EWR 9 (2010), Nr. 5 (September/Oktober)

Elisa Bader
Bildungschancen und -ambitionen tĂĽrkischer MigrantInnen
Vor dem Hintergrund divergierender institutioneller Konzepte in Deutschland und Australien
(Reihe Pädagogik, Bd. 34)
Freiburg: Centaurus 2010
(117 S.; ISBN 978-3-8255-0760-2; 18,00 EUR)
Bildungschancen und -ambitionen türkischer MigrantInnen Die im Buch präsentierte Studie – eine veröffentlichte Magisterabeit – ist im Rahmen des Forschungsprojektes „Diversity and Social Security among Turkish Residents in Germany and Australia“ an der Universität Hildesheim und der Monash University, Melbourne, entstanden. Elisa Bader untersuchte in diesem Kontext die Kommunikation zwischen türkischen Eltern und der Schule ihrer Kinder in Australien und Deutschland, wobei leitfadengestützte Interviews, Fragebögen und ExpertInneninterviews eingesetzt wurden.

Elisa Bader diskutiert den Bildungsbegriff sowie bildungspolitische Reformansätze. Für die Bildungsentscheidungen und -aspirationen des Einzelnen hält sie jedoch die Mesoebene Eltern(haus) und Schule für einflussreicher und untersucht diese in ihrer Arbeit. Die Autorin stellt anhand von Joyce L. Epstein (et al.) und von R. Hoberecht dar, wie Kommunikation zwischen Elternhaus und Schule gestaltet werden kann, um den Bildungserfolg der SchülerInnen zu fördern. Maßgeblich ist dabei das Passungsverhältnis zwischen der Erwartungshaltung der Eltern und derjenigen der Schule.

Eingebettet ist die Studie in den Kontext differierender schul- und einwanderungspolitischer Rahmenbedingungen in Deutschland und Australien. Australiens aktueller Politik des Multikulturalismus liegen bspw. andere Ansätze zugrunde als den Integrationsdebatten in Deutschland. In beiden Ländern werden türkische MigrantInnen erster, zweiter und dritter Generation vom Bildungssystem benachteiligt: sie weisen im Vergleich zu Einheimischen und zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund insgesamt niedrigere Quoten an Bildungsbeteilung und Bildungsabschlüssen auf und entscheiden sich seltener für höhere Bildungswege. Türkische MigrantInnen zeigen jedoch in beiden Ländern starke Bildungsaspirationen: in Deutschland streben sie damit häufig einen sozialen Aufstieg an (30), in Australien tendenziell mittlere Bildungsabschlüsse, deren Erreichbarkeit sie als realistisch einschätzen (51). Es fällt auf, dass der Konsum muttersprachlicher Medien höher und die Sprachkompetenzen in der Sprache des Einwanderungslandes niedriger sind als bei anderen Migrantengruppen.

Im Anschluss an die länderspezifischen Darstellungen werden jeweils Beispiele aus Australien und aus Deutschland präsentiert, die aus Sicht der Autorin für eine gelungene Kommunikation zwischen türkischen Eltern und Schule stehen. Hierbei handelt es sich vorwiegend um spezielle Angebote für türkische Migranteneltern, bei denen vor allem die Verkehrssprache, die Verfügbarkeit von Dolmetschern sowie die Auflockerung der Gesprächsatmosphäre eine Rolle zu spielen scheinen.

FĂĽr die empirische Studie werden folgende Daten ausgewertet:
Je fünf Interviews aus Deutschland und Australien mit Interviewpartnern der so genannten zweiten Generation in unterschiedlichen familiären Situationen, die zum Zeitpunkt der Erhebung mindestens ein Kind an einer allgemeinbildenden Schule hatten, 20 Fragebögen aus Deutschland, über deren Inhalte allerdings wenig bekannt wird, und einer aus Australien sowie ExpertInneninterviews mit drei deutschen und fünf australischen ExpertInnen (Schulleitungen, SchulsozialpädagogInnen, LehrerInnen).

Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt anhand der in der Auswertung der Interviews gewonnenen Kategorien. Zunächst werden die familialen Ausgangssituationen der Befragten – d.h. Einreisealter, Sozialisationsbedingungen, Erwerbssituation, das Leben zwischen Heimat und aktuellem Wohnort – sowie die eigenen Schulerfahrungen, die als individuelle Schulbiographien in Deutschland/Australien und der Türkei bezeichnet werden können, beschrieben. Einige Befragte geben an, dass eigene Schulerfahrungen in der Unterstützung ihrer Kinder von Bedeutung sind und/oder, dass ihre Bildungsentscheidungen von den Erwartungen und vom Bildungshintergrund der Eltern abhängig waren.

