EWR 21 (2022), Nr. 1 (Januar)

Hanna Hoa Anh Mai
PĂ€dagog*innen of Color
ProfessionalitÀt im Kontext rassistischer NormalitÀt
Weinheim: Beltz 2020
(281 S.; ISBN 978-3-7799-6240-3; 39,95 EUR)
PĂ€dagog*innen of Color Die strukturellen Bedingungen fĂŒr pĂ€dagogische Professionalisierung von FachkrĂ€ften, die mit Migration in Verbindung gebracht werden, sind in der Erziehungswissenschaft erst seit Kurzem ein Thema, das auch aus migrationspĂ€dagogischen und rassismuskritischen Perspektiven erforscht wird [1]. Die Bedingungen des Feldes der pĂ€dagogischen Arbeit aber auch des bildungspolitischen und wissenschaftlichen Diskurses sind von der Ambivalenz gekennzeichnet, dass Personen mit zugeschriebenem Migrationshintergrund einerseits erbetene Professionelle sind, die etwa als BrĂŒckenbauer*innen fungieren sollen. Andererseits sind sie in all den genannten Feldern von Diskriminierung Betroffene. Dass eingeforderte migrationsspezifische Expertise gleichzeitig Gelegenheitsstrukturen des Ausschlusses bietet, wurde als konstitutives Double-bind fĂŒr das pĂ€dagogische Handeln von ‚migrationsanderen‘ Lehrer*innen ethnografisch erforscht [2]. MigrationsverhĂ€ltnisse sind auch im Referendariat wirksam fĂŒr Professionalisierungsprozesse [3] und schon im Studium Anlass fĂŒr biografische Verhandlungen von Differenzerfahrungen [3].

Auch Hanna Hoa Anh Mais Studie versteht ProfessionalitĂ€t nicht losgelöst von der Positioniertheit von PĂ€dagog*innen in gesellschaftlichen MachtverhĂ€ltnissen. Im Fokus ihrer Studie stehen Professionelle in außerschulischen pĂ€dagogischen Arbeitsfeldern, deren Erfahrungen Mai ĂŒber episodische Interviews rekonstruiert. Mai interessiert sich fĂŒr das Zusammenwirken von Rassismus und ProfessionalitĂ€t, das fĂŒr PĂ€dagog*innen of Color zu einem markanten Erfahrungszusammenhang wird. Über das situierte Wissen der Professionellen können Erkenntnisse ĂŒber gesellschaftliche MachtverhĂ€ltnisse gewonnen werden.

In Kapitel 1 formuliert Mai das Forschungsinteresse und skizziert den Aufbau der Arbeit. Kapitel 2 referiert den bildungspolitischen Diskurs und Forschungsstand; ebenso wird das Erkenntnisinteresse der Arbeit dargelegt. In Kapitel 3 zeichnet die Autorin in Abgrenzung zu sozialpsychologischen Rassismustheorien die historische Verwobenheit von Rassismus und Moderne, intellektualistisch legitimierten Rassetheorien und Kolonialismus sowie kapitalistischer Arbeitsteilung und ökonomischer Kapitalanreicherung auf der Grundlage von tiefgrĂŒndigem Detailwissen nach. Kapitel 4 bietet eine bislang selten erfolgte theoretische Perspektivierung der Verbindung von Professionstheorien und migrationsgesellschaftlichen Macht- und DifferenzverhĂ€ltnissen. Die erkenntnistheoretischen Konsequenzen dieser gesellschaftlichen MachtverhĂ€ltnisse werden in Kapitel 5 aufgegriffen. Hier werden feministische Standpunkttheorien und die Perspektive der Cultural Studies zu einer lesenswerten theoretischen und methodischen Rahmung verknĂŒpft. „MarginalitĂ€t als Erkenntnis“ (115). aus der Schwarzen feministischen Theorie wird zum Programm der Studie, wobei Erfahrung nicht (nur) der Ausgangspunkt des Wissens ist, sondern das, was es zu erklĂ€ren gilt Kapitel 6 begrĂŒndet die Entscheidung fĂŒr zehn leitfadengestĂŒtzte narrative Interviews ĂŒber das Interesse am situierten Wissen der PĂ€dagog*innen of Color zu rassistischen Differenzordnungen in pĂ€dagogischen Arbeitsfeldern. Kapitel 7 enthĂ€lt die empirischen Analysen der Interviews. Sie werden passagenweise entlang von sechs Themen systematisiert, extensiv interpretiert und an die theoretischen Grundlagen zurĂŒckgebunden. In Kapitel 8 wendet die Autorin auf fĂŒnf Seiten die Ergebnisse in eine Aussicht auf die Transformation „in Richtung einer gerechteren Gesellschaft“ (261), in der die Positioniertheit pĂ€dagogischer ProfessionalitĂ€t anerkannt wird.

