EWR 11 (2012), Nr. 3 (Mai/Juni)

Eckhardt Fuchs / Sylvia Kesper-Biermann / Christian Ritzi (Hrsg.)
Regionen in der deutschen Staatenwelt
Bildungsräume und Transferprozesse im 19. Jahrhundert
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2011
(274 S.; ISBN 978-3-7815-1790-5; 19,90 EUR)
Regionen in der deutschen Staatenwelt Auf gemeinsame Initiative der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung (BBF) in Berlin und des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung (GEI) in Braunschweig fand im April 2008 in Berlin eine Tagung zum Thema „Bildungsräume im langen 19. Jahrhundert. Wahrnehmungs- und Transferprozesse in der deutschen Staatenwelt“ statt. Erweitert um drei dort nicht vorgestellte Beiträge, versammelt der vorliegende Band sieben für die Publikation bearbeitete Vorträge dieser Tagung.

Folgt man dem Vorwort der Herausgeber und der von Eckhardt Fuchs und Sylvia Kesper-Biermann verfassten Einleitung des Bandes, dann wollten die Initiatoren der Tagung vorrangig einem Forschungsdefizit der Historischen Bildungsforschung begegnen, als dessen chronische Symptome sie zum einen die notorische Überschätzung Preußens als maßstabsetzendes Modell für die Entwicklung des Bildungssystems in Deutschland und zum anderen die nicht minder beständige Neigung diagnostizieren, innerhalb Preußens „eine mehr oder weniger einheitliche, lineare Entwicklung von den preußischen Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts bis hin zum Kaiserreich“ zu unterstellen (nahezu wortidentisch 7 und 11).

Insofern erscheint es folgerichtig, dass sich die Beiträge am „Borussozentrismus“ der Historischen Bildungsforschung abarbeiten sollen. Wenn Eckhardt Fuchs und Sylvia Kesper-Biermann in Bezug auf die angeprangerte Preußenfixiertheit der Forschung und deren Linearitätsannahmen bilanzieren, dieser „Zustand“ beginne „sich seit einigen Jahren mit dem Entstehen von Regional- bzw. Territorialstudien zu ändern, die einen differenzierteren Blick auf die Bildungslandschaft im Deutschland des 19. Jahrhunderts ermöglichen“ (12) und zum Beleg vorrangig auf neuere Studien im vorliegenden Band vertretener Autorinnen und Autoren verweisen, dann allerdings darf erstens nach dem Zeitempfinden und zweitens nach dem Umgang mit dem Forschungsstand gefragt werden. Denn seit rund einem Vierteljahrhundert werden Studien vorgelegt, die sich in ihren Analysen der Bildungssystementwicklung keineswegs auf Preußen beschränken und die im Blick auf den innerpreußischen Bildungsraum die komplexen Wechselwirkungen zwischen gesamtstaatlichen, regionalen und lokalen Entwicklungsprozessen und ihren jeweiligen Bedingungskonstellationen herausarbeiten.

Jenseits schmückender Ausführungen zur Globalisierung, zum europäischen Integrationsprozess, zu Renationalisierungsbestrebungen und zum Wiedererstarken regionaler Bezüge und Identitäten beschreiben Eckhardt Fuchs und Sylvia Kesper-Biermann als Hauptanliegen des Bandes, im Rahmen vergleichender Analysen der Gestaltung und Wahrnehmung unterschiedlicher „Bildungsräume“ und „Transferprozesse“ die Leistungsfähigkeit „des von uns vorgeschlagenen Forschungskonzepts der ‚Bildungsräume‘“ (15 f) vor Augen zu führen. Dabei wird nach eigenem Bekunden ein Ansatz verfolgt, der zum ersten bestrebt ist, „die deutschen Staaten im 19. Jahrhundert als eigenständige Gebilde und handelnde Akteure ernst zu nehmen“, zum zweiten versucht, „theoretische Raum- und Transferansätze, die im Kontext der Ent-Nationalisierung von Nationalgeschichte verfolgt werden, für intranationale und interregionale Prozesse zu rekonzeptualisieren“, und zum dritten „das Konzept der ‚Bildungsräume’“ nutzt (11).

