Ausgangslage für die explorative Studie sind Forschungsdefizite, welche sich aus dem bisherigen Mangel an systematischen Untersuchungen zur Wirkung von individuellen Kompetenzen und Eigenschaften auf den beruflichen Verbleib ergeben. Des Weiteren wird die mangelnde Erhebung von Schlüsselkompetenzen bei jungen Erwachsenen am Übergang von Berufsausbildung in eine Beschäftigung angeführt. Die von Kirstin Müller vorgelegte Untersuchung greift damit Forschungsdefizite auf, die nach wie vor von aktueller Bedeutung sind.
Im Rahmen der Forschungsarbeit werden zwei berufsfachschulische Ausbildungsgänge (Physiotherapeut/-in und Wirtschaftsassistent/-in Fachrichtung Informationsverarbeitung) und ein dualer Ausbildungsgang (Bürokaufmann/-frau) berücksichtigt. Die explorative Längsschnittestudie basiert auf einem quantitativen Vorgehen, wobei die Datenerhebung regionalspezifisch für den Freistaat Sachsen erfolgte.
Um die Forschungsfrage abzuleiten, welche den Ausgangspunkt der hypothetisch-deduktiven Untersuchung darstellt, gibt das zweite Kapitel einen Überblick über den Stand der beruflichen Verbleibsforschung. Im Zusammenhang damit werden die in der Untersuchung berücksichtigten Verbleibskriterien hergeleitet sowie das auf subjektiven und objektiven Kriterien basierende Vorgehen der Arbeit erläutert. Eine exemplarische Untersuchung von Verbleibsstudien aus Deutschland führt schließlich zur Ableitung von sogenannten „traditionellen Prädiktoren“ des beruflichen Verbleibs, wie zum Beispiel Schulbildung, Geschlecht, Alter (89). Der unzureichenden Berücksichtigung von Kompetenzen als mögliche Prädiktoren des beruflichen Verbleibs wird begegnet, indem anhand der Resonanz auf die Schlüsselqualifikationsdebatte im Beschäftigungs- und Bildungssystem sowie der Berufs- und Wirtschaftspädagogik aufgezeigt wird, welche Bedeutung den Schlüsselkompetenzen für den beruflichen Verbleib beigemessen wird. Dabei wird auch die internationale Dimension der Debatte um Schlüsselkompetenzen im Rahmen der Ergebnisse des DeSeCo - Projektes aufgegriffen. In der zusammenfassenden Darstellung werden diejenigen Schlüsselkompetenzen abgeleitet und für die Untersuchung ausgewählt, welche den höchsten Einfluss auf den beruflichen Verbleib erwarten lassen:
- Kommunikative Kompetenz, in Verbindung mit kooperativen Aspekten,
- Lernkompetenz, bezogen auf das selbstregulierte Lernen,
- Motivation, im Sinne der Leistungsmotivation,
- Selbstkompetenz, welche die Komponenten Selbstkonzept, Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit beinhaltet (136f).
Die Herleitung und Darstellung der genannten Kompetenzen mündet schließlich in die Formulierung der Forschungsfrage: „Inwieweit beeinflussen die ausgewählten Schlüsselkompetenzen den beruflichen Verbleib von Bürokaufleuten, Physiotherapeuten und Wirtschaftsassistenten unter gleichzeitiger Berücksichtigung soziodemographischer Merkmale, persönlicher Ziele, Kontrollüberzeugungen und Persönlichkeitsdimensionen?“(137)
Im dritten Kapitel der Arbeit werden Design und Instrumente der umfangreichen empirischen Untersuchung beschrieben und erläutert. Die Daten wurden im Rahmen von zwei Erhebungswellen zwischen Dezember 2003 und November 2005 erfasst.
