EWR 15 (2016), Nr. 5 (September/Oktober)

Nadja Maria Köffler
Entwicklungsaufgaben im Lehramtsstudium
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2015
(211 S.; ISBN 978-3-7815-2057-8; 36,00 EUR)
Entwicklungsaufgaben im Lehramtsstudium Die LehrerInnenbildung an den Universitäten und Hochschulen im deutschsprachigen Raum ist seit Jahren durch Reformen gekennzeichnet, die vor allem dem bildungspolitischen Interesse an „kompetenten“ und „professionellen“ Lehrerinnen und Lehrern geschuldet sind. Der vorliegende Band von Nadja Maria Köffler nimmt in Bezug auf die Frage nach der Professionalisierung der LehrerInnenbildung eine besondere Perspektive ein: Hochschulische Ausbildungsnotwendigkeiten werden konsequent aus Sicht der Lehramtsstudierenden ermittelt und sollen zur Entwicklung eines neuen Studienmodells an österreichischen Hochschulen beitragen, die subjektbedeutsame Aspekte bisher nicht oder nicht ausreichend beachten. Die Teilstudie richtet sich vor allem an ForscherInnen im Bereich der LehrerInnenbildung und Professionsforschung sowie der Bildungsgangforschung, aber auch an praktisch Tätige im hochschulischen Bereich der LehrerInnenbildung und an interessierte Studierende.

Die Studie entstand im Forschungszusammenhang des Projekts „Professionsspezifische Entwicklungsaufgaben (in) der LehrerInnenbildung – ein rekonstruktives Programm“ in Zusammenarbeit mit der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Edith Stein in Innsbruck (Österreich). Das Projekt zielte – ausgehend von Havighursts Entwicklungsaufgabenkonzept und dessen Weiterentwicklung – auf die empirische Erfassung eines Sets an professionsspezifischen Entwicklungsaufgaben, welches in die Umgestaltung der LehrerInnenbildung einfließen sollte. In Bezugnahme auf bildungsgangtheoretische Ansätze werden Entwicklungsaufgaben verstanden als Auseinandersetzung und Abwägungsvorgang zwischen ausbildungsspezifisch-curricularen Anforderungen und individuellen, subjektiven Lernbedürfnissen mit dem Ziel, zukünftige Berufsanforderungen zufriedenstellend zu bewältigen. Die Arbeit von Köffler, als eine von mehreren Teilstudien des Projektes, rekonstruiert die subjektiven Entwicklungsaufgaben von Lehramtsstudierenden und legt den Schwerpunkt auf deren Krisenerfahrungen. Dazu wurden 51 Lehramtsstudierende (Abschlussjahrgänge 2010–2012) im Rahmen von (teil-)narrativen Interviews um die retrospektiv-reflektierende Beschreibung von krisenhaften Konflikten im Studium gebeten sowie von Studierenden angefertigte, reflexive Dokumente einbezogen. Die Autorin betont, dass die herausgearbeiteten Ergebnisse aufgrund der regional begrenzten Stichprobe nur Ergebnisse bezogen auf Innsbrucker Ausbildungsstrukturen abbilden.

Die Arbeit wird mit einem „Plädoyer an die LehrerInnen(-aus-)bildung“ eingeleitet, in welchem Köffler theoretisch begründet fordert, dass studentische Bedürfnisse relevant für die Gestaltung der Ausbildungscurricula sein sollten. Die im Rahmen der Lehrerbildungsreform in Österreich bisher durchgeführten Strukturänderungen hätten nicht umfassend zu „zufriedenstellenden Erneuerungen“ (10) geführt, so dass diese hinterfragt werden müssten. Sie begründet die Professionalisierungsnotwendigkeit auf verschiedenen – etwas unverbunden nebeneinander stehenden und teils nur kurz angerissenen – Ebenen: beispielsweise mit Verweis auf die gestiegenen Anforderungen im Beruf, mit der Frage, was Studierende brauchen „um im Berufsalltag bestehen zu können“ (10) und wie die Lernqualität der Universität bzw. ihre Wirksamkeit und damit die Lernerfolge der Studierenden erhöht werden könnten. Die Notwendigkeit, subjektive Bedürfnisse der Studierenden, die häufig nicht mit den curricularen Inhalten übereinstimmten, in zukünftigen Strukturreformen zu berücksichtigen, begründet sie unter anderem mit Verweis auf Studien zur Ineffizienz von extrinsisch motiviertem Lernen. Die zentrale Forschungsfrage nach subjektiv bedeutsamen Studienanforderungen und ihrer Bewältigung hätte dabei m.E. nicht in Bezug auf die angeführten Verwertungszusammenhänge formuliert werden müssen. Die Bezugnahme auf die in den letzten Jahren entstandenen Forschungsdesiderate der LehrerInnenbildung bzw. der Professionsforschung hätte zur Begründung des Forschungsanliegens und dessen Verortung genügt.

