Bereits 2010 ist dieser Band als EinfĂŒhrung im Klinkhardt Verlag erschienen. Er soll aufzeigen, âwelche konzeptionellen Grundlagen jenseits wechselseitiger Abgrenzungen [von verschiedenen Forschungsparadigmen] eine konstruktive ErgĂ€nzung nahelegenâ (8). Er richtet sich an âzukĂŒnftige ForscherInnenâ, aber auch an âProfessionelle in pĂ€dagogischen Handlungsfeldernâ (13), die sich von einer Kenntnis forschungsmethodischer Grundlagen einen Reflexionsgewinn versprechen. Am Ende sollte, so der Autor, jede/r Leser/in zur kritischen LektĂŒre und Diskussion von Forschungsberichten in der Lage sein.
Das Buch gliedert sich in neun Kapitel. Nach der Vorstellung von âKonzept und Gestaltâ des Bandes (1.) reflektiert der Autor zunĂ€chst das VerhĂ€ltnis von âForschungâ und âPĂ€dagogikâ (2.) sowie erkenntnistheoretische Problemstellungen in Forschungsprozessen (3.). Im folgenden Kapitel werden empirische Forschungsstrategien in der Unterteilung âhermeneutisch-interpretativâ und âempirisch-rationalistischâ vorgestellt (4.). Aspekte der DurchfĂŒhrung (âStrategienâ, 5.) von Forschung und Datenerhebung (6.) gehen der Darstellung nicht-numerischer (7.) und numerischer (8.) Datenanalyse voraus. Im Schlusskapitel greift Schlömerkemper methodologische, methodische und theoretische Aspekte auf, welche die (weiteren) Möglichkeiten und Grenzen pĂ€dagogischer Forschung zu artikulieren erlauben (9.).
Im zweiten Kapitel werden im Durchgang durch diziplinĂ€r bedeutsame Kategorien und Unterscheidungen die Besonderheiten pĂ€dagogischer Forschung skizziert. So werden beispielhaft Fragestellungen zu âGenerationâ, âBildungâ und âDidaktikâ angefĂŒhrt, durch die einerseits die MultiperspektivitĂ€t der zu beforschenden GegenstĂ€nde und andererseits die Frage nach den normativen Dimensionen des PĂ€dagogischen deutlich werden sollen. Zu den behandelten Themen (z.B. âPĂ€dagogikâ vs. âErziehungswissenschaftâ) werden 4-5 Publikationen angegeben, die in der Disziplin vertretene differierende Positionen gegenwĂ€rtig machen. Diese Blickeröffnung ist durchaus positiv. Der Haupttext verzichtet jedoch nahezu durchgehend auf LiteraturbezĂŒge und macht also die Weiterverfolgung von Gedanken unmöglich. Ăberdies werden immer wieder Figuren alltagsweltlichen Denkens aufgenommen, so dass eine problematisierende Diskussion pĂ€dagogischer Konzepte erschwert wird. Auf eine pauschalierende Abgrenzung von Theorie und Praxis wird beispielsweise mit dem Vermerk reagiert, dass Aufgaben theoretischer Reflexion und praktischen Handelns verschieden seien, aber sich wesentlich berĂŒhrten (25, vgl. auch 34). Dass und wie aber gerade die Konzeption von Theorie als konsequenzloser Geistigkeit und Handeln als Zentrum von Wirksamkeit das Theorie-Praxis-Problem kennzeichnen, wird nicht expliziert.
