Knoll präsentiert mit diesem Band zentrale Ergebnisse seiner begriffsgeschichtlichen Forschung zum Projektverständnis in der Pädagogik, die im Zusammenhang mit einem DFG-Projekt zu John Deweys Laborschule in Chicago an der Universität Eichstätt entstanden sind. In den fünf Kapiteln des Hauptteils sind die Beiträge unterschiedlicher Pädagogen „zur“ Projektpädagogik sorgfältig recherchiert und ausführlich dokumentiert. Das Buch enthält außerdem einen umfangreichen Anhang, welcher eine Chronologie und Statistiken zur Verbreitung der Projektmethode in den Vereinigten Staaten umfasst sowie jeweils eine Studie zum Begriff „learning by doing“ und zum Einfluss von Kilpatricks Projektmethode.
Das Buch enthält zahlreiche Abbildungen, welche insbesondere Szenen aus den im Text beschriebenen Reformschulen illustrieren und anschauliche Beispiele aus der Unterrichtspraxis an den Schulexperimenten in Chicago, New York und Milwaukee liefern. Die Literaturliste liefert eine Fülle an Primärliteratur – auch bisher ungedruckte Quellen – vor allem zu Kilpatrick, John Dewey und Collings. Bei der Sekundärliteratur steht vor allem „Projektmethode“ im Zentrum. Das Personenverzeichnis am Ende erleichtert es, sich in der Fülle des Materials zurecht zu finden.
Die fünf Kapitel des Hauptteils stehen recht unvermittelt nebeneinander. Mit einer kurzen Einleitung gibt Knoll einen Überblick, eine zusammenfassende Diskussion oder abschließende Auswertung gibt es nicht. In Abgrenzung zu einem ideengeschichtlichen Vorgehen hat er vor, „anhand von zeitgenössischen Texten zur Unterrichtstheorie und Praxis Schritt für Schritt“ zurückzuverfolgen, wie sich der Projektbegriff in der Pädagogik „als Ausdruck einer spezifischen Lern- und Unterrichtsmethode etablierte, entfaltete und veränderte“, ohne dabei gegenwärtige Vorstellungen von Projektarbeit auf historische Positionen zu projizieren (15). Er will einen Beitrag zur Diskussion leisten, in welcher man u.a. darum streitet, ob Projektarbeit eine Methode neben anderen darstellt oder als ein didaktisches Prinzip für den gesamten Unterricht anzusehen, ob sie als eine Technologie für effizientere Lernprozesse zu betrachten sei oder als eine „Strategie, um die Schule zu demokratisieren und die Gesellschaft zu transformieren“ (12). Diese Diskussion um den Projektbegriff betrachtet er als einen Streit um das Verständnis von Schülerorientierung und Lehrerrolle (19). Zugleich möchte er zeigen, wie die „aus realen Situationen und Bedürfnissen entwickelten Verfahren der Berufs- und Hochschulpädagogen“ (17) häufig entscheidend zur Entwicklung und Reform von Schule beitrugen.
Im ersten Kapitel werden die historischen Wurzeln der Projektmethode rekonstruiert – sowohl in den USA (Richards (1900), Woodward (1880), W.B. Rogers (1865)) als auch in Europa insbesondere an den technischen Hochschulen der Schweiz, Deutschlands und in den Architekturakademien in Paris (1671) und Rom (1593).
Die folgenden drei Kapitel sind den drei Autoren Kilpatrick (Kap. 2), Dewey (Kap. 3) und Collings (Kap. 4) gewidmet. Der Verfasser begründet diese Auswahl damit, dass – auch in der deutschen Projektdiskussion – in historischer Hinsicht primär auf diese drei Bezug genommen werde. Dabei steht Dewey – sonst häufig als Ideengeber für Kilpatrick betrachtet - nicht an erster Stelle. Knolls Studien revidieren die Auffassung, es gebe eine „Identität der Unterrichtspläne“ und der Projekttheorien beider (16). Er widerlegt die gängige Interpretation, dass Dewey die Projektmethode theoretisch begründet habe, dass Kilpatrick sie verbindlich definierte und Collings sie idealtypisch mit dem Typhusprojekt verwirklichte (12).
