EWR 11 (2012), Nr. 3 (Mai/Juni)

Jörg Schlömerkemper
Konzepte pÀdagogischer Forschung
Stuttgart / Bad Heilbrunn: UTB / Klinkhardt 2010
(176 S.; ISBN 978-3-8252-3273-3; 17,90 EUR)
Konzepte pĂ€dagogischer Forschung Bereits 2010 ist dieser Band als EinfĂŒhrung im Klinkhardt Verlag erschienen. Er soll aufzeigen, „welche konzeptionellen Grundlagen jenseits wechselseitiger Abgrenzungen [von verschiedenen Forschungsparadigmen] eine konstruktive ErgĂ€nzung nahelegen“ (8). Er richtet sich an „zukĂŒnftige ForscherInnen“, aber auch an „Professionelle in pĂ€dagogischen Handlungsfeldern“ (13), die sich von einer Kenntnis forschungsmethodischer Grundlagen einen Reflexionsgewinn versprechen. Am Ende sollte, so der Autor, jede/r Leser/in zur kritischen LektĂŒre und Diskussion von Forschungsberichten in der Lage sein.

Das Buch gliedert sich in neun Kapitel. Nach der Vorstellung von „Konzept und Gestalt“ des Bandes (1.) reflektiert der Autor zunĂ€chst das VerhĂ€ltnis von „Forschung“ und „PĂ€dagogik“ (2.) sowie erkenntnistheoretische Problemstellungen in Forschungsprozessen (3.). Im folgenden Kapitel werden empirische Forschungsstrategien in der Unterteilung „hermeneutisch-interpretativ“ und „empirisch-rationalistisch“ vorgestellt (4.). Aspekte der DurchfĂŒhrung („Strategien“, 5.) von Forschung und Datenerhebung (6.) gehen der Darstellung nicht-numerischer (7.) und numerischer (8.) Datenanalyse voraus. Im Schlusskapitel greift Schlömerkemper methodologische, methodische und theoretische Aspekte auf, welche die (weiteren) Möglichkeiten und Grenzen pĂ€dagogischer Forschung zu artikulieren erlauben (9.).

Im zweiten Kapitel werden im Durchgang durch diziplinĂ€r bedeutsame Kategorien und Unterscheidungen die Besonderheiten pĂ€dagogischer Forschung skizziert. So werden beispielhaft Fragestellungen zu „Generation“, „Bildung“ und „Didaktik“ angefĂŒhrt, durch die einerseits die MultiperspektivitĂ€t der zu beforschenden GegenstĂ€nde und andererseits die Frage nach den normativen Dimensionen des PĂ€dagogischen deutlich werden sollen. Zu den behandelten Themen (z.B. „PĂ€dagogik“ vs. „Erziehungswissenschaft“) werden 4-5 Publikationen angegeben, die in der Disziplin vertretene differierende Positionen gegenwĂ€rtig machen. Diese Blickeröffnung ist durchaus positiv. Der Haupttext verzichtet jedoch nahezu durchgehend auf LiteraturbezĂŒge und macht also die Weiterverfolgung von Gedanken unmöglich. Überdies werden immer wieder Figuren alltagsweltlichen Denkens aufgenommen, so dass eine problematisierende Diskussion pĂ€dagogischer Konzepte erschwert wird. Auf eine pauschalierende Abgrenzung von Theorie und Praxis wird beispielsweise mit dem Vermerk reagiert, dass Aufgaben theoretischer Reflexion und praktischen Handelns verschieden seien, aber sich wesentlich berĂŒhrten (25, vgl. auch 34). Dass und wie aber gerade die Konzeption von Theorie als konsequenzloser Geistigkeit und Handeln als Zentrum von Wirksamkeit das Theorie-Praxis-Problem kennzeichnen, wird nicht expliziert.

Das Kapitel ĂŒber die „erkenntnistheoretischen Probleme“ nimmt zunĂ€chst verschiedene Aspekte auf, um an ihnen die (Heraus-)Forderung der Wissenschaftlichkeit zu diskutieren: „RealitĂ€t(en)“, „Theorien und Methoden“, „Forschung und Modelle“, „AlltĂ€gliche Rede und wissenschaftlicher Diskurs“, „Grenzen und Fallen“ (28ff). In den AusfĂŒhrungen wird u.a. auch auf die Bedeutung eines wissenschaftlichen Ethos und die RelativitĂ€t des wissenschaftlichen Erkennens hingewiesen. Im zweiten Teil des Kapitels werden „QualitĂ€tskriterien der Forschung“ wie „ObjektivitĂ€t“ oder „Relevanz“ diskutiert. Der Text bietet an dieser Stelle VerstĂ€ndigungen an, z.B. ĂŒber die „Definition“ oder „Transparenz“, enthĂ€lt sich aber einer GrĂŒndung und Fundierung der Konzepte in verschiedenen Forschungstraditionen.

