
Das Studienbuch gliedert sich in vier übergeordnete Kapitel: Kapitel I „Theoretische Grundlinien“ wird mit einem Beitrag von Jürgen Budde eröffnet, der sich dem Gegenstandsbereich in systematisierender Absicht annähert, wobei die „Unbestimmtheit“ des Begriffs Heterogenität ein zentrales Motiv sowohl für den Problemaufriss als auch für das abschließende Fazit darstellt. In kritischer Distanz zum Postulat einer gegebenen Unterschiedlichkeit von Schüler*innen, auf die die Institution Schule lediglich reagiert, werden die mit dem Konzept Heterogenität aufgerufenen Differenzkonstruktionen als aktive Herstellungsleistung im Kontext von Schule und Unterricht thematisiert. Zudem wird der Versuch unternommen, Abgrenzungen gegenüber „verwandten Begriffen“ (21) wie Diversität, Intersektionalität und Inklusion vorzunehmen. Während Budde konstatiert, dass „Heterogenitätskonstruktionen im schulischen Feld von Machtverhältnissen durchzogen sind“ (21), geht der anschließende Beitrag von Markus Rieger-Ladich davon aus, dass dies auch für den erziehungswissenschaftlichen Diskurs und „die pädagogische Rede von Heterogenität“ (27) selbst gilt. Mit Fokus auf die ordnungsstiftende Bezeichnungs- und Klassifizierungspraxis, die etwas überhaupt erst als different bzw. abweichend in Erscheinung treten lässt, wird die dem Heterogenitätsdiskurs eignende ‚Ontologie‘ der Verschiedenheit problematisiert und die Perspektive auf die Folgen machtvoller Differenzmarkierungen und die Ausschließung produzierenden Normalitätserwartungen von Bildungsinstitutionen umgestellt. Dass das Problem der „Machtförmigkeit“ (43) nicht nur die sozialen Unterscheidungen, mit denen Individuen bezeichnet werden, betrifft, sondern auch für den mit den Konzepten von „Chancengleichheit“ und „Anerkennung“ entfalteten normativen Begründungszusammenhang heterogenitätssensibler Ansätze folgenreich ist, bildet den analytischen Ausgangspunkt des Beitrags von Paul Mecheril und Andrea J. Vorrink.
Die in Kapitel II „Heterogenitätskategorien und -felder“ folgenden Beiträge von Frank-Olaf Radtke („Kultur“), Christine Thon („Geschlecht“) und Albert Scherr („Klasse“) entfalten ihre Diskussion der in Rede stehenden Kategorien/Konzepte auf der Grundlage unterschiedlicher Bezugnahmen auf gesellschaftstheoretisch informierte Überlegungen. Während Radtke die Tragfähigkeit von „Kultur“ als Analysekategorie im Migrationskontext grundlegend in Frage stellt, erweisen sich „Geschlecht“ und „Klasse“ Thon und Scherr folgend als unverzichtbarer Bezugspunkt eines analytischen Zugriffs auf soziale Ungleichheitsverhältnisse und bildungsinstitutionelle Strukturbildungen. Eine von allen bislang genannten Beiträgen geteilte Problematisierungsachse bildet dabei die pädagogisch motivierte Zuschreibung von Gruppenzugehörigkeiten, die bei Radtke ihren Ausdruck in einer grundlegenden Skepsis gegenüber der Adressierung von Individuen als „Repräsentanten von Kollektiven“ (74) und ihrer identitätspolitischen Aufladung im pädagogischen Kontext findet. Mit den Beiträgen von Dieter Katzenbach sowie Katharina Walgenbach und Lisa Pfahl wird neben grundlegenden konzeptionellen Überlegungen zu „Inklusion“ und „Intersektionalität“ ein stärkerer Fokus auf die bildungsinstitutionellen Exklusionsprozesse gelegt, die sich mit der Zuschreibung des Merkmals ‚Behinderung‘ resp. eines sonderpädagogischen Förderbedarfs verbinden und die nicht zuletzt auf eine latente soziale Differenzierungspraxis hinweisen. Der diesem Teilkapitel auch zugeordnete Beitrag von Jasmin Decristan und Nina Jude liegt hinsichtlich der darin thematisierten „Heterogenitätskategorie Schulleistung“ gewissermaßen ‚quer‘ zu den anderen Beiträgen, insofern hier zum einen ein nicht sozial zugeschriebenes, sondern ein als individuell erworben verstandenes Merkmal im Vordergrund steht, zum anderen auf die theoretisch-konzeptionelle Erschließung der Kategorie Schulleistung verzichtet wird. Die der Diskussion zu Erscheinungsformen und Ursachen von Leistungsunterschieden zugrunde gelegten einschlägigen empirischen Befunde geben gleichwohl Hinweise darauf, dass es sich auch im Fall von Schulleistung um ein Merkmal handelt, das seinerseits von sozialen Zuschreibungspraxen nicht unbeeinflusst ist.
