In dem Maß, in dem das Thema „Lebenslanges Lernen“ in einer sich stetig wandelnden Gesellschaft immer bedeutsamer wird, scheint auch das Bedürfnis zu wachsen, mehr über das unübersichtliche Feld der Erwachsenenbildung/Weiterbildung, seinen Aufbau und seine Funktionsweise zu erfahren. Und so ist in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Überblicksdarstellungen und Einführungen zur Erwachsenenbildung/Weiterbildung erschienen, die sich jeweils aus unterschiedlichen Perspektiven, aber immer mit einem systematisierenden Anspruch ihrem Untersuchungsgegenstand nähern. Ein Trend, der möglicherweise auch im Zusammenhang mit der Entwicklung neuer Bachelor- und Masterstudiengänge interpretiert werden kann, insofern diese Wissen in kompakterer Form nachfragen.
Mit ihrem als Lehrbuch konzipierten Buch „Berufliche Weiterbildung“ liefert nun Christiane Schiersmann einen weiteren Beitrag, um das diffuse Feld des Lernens Erwachsener zu ordnen. Ihr Fokus richtet sich dabei auf ein Segment der Erwachsenenbildung, das als expandierendes beschrieben werden kann und seinen Bezugspunkt im beruflichen Alltag bzw. der beruflichen Wirklichkeit von Individuen hat.
Die Autorin entfaltet ihre Systematik in insgesamt acht Kapiteln, wobei auffällt, dass sie mit ihrer Argumentation stets recht allgemein ansetzt, um Zusammenhänge zu erörtern und es damit den Leserinnen und Lesern ermöglicht, die aufgezeigten Trends besser einordnen bzw. aus einem globaleren Blickwinkel betrachten zu können. Die das Feld der Erwachsenenbildung, insbesondere auch der beruflichen Bildung kennzeichnende Vielfalt schlängelt sich dabei wie ein roter Faden durch das gesamte Buch.
Im einleitenden ersten Kapitel erläutert Schiersmann zunächst den Ausgangspunkt ihrer Darstellung. Dieser liege vor allem in einem „raschen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturwandel“ (9), der dramatische Konsequenzen für das gesamte Bildungssystem habe und in eine Neukonzeption, orientiert am Konzept des Lebenslangen Lernens, münde. Vor diesem Hintergrund dauerhafter Veränderung und Veränderungsanforderung sei auch das berufliche Lernen nicht mehr länger als funktions- und berufsbezogene, sondern als prozessbezogene Weiterbildung zu beschreiben. Für eine Überblicksdarstellung bedeute dies vor allem, Entwicklungstrends und sich stellende Herausforderungen betrieblicher Weiterbildung aufzuzeigen.
Das mit dem Titel „Selbstverständnis beruflicher Weiterbildung“ überschriebene zweite Kapitel kann als eine Art konzeptionelles Gerüst für die weiteren Ausführungen verstanden werden. Hier geht Schiersmann zunächst ausführlich auf den von Wandel geprägten gesellschaftlichen Kontext ein, in dem berufliche Bildung angesiedelt ist. So spielten Wissen, Informations- und Kommunikationstechnologien eine immer wichtigere Rolle, aber auch demographische Entwicklungen, Globalisierungs- und Individualisierungstendenzen wirkten sich auf die Veränderung der Betriebs- und Arbeitsorganisation, auf die Individuen und ihre Kompetenzprofile aus. In einem zweiten Schritt widmet sich Schiersmann der Frage, was denn unter beruflicher Weiterbildung zu verstehen sei. Sie verschließt sich dabei einfachen Definitionen und verweist stattdessen auf die Vielfalt betrieblicher Lernkontexte. Insbesondere den in der Disziplin stark diskutierten informellen Lernkontexten gibt sie breiten Raum. Sie legt dabei Wert darauf, dass es aus erziehungswissenschaftlicher Sicht immer nur um die Differenzierung von Lernkontexten gehen könne, nicht aber um informelle oder formale Lernprozesse, was eher in den Bereich der Lernpsychologie fiele. Als Fazit hält die Autorin fest, dass es angesichts empirisch beobachtbarer Entgrenzungstendenzen sinnvoll sei, von einem breiten Begriff beruflicher Weiterbildung auszugehen. In einem dritten Schritt zeichnet sie dann die Abfolge konzeptioneller Orientierungspunkte für das Selbstverständnis beruflicher Weiterbildung nach, die vom klassischen Bildungsbegriff über den Begriff der Schlüsselqualifikation bis hin zum heute breit verwendeten Kompetenzbegriff reiche.