Die Auflistung diverser Raum- und Transferkonzepte aus verschiedenen Bereichen der Geschichts-, Sozial- und Kulturwissenschaften lässt nicht erkennen, auf welche der doch recht unterschiedlichen Theorieangebote sich das hier vorgeschlagene Konzept in besonderer Weise stützt. Aufschlussreicher sind die Erläuterungen zum Begriff der Bildungsräume, die verstanden werden sollen „als ein bewusst weites Spektrum von Räumen verschiedener Qualität und Reichweite. Sie umfassen sämtliche Teilbereiche des Bildungswesens und können eine lokale, regionale, nationale oder transnationale Ausdehnung haben. So wird es möglich, verschiedene Ebenen, Formen und Funktionen sowie die Beziehungen zwischen Bildungsräumen einschließlich der beteiligten Akteure zu analysieren.“ Unterschieden werden dabei drei Kategorien von Bildungsräumen: „Diese können erstens physisch fassbar als Gebäude oder Bildungsinstitutionen sein. Es kann sich zweitens um durch naturräumliche, verwaltungsmäßige oder politische Grenzen markierte geografische Einheiten unterschiedlicher Größenordnung (z.B. Städte, Regierungsbezirke, Staaten) handeln. Der Begriff umfasst drittens Raumwahrnehmungen und -konstruktionen, also die schon angesprochenen mental maps“ (16). Ein solcherart entgrenztes Verständnis des Bildungsraums öffnet zwar ein breites Einsatzspektrum, läuft aber Gefahr, dass der Raumbegriff, um eine Formulierung Stephan Günzels aufzunehmen, „zum Passepartout ohne Notwendigkeit“ wird [1].

Im ersten der insgesamt vier Beiträge des Kapitels „Regionen“ beleuchtet David Käbisch die institutionelle und konzeptionelle Entwicklung der evangelischen Religionslehrerausbildung an den drei mitteldeutschen Universitäten in Jena, Leipzig und Halle. Die postulierte Bedeutung von Bildungsräumen ist nicht recht ersichtlich, auch wenn „unter Raum kein geographisches Konstrukt, sondern eine mental map verstanden werden soll“ (34). Entsprechend konstruiert muten die Bezüge zur Regions- und Raumthematik an. Der eigentliche Ertrag des Beitrags besteht darin, die diversen Konzeptionen der Katechetik und Religionspädagogik entgegen gängiger Epochalisierungen als Ergebnis individueller theologischer Vorlieben der jeweils maßgeblichen bildungspolitischen Akteure entlarven zu können.

Am Beispiel des Lehrerbildungsnormativs von 1857 und seiner Neufassung im Jahr 1866 untersucht Johannes Wischmeyer die Leitlinien der Zentralregierung Bayerns zur Reform der Lehrerbildung und zur Professionalisierung der geistlichen Schulaufsicht im Volksschulwesen sowie die diesbezüglichen Reaktionen regionaler und kirchlicher Akteure. Die Unschärfe der Verweise auf Aushandlungsprozesse und Spielräume erschwert eine systematische Analyse des Wechselverhältnisses zwischen dem um Vereinheitlichung bemühten bayerischen Kultusministerium und den auf Einflusswahrung bedachten kirchlichen Entscheidungsträgern. Form und Wirkung der angedeuteten regionalen und konfessionellen Partikularismen bleiben undeutlich. Dass sich in Bayern „konfessionell bestimmte Bildungsräume“ (82) ausmachen lassen, überrascht im Blick auf das Volksschulwesen wahrlich nicht.

Rosemarie Godel-Gaßner legt eine vergleichende Rekonstruktion der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzenden Professionalisierung des weltlichen Lehrerinnenberufs in Baden und Württemberg vor. Der Fokus ist auf die direkten und mittelbaren Einflussnahmen von Regierungen und Bildungsadministrationen, von Frauen- und Lehrerinnenvereinen sowie kommunalen und kirchlichen Akteuren gerichtet. Heißt es am Anfang des Beitrags, die Wahl des Untersuchungsraums wende sich „gegen die preußenzentrierte Schul- und Bildungsgeschichtsforschung“ (87), so lautet das Resümee: „Die Frage, inwieweit sich Württemberg und Baden an preußischen Entwicklungen orientierten, kann an dieser Stelle nicht umfassend geklärt werden“ (106). So bleibt es bei der vorsichtigen Aussage, „hinsichtlich einer Reihe von Entwicklungsschritten“ habe „Preußen aber eindeutig nicht als Maßstab für südwestdeutsche Entwicklungen“ fungiert (106).