Der das Kapitel III „Schulsystem und Einzelschule“ eröffnende Beitrag von Merle Hummrich geht der Bedeutung einer international-vergleichenden Perspektive nach und weist dabei am Beispiel von Deutschland und USA auf die jeweiligen kulturell-historischen Tradierungen und schulstrukturellen Besonderheiten im ‚Umgang mit Heterogenität‘. Der anschließende Beitrag von Isabell van Ackeren und Svenja Mareike Kühn verdeutlicht, wie eng die historisch variierenden Differenzierungsmuster zur Herstellung (vermeintlich) homogener Lerngruppen (entlang von Stand, Schicht, Geschlecht oder ‚Begabung‘) an die in ihren Grundzügen bis heute unverändert verbliebene hierarchisch gegliederte Struktur des deutschen Bildungswesens rückgebunden sind. Der Beitrag von Albrecht Wacker zu Schulstruktur und Zweigliedrigkeit akzentuiert demgegenüber nicht das institutionelle Beharrungsvermögen des Bildungssystems, sondern fokussiert den aktuellen Wandel zu unterschiedlichen Varianten der Unterscheidung von gymnasialen und nicht-gymnasialen Schulformen und diskutiert auf der Basis der bislang nur unzureichend vorliegenden empirischen Befunde mögliche Effekte dieses Wandels auf das Ausmaß und die Erscheinungsformen sozialer Disparitäten. Im abschließenden Beitrag dieses Kapitels stellen Barbara Wimmer und Herbert Altrichter Bedingungen und Möglichkeiten heterogenitätsorientierter Schulentwicklungsstrategien vor.
Das Kapitel IV „Professionalisierung, Unterricht, Didaktik“ wird von einem Beitrag von Ina Biederbeck und Martin Rothland eröffnet, der den ‚Umgang mit Heterogenität‘ als Bezugspunkt für Professionalisierungsprozesse zum einen auf der Grundlage unterschiedlicher professionstheoretischer Ansätze, zum anderen auf der Grundlage empirischer Befunde aus dem Kontext der Einstellungs- und Selbstwirksamkeitsforschung diskutiert. Während dabei ‚Heterogenität‘ als ‚empirischer‘ Sachverhalt und im Sinne eines gegebenen professionellen Handlungsproblems vorausgesetzt wird, betont der aus der Perspektive der empirischen Lehr-Lernforschung und pädagogischen Diagnostik geschriebene Beitrag von Karl-Heinz Arnold und Carola Lindner-Müller erneut die ‚Unterbestimmtheit‘ (238) des Heterogenitätskonstruktes. Im Rahmen der Diskussion von Formen und (Neben-)folgen adaptiver Unterrichtsstrategien steht das übergeordnete schulpädagogische Thema der Lerngruppendifferenzierung im Fokus, welches in den anschließenden Beiträgen von Thorsten Bohl, Thomas Häcker sowie Susanne Prediger und Claudia von Aufschnaiter ausführlicher behandelt wird. Die in der programmatisch orientierten Heterogenitätsliteratur häufig generalisierend als ‚Problemlösungsstrategien‘ angebotenen didaktisch-methodischen Überlegungen zum individualisierten oder adaptiven Unterricht werden von Bohl in Rückbindung an allgemeine empirische Befunde zu Unterrichtsqualität einer differenzierenden Betrachtung unterzogen, während Prediger und von Aufschnaiter aus fachdidaktischer Perspektive Gelingensbedingungen eines niveaudifferenzierenden Lernens diskutieren. Häcker konfrontiert die programmatische Orientierung an ‚Individualisierung‘ mit empirischen Befunden aus quantitativen und qualitativ-rekonstruktiven Studien und verdeutlicht, dass individualisierender Unterricht mit Blick auf die Problemstellung der (Re-)produktion von Bildungsungleichheit nicht ohne weiteres als Teil der Lösung, sondern ebenso auch als ein möglicher Teil des Problems reflexiv in Rechnung gestellt werden muss.
In der Gesamtbetrachtung der lesenswerten und anspruchsvollen Beiträge des Studienbuches zeigt sich eine breite und die mittlerweile erreichte disziplinäre Ausdifferenzierung dokumentierende Bearbeitung der Thematik. Der Band repräsentiert aber auch insofern den „state of the art“ – zumindest der deutschsprachigen Forschung –, als die differenzierte Entfaltung der unterschiedlichen fachspezifischen bzw. subdisziplinären Zugangsweisen verdeutlicht, dass von einer einheitlichen theoretischen Fassung des pädagogischen Sachverhaltes ‚Heterogenität‘ nicht ausgegangen werden kann, sondern dass es sich, wie von den Herausgebern in der Einleitung markiert, um durchaus „widerstreitende Perspektiven“ (12) handelt. Damit verweisen die Beiträge in ihrer Summe auch auf ein grundlegendes Dilemma des erziehungswissenschaftlichen Diskurs- und Forschungsfeldes ‚Heterogenität‘: Während ‚Heterogenität‘ im Rückgriff auf sozialkonstruktivistische Theorieangebote zum Gegenstand einer ungleichheits- und machtanalytischen Reflexion gemacht und auch als Effekt institutioneller Beobachtungsweisen thematisiert wird, scheinen sowohl die empirische Beobachtung von Heterogenität in Schule und Unterricht als auch didaktische Differenzierungskonzepte aus methodologischen Gründen nicht auf jene ‚ontologische‘ Annahme der als solches gegebenen ungleichen Lern- und Leistungsvoraussetzungen verzichten zu können. Hinsichtlich der systematischen Analyse des Zusammenhangs von Heterogenität und Ungleichheit im Bildungssystem artikuliert sich in dem Band damit nolens volens ein nach wie vor bestehendes Desiderat: Gerade weil von einer komplexen Verschränkung leistungsdifferenzierender und intersektionaler Zuschreibungslogiken in Schule und Unterricht auszugehen ist, wirft der in Rede stehende Gegenstandsbereich auch grundlegende methodologische Fragen auf, die in der erziehungswissenschaftlichen Fachdiskussion gegenwärtig erst in Ansätzen bearbeitet werden [1]).
[1] Diehm, Isabell/Kuhn, Melanie/Machold, Claudia (Hrg.): Differenz – Ungleichheit – Erziehungswissenschaft. Verhältnisbestimmungen im (Inter-)Disziplinären. Wiesbaden: Springer VS 2017.