Die Herausgeberin und Herausgeber dieses Bandes bejahen diese Frage. In ihrer Projektbeschreibung plädieren sie für die „Notwendigkeit der Erwachsenenbildung“ (206). Denn: „Wer will, dass es weiterhin Orte gibt, an denen darüber gesprochen wird, was sich gehört und was nicht [...], (wer will), dass die Sachen geklärt werden und den Menschen geholfen wird“ (206), braucht Orte für Diskurse. „All das bietet und das kann Erwachsenenbildung!“ (206)
Diesem grundsätzlichen Plädoyer kann nur zugestimmt werden. Und so ist man gespannt, mit welchen Argumenten diese ambitionierte Position begründet wird. Wie wird die Dringlichkeit und Möglichkeit der Erwachsenenbildung belegt, einem offenkundigen ethischen Nachholbedarf der Gesellschaft abzuhelfen?
Insgesamt sind sechs Autorinnen und Autoren an den 221 Seiten beteiligt, fünf davon sind eng mit der Katholischen Erwachsenenbildung verbunden. Das von ihnen dargestellte Projekt hatte denselben Titel wie das Buch: „Ethisches Lernen in der Erwachsenenbildung“. Es war ein Projekt der Katholischen Erwachsenenbildung (KBE), das vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft gefördert wurde. Diese konfessionelle Verortung der Autorinnen und Autoren und des von ihnen durchgeführten, evaluierten und dargestellten Projekts zeigt den normativen Rahmen des Vorhabens. Damit stellt sich bereits eine erste kritische Frage, nämlich inwieweit die vorgestellten Ergebnisse repräsentativ für „die“ Erwachsenenbildung, als auch die weltanschaulich nicht gebundene, sein können.
Das Buch ist nach einem GruĂźwort und einer Einleitung in sechs GroĂźkapitel gegliedert:
- Moraltheologische, entwicklungspsychologische und andragogisch-konzeptionelle Grundlagen ethischen Lernens
- Ethisches Lernen in der Erwachsenenbildung
- Wie kann ethisches Lernen gefördert werden?
- Forschungsergebnisse aus der Erprobung von Konzepten ethischen Lernens
- Die Umsetzung des Projektes aus Perspektive der Projektstandorte
- Zum kĂĽnftigen Umgang mit ethischen Themen in der allgemeinen Erwachsenenbildung
„Grundsätzliche Überlegungen“ (15) zum ethischen Lernen liefert das erste Kapitel. Da sich heutzutage die Menschen kaum noch auf Konventionen und Traditionen beziehen können, sie vielmehr „eine eigene Lebensorientierung erst entwickeln müssen“ (19), ist die „Chance für die Ethik“ groß. Ihr Bedarf ist „erhöht“, was wiederum „eine Herausforderung für die Bildungseinrichtungen unserer Gesellschaft“ ist (19). Präzisiert wird dann das angestrebte ethische Lernen, das „nicht mit Moralisierung oder Indoktrination verwechselt werden (darf)“, sondern dessen „wichtigste Grundvoraussetzung“ „der Respekt vor dem ‚Eigensinn’ der Lernenden“ ist. (29). „Ethik wird häufig implizit gelernt“ (30). Damit dieses nicht zufällig und unwägbar geschieht, will das Projekt zeigen, wie solche versteckten und untergründigen Themen in Lernprozessen explizit gemacht werden können. Um das zu ermöglichen, wurden vier Schritte vorgestellt: „Entdecken, Initiieren, Begleiten, Abschließen“ (32 - 47).
Im Buch ist nahezu durchweg die Rede von den „Dozentinnen und Dozenten“, oft auch sinnentleert von den „Dozierenden“. Diese Nominierung dürfte etwas anachronistisch sein und passt nicht unbedingt zu einem Projekt, in dem es eben nicht um das „Dozieren“ gehen soll. An die so titulierten pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden erhebliche Anforderungen gestellt. Denn die wenigsten haben eine philosophische Vorbildung, oft vermitteln sie einen lediglich funktionalen Stoff oder praktische Kenntnisse. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer gereizt reagieren, wenn nun aus einer völlig anders gelagert erscheinenden Lern- und Gesprächssituation heraus eine ethische Reflexion eingelegt werden soll. Die Verfasserinnen und Verfasser sind da aber recht kategorisch, sie postulieren Soll-Anforderungen, erwarten von den Dozentinnen und Dozenten eine „ethische Argumentationskompetenz“ und „unabdingbar ein moraltheoretisches Basiswissen“ (48). Hier stellt sich aber die Frage, was Kursleiterinnen und Kursleitern alles zugemutet werden kann. Eine aktuelle, an der Universität Duisburg-Essen durchgeführte Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass ca. 150.000 „hauptberufliche“ Honorarkräfte der Erwachsenenbildung nur über ein sehr geringes Einkommen verfügen. Dieser alles andere als ethische Aspekt innerhalb der Erwachsenenbildung wurde vom Projektteam leider ausgeklammert. Stattdessen wird beispielsweise zur Förderung der „Umsetzungskompetenz“ (49) vorgeschlagen, die Methode der „Dilemma-Diskussion“ zu erlernen. Sie umfasst ca. 30 Ausbildungsstunden – doch wer soll, wer kann sie bezahlen?
