EWR 15 (2016), Nr. 5 (September/Oktober)

Axel Pohl
Konstruktionen von »Ethnizität« und »Benachteiligung«
Eine international vergleichende Untersuchung von Unterstützungssystemen im Übergang Schule – Beruf
Reihe: Übergangs- und Bewältigungsforschung
Weinheim / Basel: Beltz Juventa 2015
(286 S.; ISBN 978-3-7799-3231-4; 34,95 EUR)
Konstruktionen von »Ethnizität« und »Benachteiligung« Im deutschen Übergangsbereich von der Schule in die Berufsausbildung hängen Ethnizität und Benachteiligung eng miteinander zusammen. So sind auch den jüngsten Ausgaben des Nationalen Bildungsberichts (2016) und des Berufsbildungsberichts (2016) zufolge Jugendliche mit Migrationshintergrund beim Übergang von der Schule in die Ausbildung nach wie vor unterprivilegiert.

Anhand von statistischen Daten zeigt Axel Pohl zunächst, dass junge Frauen und Männer aus eingewanderten Familien „eine erheblich schlechtere Ausgangsposition beim Erwerb von Bildungstiteln und von Positionen im Erwerbssystem“ (14) haben. Zudem kritisiert er die „Benachteiligten-Diskurse“, die seiner Meinung nach dazu tendieren, gesellschaftliche Ungleichheit auf individuelle Defizite der Betroffenen zu reduzieren. Auf dieser Basis befasst sich Pohl in seiner Arbeit dann weniger mit den individuellen Ausstattungen im Prozess kultureller Assimilation, als vielmehr mit Strukturen, das heißt mit institutionellen Arrangements, Diskursen und Praxen der Konstruktion von Differenz im Übergangssystem. Den Fokus der Arbeit formuliert er folgendermaßen: „Die in strukturellen und institutionellen Ebenen des jeweiligen Übergangssystems geronnenen Mechanismen des Ein- und Ausschlusses über bestimmte Differenz- und Ungleichheitskategorien legen bestimmte Diskurshorizonte für die Praxis in den Unterstützungsmaßnahmen fest“ (16). Es geht also um die Frage, wie Deutungen von Ethnizität entstehen, wie diese benachteiligend wirken und wie sich diese in der Praxis von Übergangshilfen von der Schule in Ausbildung bzw. in den Beruf niederschlagen. Ethnizität als Benachteiligung wird damit als Resultat sozialer Prozesse, also als Sozialkonstrukt begriffen, das einen Beitrag zur symbolischen Ordnung und ihrer Verfestigung in Organisationen und Institutionen des Übergangsbereichs leistet, indem es Praktiken am Übergang bzw. „Übergangshilfen“ mit Sinn belegt.

Insgesamt will Axel Pohl also eine Art diskurstheoretischen und -empirischen Beitrag zum Forschungsbereich Übergangshilfen leisten. Ein solches Anliegen ist im Vergleich zur Forschung von migrationsbedingter Chancenungleichheit im Bildungssystem und zur Forschung zu Übergangsprozessen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund bislang zu kurz gekommen. Theoretisch knüpft Pohl u.a. an Debatten um natio-ethno-kulturelle Differenzen in der Sozialen Arbeit und um Übergangs- und Lebenslaufregimes an und nimmt Bezug zur Wissenssoziologie. Auf der Basis seiner theoretischen Auseinandersetzungen entwickelt er eine Heuristik mit den Ebenen makrosoziale Strukturen und Diskurse, Organisation und Programmatik der Übergangshilfen und Prozesse der Diskursaneignung im Rahmen professionellen Handlungswissens, die den theoretischen und methodologischen Rahmen seiner Arbeit bildet.

Davon ausgehend, dass die Übergangspfade von jungen Migrantinnen und Migranten zwischen den Ländern variieren, geht Pohl international vergleichend vor. Disziplinär verortet er seine Arbeit in der sozialpädagogischen Vergleichsforschung, die wiederum im Schnittbereich von vergleichender Erziehungswissenschaft und vergleichender Sozialpolitikforschung anzusiedeln sei. Im Bereich des europäischen Vergleichs knüpft die Arbeit an die vergleichende Übergangsforschung mit den Aspekten Regulierungen, Institutionen und Deutungen von Übergängen, an die internationale Migrationsforschung mit ihrer Fokussierung auf Modi von Ein- und Ausschließung und auf Strategien der Integration und Segregation sowie an die vergleichende Wohlfahrtsforschung an, die den Bürgerstatus und soziale Rechte in den Mittelpunkt rückt. Auf der Basis von Typologien von Übergangsregimes, die ein universalistisches, ein liberales, ein erwerbsarbeitszentriertes und ein unterinstitutionalisiertes Übergangsregime umfassen, begründet Pohl seinen internationalen Vergleich.