Knoll zeigt detailliert, inwiefern bei diesen Zuschreibungen in vier Hinsichten Irrtümer begangen wurden: (1) dass „das Projekt“ als methodische Kleinform zur Reform des berufsbildenden Hochschulstudiums in Europa entstand, (2) dass Deweys pädagogisches Denken nicht um Projekte, sondern um Problemorientierung kreiste, (3) dass Kilpatrick in Abweichung und Konkurrenz zu Dewey sein Projektkonzept entwickelt – nicht in Kooperation. Dieser Irrtum würde nahegelegt durch Petersen, der mit seiner Herausgabe von willkürlich zusammengestellten Texten unter dem Titel „Der Projektplan. Grundlegung und Praxis von John Dewey und William Heard Kilpatrick“ (1935) fälschlich eine gemeinsame Autorenschaft der beiden suggerierte, was die deutsche Diskussion bis heute präge. Kilpatrick habe den Projektbegriff maßlos erweitert als generelle Methode, welche „nach Inhalt, Verlauf und Abschluss völlig offen“ war (109). Und schließlich belegt Knoll überzeugend, dass (4) Collings mit seinen Veröffentlichungen über das „Typhusprojekt als ein Unternehmen ohne Lehrer, Lehrplan und Belehrung“ (13) eine Fiktion liefert, also gerade keine empirische Darstellung – wie er selbst es vorgibt.
Mit seinem Urteil über Kilpatrick wendet sich Knoll kritisch zur amerikanischen wie auch zur deutschen Rezeption: „Kilpatrick ist nicht der Klassiker der Projektmethode, er ist vielmehr der klassische Außenseiter […] Wohl selten sind Erziehungshistoriker so unkritisch der Agitation und Propaganda erlegen wie die Historiker der Projektmethode.“ (136) Das zentrale Merkmal von Kilpatricks Konzept sieht Knoll in der extremen Form von Schülerzentrierung („kindzentrierter Sentimentalist“), die zu einem „Gelegenheitsunterricht“ führe, „in dem das Kind zum Curriculum avancierte und Fächerung, Stundenplan und Stoffverteilung keine Rolle mehr spielten“ (136).
Knolls Urteil über Collings ist – aus anderen Gründen – kaum schmeichelhafter: Seine Fallstudie ergibt das Bild eines progressiven Schulrats und „ehrgeizigen Pädagogen, der so begierig war, Karriere zu machen und vom Schulsuperintendenten zum Universitätsprofessor aufzusteigen, dass er dabei skrupellos in Kauf nahm, […] akademische Ideale zu verraten und betrügerische Taten zu begehen“ (225). Als unredlicher Wissenschaftler hat Collings seinen „empirischen“ Bericht über das von ihm durchgeführte Typhusprojekt offensichtlich massiv manipuliert und ist in entscheidenden Punkten von der – an anderer Stelle dokumentierten – Realität abgewichen, um einen „empirischen“ Beleg für die entgrenzte Schülerorientierung von Kilpatrick zu liefern (Veränderung der Rolle von Kindern als Initiatoren und Entscheidungsträgern des Projekts sowie Anlass und Rahmen des Projekts, Alter der Kinder u.a.).
Im fünften Kapitel skizziert Knoll die gegenwärtige deutsche Diskussion zur „Projektpädagogik“. Hier geht er ausführlich auf das Projektverständnis von Suin de Boutemard, Karl Frey und Dagmar Hänsel ein. Er kritisiert deutsche Vorstellungen „vom politischen Charakter und vom amerikanischen Ursprung des Projektunterrichts“ (264). Für den derzeitigen Stand der deutschen Diskussion zum Projektbegriff hält er folgende Auffassungen für besonders problematisch und belastend: die Widersprüchlichkeit, dass auch diese Pädagogen weitgehend Projektunterricht als universales Projekt und gleichzeitig als spezielle Methode behandeln und die Abwertung von traditionellen Unterrichtsformen als Folge überhöhter Erziehungsansprüche an Projektunterricht als „der“ Methode demokratischer Schul- und Gesellschaftsreform.