Am KBE-Projekt haben „66 Dozentinnen und Dozenten“ von zwanzig Einrichtungen teilgenommen (69) – mit zwei Ausnahmen waren alle in der Trägerschaft katholischer Einrichtungen. Das Projekt umfasste mehre Phasen, eine davon war die Qualifizierung („Schulung“, 76) des pädagogischen Personals, und hatte insgesamt eine Laufzeit von ca. zweieinhalb Jahren. In 61 Veranstaltungen wurden 832 Teilnehmende erreicht (125). Alles in allem wurden „Veranstaltungsformate der allgemeinen Erwachsenenbildung auf die Chance hin analysiert, ethische Lernprozesse zu realisieren“ (67). Der Schwerpunkt „lag in der Behandlung der Frage, wie man als Dozentin bzw. Dozent ein implizit im Raum stehendes ethisch-moralisches Thema erkennt, dieses von anderen, impliziten Themen abgrenzt, wann und wie man das Thema artikulieren und damit explizit machen kann und wie ein ethischer Lernprozess initiiert, begleitet und abgeschlossen werden kann.“ (76f)
Im weiteren Verlauf werden im Buch detailliert das für die beteiligten Pädagoginnen und Pädagogen entwickelte Qualifizierungs- bzw. Schulungskonzept (85 – 111) sowie die Ergebnisse der Auswertung des Projektes und seiner Veranstaltungen vorgestellt (113 – 180). Schließlich gibt es noch ein Kapitel, in dem sich die beteiligten Standorte darstellen und die dort involvierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Erfahrungen einbringen. (181 – 201). Diese insgesamt 116 Seiten sind streckenweise langatmig, oft redundant und im Ertrag nicht immer ergiebig. Es überrascht nicht unbedingt, wenn als Ergebnis von zwei Schulungen und nach dem haarkleinen Auflisten etlicher Befragungsergebnisse (173 – 178) mitgeteilt werden kann, dass die Kursleitenden zum einen ethische Themen leichter identifizieren können und zum anderen mehr Sicherheit bekunden, diese auch in ihren Veranstaltungen aufzugreifen (176). „Die Schulungen“ – so das Fazit – „halfen ein Verständnis für ethisches Lernen auszubilden“ (178). Es war also aus Sicht der Verfasser ein erfolgreiches Projekt. Immerhin gab es als wichtigen Fingerzeig für die Plausibilität des Projektansatzes „sehr hohe Zufriedenheitswerte“ (130) bei den Teilnehmenden der evaluierten Weiterbildungsveranstaltungen.
Der Wert dieser Ergebnisse soll trotz kritischer Anmerkungen nicht geschmälert werden. Die Notwendigkeit von ethischen Reflexionen gerade in der Erwachsenenbildung und auch dann, wenn entsprechende Themen und Fragen nicht unbedingt „auf dem Tisch liegen“, ist unbestreitbar. An einigen Fragen, die sich dabei stellen, haben sich die Verfasserinnen und Verfasser nicht vorbei gemogelt, z.B. wenn es um die Verantwortbarkeit und die Grenzziehung geht: „Wann ist es legitim, ethische Themen zu behandeln? [...] Wie können sensible Themen so diskutiert werden, dass niemand bloßgestellt wird?“ (193) Hier bleiben noch viele mögliche Antworten offen. Auch ist nicht hinreichend geklärt, sondern im Band nur angedeutet worden (59f), wie die zeitaufwendige Behandlung impliziter ethischer Fragen in Kurse passt, bei denen es um teures Geld (und in der Erwachsenenbildung werden die Kurse immer teurer) oder lediglich um eine rasche Qualifizierung gehen soll.
Gegen Ende gibt es noch grundsätzliche und praxisnahe Hinweise, wie zukünftig mit ethischen Themen in der Erwachsenenbildung umgegangen werden kann. Abgerundet wird das Buch schließlich mit einem Glossar zentraler, zum Thema passender Begriffe von Bildung bis Würde.
Fazit: Der Band behandelt ein wichtiges und in Zukunft sicherlich weiter herausforderndes Thema. Die Autorinnen und Autoren nehmen ohne Wenn und Aber Partei für eine ethisch orientierte Erwachsenenbildung, die in ihren Veranstaltungen grundlegende Fragen aufgreift. Darin und dass die Praktikabilität und Plausibilität dieses Anspruchs alles in allem belegt werden kann, liegt der Wert dieses Buches. Abstriche gibt es hingegen bei der Lesbarkeit und bei der Tatsache, dass die Frage ungeklärt bleibt, wie tauglich die Ergebnisse dieses Projektes für Einrichtungen der Erwachsenenbildung sind, die nicht per se an Werte gebunden sind wie die untersuchten katholischen Bildungsstätten.