EWR 23 (2024), Nr. 3 (Juli)

Dominique Matthes / Hilke Pallesen (Hrsg.)
Bilder von Lehrer*innenberuf und Schule
(Mediale) EntwĂĽrfe zwischen Produktion, Rezeption und Aneignung
Wiesbaden: Springer VS 2022
(384 S.; ISBN 978-3-658-32563-3; 64,99 EUR)
Bilder von Lehrer*innenberuf und Schule Bildliche Repräsentationen sind in einer digitalen Netzwerk- und Informationsgesellschaft allgegenwärtig, ihr Einfluss auf soziale Interaktionen und öffentliche Diskurse dürfte als unstrittig gelten. Im Zuge des „iconic turn“ [1] in vielen sozial- und erziehungswissenschaftlichen Bereichen umfangreich untersucht, erscheinen sie zugleich in manchen Forschungsbereichen als blinde Flecken. Die Professions- bzw. Lehrer:innenforschung erschien lange Zeit vergleichsweise zurückhaltend im Hinblick auf die Untersuchung visueller Darstellungen. Dies mutet erstaunlich an – zumal Bilder von Lehrer:innen und Schule weit verbreitet sind und jeder Mensch Bezüge zum Lehrberuf und zum schulischen Feld hat. Mit vorliegendem Sammelband widmen sich die Herausgeberinnen Dominique Matthes und Hilke Pallesen diesem Forschungsdesiderat. Es ist zugleich der 79. Band der Reihe „Studien zur Schul- und Bildungsforschung“ vom Zentrum für Schul- und Bildungsforschung (ZSB) der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Anfänglich benennen Matthes und Pallesen als Notwendigkeit, das Bildhafte „entlang seiner Materialität und Sozialität“ (6) in den Kern von Forschungsvorhaben zu rücken und legen einen Bildbegriff zugrunde, der sowohl visuelle wie auch mentale Repräsentationen, innere und äußere Bilder beinhaltet. Dies ermöglicht es ihnen, eine Vielzahl an Beiträgen zu versammeln, die thematisch und forschungspraktisch breit angelegt sind und namhafte Forscher:innen ins Boot holen. Dabei zielen neben bildwissenschaftlichen Zugängen u.a. praxeologische Perspektivierungen darauf ab, das Bild als „in der Praxis hervorgebrachte und die Praxis hervorbringende“ (6) Entität zu fassen.

Die Herausgeber:innen nehmen zunächst eine differenzierte, stringente Einordnung vor, die die Komplexität und Vielschichtigkeit der Thematik und die Vielzahl damit einhergehender Fragen verdeutlicht. Sie konkretisieren diese dahingehend, dass zu untersuchen wäre, welche Bilder zum Beruf vorliegen, wie diese explizit wie auch implizit entworfen und verhandelt werden, was wie als Bild zu fassen wäre und welche Bedeutung den Bildern u.a. für den Forschungsdiskurs zukommt. Zudem präsentieren sie eigene Befunde einer dokumentarischen Interpretation, in der sie Lehrer:innenbilder im Sinne impliziter Vorstellungen vom Lehrberuf analysieren. Dazu nutzen sie Datenmaterial, das als innovativ eingeordnet werden kann: einerseits einen Radiobeitrag über Imagekampagnen für den Lehrer:innenberuf, andererseits Motive auf Gratispostkarten, die im Zuge einer entsprechenden Imagekampagne verteilt und in Umlauf gebracht wurden. Die Befunde der komparativen Analyse verweisen auf stereotype, einseitige und diffuse^ Vorstellungen vom Lehrberuf, die in der Art ihrer Darstellung an berufliche „Un-/Glücksversprechen“ (22) anschließen und komplexe, krisenhafte Anforderungen der Profession lediglich andeuten.

Ausgehend von diesen Befunden versammelt der erste Teil des Bandes „[b]egrifflich-konzeptionelle, theoretische und empirische Perspektiven“ (37). Dabei werden Hintergründe und (Dis-)Kontinuitäten zum öffentlichen Bild und Prestige von Lehrer:innen erarbeitet. Ewald Terhart stellt etwa in Form von „Beobachtungen und Reflexionen“ (39) eine Übersicht zu Bildern des Lehrberufs zusammen. Er unterscheidet Fremdbilder in Form eines Wissens über Lehrkräfte auf verschiedenen Ebenen von kollektiven und individuellen Selbstbildern und zeichnet spezifische Verschiebungen ebendieser Bilder nach. Martin Rothland widmet sich kritisch den Ergebnissen einer Studie, die eine Wende in der medialen Beschäftigung mit dem Lehrer:innenberuf und dem öffentlichen Ansehen aufruft. Dabei konstatiert er, dass deren Befunde zu weitreichend als positiver Trend in der öffentlichen Berichterstattung über Lehrer:innen gedeutet und damit der irreführende Eindruck einer Abkehr vom Bild von Lehrkräften als „faule Säcke“ [2] vermittelt würde. Zudem kritisiert er studienseitige Annahmen, dass das öffentliche Lehrer:innenbild einen negativen Einfluss auf Berufswahl, Belastungserleben und Arbeitszufriedenheit habe – diese würden demnach nicht durch die Befunde gestützt.