Knoll plädiert demgegenüber dafür, sich die geschichtlichen Voraussetzungen des Projektunterrichts vor Augen zu führen: „das Projekt kam in die Schule, als mit dem Werk- und Technikunterricht die spezifische Methode der Architekten- und Ingenieurausbildung mit übernommen wurde, damit die Schüler an einem größeren praktischen Vorhaben selbständig das anwenden konnten, was sie zuvor in theoretischen Lehrgängen und Übungen gelernt hatten“ (264).
Dewey wird von Knoll keineswegs als der theoretische Begründer von Projektunterricht gesehen, denn es gebe fundierte Ansätze vor ihm, und Dewey selbst habe Kilpatrick eher kritisieren wollen. „Deweys Verhältnis zur Projektmethode ist anders, älter und konventioneller, als die Projektautoren bisher angenommen haben.“ (147) Zu Recht betont Knoll, dass „die Projektmethode“ keinesfalls im Zentrum von Deweys Pädagogik stand.
Außerdem macht er wichtige theoretische Differenzen zwischen Dewey und Kilpatrick deutlich: während letzterer die intrinische Motivation der Schüler zum zentralen pädagogischen Fokus deklariert, sieht er bei Dewey die Hauptaufgabe des Lehrers darin, ausgehend von kindlichen Interessen und Fragen Kinder zum methodischen Denken und intelligenten, planvollen Handeln anzuleiten. Knoll zitiert Stellen von Dewey, in denen dieser es schlichtweg als „dumm“ bezeichnet, Wünsche und spontane Interessen von Kindern „zum ausschlaggebenden Kriterium“ von Unterricht zu machen (171ff).
Knoll macht angemessen klar, dass Problemorientierung und der Stellenwert von Erfahrung wesentlicher Deweys Pädagogik bestimmen als der Projektbegriff. Doch übernimmt Knoll in seinem Verständnis dieser Begriffe nicht die philosophischen Rahmungen, die für Dewey essentiell waren. Er schließt sich stattdessen dem Denkmodell der Reformtradition an, die „Erfahrung“ und „Praxis“ weitgehend den Intentionen souveräner Subjekte und deren Begründungen unterstellt sieht und damit auf ein der Praxis vorgängiges Subjekt verweist. Wenn Knoll z.B. Deweys Konzept auf die Formel bringt „Erst denken, dann handeln“ (177) liegt hier eine verzerrende Verkürzung vor, da er Deweys Verständnis von Erfahrung als Ausgangs- und Endpunkt jeglichen Denkens vernachlässigt. Denken und Problemlösen ist bei Dewey kein Selbstzweck, sondern ist immer Bestandteil einer Praxis, die – selbst grundlos und semiotisch gebrochen – im Zentrum seines Forschungsinteresses steht [1].
Knoll ist zuzustimmen, dass es Dewey nicht primär um das Tun (learning by doing) ging und er vor Aktivität als einem Ziel per se sogar warnte (177). Aber nicht „rationale Entscheidungsfindung“ – wie Knoll schreibt – ist der Dreh- und Angelpunkt seiner Erziehungsphilosophie, sondern ein Denken, das immer wieder aus situationsgebundenen Erfahrungen emergiert und letztlich in einer modifizierten bzw. bereicherten Erfahrung seinen (immer vorläufigen) Endpunkt hat. Die Pointe von Deweys Problemorientierung liegt darin, dass Probleme gerade zu Beginn des Lernprozesses nicht als „ready made“ feststehen, sondern erst aus einer Situationserfahrung entwickelt werden müssen. Knoll unterläuft diese grundlegende Komplexität bei Dewey, wenn er z.B. generalisierend schreibt: „Um das (sic!) vorliegende Problem […] bewältigen zu können, mussten Schüler wissenschaftlich vorgehen“ (151).
