Die Fröbelforschung in Deutschland war, nachdem sie ihren geisteswissenschaftlich geprägten Personenkult überwunden hatte, zuletzt vorrangig eine Forschung über die historischen Grundlagen der Pädagogik Friedrich Fröbels. Als eine solche historisch-pädagogische Grundlagenforschung ist sie heute um die Sicherung und die quellennahe Sinnauslegung der Texte Fröbels (besonders Aufsätze, Briefe, Bücher und Tagebuchnotizen) bemüht. Der „Nestor“ dieser Forschungsdimension ist in Deutschland zweifelsohne Helmut Heiland, der unter anderem die Schulpädagogik, die Spielpädagogik, die Biografie Fröbels und dessen Briefe untersucht und letztgenannte überhaupt erst umfangreich zugänglich gemacht hat [1]. Abgesehen von Heilands Studien sind in der Fröbelforschung in jüngster Zeit die Dissertation von Christiane Konrad [2], Heinz Stübigs Beiträge zu Fröbels Biografie und Wirkungsgeschichte [3], die psychoanalytisch und historisch angelegte Studie über das Verhältnis Fröbels zu Frauen von Detlef Krone [4] sowie einige Texte des Rezensenten selbst [5] zu erwähnen. Detlef Krone stützt seine nun vorgelegte Untersuchung vor allem auf die Briefe Fröbels, die seit 2008 in einer von der Duisburger Fröbelforschungsstelle von Helmut Heiland und der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung Berlin herausgegebene Gesamtedition [6] zur Verfügung stehen.
Krones biografisch angelegte Studie gliedert sich in sechs Kapitel. Das erste Kapitel (9ff) umschreibt knapp Fröbels Berufsbiografie, einige Aspekte seiner Wirkungsgeschichte in der Pädagogik sowie die in der Fröbeltradition häufig genannten Entbehrungen Fröbels in seiner Kindheit, die – laut älteren Biografien – sein „Schicksal“ als Pädagoge maßgeblich bestimmt haben sollen. Im zweiten Kapitel (29ff) wird das Studiendesign beschrieben: Krone nutzt einerseits einen historischen Ansatz, der vor allem auf Briefen, aber auch weiteren Quellen als Analysedokumenten fußt, und betreibt dabei andererseits Biografieforschung [7]. Im dritten Kapitel (35ff) gerät „Fröbel unter Beobachtung“, indem seine Äußerungen aus mehreren Lebensabschnitten von Krone zum Teil sehr tiefgründig analysiert werden. Das vierte Kapitel (81ff) widmet sich den „Schwierigkeiten mit Fröbel-Texten“, vor allem den möglichen Dimensionen ihrer Deutung, dem Schreibstil und spezifischen Wortwahlen Fröbels, die das Verständnis seiner Texte häufig erschweren. Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, weshalb Krone im fünften Kapitel (145ff) eher von Theoriefragmenten anstatt von einer Theorie bei Fröbel spricht. Das sechste Kapitel (161ff) widmet sich schlussendlich der deutschen Fröbelforschung und kritisiert deren Ansatz der Erforschung des vermeintlich „authentischen“ Fröbel allein durch eine Fröbel-Historik [8].