Alle befragten Personen haben entweder selbst oder durch ihre Kinder Erfahrungen mit den schulischen Abläufen und Bildungsinstanzen der Aufnahmeländer. In Deutschland kritisieren die Eltern vor allem die Übergangsentscheidungen als zu früh im Kindesalter. Des Weiteren nennen die Interviewpartner unterschiedliche Kriterien für die Auswahl einer geeigneten Schule: die demographische Zusammensetzung der Schüler, ein sicheres Umfeld für die Kinder, Meinungen der Verwandten, Freunde und Bekannten sowie teilweise ethnische, kulturelle oder religiöse Konformität sind für die deutschen entscheidend, finanzielle Ressourcen (etwa 25% der Schulen sind Privatschulen), Qualität, Betreuung und Disziplin für die australischen.

Der Kontakt zwischen Schule und Eltern ist in Deutschland unregelmäßiger, was mit beruflichen Verpflichtungen, Zeitmangel, Sprachschwierigkeiten und der Atmosphäre schulischer Elternveranstaltungen begründet wird. In Australien ist das Interesse der Eltern an der Schule höher. Dort werden von schulischer Seite aus Elternbriefe übersetzt und kostenlose Dolmetscher angeboten.

Die Befragten äußern den Wunsch nach Erhalt und Erwerb der Muttersprache bei ihren Kindern. In Australien können die Kinder teilweise Türkischunterricht als regulären Fremdsprachenunterricht an der Schule belegen. Zur Religion lässt sich keine einheitliche Einstellung feststellen.

In Bezug auf die Bildungsaspirationen wird bei allen Interviewpartnern ein Streben nach höheren Abschlüssen erkennbar. Ihre Zukunftsperspektiven schätzen die australischen Eltern dabei optimistischer ein als die deutschen.

Das Buch stellt (wie oben bemerkt) eine veröffentlichte studentische Abschlussarbeit dar. Der Umfang von 106 Seiten (zzgl. Literaturverzeichnis) grenzt die Möglichkeiten für reflektierende theoretische und methodologische Diskussionen stark ein, was dem Buch trotz des ehrgeizigen Projektes der jungen Forscherin zum Nachteil gereicht.

In der Präsentation von Beispielen des Austauschs zwischen Schule und türkischen Migranteneltern bspw., die an verschiedenen Stellen im Buch genannt werden, wird weder Bezug auf Aspekte der positiven (institutionellen) Diskriminierung genommen noch der Teilhabe [1]. Würde man diese berücksichtigen, würde die Bewertung der genannten Beispiele sicherlich ambivalenter ausfallen. Die theoretischen Grundlagen und Hypothesen der Arbeit werden dem Leser nicht zugänglich.

Die Darstellung der methodischen Ansätze und die Begründung für deren Wahl bleibt zu kursorisch. Trotz der Entscheidung für eine qualitative Ausrichtung der Studie werden standardisierte Fragebögen eingesetzt und nach quantitativen Kriterien ausgewertet. Bei 20 Fragebögen aus Deutschland, die über private Netzwerke verteilt wurden, und einem Fragebogen aus Australien ist die Stichprobe weder ausreichend groß noch repräsentativ. Die Ergebnisse können folglich wissenschaftlichen Gütekriterien nicht Genüge leisten, werden jedoch in Form von Häufigkeitsverteilungen präsentiert und bei Bedarf herangezogen.

Neun Interviews wurden nicht aufgezeichnet und transkribiert, was in der Regel selbst für die qualitative Inhaltsanalyse „unumgänglich“ ist [2]. Die gewählte Form der Datenerhebung erhöht den Einfluss der Forscherin, was in der Arbeit reflektiert werden sollte. Die Präsentation der gesamten Datenauswertung, die teilweise sehr interessante Einsichten bereithält, ist im Verhältnis zum Umfang der Arbeit relativ kurz und beschränkt sich auf die von der Autorin angekündigte explorative Ebene.

Bei aller Kritik: Das Buch liefert einen Einblick in das deutsche und das australische Bildungssystem und in die jeweiligen Schwerpunktsetzungen der Einwanderungspolitik und es wird deutlich, dass die deutsche Schul- und Einwanderungspolitik von der australischen Impulse für aktuelle Probleme gewinnen kann. Die Ergebnisse der empirischen Studie bieten Anreize für weitere Forschungen und ergänzen rein quantitative Untersuchungen durch das Heranziehen individueller Geschichten aus zwei unterschiedlichen Einwanderungsländern.

[1] vgl. z.B. Gomolla, Mechthild (2000): Ethnisch-kulturelle Zuschreibungen und Mechanismen institutionalisierter Diskriminierung in der Schule. In: Attia, Iman / Marburger, Helga (Hrsg.): Alltag und Lebenswelten von Migrantenjugendlichen. Frankfurt/Main, London: IKO-Verlag fĂĽr Interkulturelle Kommunikation, 49-70.

[2] Gläser, Jochen / Laudel, Grit (2009): Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 157.
Marissa Hey (Augsburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Marissa Hey: Rezension von: Bader, Elisa: Bildungschancen und -ambitionen tĂĽrkischer MigrantInnen, Vor dem Hintergrund divergierender institutioneller Konzepte in Deutschland und Australien (Reihe Pädagogik, Bd. 34). Freiburg: Centaurus 2010. In: EWR 9 (2010), Nr. 5 (Veröffentlicht am 13.10.2010), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978382550760.html