Nachdem die Autorin das Gerüst, vor dem sich berufliche Bildung insgesamt abspielt, umrissen hat, beschäftigt sie sich im dritten Kapitel mit dem Thema „neue Lernkulturen“, die einen erheblichen Einfluss auf den beruflich-betrieblichen Alltag bzw. die berufliche Weiterbildung hätten. Als Trends macht sie hier neben dem selbstgesteuerten Lernen das arbeitsbegleitende Lernen sowie das Lernen mit neuen Medien aus. Das allerorten proklamierte selbstgesteuerte Lernen werde allerdings lediglich „auf einer Plausibilitätsebene“ begründet, ohne dass es eine „theoriebezogene Verständigung über diese Begrifflichkeit“ (74) gebe, so dass es eher als „Chiffre“ (73) für alles Mögliche gelten könne. In ihren Ausführungen differenziert sie zwischen drei konzeptionellen Varianten des Begriffs, die eine lerntheoretische, eine didaktische und eine gesellschaftspolitische Perspektive repräsentieren. Sie kommt zu dem Schluss, dass selbstgesteuertes Lernen voraussetzungsvoll sei und entsprechend unterstützt werden müsse. Bildungspolitisch warnt sie davor, dass der Trend zum selbstgesteuerten Lernen als Möglichkeit der Kostenreduzierung im Bereich der Weiterbildung falsch verstanden werden könne. Im Zusammenhang mit dem arbeitsbegleitenden Lernen stellt sie mehrere Formen vor, so etwa „Lerninseln“ (91), „Gruppen- und Projektarbeit“ (92, 95) oder „Qualtitätszirkel“ (98). Sie macht jedoch eine Diskrepanz aus zwischen Programm und Praxis: So seien die einzelnen Formen zahlenmäßig doch relativ gering verbreitet. Als Haupthindernis in den Betrieben vermutet Schiersmann vor allem das anhand solcher Lernformen manifest werdende Spannungsverhältnis zwischen pädagogischer und betriebswirtschaftlicher Logik. Auch bezogen auf das Lernen mit neuen Medien zieht sie ein kritisches Fazit: So sei die anfängliche Euphorie der eher nüchternen und differenzierteren Einschätzung gewichen, dass auch der Einsatz neuer Medien in der beruflichen Weiterbildung nicht alle Probleme lösen könne. Heute seien vor allem Formen des blended learnings als neuer Trend auszumachen.
Im umfangreichsten Kapitel des Buches, dem vierten, geht Schiersmann der Frage nach, wer eigentlich an beruflicher Weiterbildung beteiligt ist und in welchem Umfang. Dabei problematisiert sie zunächst die schwierige Datenlage, die sich aufgrund der Heterogenität des Feldes ergibt. Nach der Unterscheidung und kurzen Skizzierung wichtiger Datenquellen (so etwa des Berichtssystems Weiterbildung, des Mikrozensus, des Betriebspanels des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung) nimmt sie – auf Grundlage der genannten unterschiedlichen Quellen – eine Analyse vor im Hinblick etwa auf die Frage, welche Zusammenhänge sich zwischen Weiterbildungsbeteiligung sowohl in formalen wie in informellen Lernkontexten und Alter, Qualifikationsniveau, Geschlecht, Branche, Erwerbsstatus, Nationalität usw. finden lassen. Auch auf Einstellungen und subjektive Bedeutungen von Weiterbildung geht sie ein, ebenso auf Weiterbildungsbarrieren und –perspektiven. Insgesamt weist dieses Kapitel eine große Menge an Daten auf, die aber trotzdem gewisse Trends erkennen lassen. Der Autorin gebührt das Verdienst, diese aus der eher unübersichtlichen Datenlage anschaulich und gebündelt dargestellt zu haben. Als Ergebnis kann sie festhalten, dass die Beteiligung an Weiterbildung in den vergangenen Jahren zwar gestiegen, dennoch eine „gravierende Segmentierung“ (177) zu beobachten sei, die bewirke, dass etwa besser ausgebildete, erwerbstätige oder jüngere Menschen häufiger an Weiterbildung teilnehmen als gering qualifizierte, arbeitslose oder ältere Menschen. Trotz der bildungspolitischen Programmatik des Lebenslangen Lernens habe sich daran nichts geändert, was zu denken geben müsse. Die Frage nach den Lerninhalten beruflicher Bildung streift die Autorin im extrem kurzen fünften Kapitel. Aufgrund fehlender Kanonisierung und Standardisierung habe man es hier mit einer unübersichtlichen Vielfalt zu tun, die sich einer systematischen Darstellung im Grunde versperre.