Das Kapitel ĂŒber die âerkenntnistheoretischen Problemeâ nimmt zunĂ€chst verschiedene Aspekte auf, um an ihnen die (Heraus-)Forderung der Wissenschaftlichkeit zu diskutieren: âRealitĂ€t(en)â, âTheorien und Methodenâ, âForschung und Modelleâ, âAlltĂ€gliche Rede und wissenschaftlicher Diskursâ, âGrenzen und Fallenâ (28ff). In den AusfĂŒhrungen wird u.a. auch auf die Bedeutung eines wissenschaftlichen Ethos und die RelativitĂ€t des wissenschaftlichen Erkennens hingewiesen. Im zweiten Teil des Kapitels werden âQualitĂ€tskriterien der Forschungâ wie âObjektivitĂ€tâ oder âRelevanzâ diskutiert. Der Text bietet an dieser Stelle VerstĂ€ndigungen an, z.B. ĂŒber die âDefinitionâ oder âTransparenzâ, enthĂ€lt sich aber einer GrĂŒndung und Fundierung der Konzepte in verschiedenen Forschungstraditionen.
Das vierte Kapitel âMethodologische Konzepteâ setzt mit der Frage ein, wie das Feld der Forschung strukturiert werden kann. Hinterfragt werden die SelbstverstĂ€ndlichkeit von Abgrenzungen wie âErklĂ€renâ versus âVerstehenâ oder âqualitativâ versus âquantitativâ: âIm Grunde geht es um unterschiedliche Materialien, die hier und dort verwendet werden: âQualitativâ mĂŒssen Texte oder auch nonverbale Dinge analysiert werden, weil sie nicht numerisch verarbeitet werden können. Gleichwohl wird mit Erfolg versucht, Texte nach inhaltlichen Kategorien zu quantifizieren, damit anhand statistischer Kennwerte Strukturen erkennbar werden können, die sich beim Lesen nicht offenbarenâ (54). Im weiteren Verlauf wird dann als Grundunterscheidung diejenige zwischen âhermeneutisch-interpretativenâ und âempirisch-rationalistischenâ Konzepten von Forschung weitergefĂŒhrt. Wenngleich dem Autor zuzustimmen ist, dass Abgrenzungen im Feld der empirischen Forschung Differenzen mitunter ĂŒberzeichnen oder gar dramatisieren, so wird hier doch die implizit beanspruchte einheitliche Basisoperation, die dem wissenschaftlichen Forschungsprozess unterliegen soll, in keiner Weise aufgeklĂ€rt oder diskutiert. Im Anschluss an die obige Textstelle ergeben sich daher Fragen wie: Worin besteht die MaterialitĂ€t der âMaterialienâ (oder vielleicht besser: GegenstĂ€ndlichkeit) im Forschungsprozess? Ist der Umgang mit (die Wirklichkeit [re-]konstruierenden) âKategorienâ im wissenschaftlichen Erkenntnisbildungsprozess ĂŒber alle Forschungspraxen hinweg gleich geartet? Der kritische Verweis des Autors, dass es bei der Beanspruchung wissenschaftlicher Reviere eben manchmal doch wie im Alltag sei (54), kann diese Fragen nicht beantworten. Dass es sachlich gute GrĂŒnde gibt, das Feld qualitativer Forschung nicht mit dem Begriff der Hermeneutik zu ĂŒberschreiben, da dies fĂŒr die erkenntnislogische AufschlieĂung sozialer Wirklichkeit sehr voraussetzungsvoll ist, darauf sei an dieser Stelle nur hingewiesen.
