Umso wichtiger waren die Reaktionen der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die zwei Schwerpunktprogramme ins Leben gerufen haben, die sich auf die Steigerung der Effizienz des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts (BLK-SINUS) und auf die Verbesserung der Bildungsqualität von Schule (DFG-BIQUA) konzentrierten. Beide Programme können als Ausdruck einer sich abzeichnenden Veränderung der Aufmerksamkeit begriffen werden: Neben Strukturfragen und einer Diskussion um die Qualität von Einzelschulen erhielten endlich auch die Untersuchung von domänenspezifischen Instruktionsprozessen und die Analyse von schulischen Lernmilieus sowie deren Kontextuierung in Familie und Kommune die ihnen gebührende Beachtung. Das hier zu rezensierende Buch, herausgegeben von Manfred Prenzel und Lars Allolio-Näcke, stellt den Abschlussbericht des DFG-Schwerpunktprogramms „Bildungsqualität von Schule“ (BIQUA) dar, zu dem auch ein Zwischenbericht [1] sowie ein Beiheft der Zeitschrift für Pädagogik [2] vorliegen.
Was waren die inhaltlichen und forschungsstrategischen Zielsetzungen des DFG-Schwerpunktprogramms?
Das Programm untersucht, wie schulische und außerschulische Bedingungen die Entwicklung mathematischer, naturwissenschaftlicher sowie fächerübergreifender Kompetenzen beeinflussen. Es zielt auf theoretisch weiterführende Erkenntnisse sowie auf die Entwicklung neuer Forschungsmethoden ab. Es soll handlungs-relevantes Wissen für Akteure im Bildungsbereich bereitstellen. Schließlich werden eine Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und eine verstärkte Forschungskooperation zwischen den in der empirischen Bildungsforschung einschlägigen Disziplinen angestrebt.
Was ist das Anliegen des Bandes?
Der Band möchte einen Überblick über die Fragestellungen, die methodischen Herangehensweisen und die Befunde sowie handlungsrelevante Produkte und Erkenntnisse aus den einzelnen Projekten geben. Das Buch ist so aufgebaut, dass im Anschluss an ein einleitendes Kapitel der Herausgeber die am Programm beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über die wichtigsten Ergebnisse ihrer Arbeit berichten. Die Reihung der Beiträge orientiert sich an den projektübergreifenden Schnittstellen der Zusammenarbeit im Schwerpunktprogramm. Dies sind Projekte
- zu vertiefenden Analysen zu Large-Scale-Assessments,
- zur Unterrichtsverbesserung,
- zu fächerübergreifenden Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern,
- zu Kompetenzen von Lehrerinnen und Lehrern sowie
- zu schulischen und außerschulischen Kontextfaktoren.
Den meisten Beiträgen gelingt sehr gut die Herstellung einer Balance zwischen (a) einer umfassenden Darstellung der 6-jährigen Projektphase mit der Darstellung des Vorhabens und den realisierten Arbeitsschritten und (b) einer Vertiefung relevanter Ergebnisse aus der zweiten Projektphase. Gleichwohl treten Detailanalysen, wie man sie gewöhnlich in wissenschaftlichen Fachzeitschriften findet, notwendigerweise in den Hintergrund. Insofern liefern die Beiträge für den wissenschaftlich interessierten Leserkreis einen jeweils guten Ausgangspunkt, um sich anhand des Literaturverzeichnisses oder der in Aussicht gestellten Analysen fokussierteren Darstellungen vor allem in Fachzeitschriften zu widmen. Zu einem großen Teil haben die Projekte ihre Arbeiten bereits in nationalen und z.T. hochrangigen internationalen Zeitschriften publiziert oder zur Begutachtung eingereicht. Der vorliegende Band, der einen breiten Leserkreis ansprechen dürfte, macht neugierig auf weiterführende Publikationen aus den Projekten.
Vertiefende Analysen zu Large-Scale-Assessments
Die ersten vier Beiträge des Bandes stellen Projektberichte vertiefender Analysen zu Large-Scale-Assessments (LSA) dar. Die Projekte vereint der Gedanke, sich mit Fragestellungen und Datenerhebungen an LSA anzudocken, Entwicklungen für zukünftige LSA vorzubereiten oder aber Forschungsfragen zu vertiefen. So widmet sich das als Längsschnittstudie bei Schülern konzipierte PALMA-Projekt von Pekrun et al. gezielt der Entwicklung mathematischer Kompetenzen, Emotionen, Interessen sowie Lernverhaltensweisen bei Schülern von der 5. bis zur 10. Jahrgangsstufe. Im Unterschied zu bereits vorliegenden Längsschnittstudien erfassen und analysieren sie Emotionen in der direkten Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Aufgabentypen (Modellierungs- und Kalkülaufgaben). So zeigt sich, dass Modellierungsaufgaben in geringerem Maße mit negativen Emotionen einhergehen als Kalkülaufgaben.