Die Darstellung stützt sich auf ein intensives Quellenstudium und gibt die Inhalte der Briefe Fröbels (vgl. Kap. 2) nicht nur wieder, sondern deutet sie kritisch in mehreren biografischen Dimensionen. Dabei gelingt es Krone unter anderem, Fröbels vermeintlich initiale „Entscheidung für ein Leben als Pädagoge“ (36) aufzuklären. Fröbels Entschluss führte zu keiner romantischen und immer erfüllenden Tätigkeit, sondern bereitete ihm vielmehr Mühe, ließ ihn sogar häufig zweifeln, ob er selbst überhaupt fähig und geeignet sei Menschen zu erziehen. Durch diese inneren Konflikte wird auch die Unstetigkeit seines beruflichen pädagogischen Werdeganges ab 1805, als Fröbel zunächst selbst noch euphorisch über seine gerade erst aufgenommene Lehrertätigkeit in einer an Pestalozzi orientierten Reformschule berichtete, verständlich. Fröbel nahm im Anschluss an eine Anstellung als Hauslehrer bzw. Erzieher in der Frankfurter Patrizierfamilie von Holzhausen auf und besuchte mit den ihm anvertrauten Zöglingen Pestalozzis Institut in Yverdon. Dieser Erziehertätigkeit folgten ein neu aufgenommenes Studium in Göttingen und Berlin, von dem Fröbel sich ein besseres Allgemeinwissen versprach. Dann eine Tätigkeit als wissenschaftlicher Assistent am mineralogischen Institut in Berlin und im Anschluss die Teilnahme an den Napoleonischen Befreiungskriegen, die er selbst als notwendigen Schritt auf dem Weg zu seinem künftigen Erzieherdasein stilisiert (52ff). Krone spürt in Fröbels Briefen zahlreichen Motiven für diese Getriebenheit nach. Darüber hinaus blickt er auch auf Fröbels stark ausgeprägtes Sendungsbewusstsein (63ff) und prüft die in der geisteswissenschaftlichen Pädagogik häufig hervorgehobene „Genialität“ Fröbels – ein Sachverhalt, der sich darin zeigt, dass Pädagogen wie Nohl, Spranger und Bollnow davon ausgingen, dass auch in Fröbels Fragmenten, ja „selbst in seinen Schrullen […] noch ein genialer Kern“ [9] stecken müsse. Krone entmystifiziert diese Interpretation, indem er nicht nur die nachträgliche Konstruktion des „Klassikers“ andeutet, sondern durch seine Ausführungen zu Fröbels Selbstzweifeln implizit sogar zeigt, dass dieser es möglicherweise nicht immer vermochte, pädagogische Sachverhalte vollständig systematisch zu erschließen. Neben dieser Entmythologisierung unternimmt Krone zudem erstmalig in der Fröbelforschung den Versuch einer umfangreichen Prüfung von Worthäufigkeiten in Fröbels brieflicher Darstellung, die – meist durch häufige Wiederholungen bestimmter Formulierungen, aber auch durch die Verwendung von Metaphern – immer wieder „Schwierigkeiten“ (81) bei der Interpretation bereiten.
Krones (psycho-)analytisches Durchdringen der Biografie Fröbels deckt in dessen Texten Widersprüche und Ungereimtheiten auf, die uns ein weitaus differenzierteres Bild über Fröbels innere Konflikte und Motive geben als es bisherige Fröbel-Biografien in dieser Tiefe darzustellen vermochten. Es handelt sich um eine an vielen Stellen des Buches durchaus überzeugende Studie, die Fröbels Handeln, seine Aussagen und die Kontexte der Entstehung dieser Aussagen meist nachvollziehbar rekonstruiert. Dies erweitert und korrigiert an so mancher Stelle das bisherige Verständnis für die Entstehung und Entwicklung der Pädagogik Fröbels und bildet daher einen wertvollen Beitrag für die historisch-pädagogische Grundlagenforschung. Neben recht zahlreichen Tippfehlern, die auf ein eher mangelhaftes Lektorat hinweisen, finden sich jedoch auch einige inhaltliche Ungenauigkeiten. So ist etwa vom „Kegel“ als Spielgabe Fröbels die Rede, obwohl die „Gaben“ lediglich aus den drei Grundformen Kugel, Walze und Würfel (sowie dessen geteilten Formen) bestehen. Leider geht Krone in seiner Auseinandersetzung mit der deutschen Fröbelforschung auf jüngere Veröffentlichungen [5] nicht ein, obwohl gerade diese bzgl. der verwendeten Textsorte des Briefs durchaus von Bedeutung gewesen wären.
In der Gesamtschau handelt es sich gleichwohl um ein lesenswertes Buch. An einigen Stellen entsteht gar der Eindruck, als ob es Detlef Krone gelingt, Friedrich Fröbel „besser [zu] verstehen als er selbst“ [10]. Möglicherweise liegt in dem von Krone eigens entworfenen historisch-biografischen und zugleich tiefenanalytischen Zugang zu Briefen auch ein methodologischer Ansatz für eine Rekonstruktion zum Verlauf beruflicher und privater Biografien von „pädagogischen Klassikern“ anhand autobiografischer Quellen. In Fröbels Briefen zeigen sich das Berufliche und das Private als sehr eng und spezifisch miteinander verflochten. Es bleibt daher auf eine kritische Würdigung von Krones Studie in der künftigen Fröbelforschung zu hoffen. Darüber hinaus darf man auch auf den zweiten Band der Untersuchung gespannt sein, den der Autor bereits ankündigt und in dem er Fröbels „Biografie unter behutsamer psychoanalytischer Bemusterung“ (7) erschließen will.
