Einerseits ist Professionalisierung für Schulleitungshandeln notwendig, andererseits ist die Professionalisierung der an der Schule arbeitenden Professionellen Teil des Handlungsfeldes der Schulleitungen. Schulleitungen haben demnach selbst Professionalisierungsbedarf, gleichzeitig sollen sie jedoch auch die Professionalisierung anderer unterstützen. An dieser Stelle setzt der von Jana und Nils Berkemeyer sowie Frank Meetz vorgelegte Sammelband an. In der Einleitung dieses im Kontext eines Forschungs- und Entwicklungsprojektes entstandenen Bandes monieren die Herausgeber_innen das Fehlen einer systematischen Perspektive auf Professionalisierung des Lehrpersonals und des Schulleitungshandelns (7). Folgerichtig werden in den hier versammelten Beiträgen vielfältige Facetten der Thematik entfaltet: konzeptionelle Überlegungen zu Personalentwicklung und Professionalisierung, theoretische und praktische Aspekte von Steuerung und Führung von Schule, schulrechtliche Gegebenheiten, die Professionalisierung fördernde Instrumente, Erfahrungsberichte, empirische Ergebnisse und kritische Reflexionen. Der Sammelband untergliedert sich in drei Kapitel mit insgesamt 14 Artikeln.
Das erste Kapitel „Führung und Steuerung“ (12–94) wird durch einen Beitrag von Jana Berkemeyer, Nils Berkemeyer und Anita Schwikal eröffnet. Auf Grundlage verschiedener Studien identifizieren sie vier unterschiedliche Professionalisierungsstrategien in Schulen und beleuchten entlang dieser Strategien die Rolle der Schulleitung für die Professionalisierung in der Schule. Mario Gieske-Roland kritisiert gängige Führungstheorien dahingehend, dass sie nicht in der Lage seien, die vielfältigen Schulführungssituationen in der Schule wiederzugeben und antwortet darauf mit einem Entwurf mikropolitischer Betrachtung von Führungszusammenhängen in der Schule. Damit dynamisiert er den Blick auf Führung. Zu überlegen wäre, inwiefern auch die bisher recht statische Konzeption von Macht (41) weiter zu dynamisieren wäre, z.B. durch eine relationale Machtperspektive. Ausgehend von gängigen Modellen der Schul- und Personalentwicklung zeigt Jochen Wissinger mit Verweis auf verschiedene Governance-Dimensionen, dass schulisches Handeln über die Einheit Schule hinausgeht und betont die interdependente Verbundenheit der zahlreichen an Schule beteiligten Akteure. Mit seiner die Prozesse innerhalb (Führung) und außerhalb (Steuerung) der Schule integrierenden Perspektive leistet er einen wesentlichen Beitrag zur Diskussion um die Frage nach der vermeintlich notwendigen Abgrenzung zwischen Führung und Steuerung im Schulsystem. Michael Schratz schließt das erste Kapitel ab, indem er Personalentwicklung als Chance für eine aus dem Selbstverständnis einer lernenden Organisation heraus agierende Schule stark macht.