Brunner et al. stellen Ergebnisse aus dem Projekt COACTIV vor, eine mit der deutschen Stichprobe bei PISA 2003 verbundene Studie bei Mathematiklehrkräften mit dem Ziel einer differenzierten Erfassung professioneller Lehrerkompetenzen. Ausgehend von einem Expertisemodell professioneller Lehrerkompetenz gelingt den Autoren die reliable Erfassung von Professionswissen – vor allem fachspezifisch –, und sie können fachdidaktisches und fachwissenschaftliches Wissen empirisch voneinander trennen. Fachspezifisches Professionswissen wie auch motivationale Orientierungen und selbstregulative Fähigkeiten der Lehrkräfte hängen mit ihrer Unterrichtsgestaltung zusammen. Die Befunde der Studie sind in vielfacher Hinsicht von hoher Relevanz sowohl für die Lehrerforschung als auch für die Diskussion um Lehrerprofessionalität und Fragen der Lehrerfortbildung. Inwieweit Lehrerkompetenzen einen nachweisbaren Effekt auf die Entwicklung von Schülerkompetenzen besitzen, wird im vorliegenden Beitrag noch nicht beantwortet.
Ehmke und Siegle docken eine Elternstudie bei PISA 2003 an und wenden sich einer in der Bildungsforschung bisher vernachlässigten Frage zu: Welche mathematischen Kompetenzen haben Eltern und in welchem Zusammenhang stehen diese mit dem lernrelevanten Unterstützungsverhalten sowie den Kompetenzen der Schüler? Die Studie ergibt einige interessante Befunde, wie z.B. dass die mathematischen Kompetenzen der Eltern jene ihrer Kinder überschreiten und dass die Unterschiede zwischen Vätern und Müttern in der mathematikbezogenen Kompetenz weitaus größer sind als zwischen Jungen und Mädchen, was wahrscheinlich als eine Folge der im Verlauf des Erwachsenenalters fortschreitenden Kumulation von Interessendifferenzierung und Gelegenheitsstrukturen interpretiert werden kann. Es zeigt sich zudem, dass eine höhere mathematische Kompetenz der Eltern mit einem eher lernförderlichen Umfeld im Hinblick auf die Kompetenzentwicklung einhergeht. Offen bleibt die Frage, ob die Effekte auch noch bei Kontrolle domänen-übergreifender Merkmale des Elternhauses erhalten bleiben.
Der Beitrag von Seidel et al. fasst die Ergebnisse der IPN-Videostudie, einem Projekt zu Lehr-Lernprozessen im Physikunterricht zusammen. Eine Besonderheit der Studie ist darin zu sehen, dass sie sowohl als Forschungsprojekt als auch als Praxisprojekt im Sinne der Lehrerfortbildung begriffen werden kann. Auf der Forschungsseite zeichnet sich das Projekt dadurch aus, dass es Werkzeuge und Instrumente zur Analyse von Unterricht sowie Kodiersysteme entwickelt und die Wirkungen von Unterricht auf das Lernen analysiert. Auf der Praxisseite wurde eigens untersucht, wie Lehrkräfte lernrelevante Unterrichtsszenen identifizieren und analysieren. Die Autoren berichten über eine Erprobung der multimedialen Lernumgebung bei Lehrkräften und deren Evaluation.
Unterrichtsverbesserung
Die Beiträge zum Themenbereich Unterrichtsverbesserung stellen mit Ausnahme der deutsch-schweizerischen Videostudie von Klieme et al. allesamt experimentelle Studien in Kooperation zwischen pädagogischer Psychologie und Fachdidaktiken sowie partiell der Grundschulpädagogik dar. Hier scheint besonders die Studie von Möller et al. zur Förderung naturwissenschaftlichen Verständnisses in der Grundschule durch die Schaffung einer konstruktivistischen Lernumgebung den Zielsetzungen des Schwerpunktprogramms am nächsten zu kommen. Die experimentellen Studien zum Verstehen der Förderung naturwissenschaftlichen Verständnisses werden gezielt erweitert um eine kontrollierte Interventionsstudie bei Lehrern, was schließlich die Entwicklung und Veröffentlichung von Lehrmaterialien nach sich gezogen hat.