In der ersten Erhebungswelle wurden die Schlüsselkompetenzen von Auszubildenden der genannten Berufsausbildungen mittels einer schriftlichen Befragung bei 1840 Probanden erhoben. Vier Voruntersuchungen ermöglichten dabei die Anpassung der Messinstrumente an die spezifischen Anforderungen und Voraussetzungen der Untersuchung sowie die Testung der Fragebogen. Die Voruntersuchungen basieren zum Teil auf dem „Zwei - Phasen - Pretesting“ nach Prüfer und Rexroth (2002) des Zentrums für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA) und gehen über die dort festgelegten Standards hinaus (142). Die Instrumente zur Erhebung der ausgewählten Schlüsselkompetenzen sind aus vergleichsweise breit angelegten Forschungskontexten übernommen. Dabei wird die Auswahl und Adaption der Instrumente ausführlich dargestellt und begründet. Dieser Abschnitt zeigt jedoch auch die Schwierigkeit auf, geeignete Instrumente zur Erhebung der ausgewählten Schlüsselkompetenzen festzulegen. Im Ausblick der Arbeit geht Kirstin Müller auf diese Problematik ein und sieht Bedarf für weitere Forschungstätigkeit. Unter anderem könnte diese in Form einer explizit eigenständigen Entwicklung von Kompetenzkonzepten unter gezielter Einbeziehung von Resultaten der Arbeitsmarktforschung stattfinden (436).
Mithilfe der zweiten Erhebungswelle wurde der berufliche Verbleib von 897 Absolventen aus den oben genannten Ausbildungsberufen erfasst. Dabei wurde ein zeitraumbezogenes Design gewählt, um Fehlinterpretationen durch zeitpunktbezogene Analysen zu vermeiden. Es wurden zum einen Status sowie Eingliederungs- und Erwerbsverlauf der Probanden durch Selbsteinstufung erhoben. Dies erfolgte mithilfe eines eigens für die vorliegende Arbeit entwickelten beruflichen Kalendariums (822f). Zum anderen wurden die ausgewählten Verbleibskriterien operationalisiert und durch einen Fragebogen bei den Probanden erfasst. Die Instrumente zur Erfassung der Verbleibskriterien wurden ebenfalls in einer Voruntersuchung mittels Evaluationsinterviews und Standardpretests erprobt und adaptiert.
Das vierte Kapitel der Arbeit widmet sich der Darstellung und Auswertung der Ergebnisse der Studie. Dazu wurde auf Grundlage von sequenzanalytischen Überlegungen eine Typisierung von vier unterschiedlichen Verlaufsmustern des Eingliederungs- und Erwerbsverlaufs entwickelt. Die Feststellung der Wirksamkeit von Schlüsselkompetenzen bei Auszubildenden auf deren beruflichen Verbleib erfolgte durch die Untersuchung der Zugehörigkeitswahrscheinlichkeit von Absolventengruppen mit bestimmten Kompetenzmustern zu den beschriebenen Verlaufsmustern (268f).
Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen ein uneinheitliches und schwaches Bild bezüglich der Zusammenhänge zwischen der Ausprägung von Schlüsselkompetenzen und dem beruflichen Verbleib der Absolventen. Dabei werden die unterschiedlichen Erwerbschancen der untersuchten Ausbildungsberufe berücksichtigt. Wenn Schlüsselkompetenzen überhaupt als relevant für einzelne Größen des beruflichen Verbleibs gelten können, so trifft dies nur auf einzelne Aspekte oder Cluster, teilweise auch in negativer Weise, zu und der Erklärungsgehalt ist überwiegend gering. Die differenzierten Ergebnisse zeigen jedoch auf, wie riskant es ist, pauschale Aussagen über die Wirksamkeit von Schlüsselkompetenzen auf den beruflichen Verbleib zu treffen (434f).
In der Zusammenfassung und dem Ausblick werden das Forschungsdesign und die Instrumente der Studie noch einmal kritisch hinterfragt, die Komplexität des Untersuchungsgegenstands verdeutlicht und schließlich Anregungen für weitere Forschungsarbeiten mit ähnlicher Fragestellung formuliert. Abschließend wird ein Forschungsdesiderat formuliert, welches die Schaffung einer berufspädagogischen Verbleibstheorie propagiert, um kompetenzfördernde Maßnahmen zur Optimierung des Übergangsprozesses abzuleiten.
Die sehr aufwändig und sorgfältig ausgearbeitete Längsschnittstudie von Kirstin Müller, die einen wenig untersuchten Forschungsbereich innerhalb der beruflichen Übergänge abdeckt, ist eine bereichernde Lektüre. Insbesondere die wiederholt (selbst-)kritische Betrachtung des Untersuchungsdesigns und des ausgewählten Instrumentariums zeichnet den Forschungsbeitrag von Kirstin Müller aus.