Das zweite Kapitel beschreibt den konzeptionellen Bezugsrahmen, in welchem zentrale Konzepte der Bildungsgangforschung und das Konzept der Entwicklungsaufgaben kritisch dargestellt werden. Außerdem verortet Köffler die vorliegende Forschungsarbeit vor dem Hintergrund gegenwärtiger Desiderate. Im anschließenden dritten Kapitel wird in Bezug auf Holzkamps subjektorientierte Lerntheorie begründet, inwiefern Krisen und (Wohl-)Befinden von Studierenden als Indikatoren für subjektive Entwicklungsaufgaben erfasst werden können. Köffler nimmt in ihrer Studie dezidiert diesen spezifischen Fokus in Anspruch und verwendet die methodisch ausgewerteten Selbstbeschreibungen der Studierenden als Instrument zur Sichtbarmachung der Entwicklungsaufgaben. Die Anlage und Durchführung der Untersuchung wird im vierten Kapitel vorgestellt, das mit einer Skizze der Ausbildungsstrukturen der Universität Innsbruck endet. Zentrale Erhebungsinstrumente waren teil-narrative (Einzel-)Interviews mit Studierenden (n=31) in unterschiedlichen Studien- und Lebensverhältnissen, die retrospektiv ihre Eindrücke während des Studiums schilderten. Zudem fertigten die Studierenden (n=10) schriftliche, reflexive Berichte zu ihrer Entwicklung im Studium an. Im Rahmen einer Sekundäranalyse wurden narrative berufsbiographische Tiefeninterviews geführt (n=10), in welchen ausführlich der studentische Werdegang beschrieben wurde. Das Datenmaterial wurde mit der Grounded Theory ausgewertet, deren konkrete Anwendung im Rahmen der Teilstudie beschrieben wird. Neben Merkmalen des studentischen Wohlbefindens und ausbildungsbezogenen Problemfeldern werden im fünften Kapitel studentische Krisenerfahrungen und damit verbundene Bewältigungsmuster angeführt. Anhand zweier Beispiele werden zudem auch protektive – im weitesten Sinne „schützende“ – Faktoren im Lehramtsstudium skizziert, wie zum Beispiel eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung oder ein stabiles soziales Umfeld. Für eine stärkere Fallkontrastierung wäre die Hinzunahme weiterer, „krisenarmer“ Studienverläufe spannend gewesen.

Das sechste Kapitel bündelt die Analyseergebnisse zu einem Kanon subjektiver Entwicklungsaufgaben, die anschließend in Abgleich mit den herangezogenen theoretischen Konzepten diskutiert werden. Köffler entwickelt dafür zunächst 15 übergeordnete Lern- und Entwicklungsfelder, die anschließend zu fünf subjektiven Entwicklungsaufgaben zusammengeführt (Kompetenz, Resilienz, Fehlertoleranz, Selbstkonzept und Autonomie) und ausführlich beschrieben werden. Sie kommt zu dem Schluss, dass Studierende während des Studiums vorwiegend mit der Entwicklung selbst-regulativer Fähigkeiten und der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit befasst sind, was die curricular vorgesehene professionsspezifische Entwicklung teilweise überschattet. Damit bekräftigt Köfflers Studie weitere, im selben Forschungskontext entstandene Studienergebnisse, die eine Diskrepanz zwischen studierendenseitigen Entwicklungsaufgaben und -bedürfnissen auf der einen Seite und ausbildungsspezifischen Entwicklungsanforderungen auf der anderen Seite bestätigen. Im Resümee fasst Köffler zusammen, dass sich das Studium „insgesamt als Zeit der Klärung essentieller Lebensfragen“ (192) erweise, was zwangsläufig in Spannung zur eingeforderten Entwicklung von Fachexpertise und Professionsbewusstsein stünde. Ausgehend von den fünf herausgearbeiteten Entwicklungsaufgaben schlägt die Autorin jeweils konkrete hochschulische Umsetzungsmaßnahmen vor, beispielsweise eine verlängerte Studienzeit und höhere Wahlfreiheiten im Studium, um genügend Zeit und Raum für die parallel stattfindende Persönlichkeitsentwicklung zu schaffen.

Die Studie gibt alles in allem einen guten Einblick in die bisher wenig beachteten, subjektiven Bedürfnisse und Krisen von Lehramtsstudierenden und bedient damit ein Forschungsdesiderat. Freilich lässt sich abschließend fragen, ob womöglich genau jene Krisen, die bei den Studierenden durch die erlebte Diskrepanz von eigenen Bedürfnissen und den curricularen, hochschulischen Erfordernissen ausgelöst werden, die persönliche Entwicklung erst anstoßen und damit besonders entwicklungsbedeutsam sind. In welcher Weise die Studie die erweiterten Ansprüche – wie bspw. die eingangs erwähnte Steigerung der Wirksamkeit der LehrerInnenbildung – erfüllen kann, bleibt abzuwarten. Sicherlich aber können die Erkenntnisse der Studie zu tragfähigen Umsetzungen in der Neugestaltung der hochschulischen Studienorganisation und einer stärkeren Subjektorientierung beitragen.
Nina Meister (Marburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Nina Meister: Rezension von: Köffler, Nadja Maria: Entwicklungsaufgaben im Lehramtsstudium. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2015. In: EWR 15 (2016), Nr. 5 (Veröffentlicht am 29.09.2016), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378152057.html