Synergien zeigen sich in der Verbindung zu dem Projekt von Sodian et al. zum Wissenschaftsverständnis bei Grundschülern. In drei klug aufeinander aufbauenden Interventionsstudien zeigen sie, dass wissenschafts-theoretisch orientierter Unterricht bereits bei Viertklässlern eine Vorstellung über die Rolle von Fragen, Ideen und Hypothesen im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess sowie Einsicht in die Logik des Experimentierens vermitteln kann.
Reiss et al. wechseln die Domäne und beschäftigen sich mit der Effektivität heuristischer Lösungsbeispiele im Mathematikunterricht. Ausgehend von den Defiziten deutscher Schülerinnen und Schüler im mathematischen Argumentieren und Problemlösen, prüfen die Autoren den Einsatz heuristischer Lösungsbeispiele in der Beweisführung. In zwei Studien zeigen sie (a) den Effekt dieser Unterrichtsstrategie und (b) in einer experimentellen Studie bei Lehrern auch den Effekt der Förderung domänenspezifischen pädagogischen Wissens. Quer zu diesen Arbeiten liegt die bereits erwähnte deutsch-schweizerische Videostudie „Pythagoras“ von Klieme et al., die sich in einem Ländervergleich der Bedeutung von Grunddimensionen der Unterrichtsqualität beschäftigt. Leider gehen die Autoren nur am Rande auf die Videodaten ein und berichten stattdessen eher kursorisch Unterschiede in Lehrermerkmalen zwischen den Ländern sowie Ergebnisse aus Mehrebenen-analysen der Schülerdaten. Die Befunde gehen – was den Einfluss von Unterrichts-merkmalen auf Formen von Selbstbestimmung betrifft – über eine Replikation von Befunden aus anderen Studien kaum hinaus. Die Daten dieses Projekts erscheinen noch unterausgewertet. Man darf aber gespannt sein auf nachfolgende Publikationen aus diesem Projekt.
Fächerübergreifende Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern
Die Beiträge zu den Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern legen den Fokus auf die Förderung selbstregulierten Lernens, einem äußerst lebendigen Bereich in der pädagogischen Psychologie. Otto et al. entwickelten mehrwöchige Trainingsprogramme für Schülerinnen und Schüler verschiedener Altersgruppen, Eltern sowie Lehrkräfte und haben diese experimentell evaluiert. Zusammenfassend kommen sie zu dem Befund, dass die Förderung selbstregulierten Lernens und mathematischen Problemlösens erfolgreich möglich ist. Lediglich das alleinige Training von Lehrkräften hatte keinen Effekt auf die Häufigkeit selbstregulierten Lernens.
Das Projekt von Komorek et al. knüpft direkt an die Studie von Otto et al. an. Auf der Grundlage der dort positiv evaluierten Schülertrainings wurde ein Unterrichtskonzept für den Mathematikunterricht entwickelt, das auf das Fördern von Problemlöse- und Selbstregulationskompetenzen bei Schülerinnen und Schülern abzielt. Darauf aufbauend wurden für alle drei Phasen der Lehrerbildung Trainingsprogramme entwickelt, durchgeführt und evaluiert. Positiv zu bemerken ist, dass das Ausbildungs- und Fortbildungsprogramm bereits mehrfach in der universitären Lehre bzw. in der einer webbasierten Lehrerfortbildung eingesetzt wurde.
Leopold et al. berichten über ihre Studie zur Förderung selbstregulierten Lernens aus Sachtexten im naturwissenschaftlichen Unterricht. Im Unterschied zu den beiden anderen Projekten haben sie ein Trainingsprogramm zur Förderung selbstregulierten Lernens auch erfolgreich in den naturwissenschaftlichen Unterricht integriert.
