Die Förderung von Unternehmensgründungen entwickelte sich in den letzten Jahren zum Lieblingsthema von Staat, Hochschulen und Unternehmensverbänden selbst. Bildungsmaßnahmen zur Erweckung von unternehmerischem Denken und Handeln wurden bislang vorwiegend im universitären und hochschulischen Bereich eingesetzt und hier wiederum vor allem im Bereich Betriebswirtschaftslehre. Die bislang wenig differenziert und fundiert erforschte Thematik lebt derzeit primär von einzelnen praxisorientierten Initiativen.
„Die Berufsschule als Produktionsstätte von Unternehmen“ ist eine der wenigen Studien, die den Fokus zum einen auf ein Modell zur Erhebung von Gründungsabsichten als flächendeckende Bildungsmaßnahme legt und zum anderen die Berufsschule ins Zentrum rückt. Die Notwendigkeit einer Vermittlung unternehmerischen Denkens und Handelns im berufsbildenden Bereich sieht die Autorin insbesondere aufgrund zweier wirtschaftlicher Entwicklungen in Deutschland gegeben, nämlich die Verschiebung des Arbeitsvolumens hin zum Dienstleistungssektor sowie die Verringerung des Arbeitsvolumens selbst und die damit einhergehende vermehrte Arbeitslosigkeit. Sie zeigt diese gesamtwirtschaftliche Problemstellung am Beispiel des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern auf, das primär landwirtschaftlich und touristisch geprägt ist und eine hohe Arbeitslosigkeit aufweist. Gerade hier sei laut der Autorin zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation eine „wesentliche Aufgabe [...] in der Förderung von Unternehmensgründungen“ zu sehen (11f).
Genannten Entwicklungen mit einer entsprechenden Bildungsmaßnahme im Bereich Berufsbildung entgegenzuwirken, begründet Holtsch mit drei Annahmen: erstens, der Übergang von der Berufsausbildung in das Erwerbsleben ist dynamischer, aber gleichzeitig unsicherer geworden; zweitens die Hälfte aller Selbständigen in Deutschland verfügen über eine berufliche Ausbildung, die Selbstständigkeit ist also nicht nur Hochschulabsolventen vorbehalten und drittens, manche Jugendliche gehen nach der Berufsausbildung an eine Hochschule: Die Vorbereitung auf Selbstständigkeit sollte jedoch bereits vor dem Studium beginnen. Trotz ihrer Potentiale wird der Berufsausbildung in unternehmerischen Diskursen kaum Beachtung geschenkt. Begründet sei dies durch Gesetze und Leitbilder. In Bezug auf Mecklenburg-Vorpommern argumentiert die Autorin, dass die im Bundesland überwiegenden Dienstleistungsbereiche Handel und Tourismus in Hinblick auf eine Selbstständigkeit insbesondere für Jugendliche viele Chancen biete (15). Sie grenzt ihre Untersuchung aus diesem Grund auf die kaufmännische Ausbildung ein. Diese Einschränkung auf nur einen einzigen Ausbildungsbereich ist zu bedauern. Spannend wäre gewesen, zu erfahren, ob generell bei Jugendlichen in der dualen Ausbildung Gründungsabsichten bestehen.
Holtsch untersucht die Gründungsabsichten und unter welchen Bedingungen diese beeinflusst werden, anhand einer Befragung. Sie zieht zur Feststellung von unternehmerischer Intention Jugendlicher im dualen System zwei sozialpsychologische Intentionsmodelle (Ajzen, Shapero und Sokol) heran, die um einige Determinanten im Hinblick auf die Berufsschule erweitert werden. Die Autorin erfragt außer der Erwünschtheit, der Machbarkeit und der Einstellung zum Unternehmersein auch soziodemographische Merkmale (z.B. Geschlecht, Geburtsjahr, etc.) und Kontexte (z.B. Rollenbilder, etc.). Die Untersuchung wurde anhand standardisierter schriftlicher Fragebögen mit 1595 Jugendlichen vor Ort durchgeführt. Die Ergebnisse werden übersichtlich dargestellt und generell ist die Arbeit gut gegliedert und durchstrukturiert, was ermöglicht, die Untersuchung detailliert nachzuvollziehen.
Gemäß der Autorin ist es entscheidend, zuerst nach der Gründungs-Motivation und den entsprechenden Fähigkeiten und Kenntnissen der Jugendlichen zu fragen, bevor entsprechende Lern-Lehr-Arrangements konzipiert werden. Sie begründet diese Annahme mit der Möglichkeit einer gezielten Intervention. Allerdings stellt sich hier die berühmte Frage, ob das Huhn oder das Ei zuerst war: Die Gründungsabsichten von Jugendlichen in der Berufsbildung zu erfragen, nachdem sie in einem institutionellen Rahmen mit der Thematik in Berührung gebracht wurden und sich nicht mehr auf persönlich eingeholte Information stützen müssen, scheint auf den ersten Blick ebenso sinnvoll. Entsprechend obiger Überlegung fallen auch die deskriptiven Untersuchungsergebnisse aus. Unter anderem findet sie heraus, dass „die Einstellung zum Unternehmersein [...] für die Entwicklung von unternehmerischen Intentionen nicht bedeutsam [ist]“ und „die Berufsschule [...] keinen Einfluss auf die Ausbildung der unternehmerischen Intention der Berufsschüler [hat]“ (184).