Im zweiten Kapitel stehen „Wege und Strategien der Personalentwicklung“ (96–201) im Fokus. Stephan Gerhard Huber bietet einen Überblick über Entwicklungslinien in der Führungskräfteentwicklung und plädiert für ein den gesamten Berufszyklus umfassendes Qualifizierungskonzept. Frank Meetz stellt in seinem Artikel eine Vielzahl von Personalentwicklungsinstrumenten vor und diskutiert deren Chancen und Grenzen. Dabei nimmt er immer wieder explizit Bezug auf die (schulrechtliche) Situation in NRW. Eine hohe Praxisrelevanz gewinnt dieser Artikel nicht zuletzt durch Reflexionsfragen für schulische Führungskräfte. Für Thüringen entfaltet Jürgen Rexhäuser eine bildungspolitische Perspektive, indem er die Schwerpunkte des Thüringer Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur im Bereich schulischer Personalentwicklung sowie Maßnahmen der Personalentwicklung in verschiedenen Bereichen erläutert. Eine interessante Perspektivenerweiterung auf schulische Innovationsprozesse jenseits einer formalen Einführung von Neuerungen ermöglicht der Beitrag von Sascha Ziegelbauer. Im Mittelpunkt steht die Frage, was zu einer dauerhaften Anwendung von Innovationen beiträgt. Lohnend wäre hier eine weiterführende Diskussion der Tauglichkeit der Diffusionsforschung. Diese wird von Ziegelbauer zwar für seine Perspektive als nicht adäquat zurückgewiesen (149), die von ihm als bedeutsam erachteten Dimensionen „Beschaffenheit der Innovation, Rahmenbedingungen des Systems und Voraussetzungen bei den Anwendern“ (155) finden sich in Form von „Innovationsobjekt“, „Innovationsumwelt“ und „Innovationssubjekt“ jedoch an zentraler Stelle im diffusionstheoretischen Diskurs bei Wejnert (2002) [1]. Claus Buhren steuert einen anschaulichen Beitrag zum Gelingen und zur Umsetzung von Professionellen Lerngemeinschaften und Kollegialer Hospitation bei. Besonders der Fokus auf die Verknüpfung beider Personalentwicklungsinstrumente erscheint als Brücke in dem häufigen Nebeneinander der Beschreibung einzelner Instrumente. Für eine weitere Systematisierung miteinander verflochtener, aber teilweise getrennt geführter Diskurse rund um das Wirken in und von (teil)autonomen Schulen wäre eine Diskussion des Verhältnisses von Personalentwicklung und Professionalität möglich. Annerose Knopp beschließt das Kapitel mit ihrer Darstellung eines Coachingkonzepts für Schulleitungen in Thüringen. Positiv hervorzuheben ist die Beschreibung eines gesamten Coachingprozesses (195f). Für die Frage nach der Übertragbarkeit wäre eine Beschreibung des Entwicklungs- und Umsetzungsprozesses des gesamten Konzepts interessant.
Im dritten Kapitel „Empirische Befunde und Praxisbeispiele“ (204–315) stellen Wolfgang Böttcher, Johannes Wiesweg und Eric Woitalla drei Studien vor, die sich mit Fortbildungsverhalten und Unterstützungsbedarf von Schulleitungen sowie mit Beratungen in Schulen auseinandersetzen. Besonders die Studie zum Unterstützungsbedarf und zur tatsächlichen Unterstützung an hessischen Schulen (216ff) wirft interessante Fragen hinsichtlich (fehlender) Unterstützung von Schulen durch übergeordnete Instanzen auf: Wie autonom ist die Einzelschule ohne ausreichende Ressourcen wirklich? Jana und Nils Berkemeyer sowie Frank Meetz stellen in ihrem Beitrag die Ergebnisse eines Projekts zu Professionalisierungsstrategien und -prozessen vor und ordnen diese theoretisch ein. Mit den exemplarisch vorgestellten Fällen des Projekts und den daraus abgeleiteten Erkenntnissen liefern die Autor_innen wichtige Denkanstöße für schulische Veränderungsprozesse und deren unterstützende Begleitung. Der Beitrag von Martina Brandt, Iris Klawitter und Walter Schulte zum Personalmanagement am Kuniberg Berufskolleg in Recklinghausen erweist sich als hilfreiche Handreichung für Schulleitungen im Bereich Personalmanagement, besonders die Darstellung der Phasen des Qualifizierungsbedarfs (284f) leistet hier ein gutes Orientierungsraster. In dem den Band beschließenden Beitrag moniert Werner Fuchs, dass die vielen hehren Vorstellungen von Führung nur in geringem Maße in der Schulpraxis umgesetzt werden und entwickelt Ideen für eine alternative Führung. An diese notwendige Reflexion anknüpfend wäre – etwa mit Ziegelbauer (in diesem Band) – zu fragen, was erforderlich ist, um dieses entworfene Bild einer anderen Führung dauerhaft umzusetzen.
