
Der Atlas besteht aus fĂĽnf Kapiteln. Im ersten Kapitel werden Konzept, Ziele sowie Leitfragen transparent vorgestellt. Bildungschancen und -benachteiligungen nehmen wie zu erwarten einen groĂźen Raum ein. Die Studie wurde ĂĽberwiegend von der Bertelsmann Stiftung finanziert und im Prozess weiterentwickelt. Begleitet wurde das Projekt von einem Beirat mit namhaften Vertreterinnen und Vertretern. Der Begriff der Region wird grĂĽndlich eingefĂĽhrt.
Das Kapitel zwei stellt ausgewählte Ergebnisse vor. Es wird von einer „Wiederentdeckung der Bedeutung der Region“ gesprochen. Unklar bleibt jedoch, auf was sich diese „Wiederentdeckung“ genau bezieht. Dazu später mehr im Fazit. Im Folgenden werden zunächst Bundesländer regional thematisiert. Die Weiterbildungsbeteiligung und Trendanalysen werden dargestellt. Vertiefungen zu Raumordnungsregionen (ROR) werden unternommen. Die Analysen gehen über das rein Deskriptive hinaus und nutzen anspruchsvollere Berechnungen, die aufschlussreich gerade hinsichtlich Dynamiken sind. Das Konzept der Gelegenheitsstrukturen wird u.a. als Hintergrund genutzt (93ff). Öffentlich finanzierte, marktförmig organisierte sowie betriebliche Weiterbildung werden verglichen. Dies ist besonders als Leistung herauszustreichen, da diese oft in anderen Publikationen separat berichtet werden. Insgesamt bestätigt sich in großen Teilen, dass „je höher das Angebot ist, umso höher ist die Weiterbildungsbeteiligung in einer Region“ (103) Bei dem betrieblichen Weiterbildungsangebot wird auf die Bedeutung der regionalen Wirtschaftsstruktur berechtigt verwiesen. Desiderate der Forschung werden angedeutet. Einige regionale Fallstudien schließen diesen sehr anregenden Kern der Studie ab. Die Analyse von Regionen mit „erwartungswidrig hoher Weiterbildungsbeteiligung Geringqualifizierter“ gibt Impulse entgegen statistischer Globaltrends.
Im fünfseitigen dritten Kapitel werden Transferempfehlungen ausgesprochen. Erreichbarkeit, Netzwerke, Beratung sowie Qualität sind u.a. die relativ bekannten Schlagworte aus der Weiterbildungsdiskussion der letzten rund 15 Jahre. Das Unterkapitel zu „Erreichbarkeit“ verdeutlicht, dass auch in Zeiten virtueller Lernangebote“ physische Präsenz und Nähe wichtig bzw. zentral bleiben. Das Angebot determiniert nicht die Nachfrage, aber es ist wichtig. „Vernetzung“ wird in ihrer Bedeutung bestätigt, aber das Fallbeispiel Aachen zeigt u.a. exemplarisch auf, dass „Vernetzung“ allein kein Königsweg ist. Ähnliches wird zu „Beratung“ und „Qualität“ empfohlen bzw. berichtet. Der Ausbau nicht-beruflicher Weiterbildungsangebote in Ostdeutschland ist ein interessanter Impuls aus dem letzten Empfehlungsteil.
Das rund hundertseitige vierte Kapitel stellt die Fallstudien noch einmal vertieft vor. Diese Fallstudien wurden von Autorinnen und Autoren zumeist aus dem Kontext des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE) sowie der Freien Universität Berlin (FU, Lehrstuhl Harm Kuper) verfasst. Ein Kapitel von Bettina Thöne-Geyer bietet etwas anders gelagert einen interessanten regionalen Vergleich der Weiterbildungsbeteiligung in zwei ausgewählten Regionen.