Holtsch stellt fest, dass die Unentschlossenheit der Auszubildenden bezüglich unternehmerischen Intentionen ausgeprägt ist. Sie möchten sich ihre berufliche Zukunft offen halten und favorisieren die Selbstständigkeit nicht unbedingt. Diejenigen, die ein gründungswilliges Engagement vertreten, das sind gemäß ihrer Auswertung 29%, sind primär männlichen Geschlechts und eher älter. Die Autorin interpretiert die mehrheitliche Zurückhaltung positiv, indem sie hervorhebt, dass eine Gründung wohlüberlegt und reflektiv angegangen werden sollte. Dabei ignoriert sie die von Entrepreneurshipforschern vertretene Ansicht, dass die Zurückhaltung und Hemmung gegenüber Selbstständigkeit oftmals aus einer zu geringen Informiertheit bzw. Fehlinformiertheit heraus entsteht. Weiter stellt sie entgegen ihren eigenen Vorannahmen fest, dass Jugendliche, die zu Kaufleuten im Einzelhandel ausgebildet werden, keine stärkere unternehmerische Intention als andere in die Untersuchung eingebundene Auszubildende im kaufmännischen Bereich haben.
Nachdem in der Untersuchung bei der Determinante „Erwünschtheit“ festgehalten wird, dass vor allem die Peergroup Einfluss auf die Gründungsintention hat und „die Meinung von Lehrpersonen [...] weniger normativ wirk[t]“ (187), spiegeln die Untersuchungsergebnisse im konkreten Fall der Berufsschulen in Mecklenburg-Vorpommern jedoch vor allem wider, „wie die Berufsschullehrer als Multiplikatoren mit dem Thema Unternehmensgründung gegenüber Jugendlichen umgehen“ (190). Die Autorin schreibt die Tatsache, dass die Berufsschulen keine unternehmerische Selbstständigkeit vermitteln, an dieser Stelle nicht wie zu Anfang des Buches Leitbildern und Gesetzen zu. Vielmehr interpretiert sie nun, dass Negativbilder, die Unternehmern anhaften (z.B. geleistete Überstunden, kein gesellschaftliches Ansehen), dafür ausschlaggebend seien. Zusammenfassend lässt sich, so die Autorin, festhalten, dass „die Herausbildung der unternehmerischen Intention eher auf personenbezogene als auf Kontextmerkmale zurückgeführt werden kann“ (191).
Dieses Resultat verwundert nicht und in diesem Rahmen ist auch das methodische Vorgehen zu kritisieren: Eine rein auf Selbstauskünften beruhende Untersuchung mit Auszubildenden, die im schulischen Kontext primär durch Lehrpersonen „ohne entwickeltes Bewusstsein für Unternehmertätigkeit und überholter Praxiserfahrung“ (199) mit dieser Thematik in Berührung gebracht wurden, lässt keine anderen Ergebnisse erwarten.
Obwohl gemäß den Forschungsergebnissen die Berufsbildung für die unternehmerische Ausbildung „praktisch bedeutungslos“ (191) erscheint, bekräftigt die Autorin dennoch, dass die „Aufgabe der Wirtschaftspädagogik [...] in der Unternehmerausbildung“ (205) liege. Für eine praktische Umsetzung müssten massive Änderungen in der Schulorganisation- und Entwicklung sowie in der Lehrerbildung stattfinden. Betreffend die Lehr-Lerngestaltung schlägt Holtsch konkret vor, Aufklärungsarbeit in einem obligatorischen Lernfeld zu leisten, Vertiefungen in Wahlpflichtfächern anzubieten und Projektarbeit zu unterstützen.
Trotz einiger Widersprüchlichkeiten und unausgeschöpfter Potentiale ist diese Studie ein notwendiger Beitrag zur Vermittlung unternehmerischen Denkens und Handelns in der Berufsbildung. Bedauerlich ist es daher vor allem, dass eine Beschränkung auf den kaufmännischen Bereich vorliegt. Holtsch zeigt auf, dass das Thema „unternehmerische Selbstständigkeit“ zu wenig institutionalisiert ist und „Aussagen zu den potentiellen Einflussmöglichkeiten der Berufsschule auf die Gründungsabsichten [...] erst möglich [werden], wenn die Unternehmensgründung ein Teil des berufsschulischen Alltags geworden“ (191) und eine „Akzeptanz und Umsetzung des Themas [...] unter den Schulleitern und Lehrern“ (205) vorhanden ist. Wie die Autorin zusammenfasst: es wird die „Beantwortung weiterer Forschungsfragen notwendig“ sein (205).
EWR 9 (2010), Nr. 1 (Januar/Februar)
Die Berufsschule als Produktionsstätte von Unternehmen
Unternehmerische Intentionen Jugendlicher im dualen System
Internationale Hochschulschriften Bd. 506
Internationale Hochschulschriften Bd. 506
Münster: Waxmann 2008
(268 S.; ISBN 978-3-8309-1966-7; 24,90 EUR)
Désirée Anja Jäger (Zürich)
Zur Zitierweise der Rezension:
Désirée Anja Jäger: Rezension von: Holtsch, Doreen: Die Berufsschule als Produktionsstätte von Unternehmen, Unternehmerische Intentionen Jugendlicher im dualen System Internationale Hochschulschriften Bd. 506. Münster: Waxmann 2008. In: EWR 9 (2010), Nr. 1 (Veröffentlicht am 05.02.2010), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383091966.html
Désirée Anja Jäger: Rezension von: Holtsch, Doreen: Die Berufsschule als Produktionsstätte von Unternehmen, Unternehmerische Intentionen Jugendlicher im dualen System Internationale Hochschulschriften Bd. 506. Münster: Waxmann 2008. In: EWR 9 (2010), Nr. 1 (Veröffentlicht am 05.02.2010), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383091966.html