Das vierte Kapitel „Methodologische Konzepte“ setzt mit der Frage ein, wie das Feld der Forschung strukturiert werden kann. Hinterfragt werden die SelbstverstĂ€ndlichkeit von Abgrenzungen wie „ErklĂ€ren“ versus „Verstehen“ oder „qualitativ“ versus „quantitativ“: „Im Grunde geht es um unterschiedliche Materialien, die hier und dort verwendet werden: ‚Qualitativ‘ mĂŒssen Texte oder auch nonverbale Dinge analysiert werden, weil sie nicht numerisch verarbeitet werden können. Gleichwohl wird mit Erfolg versucht, Texte nach inhaltlichen Kategorien zu quantifizieren, damit anhand statistischer Kennwerte Strukturen erkennbar werden können, die sich beim Lesen nicht offenbaren“ (54). Im weiteren Verlauf wird dann als Grundunterscheidung diejenige zwischen „hermeneutisch-interpretativen“ und „empirisch-rationalistischen“ Konzepten von Forschung weitergefĂŒhrt. Wenngleich dem Autor zuzustimmen ist, dass Abgrenzungen im Feld der empirischen Forschung Differenzen mitunter ĂŒberzeichnen oder gar dramatisieren, so wird hier doch die implizit beanspruchte einheitliche Basisoperation, die dem wissenschaftlichen Forschungsprozess unterliegen soll, in keiner Weise aufgeklĂ€rt oder diskutiert. Im Anschluss an die obige Textstelle ergeben sich daher Fragen wie: Worin besteht die MaterialitĂ€t der „Materialien“ (oder vielleicht besser: GegenstĂ€ndlichkeit) im Forschungsprozess? Ist der Umgang mit (die Wirklichkeit [re-]konstruierenden) „Kategorien“ im wissenschaftlichen Erkenntnisbildungsprozess ĂŒber alle Forschungspraxen hinweg gleich geartet? Der kritische Verweis des Autors, dass es bei der Beanspruchung wissenschaftlicher Reviere eben manchmal doch wie im Alltag sei (54), kann diese Fragen nicht beantworten. Dass es sachlich gute GrĂŒnde gibt, das Feld qualitativer Forschung nicht mit dem Begriff der Hermeneutik zu ĂŒberschreiben, da dies fĂŒr die erkenntnislogische Aufschließung sozialer Wirklichkeit sehr voraussetzungsvoll ist, darauf sei an dieser Stelle nur hingewiesen.

An die Darstellungen von „Hermeneutik“ und „PhĂ€nomenologie“, die dann als einzige im Unterkapitel „Hermeneutisch-interpretative Konzepte“ diskutiert werden, lassen sich ebenfalls einige Fragezeichen heften. Werden im Zusammenhang der Hermeneutik immerhin noch der „objektive Geist“, das „VorverstĂ€ndnis“ und der „hermeneutische Zirkel“ erlĂ€utert, so lĂ€sst sich die Ausrichtung der „PhĂ€nomenologie“ (auf zwei Seiten), ohne dass man weiß, worum es geht, kaum verstehen. Die Forderung, nicht von Vorannahmen auszugehen, wird nicht in ihrer Besonderheit gegenĂŒber dem allgemeinen wissenschaftlichen Ethos der Vorurteilsfreiheit verstĂ€ndlich gemacht. Zu fragen ist aber auch, ob im Spiel mit der Frage, inwiefern interpretative AnsĂ€tze â€žĂŒber das AlltagsverstĂ€ndnis mit all seinen UnwĂ€gbarkeiten hinausgelangen“ könnten (61f), das Problem der Sinnkonstitution, wie Hermeneutik und PhĂ€nomenologie es diskutieren, nicht gerade verstellt wird. Im Analyse-Kapitel formuliert Schlömerkemper: „In extremer Polarisierung kann eine phĂ€nomenologische Analyse irrelevant werden, wenn sie unzulĂ€ssig generalisiert oder wenn sie lediglich subjekthaft-individuelle Mutmaßungen erbringt“ (92). Was ist der Sinngehalt einer solchen Äußerung, da doch die beschriebene Art des Umgangs fĂŒr jede Forschungspraxis als problematisch zu beurteilen wĂ€re?

Im fĂŒnften Kapitel werden unter „Strategien der Forschung“ die Feldforschung, Experimente und Fallstudien besprochen, wĂ€hrend im sechsten Kapitel die Datenerhebung, unterschiedliche Verfahrensweisen der Spurensammlung, des Beobachtens, des Befragens und Testens thematisiert werden. Schlömerkemper geht in beiden kurz gehaltenen Kapiteln ĂŒberblickshaft vor. Es wird beispielsweise Lewin als Feldtheoretiker aufgenommen (ohne Eintrag im Literaturverzeichnis) und unterschiedliche Ausformungen der Feldforschung erlĂ€utert; eine erkenntniskritische Diskussion des Feldbegriffs, z.B. im Hinblick auf die Gefahr der Naturalisierung oder dem Übergehen der RelationalitĂ€t des Feldes wird nicht gefĂŒhrt. Die Darstellung ist relativ eng an einer ersten ErlĂ€uterung wichtiger Begriffe sowie der Benennung von Chancen und Grenzen der Forschungs- und Datenerhebungsstrategien orientiert.