Mai gelingt es eindrĂŒcklich, die Doppelstrukturen herauszuarbeiten, die sich fĂŒr PĂ€dagog*innen of Color im Zusammenwirken von Rassismus und ProfessionalitĂ€t ergeben: Sind die Interviewten einerseits Teil einer Einrichtung, werden sie darin gleichzeitig als nichtzugehörig adressiert. Werden sie einerseits in bestimmten Kompetenzen anerkannt, wird andererseits genau dieses Wissen ein objektivierendes Wissen ĂŒber sie. Eine pĂ€dagogische Professionelle wird fĂŒr die differenzsensible Darstellung der Einrichtung beim Pressetermin zusammen mit anderen Personen of Color auf das Foto gebeten, gleichzeitig bleibt sie fĂŒr inhaltliche Fragen zur Einrichtung in den GesprĂ€chen außen vor. Diese Mechanismen erinnern an Sara Ahmeds Studie ĂŒber das ‚Feiern von Diversity‘ in weißen Institutionen in Großbritannien [5]. Zu- und abgesprochene Kompetenzen werden als ein funktionalistisches Wechselspiel zwischen der Verwertung fĂŒr die Institution und der strukturellen Aberkennung von situiertem Wissen erfahren. Dabei kommen auch Konkurrenzen unter PĂ€dagog*innen of Color um Stellen zum Tragen, wenn sich Vorgesetzte zwischen zwei Kandidatinnen eher fĂŒr die weniger kritische, weniger ‚störende‘ Person of Color entscheiden.

Die Professionellen befinden sich in Doppelstrukturen und Spannungsfeldern, ein Umstand, der die Orte der BerufsausĂŒbung und der Weiterbildung fĂŒr sie zu „unwirtlichen Orten“ (153) macht. Mai arbeitet acht Umgangsweisen der PĂ€dagog*innen mit rassismusrelevanten Erfahrungen heraus. Darunter der transformative Umgang mit Wut, Schmerz und Trauma, aus dem biografisch-professionelles Wissen wird; der analytische Umgang mit Rassismus, der ihn erkennt, benennt, entlarvt und in einen gesellschaftlichen Kontext stellt, und Minderheitenwissen subversiv normalisiert (205). ErklĂ€rendes Wissen ĂŒber Rassismus wird von den PĂ€dagog*innen zu professionellem Wissen im Umgang mit Rassismuserfahrungen ihrer Adressat*innen. Die Befragten entscheiden sich zu „gehen“ (232) als Akt des Selbstschutzes und als sich entziehen können aus verletzenden Kontexten. Ein anderer proaktiver Umgang ist, dass sie BedĂŒrfnisse artikulieren und Bedingungen an ihre Arbeit stellen.

Den ErzĂ€hlenden steht kein ProfessionsverstĂ€ndnis zur VerfĂŒgung, das Rassismuserfahrungen integriert. Hanna Hoa Anh Mais Studie trĂ€gt zu einer empirisch fundierten Erarbeitung eines solchen ProfessionsverstĂ€ndnisses bei. Einzig die Reproduktion des Z-Wortes irritiert in dem sonst mit rassistischen Reifikationen sehr reflexiv umgehenden Text. In einer ĂŒbergeordneten Analyse in Kapitel 7 zieht Mai zwei theoretische Schneisen durch das Material. Mit der „irritierenden PrĂ€senz von PĂ€dagog*innen of Color“ ist gemeint, dass PoCs den professionellen Raum irritieren, der mit Verweisungen, Sichtbarmachungen und natio-ethno-kulturellen sowie religiösen und linguizistischen VerĂ€nderungen reagiert und die ProfessionalitĂ€t der PoC abwertet. „Positionierte ProfessionalitĂ€t“ umfasst die Auseinandersetzungen der PoC mit den Irritationserfahrungen. Diese konzipiert Hanna Mai als „Bedingung ihrer ProfessionalitĂ€t und Professionalisierung“ (253).

In den Interviews fĂ€llt das Wissen der Befragten ĂŒber theoretische Konzepte stark auf, sowie ihre FĂ€higkeit ĂŒber ihr Erfahrungswissens teils in analytischen Formeln zu reflektieren. In ergĂ€nzender Perspektive zu den hier Befragten und mit Blick auf vorbereitende professionstheoretische Ausbildungsinhalte wĂ€re daher interessant, Feldteilnehmende mit noch wenig erfolgter inhaltlicher Auseinandersetzung mit Rassimus(erfahrungen) und eher prĂ€-reflexivem Wissen zu befragen.

[1] Akbaba, Y., Bello, B., Fereidooni, K. PÀdagogische ProfessionalitÀt und Migrationsdiskurse. Wiesbaden: Springer VS.
[2] Akbaba, Y. (2017) Lehrer*innen und der Migrationshintergrund. Widerstand im Dispositiv. Weinheim: Beltz Juventa.
[3] Doğmuş, A. (2021) Professionalisierung in MigrationsverhĂ€ltnisse(n). Eine rassismuskritische Perspektive auf das Referendariat angehender Lehrer*innen. Wiesbaden: VS Verlag.
[4] Schwendowius, D. (2015) Bildung und Zugehörigkeit in der Migrationsgesellschaft. Biographien von Studierenden des Lehramts und der PÀdagogik. Bielefeld: transcript.
[5] Ahmed, S. (2013) Whiteness and the General Will: Diversity Work as Willful Work. PhiloSOPHIA: A Journal of Continental Feminism 2 (1), 1-20.
Yalız Akbaba (Mainz)
Zur Zitierweise der Rezension:
Yalız Akbaba: Rezension von: Mai, Hanna Hoa Anh: PĂ€dagog*innen of Color, ProfessionalitĂ€t im Kontext rassistischer NormalitĂ€t. Weinheim: Beltz 2020. In: EWR 21 (2022), Nr. 1 (Veröffentlicht am 19.01.2022), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978377996240.html