Das vorliegende Buch ist aus einer Augsburger Dissertation entstanden und leistet einen wichtigen Beitrag zur Historiographie der Vergleichenden Erziehungswissenschaft (VE). „Ziel dieser Arbeit ist es, die historischen Grundlagen der Vergleichenden Erziehungswissenschaft im deutschsprachigen Raum im Sinne Prof. Dr. Friedrich Schneiders aufzuarbeiten und sein Leben und Werk historisch und politisch einzuordnen.“ (13f.) Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Bedeutung vergleichender Forschung und ihrer internationalen Prominenz trägt die vorliegende Studie wichtiges zum Selbstverständnis dieser noch relativ jungen Teildisziplin bei und zeigt, dass es sich lohnt, zurück zu schauen und von den Begründern der VE zu lernen.
Die 185 Seiten des Bandes sind in fünf übergeordneten Teilen organisiert, wobei Teil vier einen Anhang mit einem Schriftverzeichnis Friedrich Schneiders, ein Verzeichnis seiner Lehrveranstaltungen sowie ein Verzeichnis der Themen der Internationalen Pädagogischen Werktagung und Teil fünf ein Quellenverzeichnis präsentieren.
Nach einigen einleitenden Ausführungen zu Problemstellung, Forschungstand, Zielsetzung und der hermeneutischen Vorgehensweise der Untersuchung wird im Kapitel zwei „Das Wirken des Erziehungswissenschaftlers Friedrich Schneider“ gewürdigt. In einem ersten Kapitel werden Leben und Werk Schneiders diskutiert und thematisch eingeordnet. Barbara Hartmann präsentiert seine Biographie mit Bezug auf seinen professionellen Werdegang und immer vor dem Hintergrund seiner Auseinandersetzungen mit den historischen Bedingungen seiner Zeit – Erster und Zweiter Weltkrieg und ihre Herausforderungen. Die thematische Einordnung seines Werks wird „grob unter zwei Positionen, die sich bedingen, subsumiert“: Zum einen sein frühes „empirisch-psychologisches Interesse“ und zum anderen das Interesse an der „christliche[n] Persönlichkeit als Erziehungsziel“. Ersteres wird in der Studie nicht weiterverfolgt, da sich Schneider nicht dauerhaft damit beschäftigt, das zweite Thema bildet den Fokus der Autorin (27f.) Schneiders „Grundhaltung und Gesinnung“ liest und interpretiert Hartmann aus Memoiren und Archivalien; „Friedrich Schneider [war] in erster Linie Christ und Pädagoge [...] und sein Zeitgeist [war] durch eine übermenschliche Instanz und eine daraus resultierende Moral und Friedensidee, sowie einer übernationalen Verständigung geprägt“ (31). Diese ausgeprägte christliche und internationalistische Haltung behält Schneider während seines ganzen Lebens bei, so Hartmann (34); pädagogisch „orientiert sich Schneider vor allem an christlichen Vordenkern wie Otto Willmann, Paul Barth oder Friedrich Paulsen, wie auch an Pierre Frieden.“ Mit Blick auf die VE sind Michael Sadler, Isaac Kandel, Robert Ulich und Nicholas Hans weitere wichtige Orientierungen(33).
Die Autorin analysiert in einem weiteren, längeren Kapitel „Schneiders theoretisches und methodisches Programm der Vergleichenden Erziehungswissenschaft“ (35-92). Darin werden wichtige Begrifflichkeiten erläutert und „eine ‚grundlegende Einordnung der Vergleichenden Erziehungswissenschaft’“ (35) vorgenommen. Wichtige Begriffe in der Konzeption Schneiders sind ein ‚weit gefasster Begriff der Erziehung’, der Begriff der ‚Selbsterziehung’, der ‚prospektiven’ und der ‚historischen Pädagogik’ (35-43). Des Weiteren werden die Wurzeln der deutschsprachigen VE bis zu Goethe zurückverfolgt. Darüber hinaus stellt Schneider – unter anderem über Hecht, Niemeyer, Herder – die wissenschaftliche Grundlegung (durch W. Dilthey A. Fischer und E. Krieck) bis „um 1930, als Schneiders Interesse an der Vergleichenden Erziehungswissenschaft Formen annimmt,“ skizzenhaft dar (43ff.). Mit seiner mehrteiligen Abhandlung „Internationale Pädagogik, Auslandspädagogik, Vergleichende Erziehungswissenschaft“ (1931/32) erörtert Schneider, so die Autorin, die Begriffsbestimmung der VE und „stellt den theoretischen Bezugrahmen für seine Sichtweise der Vergleichenden Erziehungswissenschaft in einem übergeordneten System dar.“ (46)
Hartmann diskutiert eingehend Schneiders theoretisches Ordnungsschema und Rahmenkonzept. Ferner präsentiert sie Schneiders Begriffsinstrumentarium, das „Ordnung“ in das noch fragmentarisch und uneinheitliches ‚Durcheinander’ der VE zu bringen sucht (50ff.) und in folgende Definition der VE aus seiner Studie ‚Triebkräfte der Pädagogik der Völker’ (1947) mündet: „Vergleichende Erziehungswissenschaft sucht durch Vergleich allgemein kultureller oder im eigentlichen Sinne pädagogischer Sachverhalte aus der Gegenwart oder Vergangenheit des eigenen oder anderer Völker individuell pädagogische (ideographische) Fragen oder pädagogische Begriffe und allgemeine Gesetzmäßigkeiten (nomothetische) Ergebnisse festzustellen“ (55) Auf die genannte Studie Bezug nehmend expliziert Hartmann Schneiders Überlegungen zu methodischen Vorgehensweisen, sein Forschungsverständnis sowie die Zielsetzung der VE.