Auf der Suche nach „Transfers in das Bildungswesen Sachsens“ (109) vergleicht Hans-Martin Moderow die Seminarordnung von 1857/59, das Realschulregulativ von 1860 sowie das Mädchenschulgesetz von 1910 mit den jeweiligen preußischen Gegenstücken, den Stiehlschen Regulativen, der Unterrichts- und Prüfungsordnung von 1859 für die realgymnasialen Unterrichtsanstalten und der Mädchenschulreform von 1908. Alle drei sächsischen Untersuchungsbeispiele offenbaren augenfällige Affinitäten, Parallelen und strukturelle Äquivalente zur preußischen Entwicklung, und so zeugt denn der Beitrag von der Schwierigkeit des Verfassers, ostentatives Bemühen um den Nachweis von Differenzen mit einem Aufweis substantieller Unterschiede zu untermauern (vgl. 121). Das Fazit, Maßstab für das Bildungswesen im Königreich Sachsen sei nicht Preußen, sondern „der diffuse Diskussionsraum der Ökumene des deutschen (protestantischen) Bildungswesens“ (127) gewesen, in dem „Transfers nur schwer nachzuvollziehen“ seien, überrascht durch eigenwillige Begrifflichkeit und eine die Fallbeispiele überwiegend konterkarierende Quintessenz.

Das zweite Kapitel über „Region und Nation“ wird von Klaus Dittrich eingeleitet, der am Beispiel der Weltausstellungen in Paris 1867 und Chicago 1893 der Frage nachgeht, wie die deutschen Staaten ihr Bildungswesen international präsentierten und ob dabei nach der Reichsgründung auf ein gesamtdeutsches Bildungssystem Bezug genommen wurde. Die Pariser Darbietungen Preußens und Sachsens werden als Indiz für eine gewisse Konkurrenzsituation und zugleich als gemeinsame Zurschaustellung deutscher Überlegenheit im Volksschulbereich gedeutet, der deutsche Auftritt in Chicago als Beleg für „preußischen Superioritätsanspruch“ (147) und preußische Übermacht – ein Befund, der so gar nicht zur obligaten Kritik am „Borussozentrismus“ der Forschung (134) passen will. Über die Konzeption der Ausstellungsbeiträge und deren Protagonisten informiert der Beitrag allenfalls oberflächlich. Überdies erscheint der Vergleich der Ausstellungen unter der hier verfolgten Fragestellung problematisch: Schwerpunktthema in Paris waren die Volksschulen, in Chicago die Universitäten – Bereiche des Bildungssystems also mit gänzlich unterschiedlichem Bezug zu Regionalität und Zentralstaatlichkeit.

Manfred Heinemann schärft das Bewusstsein für die eminente Bedeutung, die die bildungsrechtlichen Grundlagen und ihre jeweiligen Konstellationen für die föderative Entwicklung des Bildungssystems und der Bildungsverwaltungen in den deutschen Ländern während des 19. und 20. Jahrhunderts besaßen. Der Beitrag bestätigt, dass zumal in Preußen das Verwaltungshandeln der Bildungsadministration keinem simplen Top-down-Prinzip folgte. In insgesamt dreizehn kurzen und zuweilen etwas unsortiert wirkenden Abschnitten werden Kontinuitätslinien regionaler schul- und bildungspolitischer Gestaltungsräume bis hin zu den heutigen Formen des „konstruktiven Föderalismus“ skizziert. Kritikwürdig erscheint freilich die Pauschalität, mit der „die Annahme zentralstaatlicher Zuständigkeiten“ als „unausrottbares Missverständnis in der Geschichte des preußischen Schul- und Hochschulwesens“ (157) zum Quasi-Standard bildungshistorischer Forschung hochstilisiert wird – ein „Missverständnis“, das der Beitrag durch weitgehende Ausblendung der diese Fehleinschätzung korrigierenden Arbeiten größer erscheinen lässt, als es ist.

Zu Beginn des unter der Überschrift „Transfer“ stehenden dritten Kapitels fragt Rebekka Horlacher nach dem Stellenwert, den die Elementarmethode Pestalozzis im Denken und Selbstverständnis der Schulreformer des neu gegründeten Königreichs Württemberg und in der alltäglichen Arbeit der württembergischen Lehrer und deren Ausbilder im frühen 19. Jahrhundert einnahm. Anhand ausgewählter Briefwechsel gelingt es zu rekonstruieren, wie die beteiligten Akteure die Bezugnahme auf die Methode Pestalozzis zu instrumentalisieren und sich über die räumliche Distanz zur Schweiz mit dem Nimbus der Eingeweihten zu umgeben verstanden. Verdeutlicht wird die Wirksamkeit institutioneller wie personaler Interessengegensätze, Eitelkeiten und Rivalitäten bei der Konzeptionalisierung und Implementierung von Schulreformen. Von der Überhöhung des Erkenntnisgewinns dieses Beitrags durch die Herausgeber (vgl. 20) hebt sich das differenzierte Fazit Rebekka Horlachers wohltuend ab. Sofern überhaupt von einem Transferprozess die Rede sein kann, „war dieser eher geistig und immateriell als materiell und damit bemerkenswert wenig geeignet ein Bildungswesen zu reformieren oder gar aufzubauen“ (206).