Kompetenzen von Lehrerinnen und Lehrern
Zwei Projekte befassen sich gezielt mit der Förderung von Lehrerkompetenzen. Im Hinblick auf die Förderung mathematischen und naturwissenschaftlichen Verständnisses sehen Renkl et al. im Selbsterklären von Lösungsbeispielen ein effektives Mittel, was sie auch in einer experimentellen Versuchsanordnung zeigen. Aufgrund von Videoanalysen stellen sie fest, dass die Arbeit mit Lösungsbeispielen jedoch sehr selten im Unterricht auftritt. Wie die Gruppe zeigt, profitieren Lehrkräfte bzw. Lehramtsstudierende von Fortbildungen zu diesem Lernansatz, indem sie diese Methode auch häufiger einsetzten. Für die Praxis wurde ein multimediales Lernprogramm entwickelt.
Gräsel et al. untersuchen am Beispiel von Chemie-lehrkräften, inwieweit und unter welchen Bedingungen bestimmte Formen der Kooperation, die eine zentrale Rolle in neueren Professionalisierungsansätzen spielen, gefördert werden können. Sie leiten aus ihren Untersuchungen ab, dass die Wirksamkeit von Maßnahmen mit der Verfolgung gemeinsam getragener Ziele, der Betonung von Vorteilen von Kooperation sowie der Wahrung der Autonomie von Lehrkräften zusammenhängt.
Schulische und außerschulische Kontextfaktoren
Der abschließende Teil zu schulischen und außerschulischen Kontextfaktoren beinhaltet vier Kapitel, von denen sich jeweils zwei auf schulische bzw. außerschulische Kontextfaktoren beziehen.
Die Studie von Herwartz-Emden et al. widmet sich dem Thema Monoedukation und untersucht anhand einer Regionalstudie in Bayern die Frage, was Mädchenschulen im Vergleich zu koedukativen Schulen auszeichnet und welche Effekte diese auf die Entwicklung von Mädchen besitzen. Die Studie weist insofern ein Alleinstellungsmerkmal im Schwerpunktprogramm auf, als sie als einzige genuin qualitative Ansätze der empirischen Unterrichts- und Schulforschung einsetzt, diese jedoch auch mit einer quantitativen Studie verbindet.
Kessels und Hannover betten die Entwicklung schulischer Interessen in allgemeine Überlegungen zur Identitätsentwicklung im Jugendalter ein. Eine zentrale Rolle in ihrem Erklärungsansatz spielen das Image mathematisch-naturwissenschaftlicher Fächer und die Personen, die sich typisch in diesen Fächern engagieren (Prototypen). In experimentellen Studien wird gezeigt, dass Prototypen und Imagefaktoren die Interessensentwicklung steuern. Dass Effekte ungünstiger Imagefaktoren erfolgreich reduziert werden können, belegen sie in anschließenden Interventionsstudien.
Wild et al. konzentrieren sich ausgehend von der Selbstbestimmungstheorie auf Bedingungen im Elternhaus, die die Entwicklung selbstbestimmter Formen der Lernmotivation fördern. Anhand einer Längsschnittstudie beim Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule können sie zeigen, dass die emotionale Unterstützung im Elternhaus sowie deren Autonomieunterstützung die Motivationsentwicklung positiv beeinflussen. Die Befunde dienten als Grundlage für ein Elterntraining wie für Lehrerfortbildungen, die im Projekt erfolgreich erprobt wurden.
Schmid et al. spannen schließlich einen Bogen zwischen dem Wertewandel als Makrophänomen und dessen Bedeutung für das schulische Lernen. In mehrheitlich experimentellen Studien gehen die Autoren den Bedingungen und Auswirkungen von Handlungskonflikten nach, die durch die Konkurrenz von Leistungs- und Wohlbefindenswerten entstehen. Die Autoren schlagen vor, Schülerinnen und Schülern Hilfestellungen bei der Strukturierung von Lern- und Freizeitphasen anzubieten, um mit diesem Zielkonflikt besser umgehen zu können. Eine Konkretisierung derartiger Maßnahmen steht allerdings aus.
[1] Doll, J. / Prenzel, M. (Hrsg.): Bildungsqualität von Schule: Lehrerprofessionalisierung, Unterrichtsentwicklung und Schülerförderung als Strategie der Qualitätsverbesserung. Münster: Waxmann 2004.
[2] Prenzel, M. / Doll, J. (Hrsg.): Bildungsqualität von Schule: Schulische und außerschulische Bedingungen mathematischer, naturwissenschaftlicher und fächerübergreifender Kompetenzen. In: Zeitschrift für Pädagogik (45. Beiheft). Weinheim, Basel: Beltz 2002.