[1] Heiland, H.: Fröbel und die Nachwelt. Studien zur Wirkungsgeschichte Friedrich Fröbels. Bad Heilbrunn / Obb.: Klinkhardt 1982; Heiland, H.: Die Schulpädagogik Friedrich Fröbels. Hildesheim u.a.: Olms 1993; Heiland, H.: Die Spielpädagogik Friedrich Fröbels. Hildesheim u.a.: Olms 1998; Heiland, H.: Friedrich Fröbel in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2005; Heiland, H. (Hg.): Friedrich Fröbel in seinen Briefen. Würzburg: Königshausen & Neumann 2008.
[2] Konrad, C.: Ăśber die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der Mutter- und Koselieder. WĂĽrzburg: Univ. Diss. 2006.
[3] Stübig, H.: Friedrich Wilhelm August Fröbel. Beiträge zur Biographie und Wirkungsgeschichte eines verdienten deutschen Pädagogen. Bochum: Projekt 2010.
[4] Krone, D.: Der Pädagoge F. Fröbel und die Frauen. Beziehungsbedürfnisse aus den Anfangstagen des Kindergartens. Frankfurt am Main: Peter Lang 2011.
[5] Sauerbrey, U.: Zur Spielpädagogik Friedrich Fröbels. Eine systematische Analyse des Verhältnisses von Aneignung und Vermittlung im Kinderspiel anhand spielpädagogisch relevanter Briefe. Würzburg: Ergon 2013; Sauerbrey, U. / Friedrich-Fröbel-Museum Bad Blankenburg (Hg.): Friedrich Fröbel. Die Entstehung des Kindergartens und der Spielpädagogik im Spiegel von Briefen. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013; Sauerbrey, U. / Winkler, M. / Zipf, C. (Hg.): Elementarpädagogik in Briefen. Studien zu Friedrich Fröbel und zur Geschichte der öffentlichen Kleinkindererziehung im 19. Jahrhundert. Würzburg: Ergon 2015.
[6] Heiland, H. / Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (Hg.), Gesamtausgabe der Briefe Friedrich Fröbels. Berlin 2008, online unter: http://bbf.dipf.de/digitale-bbf/editionen/froebel [Zugriff am 15.10.2016]
[7] Glaser, E. / Schmid. P.: Biographieforschung in der Historischen Pädagogik. In: Krüger, H.-H. / Marotzki, W. (Hg.): Handbuch erziehungswissenschaftliche Biographieforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2006, 363-389; Schulze, T.: Zur Interpretation autobiographischer Texte in der erziehungswissenschaftlichen Biographieforschung. In: Friebertshäuer, B. / Langer, A. / Prengel, A. (Hg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. Weinheim / München: Beltz Juventa 2013, 413-436.
[8] Heiland, H.: Fröbelforschung aktuell. Aufsätze 2001-2010. Würzburg: Könighausen & Neumann 2012.
[9] Nohl, H.: Erziehergestalten. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1960, 45.
[10] Schleiermacher, F.D.E.: Hermeneutik und Kritik mit besonderer Beziehung auf das Neue Testament. Friedrich Schleiermacher's sämtliche Werke. Erste Abtheilung. Zur Theologie. Siebenter Band. Berlin: Reimer 1977 / 1838, 45.
EWR 15 (2016), Nr. 6 (November/Dezember)
Biografische Studie zur Person und zum Werk Friedrich Fröbels
Frankfurt am Main: Peter Lang 2016
(197 S.; ISBN 978-3-631-64897-1; 39,95 EUR)
Ulf Sauerbrey (Jena / Bamberg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Ulf Sauerbrey: Rezension von: Krone, Detlef: Biografische Studie zur Person und zum Werk Friedrich Fröbels. Frankfurt am Main: Peter Lang 2016. In: EWR 15 (2016), Nr. 6 (Veröffentlicht am 29.11.2016), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978363164897.html
Ulf Sauerbrey: Rezension von: Krone, Detlef: Biografische Studie zur Person und zum Werk Friedrich Fröbels. Frankfurt am Main: Peter Lang 2016. In: EWR 15 (2016), Nr. 6 (Veröffentlicht am 29.11.2016), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978363164897.html