Aus seiner Habilitationsschrift von 2008 schöpfend, zeichnet Marcelo Caruso die Rezeption des Bell-Lancaster-Modells des „wechselseitigen Unterrichts“ und dessen Adaption in der hybriden Form der sogenannten „wechselseitigen Schuleinrichtung“ in den unter dänischer Herrschaft stehenden Herzogtümern Schleswig und Holstein während der 1820er und 1830er Jahre nach. Begrifflich wie unterrichtstechnologisch fungierte die „wechselseitige Schuleinrichtung“ als Kompromiss, der das innovative Potential der Bell-Lancaster-Methode abzurufen erlaubte, ohne die dominant bleibende Orientierung an der deutschen Tradition des „Zusammenunterrichts“ unter der Leitung eines Erwachsenen aufgeben zu müssen. Die Prozesse der Entlehnung, der „Begriffsreinigung und Hybridisierung“ (213) lassen sich insofern als Beitrag zur Innovationsfähigkeit der traditionellen deutschen Unterrichtsorganisation und zur Identitätsbildung der „imaginierten Gemeinschaft“ (226) der Volksschullehrerschaft in den deutschen Staaten werten. Die Analyse regt dazu an, die Kategorien des Eigenen und Fremden wie auch das Spannungsfeld von Universalismus und Partikularismus stärker als bisher in der Bildungsgeschichte zu berücksichtigen.

Wie schon in seiner Göttinger Habilitationsschrift untersucht Andreas Hoffmann-Ocon am Beispiel des 1866 von Preußen annektierten Königreichs Hannover Formen und Auswirkungen unterschiedlicher Strategien, mit denen die preußische Administration gesamtstaatliche Normierungsprozesse im höheren Schulwesen durchzusetzen versuchte. Einmal mehr wird bestätigt, was Regionalanalysen seit gut zwei Jahrzehnten belegen: Die Diskrepanz zwischen den staatlichen Vorgaben und den Bedingungskonstellationen vor Ort sowie die letztlich unverzichtbare Kooperationsbereitschaft der Kommunen machten das Ausloten konsensualer Lösungsstrategien und die Billigung regionaler Besonderheiten unumgänglich. Das Wissen um komplexe Steuerungsstrategien hinter der Fassade bildungspolitischer Symbolik entspricht seit den 1990er Jahren ebenso dem Forschungsstand wie der Befund, dass die preußische Bildungsadministration mit dem Normaletats für die höheren Schulen und dem rechtlichen Konstrukt des Kompatronats über zwei wirksame Instrumente verfügte, um die Kräfteverhältnisse zu ihren Gunsten zu verschieben. Inwieweit die Verwendung des system- und steuerungstheoretischen Vokabulars zur Gewinnung neuer Erkenntnisse beiträgt, wäre zu hinterfragen.

Sylvia Kesper-Biermann lenkt die Aufmerksamkeit auf die ihrer Einschätzung nach bislang unzureichend ausgewertete Quellensorte der im 19. Jahrhundert verfassten Berichte über Besuche von Bildungseinrichtungen und fragt nach der Bedeutung der von den Zeitgenossen so genannten pädagogischen Reisen für die Beschaffung und den Austausch von Informationen. Exemplarisch werden diverse Formen, Anlässe und Verläufe pädagogischer Reisen sowie Charakteristika der Berichterstattung vorgestellt. Im Fortgang der Schulsystementwicklung verloren die Reisen gegen Ende des Jahrhunderts an amtlicher Relevanz zugunsten persönlicher Fort- und Weiterbildungszwecke. Dass der abschließende Blick auf die Wechselwirkungen zwischen den pädagogischen Reisen und der Wahrnehmung von Bildungsräumen nachdrücklich die Bedeutung belegt, die Preußen in maßstabsetzender Weise zukam – im höheren Schulwesen ohnehin und im Verlauf des 19. Jahrhunderts zunehmend auch für die übrigen Schulsektoren – das ist in einem Band, der mit besonderer Verve den „Borrussozentrismus“ anprangert, nicht ohne Ironie.