„Mediale Repräsentationen in öffentlichen Kontexten“ (92) beleuchten die Beiträge im zweiten Teil des Sammelbandes. Untersucht wird, welche professionsbezogenen Relevanzsetzungen und Deutungsangebote in medialen Inszenierungen zum Lehrberuf rekonstruierbar werden und wie über verschiedene Materialien Erlebniszusammenhänge zum Lehrberuf geschaffen werden. Beispielhaft widmen sich Melanie Schmidt und Christian Herfter in diesem Zusammenhang YouTube-Videos, die humoristisch-karikierend auf Lehrer:innen blicken. Mithilfe des Konzepts der Subjektivierung untersuchen sie „die soziale Praxis der Inszenierung und Rezeption von Videos“ (202) im Hinblick darauf, wie Beziehungen und damit einhergehende (Dis-)Kontinuitäten zwischen Videos und Zuschauenden als einem „blickenden – und auch erblickten – Selbst“ (186) hergestellt werden. Dabei arbeiten sie „die Verwobenheit sozialer Produktions- und Rezeptionspraxen von Lehrer*innenbildern“ (28) heraus, die sie als Zeichen der Komplexität des öffentlichen Raumes YouTube deuten.

„Im Spannungsfeld von Selbstbildern und Fremdwahrnehmungen“ (228) bewegen sich die Beiträge des dritten Teils. Vor allem empirisch-rekonstruktiv werden die Relevanzsetzungen von Akteur:innen und die Entwürfe, mit denen sie konfrontiert werden, untersucht. In diesem Kontext legt Jan-Hendrik Hinzke in einem der hier versammelten Beiträge Ergebnisse einer explorativen Interviewstudie dar, die (sprachlich vermittelte) Selbst- und wahrgenommene Fremdbilder von Lehrpersonen rekonstruiert. Er schlägt dabei einen Weg vor, wie Selbst- und Fremdbilder sowie die berufliche Handlungspraxis in ihrer Relationierung mithilfe der Dokumentarischen Methode rekonstruiert werden können. Die Interpretationen verweisen auf verschiedene Muster des Umgangs in der lehrer:innenseitigen Auseinandersetzung mit wahrgenommenen Diskrepanzen zwischen Selbst- und Fremdbildern.

Abschließend widmen sich die Beiträge des vierten Teils unter der Überschrift „Angebote und Implikationen für die Lehrer*innenbildung und Schulpädagogik“ (313) übergeordnet der Frage, wie mit Bildern zur bzw. über die Profession sowohl im Bereich der Lehrer:innenbildung als auch der Schulpädagogik umgegangen werden kann. Georg Breidenstein problematisiert in seinem Beitrag etwa Herausforderungen der Verwendung von Spielfilmen im Rahmen der Lehrer:innenbildung. Im Hinblick auf filmisch dargestellte Figuren merkt er an, dass diese in ihrer „Abgrenzung vom pädagogischen Establishment“ (331) spezifische Vorstellungen vom Lehrberuf und der Rolle von Lehrer:innen vermitteln. Da „Lehrerfilme“ (326) (ungeachtet der – als klärungsbedürftig markierten – Frage, ob diese ein eigenes filmisches Genre darstellen) öffentliche Bilder von Lehrer:innen nicht nur aufgreifen, sondern auch wesentlich prägen, müsse die Medialität, die von Studierenden oftmals verkannt werde, gerade in den Mittelpunkt der Analysen gestellt werden. Eindrücklich verdeutlicht er dies an seinem Befund, dass Lehrer:innenfiguren in Filmen oftmals als Held:innen inszeniert werden. Diese verdichteten Darstellungen könnten im Rahmen von Seminaren im Hinblick auf inhärente (kollektive) „Allmachts- und Rettungsphantasien“ (330) und damit verbundene Risiken kritisch befragt werden.

Insgesamt bietet der Sammelband vielfältige Perspektiven und empirisch ertrag- und aufschlussreiche Analysen und Befunde zu einem Feld, das (auch vor dem Hintergrund umfangreicher öffentlicher Diskurse und des Sprechens über Lehrer:innen sowie damit einhergehender Fragen an die Lehrer:innenforschung) Relevanz und Aktualität erhält. Dabei werden vor allem Außen- und Innenperspektiven schulischer Akteur:innen und mediale und mentale Bilder zum Lehrberuf fokussiert. Demgegenüber erhalten Bilder von und über Schule – anders als der Titel nahelegen könnte – wenig Berücksichtigung. Dies merken auch die Herausgeberinnen selbstkritisch an und benennen weitere Forschungsprojekte und Publikationen (auch in diesem Bereich) als zukünftig erstrebens- und wünschenswert.

[1] Böhm, G. (1994). Was ist ein Bild? Fink.
[2] Rothland, M. (2007). Sind „faule Säcke“ passé? Anmerkungen zur Ambivalenz der öffentlichen Beurteilung von Lehrerberuf, Lehrerhandeln und Lehrpersonen. Die Deutsche Schule, 99, 175-191.
Barbara Hövels (Köln)
Zur Zitierweise der Rezension:
Barbara Hövels: Rezension von: Matthes, Dominique / Pallesen, Hilke (Hg.): Bilder von Lehrer*innenberuf und Schule, (Mediale) EntwĂĽrfe zwischen Produktion, Rezeption und Aneignung. Wiesbaden: Springer VS 2022. In: EWR 23 (2024), Nr. 3 (Veröffentlicht am 14.08.2024), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978365832563.html