Die hier versammelten Beiträge bieten eine multiperspektivische Vielfalt, die den Diskurs um das professionelle Agieren (teil)autonomer Schulen und ihrer Mitglieder ohne Zweifel bereichert: Professionalisierung von und mit Unterstützung von Schulleitungen wird aus wissenschaftlicher (theoretisch wie empirisch), schulpolitisch-administrativer als auch aus schulpraktischer Sicht betrachtet. Dies führt zu unterschiedlichen Akzentuierungen, vor allem aber zu einem umfassenden Bild der gegenwärtigen Situation bei gleichzeitiger Offenheit für weitere Systematisierungsschritte.
Gleichwohl ergeben sich Anfragen, die an den Band als Ganzes adressiert werden können. Erstens werfen gerade die länderspezifischen Artikel die Frage nach der Übertragbarkeit der vorgestellten Modelle und Erfahrungen auf andere Bundesländer auf. Eine stärkere Darlegung von politischen, administrativen, organisationalen und kulturellen Gegebenheiten würde es Akteur_innen aus anderen Bundesländern erleichtern, die Potenziale einzelner Modelle zu beurteilen, sofern eine Übertragbarkeit in Erwägung gezogen wird. Die Übertragbarkeit ist auch deshalb zu prüfen, weil die Artikel den Charakter einer Momentaufnahme haben: ein Modell, welches etabliert wurde, wird vorgestellt. Ergänzende detaillierte Informationen zum Entstehungszusammenhang (von der Idee über die Entwicklung und Implementierung bis hin zur dauerhaften Anwendung), vor allem unter Berücksichtigung von Schwierigkeiten, könnten einen Beitrag zur erfolgreichen Adaption oder Weiterentwicklung, aber auch zum Verwerfen unpassender Modelle und zur Neuentwicklung eigener Lösungen leisten. Drittens wird Schule – dem Titel und Anspruch des Bandes entsprechend – immer wieder vom Schulsystem und v. a. von der Schulleitung her gedacht. Welche Rolle kommt aber in Zeiten von „distributed leadership“ [2] den Lehrpersonen hinsichtlich Professionalisierungsbemühungen der Einzelschule zu?
Wenngleich eine noch konsequentere Diskussion des Verhältnisses von Professionalisierung und Personalentwicklung eine analytische Schärfung erlaubt hätte, leistet der vorgelegte Band einen wesentlichen Beitrag zur Bearbeitung der größtenteils nebeneinander verlaufenden Diskurse um Professionalität / Professionalisierung auf der einen und Schul- / Personalentwicklung auf der anderen Seite. Als Lektüre empfiehlt er sich mit seiner perspektivischen Vielfalt sowohl Wissenschaftler_innen, Schulleitungen und in Führungszusammenhängen wirkenden Lehrpersonen als auch Akteur_innen der Schulpolitik und Schuladministration.
[1] Wejnert, B.: Integrating Models of Diffusion of Innovations: A Conceptual Framework. In: Annual Review of Sociology 2002, 28, 297–326.
[2] Dubs, R.: Lehrpersonen mit Führungsaufgaben. In: Pädagogische Führung 2014, 25 (2), 59–63.
EWR 15 (2016), Nr. 5 (September/Oktober)
Professionalisierung und Schulleitungshandeln
Wege und Strategien der Personalentwicklung an Schulen
Weinheim: Beltz Juventa 2015
(318 S.; ISBN 978-3-7799-2994-9; 34,95 EUR)
Christoph Stamann (Weingarten)
Zur Zitierweise der Rezension:
Christoph Stamann: Rezension von: Berkemeyer, Jana / Berkemeyer, Nils / Meetz, Frank (Hg.): Professionalisierung und Schulleitungshandeln, Wege und Strategien der Personalentwicklung an Schulen. Weinheim: Beltz Juventa 2015. In: EWR 15 (2016), Nr. 5 (Veröffentlicht am 29.09.2016), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978377992994.html
Christoph Stamann: Rezension von: Berkemeyer, Jana / Berkemeyer, Nils / Meetz, Frank (Hg.): Professionalisierung und Schulleitungshandeln, Wege und Strategien der Personalentwicklung an Schulen. Weinheim: Beltz Juventa 2015. In: EWR 15 (2016), Nr. 5 (Veröffentlicht am 29.09.2016), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978377992994.html