Wie zahlreiche Publikationen dieses Genres präsentiert auch dieser Tagungsband Beiträge unterschiedlicher Güte und zugleich ein breites Spektrum methodischer und thematischer Zugänge. Man kann das wahlweise als Ausdruck begrüßenswerter Vielfalt loben oder als Symptom unzureichender Kohärenz tadeln. Jenseits solcher Bewertungspräferenzen lässt sich bei dem hier in Rede stehenden Band aber eben doch nicht übersehen, dass sich die in ihrer analytischen Qualität und ihrem thematisch-methodischen Zugriff gleichermaßen stark differierenden Beiträge nur mühsam in den überaus großzügig dimensionierten Rahmen des „Bildungsraums“ einpassen. Ihren kleinsten gemeinsamen Nenner finden die Beiträge in einem mal engeren, mal loseren Bezug zur Raum- und Transferthematik. Vielerlei Details, die im jeweiligen Entstehungs- und Ursprungskontext der Beiträge ihren Stellenwert gehabt haben mögen, verstärken die Heterogenität. Als obligate Themenklammer, so scheint es, hat sich der in nahezu allen Beiträgen getadelte „Borussozentrismus“ angeboten. Eine systematische Prüfung der eminenten Bedeutung Preußens für die jeweils thematisierten Facetten regionaler Bildungsentwicklungen in Deutschland wird in den vorliegenden Beiträgen jedoch gar nicht oder nur ansatzweise geleistet, und insofern vermitteln die in nahezu jedem Beitrag vorgebrachten Beanstandungen der Preußenfixiertheit bisheriger Forschung überwiegend den Eindruck einer rhetorischen Pflichtübung. Das führt insbesondere in solchen Beiträgen zu argumentativen Verrenkungen, in denen die explizit verneinte preußische Vormachtstellung indirekt bestätigt wird.

So bietet denn die hier vorgestellte Publikation neben vielerlei Anregungen eben auch Anlass, einmal mehr darüber nachzudenken, inwieweit es sich die Historische Bildungsforschung leisten kann, dass von ihr längst in den Blick genommene – wenn auch längst noch nicht zureichend bearbeitete – Fragestellungen immer wieder „neuentdeckt“ werden. Dass der vorliegende Band, wie auf dessen Rückseite zu lesen ist, „erstmals in vergleichender Perspektive die regionale Ebene in das Zentrum bildungsgeschichtlicher Analysen stellt und dabei über Preußen als allgemeinen Referenzpunkt hinausgeht“, ist eine werbliche Übertreibung, die unter dem Gesichtspunkt des Selbstmarketings opportun erscheinen mag, aber die Historische Bildungsforschung im konkreten Fall deutlich schlechter aussehen lässt, als sie es ihrem Forschungsstand nach verdient. Im institutionellen Wettbewerb der Teildisziplinen erscheint der Status der Historischen Bildungsforschung nicht von der Art, dass derlei Vermarktungsstrategie zur Regel werden sollte.

Nicht minder problematisch erscheint die Neigung, sich von Konzepten benachbarter Fachdisziplinen in dem Maße enthusiasmieren zu lassen, wie man konzept- und methodenkritischen Bestandsaufnahmen der Nachbardisziplinen keine Beachtung schenkt. Auffällig ist, dass der in diesem Band als Paradigmenwechsel hofierte sogenannte Spatial Turn in den Sozial- und Kulturwissenschaften (vgl. 9) seit geraumer Zeit keineswegs nur Beifall findet, kritische Sichtweisen und Befunde, wie sie beispielsweise Jörg Döring und Tristan Thielmann (s. Anm. 1) zusammengetragen haben, im vorliegenden Band jedoch konsequent ausgeblendet bleiben.

Die Historische Bildungsforschung leidet ja nicht unter einem Überfluss an ertragreichen Regionalstudien und deshalb ist es schade, dass die Mehrzahl der Beiträge dieses Bandes das Potential regionalanalytischer Arbeiten nicht oder nur eingeschränkt abruft.

[1] Günzel, Stephan: Spatial Turn – Topographical Turn – Topological Turn. Über die Unterschiede zwischen Raumparadigmen. In: Döring, Jörg / Thielmann, Tristan (Hrsg.): Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Bielefeld: Transcript. 2. Aufl. 2009, S. 219-237 (hier: S. 220, Anm. 6).
Ulrich G. Herrmann (Bochum)
Zur Zitierweise der Rezension:
Ulrich G. Herrmann: Rezension von: Fuchs, Eckhardt / Kesper-Biermann, Sylvia / Ritzi, Christian (Hg.): Regionen in der deutschen Staatenwelt, Bildungsräume und Transferprozesse im 19. Jahrhundert. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2011. In: EWR 11 (2012), Nr. 3 (Veröffentlicht am 31.05.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151790.html