Im Mittelpunkt stehen die Übergangssysteme Frankreichs und Englands. In beiden Staaten haben der Kolonialismus und der europäische Imperialismus dazu beigetragen, dass schon recht früh Menschen aus anderen Kontinenten und Ländern in Frankreich und England anwesend waren. Allerdings spielten Anti-Diskriminierung als Politikansatz jeweils unterschiedliche Rollen: in Großbritannien als Teil des Aushandlungsmodells der „race relations“, in Frankreich eingebunden in die Vorstellung von einem alle Bürger gleichbehandelnden Staat. Beide Länder unterscheiden sich von Deutschland zudem im Hinblick auf den Umgang mit Einwanderung und Minoritäten sowie Merkmale des Übergangs von der Schule in den Beruf. Bezogen auf die unterschiedlichen Übergangsregimes, denen die Länder der Studie zugeordnet werden: Frankreich als erwerbsarbeitszentriertes Übergangsregime mit hoher Stratifizierung und Standardisierung des Bildungssystems, England als liberales Übergangsregime mit niedriger Standardisierung und Stratifizierung des Bildungssystems.

Axel Pohl interessiert sich in seiner Arbeit nun für Unterstützungspraxen der beiden Länder im Kontext von Ungleichheitsstrukturen in den jeweiligen Migrationsgesellschaften und für die institutionellen und ideologischen Rahmungen von natio-ethno-kulturellen Differenzen. Empirisch-methodisch handelt es sich bei der Studie um eine diskursanalytische, sozialstrukturanalytische und meta-evaluative Forschung. Um seiner Frage nachzugehen, nimmt er im Kontext von Länderfallstudien eine Rekonstruktion von Strukturen, Diskursen, Ideologien und Programmatiken der Übergangsregimes vor, und anhand von Expertinneninterviews sollen soziale Praxen im Übergang, d.h. der beruflichen Orientierung, des Nachholens von Schulabschlüssen, der Vermittlung und Qualifizierung der Beschäftigungsförderung rekonstruiert werden.

Die Interviews mit den Expertinnen und Experten beider Länder bilden m.E. das Kernstück der empirischen Arbeit von Axel Pohl. Die Befragung der „Professionellen“ bzw. der Expertinnen und Experten geht von der Prämisse aus, dass „soziale Differenzierungen und deren Emergenz in diskursiven Praxen […] nie in einem neutralen Raum statt[finden]. Sie sind „immer schon“ eingebettet in gesellschaftliche Diskurse, Herrschafts- und Machtverhältnisse und Positionierungsverhältnisse, denen sich die Individuen nicht entziehen können“ ( 214). Jedoch können sich die Individuen je nach Position und Situation unterschiedlich – kritisch oder unkritisch, explizit oder implizit – auf Differenzkategorien beziehen.

Als ein Ergebnis seiner Studie kann Axel Pohl festhalten, dass nationalstaatliche Strukturen über ethnische Ordnungen (besondere Rechte für Migrantinnen und Migranten) verfügen, die einen diskursiven Rahmen zur Verfügung stellen, indem Differenzen gedeutet bzw. verhandelt werden. Exemplarisch stellt er fest, „dass die befragten Professionellen in Großbritannien sehr selbstverständlich von der Existenz rassisch kodierter Differenzen ausgehen. Diese […] jedoch stets im Kontext von Rassismus und institutioneller Diskriminierung mit Sinn versehen“ (228), so dass pädagogische Unterstützung als notwendige Folge von Ausgrenzung wahrgenommen wird. Im Hinblick auf Frankreich haben die Interviews ergeben, dass Differenzkategorien im professionellen Handeln eher vermieden würden, was einen reflexiven Umgang mit sozialen Kategorisierungen erschwere bzw. dazu führe, dass Alltagstheorien zur Erklärung der Situation Jugendlicher herangezogen würden.

Für die deutsche Übergangsforschung bietet die Arbeit von Axel Pohl unterschiedliche Anknüpfungspunkte. Indem sie auf die Grenzen professionellen Handelns durch strukturelle Gegebenheiten, durch symbolische Ordnungen, diskursive Rahmen, subjektive Auslegungsroutinen im Kontext eigener Verstrickung in diskriminierende und individualisierende Deutungsstrukturen aufmerksam macht, bietet sie eine theoretische und methodologische Grundlage, um die Diskussion um Professionalisierung des Personals im Übergangsbereich nicht nur auf einer normativ-pädagogischen, sondern stärker auf einer kritisch-analytischen Ebene zu führen.
Gerhard Christe (Hamburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Gerhard Christe: Rezension von: Pohl, Axel: Konstruktionen von »Ethnizität« und »Benachteiligung«, Eine international vergleichende Untersuchung von Unterstützungssystemen im Ãœbergang Schule – Beruf Reihe: Ãœbergangs- und Bewältigungsforschung. Weinheim / Basel: Beltz Juventa 2015. In: EWR 15 (2016), Nr. 5 (Veröffentlicht am 29.09.2016), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978377993231.html