Knolls Aussage, „Wir können nicht mehr Deweys Theorie der Erfahrung heranziehen, um Kilpatricks Philosophie der Erziehung zu beschreiben“ (186), ist sicherlich zuzustimmen. Aber Knoll sieht die Radikalität von Deweys Erfahrungsbegriff nicht. Aus dieser Perspektive war Dewey keineswegs „der konservative Reformer“, der „sich an die Tradition“ hielt (186). Das die Tradition sprengende Potential Deweys liegt in seiner erneuerten Auffassung vom Verhältnis Erfahrung-Praxis-Denken. Aus einer solchen Perspektive tun sich andere, lohnende Vertiefungsoptionen für Studien zum pädagogischen Projektverständnis auf. Zum Einen könnten theoretische Konsequenzen aus seinem philosophischen Primat der Situation bzw. Erfahrung für ein Verständnis von „Projekt“ gezogen werden. Vor allem aber würde es aus dieser Perspektive nahe liegen, Praktiken zu untersuchen und mit Deweys philosophischen Mitteln Handlungsdimensionen des schulischen Lebens sichtbar werden zu lassen, die nicht vorgedacht sind.
Knoll selbst sieht ja in seiner – sicherlich verdienstvollen – Richtigstellung der verbreiteten Irrtümer über die Rolle der genannten drei Pädagogen für das Projektverständnis nur einen Beweggrund für seine minutiösen historischen Recherchen. Er hat darüber hinaus den Anspruch, einen kritischen Kommentar „zur didaktischen und methodischen Literatur der Gegenwart“ (17ff) zu liefern und „eine Antwort auf die Frage zu geben, welche Aufgaben das (sic!) Projekt in Schule und Unterricht sinnvollerweise wahrnehmen kann“ (18). Dieser Anspruch wird auch nicht ansatzweise eingelöst. Aus Deweys Sicht wäre es dafür unabdingbar, „Projektarbeit“ in differenzierenden Kontexten zu untersuchen. Dann müsste man sich bei der Diskussion des Begriffs Klarheit verschaffen über die impliziten theoretischen (z.B. handlungs- bzw. subjekttheoretischen) Hintergrundannahmen. Die Bedeutung der im Buch thematisierten Streitpunkte würde sich dadurch stark relativieren. Außerdem wären situationsbezogen Erfahrungen und konkrete Problemlagen in schulischen Praktiken zu untersuchen. Knoll als „langjähriger Lehrer und Schulleiter“ (18) an Reformschulen könnte dazu sicherlich einiges beigetragen werden. Doch im vorliegenden Buch werden derartige Untersuchungen durch das generalisierende Konstrukt „des Projekts“ systematisch unterlaufen.
[1] Vgl. Hetzel, Andreas, Kertscher, Jens, Rölli, Marc (Hg.) (2008): Pragmatismus – Philosophie der Zukunft? Weilerswist.
EWR 10 (2011), Nr. 5 (September/Oktober)
Dewey, Kilpatrick und „progressive“ Erziehung
Kritische Studien zur Projektpädagogik
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2011
(372 S.; ISBN 978-3-7815-1789-9; 21,90 EUR)
Roswitha Lehmann-Rommel (Freiburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Roswitha Lehmann-Rommel: Rezension von: Knoll, Michael: Dewey, Kilpatrick und „progressive“ Erziehung, Kritische Studien zur Projektpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2011. In: EWR 10 (2011), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2011), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151789.html
Roswitha Lehmann-Rommel: Rezension von: Knoll, Michael: Dewey, Kilpatrick und „progressive“ Erziehung, Kritische Studien zur Projektpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2011. In: EWR 10 (2011), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2011), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151789.html