An die Darstellungen von âHermeneutikâ und âPhĂ€nomenologieâ, die dann als einzige im Unterkapitel âHermeneutisch-interpretative Konzepteâ diskutiert werden, lassen sich ebenfalls einige Fragezeichen heften. Werden im Zusammenhang der Hermeneutik immerhin noch der âobjektive Geistâ, das âVorverstĂ€ndnisâ und der âhermeneutische Zirkelâ erlĂ€utert, so lĂ€sst sich die Ausrichtung der âPhĂ€nomenologieâ (auf zwei Seiten), ohne dass man weiĂ, worum es geht, kaum verstehen. Die Forderung, nicht von Vorannahmen auszugehen, wird nicht in ihrer Besonderheit gegenĂŒber dem allgemeinen wissenschaftlichen Ethos der Vorurteilsfreiheit verstĂ€ndlich gemacht. Zu fragen ist aber auch, ob im Spiel mit der Frage, inwiefern interpretative AnsĂ€tze âĂŒber das AlltagsverstĂ€ndnis mit all seinen UnwĂ€gbarkeiten hinausgelangenâ könnten (61f), das Problem der Sinnkonstitution, wie Hermeneutik und PhĂ€nomenologie es diskutieren, nicht gerade verstellt wird. Im Analyse-Kapitel formuliert Schlömerkemper: âIn extremer Polarisierung kann eine phĂ€nomenologische Analyse irrelevant werden, wenn sie unzulĂ€ssig generalisiert oder wenn sie lediglich subjekthaft-individuelle MutmaĂungen erbringtâ (92). Was ist der Sinngehalt einer solchen ĂuĂerung, da doch die beschriebene Art des Umgangs fĂŒr jede Forschungspraxis als problematisch zu beurteilen wĂ€re?
Im fĂŒnften Kapitel werden unter âStrategien der Forschungâ die Feldforschung, Experimente und Fallstudien besprochen, wĂ€hrend im sechsten Kapitel die Datenerhebung, unterschiedliche Verfahrensweisen der Spurensammlung, des Beobachtens, des Befragens und Testens thematisiert werden. Schlömerkemper geht in beiden kurz gehaltenen Kapiteln ĂŒberblickshaft vor. Es wird beispielsweise Lewin als Feldtheoretiker aufgenommen (ohne Eintrag im Literaturverzeichnis) und unterschiedliche Ausformungen der Feldforschung erlĂ€utert; eine erkenntniskritische Diskussion des Feldbegriffs, z.B. im Hinblick auf die Gefahr der Naturalisierung oder dem Ăbergehen der RelationalitĂ€t des Feldes wird nicht gefĂŒhrt. Die Darstellung ist relativ eng an einer ersten ErlĂ€uterung wichtiger Begriffe sowie der Benennung von Chancen und Grenzen der Forschungs- und Datenerhebungsstrategien orientiert.
Es folgen die beiden Kapitel zur ânicht-numerischenâ und ânumerischenâ Datenanalyse, die sehr unterschiedlich gewichtet sind (knapp zehn gegenĂŒber ca. fĂŒnfzig Seiten). Im erstgenannten Kapitel werden vor allem die verschiedenen gĂ€ngigen Verfahren zur Analyse qualitativer Daten angerissen (z.B. dokumentarische Methode, objektive Hermeneutik). Im Kapitel zur numerischen Datenanalyse erlĂ€utert Schlömerkemper die wichtigsten Begrifflichkeiten bzw. statistischen Werte und Analyseverfahren. Die Verfahren werden an einem kleinen Beispieldatensatz erlĂ€utert, was fĂŒr die Anschauung sehr hilfreich ist. Beim mathematisch anspruchsvollen Verfahren der Faktorenanalyse wird auf die einschlĂ€gigen Statistik-BĂŒcher verwiesen. Gut ist, dass bei der Darstellung der Verfahren wiederholt auf Schluss- und Interpretationsfehler hingewiesen wird, z.B. auf die Gefahr ungedeckter Kausalannahmen in Korrelationsrechnungen. Mitunter wirkt die Charakterisierung von statistischen Verfahren â auch im Vergleich â etwas vage, beispielsweise wenn gesagt wird, dass Regression und Korrelation also im Grunde Ă€hnlich seien (114). Der letzte Abschnitt des Kapitels wendet sich statistischen Relevanz-Betrachtungen zu: Hier geht es dann um Chi-Quadrat-Tests, die Reflexion von Fallzahlen, Varianzanalysen etc. In diesem Kapitel gelingt es meines Erachtens deutlich besser als in den Kapiteln davor, in die Denkhaltungen der Forschungskonzepte einzufĂŒhren.