Die Methodik des Weiterbildungsatlas wird im fünften Kapitel erläutert. Es wird sich auf Daten des Mikrozensus, dem IAB-Betriebspanel, dem wbmonitor, der Volkshochschulstatistik sowie der auch am DIE angesiedelten sogenannten Verbundstatistik gestützt. Die Vorgehensweise ist transparent. Berechnungsformeln wird viel Aufmerksamkeit geschenkt. Aussagen zur Datenqualität findet man kaum. So lässt z.B. der verwendete Mikrozensus sogenannten Proxyinterviews zu, wo Haushaltsangehörige zu nicht-anwesenden Personen (u.a. über ihre Weiterbildungsbeteiligung) befragt werden können. Proxy-Angaben werden des Öfteren bei Umfragen verwendet und sind auch nicht unzulässig, allerdings wird diesen Daten eine geringere Qualität zugeschrieben.
Fazit
Der Deutsche Weiterbildungsatlas ist ein Meilenstein der neueren Weiterbildungsforschung. Das ZusammenfĂĽhren dieser vielen und heterogenen Datenquellen zu einer einheitlichen Fragestellung ist eine immense Leistung. FĂĽr den statistischen Laien mag dies nicht so ersichtlich sein, aber hier wurde Pionierarbeit geleistet, die sicherlich viele Arbeitsstunden erfordert hat. Es bleibt sehr zu hoffen, dass mit den so zusammengefĂĽhrten Daten Folgestudien unternommen werden. Die qualitativen Fallstudien vertiefen einiges und erlauben praxisbezogene Reflexionen.
Drei Kritikpunkte möchte ich jedoch auch nennen. Erstens kann man die Publikation fast schon als ahistorisch bezeichnen. So gibt es neben dem Verweis zu Beginn dieser Rezension in der Weiterbildung eine nahezu jahrzehntelange politische, praktische und wissenschaftliche Auseinandersetzung um den Begriff und die Quantifizierung einer „Weiterbildungsdichte“. Die Beiträge des ehemaligen DIE-Mitarbeiters Klaus Pehl in dem Sammelband mit „Kennzahlen arbeiten“ von Hans-Joachim Schuldt von 1998 geben beispielsweise hier einen Eindruck. Dies und viele andere Beiträge zu dieser wichtigen Diskussion um eine regionale Weiterbildungsdichte bleiben in der Publikation unsichtbar. Dabei wäre vieles der aktuellen Ergebnisse zu der Bedeutung von Gelegenheitsstrukturen im Weiterbildungsatlas daran direkt anschlussfähig. Warum auf diese Kontinuitätslinien nicht oder nur indirekt („Wiederentdeckung“) hingewiesen wird, bleibt mir komplett unverständlich. Zweitens hätte ich mir eine intensivere Diskussion der Qualität der jeweiligen Daten gewünscht. Es werden hier diverse Erhebungen zusammengeführt. Erhebungen haben immer Stärken und Schwächen. Darauf sollte man methodisch verweisen. Die vielen Schätzmodelle und Berechnungsformeln sind natürlich wichtig, aber hätte man stattdessen in einen Anhang tun können. Es wäre interessant gewesen, hier einige Anregungen für die nationale Dateninfrastruktur komprimiert diskutiert zu sehen. Drittens bleiben die Transferempfehlungen zumeist im Rahmen des bisherigen Diskurses und bereits bekannter Empfehlungen. Stellenweise bleiben sie insofern unklar, dass kein Adressat der Empfehlungen genannt wird. Was richtet sich an Politik, Praxis oder Wissenschaft? Wo ist prioritärer Handlungsbedarf? Die Empfehlungen wirken etwas so, als ob man diese mit der Absicht verfasst habe, niemand konkret anzusprechen oder auch vielleicht zu irritieren. Impulse werden m.E. jedenfalls durch die Empfehlungen wenige gesetzt. Es handelt sich eher um Sensibilisierungen und Hinweise, dass es keinen Königsweg in der Förderung der Weiterbildungsbeteiligung gibt. Hier hätte man den Autorinnen und Autoren mehr Mut zu einer sichtbaren Positionierung gewünscht. So bleibt das sehr vage.
Diese drei Kritikpunkte sollen die Leistung des Weiterbildungsatlas jedoch nicht wesentlich schmälern. Auf jeden Fall ist diese Publikation als ein neues und aktuelles Grundlagenwerk unbedingt zur Lektüre zu empfehlen.