sprachlehrsystem, welches auf „monolingualen Normalitätsvorstellungen“ (81) und einer bestimmten Zielkultur basiert, in Konflikt geraten kann und welche Auswirkungen dieses System auf die Lebenswege und Haltungen von mehrfachzugehörigen Jugendlichen haben kann. Sie widmet sich in ihrer Forschung den emotionalen und sozialen Bindungen beim Spracherwerb und plädiert für eine Dekonstruktion einer homogenen Normalitätsvorstellung aufseiten des Bildungssystems. Cennamo schließt ihren Beitrag ab mit Vorschlägen für vielfältiges, mehrsprachiges und zielgruppengerechtes Lernen mit dem Ziel, „als Individuum nicht gespalten zu werden und was wichtiger ist, sich nicht an einsprachige und eindeutige Identitätsentwürfe angleichen zu müssen.“ (104)

Andrea Daase widmet sich der individuellen Identitätsfindung der Jugendlichen, da sie neben der eigentlichen Aufgabe der Berufsorientierung und Ausbildungsvorbereitung auch hier die Aufgabe des Übergangsbereichs sieht. Die diversen Sprachen der Jugendlichen bieten hier Anknüpfungspunkte etwa in Form von Sprachenportraits, anhand derer „die heteroglossische Vielfalt der Einzelnen auch der jeweiligen Abteilung und der gesamten Institution bewusst und sichtbar“ (126) gemacht werden könne. Sie können dazu dienen, einen Austausch anzuregen und Zuschreibungen entgegenzuwirken. Gleichzeitig sind Sprachenportraits Einstieg in die Portfolioarbeit und ergänzen die oft monolingual ausgerichteten Materialien um eine Komponente der Anerkennung der Bedeutung sprachlicher Praktiken. So kann eine positive Einstellung der Jugendlichen gegenüber ihrer eigenen Sprachlichkeit erwirkt werden.
Der Frage, ob Mehrsprachigkeit eine zusätzliche positive Ressource der Jugendlichen im Übergangsbereich und bei der Stellensuche ist, widmen sich Anke Settelmeyer, Felix Bremser und Anna Christin Lewalder im letzten Beitrag des Kapitels.

Das Kapitel „Sprachliche Bildung“ eröffnen Katharina Baumann und Jens Siemon mit einem kritischen Blick auf die schriftsprachlichen Mindestanforderungen an Auszubildende. Sie zeigen auf, dass diese Mindestanforderungen oft irrelevant für die Erfüllung der Aufgaben und die Bewertung der Ausbildungsreife sind und zudem eine exkludierende Wirkung haben können. Im zweiten Beitrag widmet sich Christian Efing der Differenz zwischen der Bedeutung von sprachsystematischen Fähigkeiten in der Berufsschule und der Bedeutung von kommunikativen Fähigkeiten im Betrieb. Er stellt fest, dass die Gestaltung des Übergangs im sprachlich-kommunikativen Bereich aktuell tendenziell falsch verläuft und daher scheitert. Aus dieser Beobachtung leitet Efing anschließend das Konzept für einen ausbildungsorientierten Deutschunterricht in Verbindung mit einem sprachsensiblen Fachunterricht ab.
Julia Viering befasst sich anschließend mit den Stärken und Schwächen des Einsatzes der Sprachdiagnostik in der Produktionsschule. Udo Ohm stellt im Beitrag „Literater Sprachausbau im Übergang Schule-Beruf“ die Frage, ob eine höhere Relevanz der mündlich-kommunikativen Anforderungen in der Ausbildung tatsächlich gegeben ist. Einen Forschungsbedarf zur Konkretisierung von Sprachbildungskonzepten im Übergang Schule-Beruf macht Ariane Steuber in ihrem Beitrag aus.

Mit einem Beitrag zur Diversity-Kompetenz pädagogischer Fachkräfte in einer pluralen Gesellschaft eröffnet Isabel Sievers das letzte Kapitel und fragt, wie PädagogInnen im Übergangsbereich mit der sprachlichen, religiösen und sozialen Vielfalt der Jugendlichen umgehen und welche Einstellungen sie dazu haben. Anhand der Ergebnisse verschiedener empirischer Untersuchungen stellt Sievers bei PädagogInnen teilweise ablehnende bis skeptische Einstellungen gegenüber Vielfalt in der Schülerschaft fest. Der Umgang mit Vielfalt ist bisweilen kulturalisierend und problemzentriert. Auf Grundlage des diversitätssensiblen oder -bewussten Ansatzes gibt Sievers abschließend Praxisvorschläge zur notwendigen Qualifizierung von Lehrkräften, pädagogischen Fachkräften und AusbilderInnen für einen konstruktiven Umgang mit Diversität. Julia Scheiber und Antje Helbig schließen das Kapitel mit einem praxisorientierten Beitrag zur interkulturellen Öffnung in der Jugendberufshilfe ab. Als Anregung legen sie eine Liste von Fragen zur interkulturellen Praxis vor, die zur Auseinandersetzung mit den eigenen Haltungen einer Einrichtung und ggf. entsprechenden Professionalisierungsmaßnahmen anregen sollen.

Insgesamt bietet der Band nicht nur eine sehr gelungene Definition der vorhandenen Herausforderungen für Forschung und Bildungspolitik, sondern stellt mit seinem kritisch-reflexiven Blick in den pädagogischen Alltag den Professionalisierungsbedarf der Akteure im Übergang Schule-Beruf aus diversen Perspektiven gewinnbringend dar.
Thekla de Carvalho Rodrigues (Lüneburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Thekla de Carvalho Rodrigues: Rezension von: Daase, Andrea / Ohm, Udo / Mertens, Martin (Hg.): Interkulturelle und sprachliche Bildung im mehrsprachigen Ãœbergang Schule-Beruf. Münster / New York: Waxmann 2017. In: EWR 17 (2018), Nr. 2 (Veröffentlicht am 09.05.2018), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383092701.html