Es folgen die beiden Kapitel zur „nicht-numerischen“ und „numerischen“ Datenanalyse, die sehr unterschiedlich gewichtet sind (knapp zehn gegenĂŒber ca. fĂŒnfzig Seiten). Im erstgenannten Kapitel werden vor allem die verschiedenen gĂ€ngigen Verfahren zur Analyse qualitativer Daten angerissen (z.B. dokumentarische Methode, objektive Hermeneutik). Im Kapitel zur numerischen Datenanalyse erlĂ€utert Schlömerkemper die wichtigsten Begrifflichkeiten bzw. statistischen Werte und Analyseverfahren. Die Verfahren werden an einem kleinen Beispieldatensatz erlĂ€utert, was fĂŒr die Anschauung sehr hilfreich ist. Beim mathematisch anspruchsvollen Verfahren der Faktorenanalyse wird auf die einschlĂ€gigen Statistik-BĂŒcher verwiesen. Gut ist, dass bei der Darstellung der Verfahren wiederholt auf Schluss- und Interpretationsfehler hingewiesen wird, z.B. auf die Gefahr ungedeckter Kausalannahmen in Korrelationsrechnungen. Mitunter wirkt die Charakterisierung von statistischen Verfahren – auch im Vergleich – etwas vage, beispielsweise wenn gesagt wird, dass Regression und Korrelation also im Grunde Ă€hnlich seien (114). Der letzte Abschnitt des Kapitels wendet sich statistischen Relevanz-Betrachtungen zu: Hier geht es dann um Chi-Quadrat-Tests, die Reflexion von Fallzahlen, Varianzanalysen etc. In diesem Kapitel gelingt es meines Erachtens deutlich besser als in den Kapiteln davor, in die Denkhaltungen der Forschungskonzepte einzufĂŒhren.

Das Schlusskapitel „Perspektiven“ nimmt nochmals das Anliegen auf, unfruchtbare Polarisierungen von qualitativer und quantitativer erziehungswissenschaftlicher Forschung zu ĂŒberwinden. Hier werden auch Strategien und VorschlĂ€ge (bis hin zu einer „hermeneutischen Datenanalyse“, vgl. 157) vorgetragen. Wenn der Autor herausstellt, dass empirische Forschung als theoriegeleiteter Prozess zu denken ist und dass wissenschaftliche Aussagen auf ihre VorlĂ€ufigkeit verwiesen bleiben, so ist dem sicherlich zuzustimmen. Dennoch bleibt die Umsetzung von Schlömerkempers Anliegen im Rahmen der hier vorliegenden Darstellung begrenzt, da diese – wie gezeigt – bezogen auf die epistemologische und philosophische Fundierung von Sinn(-konstitution) erschließender bzw. rekonstruktiver Forschung nicht hinreichend ist. Generell wird zu prĂŒfen sein, inwieweit die Überwindung der Kluft quantitativ-statistischer und qualitativ-sinnrekonstruktiver AnsĂ€tze in der pĂ€dagogischen Forschung nicht einer intensiven Auseinandersetzung hinsichtlich der zu Grunde liegenden Wirklichkeitsauffassungen bedarf. Ungeachtet dieser Kritik ist die Geste der Öffnung und GesprĂ€chsbereitschaft des Autors sehr zu begrĂŒĂŸen.

Mit Blick auf das Ziel des Buches ist zunĂ€chst festzuhalten, dass die EinfĂŒhrung in relevante Konzepte pĂ€dagogischer Forschung fĂŒr sich genommen hilfreich sein kann, ohne dass diese bereits mit einer Forschungspraxis verbunden werden mĂŒssten. Besonders bezogen auf die Analyse numerischer Daten bietet das Buch einen guten Einstieg. Wer aber erwartet, in diesem Buch etwas ĂŒber die Konstitution des PĂ€dagogischen oder Strategien seiner Operationalisierung zu erfahren, wird ĂŒber die eineinhalb Seiten allgemeiner Bemerkungen (Kap. 9.2.1) enttĂ€uscht sein. Als Manko bleibt schließlich (nochmals) zu nennen, dass im Buch zwar kommentierte Literaturhinweise angegeben werden, aber im Haupttext der Gedankengang nicht durch Referenzen und BezĂŒge kenntlich bzw. nachvollziehbar gemacht wird. ‚Einbezug und Hervorruf‘ [1] in das Nachdenken ĂŒber Forschung gelingen daher nur begrenzt.

[1] Theodor Ballauff (1974): Einbezug und Hervorruf. ErwĂ€gungen zu einigen Kategorien von Bildung und Erziehung. In: Sein und Geschichtlichkeit (Festschrift fĂŒr Karl-Heinz Volkmann-Schluck). Hrsg.: I. SchĂŒssler u.a. Frankfurt a. M., 291-301
Christiane Thompson (Halle/Saale)
Zur Zitierweise der Rezension:
Christiane Thompson: Rezension von: Schlömerkemper, Jörg: Konzepte pĂ€dagogischer Forschung. Stuttgart / Bad Heilbrunn: UTB / Klinkhardt 2010. In: EWR 11 (2012), Nr. 3 (Veröffentlicht am 31.05.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978382523273.html