Die ‚Europäische Erziehung’ bildet den Gegenstand des dritten Kapitels in diesem Buchteil. Für Schneider galt, so die Autorin: „Eine europäisch gerichtete Pädagogik wird hier als Weiterentwicklung der Vergleichenden Erziehungswissenschaft gesehen.“ (93) Im Verlauf dieses Kapitels werden die konzeptionellen Ideen sowie theoretischen und methodischen Voraussetzungen einer ‚Europäischen Erziehung’ nach Schneider präsentiert und kritisch diskutiert.
Das vierte Kapitel beschreibt die „Auswirkungen“ von Schneiders Arbeiten mit Blick auf die VE. Damit wird „ein erster Versuch einer ausführlichen Rezeption Friedrich Schneiders unternommen“ (117). Hartmann resümiert: Beeinflusst durch seinen intensiven und offenen Bezug zum ‚Ausland’ prägt Schneider die Vergleichende Erziehungswissenschaft mit und durch seine Veröffentlichungen, vor allem aber fördert er diesen Forschungsbereich (137). Auf ihn gehen heute noch wichtige Zeitschriften wie das ‚International Review of Education’ und Veranstaltungen wie die ‚Internationale Pädagogische Werktagung’ zurück. „Schneider [gilt] bei einigen Erziehungswissenschaftlern zum Teil als Kind seiner Zeit, der auf dem ersten Blick heute nicht mehr wesentlich die aktuelle Diskussion beeinflussen kann. Andererseits beweisen seine Gedanken zur europäischen Erziehung und zu den exogenen und endogenen Faktoren in der Vergleichenden Erziehungswissenschaft heute mehr Aktualität denn je.“ (138)
Der dritte Teil des Bandes fasst die Ergebnisse der Untersuchung zusammen und würdigt kritisch verschiedene Aspekte des Wirkens Schneiders. Dabei werden offene Fragen, Probleme und Forschungsperspektiven aufgezeigt. Vor allem ein Aspekt scheint besondere Relevanz zu haben: „Die Vergleichende Erziehungswissenschaft wird in ihrem Bedeutungsgehalt immer mehr mit der der Interkulturellen Bildungsforschung gleichgesetzt, obwohl die beiden sich gerade im Bereich des Vergleichens wesentlich unterscheiden.“ (144) Diese Frage sowie Fragen nach der strukturellen und personellen Situation der VE in Deutschland sind gegenwärtig wesentlich für die Zukunft dieser Forschungsrichtung im deutschsprachigen Raum.
Die von Barbara Hartmann vorgelegte Studie zu Friedrich Schneider liefert einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der VE in Deutschland aber auch allgemein. Das Buch fasst die grundlegenden Konzeption dieses wichtigen Denkers der VE zusammen, leistet einen Beitrag zur Aufarbeitung seiner Rezeption und zeigt dass „[i]m Sinne ‚Alte Fragen – Neues Wissen’ bzw. ‚Neue Fragen – Alte Impulse’ [...]“ (145) die Beschäftigung mit den historischen Wurzeln der VE wichtige Anregungen für die gegenwärtigen Herausforderungen der Teildisziplin hervorgehen können.
Barbara Hartmanns Buch ist zugänglich und übersichtlich geschrieben, daher seine Eignung auch für Studienanfänger; vor allem aber profitieren diejenigen, die sich schnell einen Überblick über die Arbeiten Friedrich Schneiders verschaffen möchten, denn der Band fasst seine Schriften und Lehrveranstaltungen zusammen und gibt des Weiteren Auskunft über die Rezeption Schneiders, stellt daher eine wichtige Quellensammlung für Studierende und Forscherinnen gleichermaßen dar.
Es ist zu hoffen, dass – Hartmanns Beispiel folgend – weitere solche Studien zu den Anfängen der Vergleichenden Erziehungswissenschaft im deutschsprachigen Raum in Angriff genommen werden.
EWR 8 (2009), Nr. 6 (November/Dezember)
Die Anfänge der Vergleichenden Erziehungswissenschaft im deutschsprachigen Raum
Das Wirken des Erziehungswissenschaftlers Friedrich Schneider
(Vol. 988 Europäische Hochschulschriften, Reihe 11 Pädagogik)
(Vol. 988 Europäische Hochschulschriften, Reihe 11 Pädagogik)
Frankfurt am Main: Lang 2009
(185 S.; ISBN 978-3-631-58334-0; 39,00 EUR)
Marcelo Parreira do Amaral (TĂĽbingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Marcelo Parreira do Amaral: Rezension von: Hartmann, Barbara: Die Anfänge der Vergleichenden Erziehungswissenschaft im deutschsprachigen Raum, Das Wirken des Erziehungswissenschaftlers Friedrich Schneider (Vol. 988 Europäische Hochschulschriften, Reihe 11 Pädagogik). Frankfurt am Main: Lang 2009. In: EWR 8 (2009), Nr. 6 (Veröffentlicht am 01.12.2009), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978363158334.html
Marcelo Parreira do Amaral: Rezension von: Hartmann, Barbara: Die Anfänge der Vergleichenden Erziehungswissenschaft im deutschsprachigen Raum, Das Wirken des Erziehungswissenschaftlers Friedrich Schneider (Vol. 988 Europäische Hochschulschriften, Reihe 11 Pädagogik). Frankfurt am Main: Lang 2009. In: EWR 8 (2009), Nr. 6 (Veröffentlicht am 01.12.2009), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978363158334.html