Das Schlusskapitel âPerspektivenâ nimmt nochmals das Anliegen auf, unfruchtbare Polarisierungen von qualitativer und quantitativer erziehungswissenschaftlicher Forschung zu ĂŒberwinden. Hier werden auch Strategien und VorschlĂ€ge (bis hin zu einer âhermeneutischen Datenanalyseâ, vgl. 157) vorgetragen. Wenn der Autor herausstellt, dass empirische Forschung als theoriegeleiteter Prozess zu denken ist und dass wissenschaftliche Aussagen auf ihre VorlĂ€ufigkeit verwiesen bleiben, so ist dem sicherlich zuzustimmen. Dennoch bleibt die Umsetzung von Schlömerkempers Anliegen im Rahmen der hier vorliegenden Darstellung begrenzt, da diese â wie gezeigt â bezogen auf die epistemologische und philosophische Fundierung von Sinn(-konstitution) erschlieĂender bzw. rekonstruktiver Forschung nicht hinreichend ist. Generell wird zu prĂŒfen sein, inwieweit die Ăberwindung der Kluft quantitativ-statistischer und qualitativ-sinnrekonstruktiver AnsĂ€tze in der pĂ€dagogischen Forschung nicht einer intensiven Auseinandersetzung hinsichtlich der zu Grunde liegenden Wirklichkeitsauffassungen bedarf. Ungeachtet dieser Kritik ist die Geste der Ăffnung und GesprĂ€chsbereitschaft des Autors sehr zu begrĂŒĂen.
Mit Blick auf das Ziel des Buches ist zunĂ€chst festzuhalten, dass die EinfĂŒhrung in relevante Konzepte pĂ€dagogischer Forschung fĂŒr sich genommen hilfreich sein kann, ohne dass diese bereits mit einer Forschungspraxis verbunden werden mĂŒssten. Besonders bezogen auf die Analyse numerischer Daten bietet das Buch einen guten Einstieg. Wer aber erwartet, in diesem Buch etwas ĂŒber die Konstitution des PĂ€dagogischen oder Strategien seiner Operationalisierung zu erfahren, wird ĂŒber die eineinhalb Seiten allgemeiner Bemerkungen (Kap. 9.2.1) enttĂ€uscht sein. Als Manko bleibt schlieĂlich (nochmals) zu nennen, dass im Buch zwar kommentierte Literaturhinweise angegeben werden, aber im Haupttext der Gedankengang nicht durch Referenzen und BezĂŒge kenntlich bzw. nachvollziehbar gemacht wird. âEinbezug und Hervorrufâ [1] in das Nachdenken ĂŒber Forschung gelingen daher nur begrenzt.
[1] Theodor Ballauff (1974): Einbezug und Hervorruf. ErwĂ€gungen zu einigen Kategorien von Bildung und Erziehung. In: Sein und Geschichtlichkeit (Festschrift fĂŒr Karl-Heinz Volkmann-Schluck). Hrsg.: I. SchĂŒssler u.a. Frankfurt a. M., 291-301
EWR 11 (2012), Nr. 3 (Mai/Juni)
Konzepte pÀdagogischer Forschung
Stuttgart / Bad Heilbrunn: UTB / Klinkhardt 2010
(176 S.; ISBN 978-3-8252-3273-3; 17,90 EUR)
Christiane Thompson (Halle/Saale)
Zur Zitierweise der Rezension:
Christiane Thompson: Rezension von: Schlömerkemper, Jörg: Konzepte pĂ€dagogischer Forschung. Stuttgart / Bad Heilbrunn: UTB / Klinkhardt 2010. In: EWR 11 (2012), Nr. 3 (Veröffentlicht am 31.05.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978382523273.html
Christiane Thompson: Rezension von: Schlömerkemper, Jörg: Konzepte pĂ€dagogischer Forschung. Stuttgart / Bad Heilbrunn: UTB / Klinkhardt 2010. In: EWR 11 (2012), Nr. 3 (Veröffentlicht am 31.05.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978382523273.html