Das sechste Kapitel dreht sich um die organisationalen Kontexte beruflicher Weiterbildung. Welche Anbieter lassen sich identifizieren, wie setzt sich das Personal zusammen und welchen Grad an Professionalisierung weist es aus? Wie auch schon in den übrigen Kapiteln deutlich geworden ist, gibt es auch hier eine große Pluralität. Schiersmann ordnet das Feld nach Organisationstypen, geht auf den Prozess der Erstellung von Weiterbildungsangeboten ein und erörtert schließlich das Profil und das Selbstverständnis des heterogenen, in verschiedene Berufsrollen differenzierten Weiterbildungspersonals.
Ähnlich wie das zweite Kapitel bildet auch das siebte Kapitel einen Rahmen, der die berufliche Bildung nun nicht konzeptionell-kategorial, sondern bildungspolitisch einordnet. Die Autorin geht hier vor allem auf internationale, nationale und betriebliche rechtliche Regelungen ein, auf die Frage der Finanzierung von Weiterbildungsaktivitäten (hier auch auf neuere Entwicklungen wie auf Bildungsgutscheine), die Zertifizierung von (insbesondere auch informeller) Weiterbildung sowie – etwas ausführlicher – auf Beratung im Kontext von Weiterbildung, die gerade angesichts der Unübersichtlichkeit immer wichtiger werde, aber noch nicht weit genug ausgebaut und professionalisiert sei – eine Aufgabe, der gerade angesichts der bildungsprogrammatischen Forderung nach dem lebenslangen Lernen künftig eine größere Aufmerksamkeit geschenkt werden müsse. Das Buch endet mit einem kurzen, die Kapitel in ihren Kernaussagen zusammenfassenden Fazit (Kapitel 8).
Insgesamt stellt das gut lesbare und informative Buch einen gelungenen Versuch dar, ein heterogenes, unübersichtliches Feld in eine Form zu bringen. Die durchgehend diagnostizierte Vielfalt, auf die immer wieder als Problem hingewiesen wird, ist für Schiersmann keine Entschuldigung, sich nicht an einer Systematik zu versuchen. Und so gelingt es ihr, die in der Einleitung angekündigten Entwicklungstrends deutlich erkennbar aufzuzeigen. Insofern wird sie dem Lehrbuch-Charakter voll gerecht: Das Buch eignet sich hervorragend für Studierende, um eine Vorstellung und einen ersten Überblick über das dynamische Feld der betrieblichen Weiterbildung zu erhalten. Hilfreich sind dabei die die Kapitel einleitenden kurzen und grau unterlegten Zusammenfassungen, die Resümees am Ende der Kapitel oder Teilkapitel sowie der eine oder andere kommentierte Literaturhinweis. Möglicherweise hätten zur Reflexion oder Diskussion anleitende Fragen jeweils am Ende der Kapitel den Lehrbuch-Anspruch etwas erhöhen bzw. den Einsatz des Buches in der Lehre erleichtern können. Zum Verständnis tragen auch die Graphiken zu einzelnen Aspekten bei, wobei im Kapitel vier auf die eine oder andere statistische Darstellung hätte verzichtet werden können. Bei der Darstellung von Forschungsergebnissen ist etwas kritisch anzumerken, dass auf qualitative Forschung in diesem Bereich nur am Rande eingegangen wird. Dennoch machen Schiersmanns Ausführungen auf viele Forschungslücken aufmerksam, so dass sich das Buch auch für Erziehungswissenschaftlerinnen und Erziehungswissenschaftler eignet, um weitere Forschung – sei sie nun quantitativer oder qualitativer Natur – zu initiieren. Nicht zuletzt ist es ein Buch, das von bildungspolitisch agierenden Personen gelesen werden könnte, insofern wesentliche Ergebnisse zusammengetragen worden sind, die die Kluft zwischen Programm und Realität sehr deutlich aufzeigen und auf Handlungsbedarf in diesem Feld aufmerksam machen.
EWR 7 (2008), Nr. 4 (Juli/August)
Berufliche Weiterbildung
(VS Lehrbuch)
Wiesbaden: VS Verlag 2007
(277 S.; ISBN 978-3-8100-3891-3; 19,90 EUR)
Birte Egloff (Frankfurt)
Zur Zitierweise der Rezension:
Birte Egloff: Rezension von: Schiersmann, Christiane: Berufliche Weiterbildung, (VS Lehrbuch). Wiesbaden: VS Verlag 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 4 (Veröffentlicht am 06.08.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978381003891.html
Birte Egloff: Rezension von: Schiersmann, Christiane: Berufliche Weiterbildung, (VS Lehrbuch). Wiesbaden: VS Verlag 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 4 (Veröffentlicht am 06.08.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978381003891.html