National und international wird seit einigen Jahren auf einen umfassenden Reformbedarf im Bildungswesen aufmerksam gemacht, so dass neben Schulen zunehmend auch Kindertageseinrichtungen zum Diskussionsgegenstand politischer Debatten um Bildungsqualität geworden sind. Bundesweit und länderspezifisch wurden daher neue Instrumente der Qualitätssteuerung vor allem für den Schul-, aber auch den Elementarbereich entwickelt.
Im deutschen Bildungssystem stellen diese historisch betrachtet getrennte Bildungsbereiche dar, so dass Kindertageseinrichtungen administrativ der Kinder- und Jugendhilfe angehören und das Schulsystem der Bildungspolitik zugeordnet wird. Demzufolge unterscheiden sich beide auch heute noch in ihrer pädagogischen Tradition und ihrem Bildungsauftrag, so dass deren Institutionen insbesondere curricular kaum zueinander anschlussfähig sind. Dies wird nicht nur in aktuellen Qualitätsdebatten jedoch stets gefordert und scheitert in der Umsetzung dennoch u.a. aufgrund unterschiedlicher Strukturen und Formen von Steuerung.
Ratermann und Stöbe-Blossey gehen in der Publikation „Governance von Schul- und Elementarbildung. Vergleichende Betrachtungen und Ansätze der Vernetzung.“
vertiefend auf die Entwicklungstrends von Governance-Strukturen im Elementar- und Schulbereich ein. Die Veröffentlichung ist als 16. Band in der Reihe „Educational Governance“ des VS Verlages erschienen und wurde auf der Grundlage von Arbeiten der Forschungsabteilung „Bildung und Erziehung im Strukturwandel“ (BEST) am Institut für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen erstellt.
Vor dem Hintergrund des Educational Governance-Ansatzes, einem „internationalen Trend zur Entwicklung neuer Steuerungsinstrumente im Bildungs- und Erziehungssystem“ (13), stellen die ausgewählten Beiträge aus Wissenschaft und Praxis unterschiedliche Qualitätssteuerungskonzepte beider Systeme vor.
Diese vielfältigen, regionalen Praxisbeispiele zeichnen anschaulich nach, wie lokale Netzwerke und kommunale Kooperationsinitiativen sinnvolle Verknüpfungen entstehen lassen.
Appelliert wird hier an eine „integrierte, lebensphasenübergreifende Bildungspolitik“, die die Bedürfnisse aller Beteiligten vor Ort berücksichtigt und aufgreift. Bildungslandschaften, die ganzheitlich denken und wirken, würden letztlich so dazu beitragen, dass beide Institutionen sich strukturell annähern.
Die angestrebte vergleichende Betrachtung der Governance-Strukturen und entsprechender Entwicklungstrends ermögliche schließlich Anknüpfungspunkte zu erfassen, voneinander zu lernen und beide zu verändern (10).
Der erste Teil des Bandes befasst sich daher mit Governance-Strukturen und neuen Konzepten der Qualitätssteuerung vor dem Hintergrund „politikfeldspezifischer Governance-Strukturen“ beider Institutionen (20).
Thomas Brüsemeister steigt mit seinem Beitrag „Educational Governance: Entwicklungstrends im Bildungssystem“ in die Diskussion ein. Ausgehend von einer kritischen Auseinandersetzung mit der vorherrschenden Top-Down-Logik bei der Umsetzung evaluationsbasierter Steuerung im Schulbereich richtet er den Blick auf die pädagogischen Fachkräfte von Elementar- und Schulbereich. Als handelnde Akteure mit unterschiedlichen Professionen biete ihnen die regionale Ebene gute Möglichkeiten, um professionsbezogene Vorurteile niedrigschwellig abzubauen und Kooperationen sowie Netzwerke aufzubauen.
Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den „Wirkungen externer Evaluationsformen für eine evidenzbasierte Schul- und Unterrichtsentwicklung“ bieten Ben Kühle und Isabell van Ackeren anhand eines Überblicks über verschiedene Evaluationsformen und Qualitätskonzepte von Schule. Problematisiert wird hier insbesondere die Verbindung von evaluationsbasierter Steuerung und der nachhaltigen Entwicklung von Einzelschulen vor dem Hintergrund einer mitunter divergierenden Rezeption und Nutzung erhobener Daten durch die in der Schule handelnden Akteure.
In ihrem Beitrag „Externe Evaluation und die Steuerung der Einzelschule: Kontrolle oder Entwicklung“ befassen sich Wolfgang Böttcher und Miriam Keune kritisch mit dem politisch forcierten Verfahren der Schulinspektion und diskutieren, welche Kriterien eine Evaluation als Element eines Qualitätskonzepts umfassen müsste.
Die Diskussion um Steuerungsstrukturen und auftretende Probleme der Kinder- und Jugendhilfe greift Sybille Stöbe-Blossey in ihrem Beitrag „Governance und Qualität im Elementarbereich“ auf. Der Unterschied zum Elementarbereich werden hier besonders darin ersichtlich, dass die Etablierung von Qualitätskonzepten – im Gegensatz zum Schulbereich – für die handelnden Akteure nicht verbindlich sei.
Hieran anschließend formuliert Detlef Diskowski in seinem Beitrag „Bildung im Elementarbereich. Entwicklungslinien in der Steuerung und Koordinierung“ seine Kritik an jetzigen Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe, denen es seit langem an Steuerung – u.a. aufgrund unklarer Zuständigkeiten und verschiedener Akteursinteressen – seit langem mangele. Erst seit einiger Zeit seien im Elementarbereich Tendenzen erkennbar, die das traditionell geprägte System der Fürsorge um Bildungs- und Erziehungspläne erweitere. Letztlich sei so ein Instrument zur Qualitätssteuerung entstanden, das jedoch – anders als im Schulsystem – keine einheitlichen Standards verfolge, unverbindlich sei und zudem noch länderspezifisch variiere.
Insgesamt betrachtet sind die vorgestellten Beiträge eher weniger auf eine vergleichende, governancetheoretische Perspektive von Elementar- und Schulbereich fokussiert. Dennoch wird die wichtige Bedeutung von Evaluation und Qualitätssicherung deutlich, um eine evaluationsbasierter Steuerung in beiden Bildungsinstitutionen aufzubauen und eine hohe Passgenauigkeit im Sinn einer durchgängigen Bildungsbiographie herzustellen.
Die sich anschließenden Berichte über die Entwicklung und Umsetzung von Steuerungsinstrumenten in der Praxis von Schule und Kindertagesstätten aus Niedersachsen, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen stellen jeweils eigene Instrumente, sowie gemeinsame und unterschiedliche Erfahrungen vor.
Ratermann und Stöbe-Blossey formulieren ein Zwischenfazit, in dem sie der Frage nachgehen, ob sich trotz der unterschiedlichen Institutionenlogik beider Systeme innerhalb der vorgestellten Praxisbeispiele vergleichbare Steuerungsstrategien und -instrumente der Steuerung finden lassen.
In dem folgenden zweiten Teil des Bandes wird der Blick auf Strategien der Vernetzung von Schulen und Kindertagesstätten auf regionaler Ebene gerichtet, um Perspektiven einer kommunalen Bildungspolitik aufzuzeigen.
Johanna Otto, Norbert Sendzik, Nils Berkemeyer und Veronika Manitius definieren in ihrem Beitrag „Stärkung der Bildungsqualität durch Regionalisierung?“ den Begriff „Regional Governance“ als Verknüpfung und Vernetzung regionaler Akteure mit dem gemeinsamen Ziel der Steigerung von Bildungsqualität. Aktuelle Bundesprogramme, wie z.B. „Lernende Regionen“, sowie weitere Schulentwicklungsprojekte werden vorgestellt und würden letztlich daraufhin deuten, dass die gemeinsamen Lernprozesse der Akteure hier zielführend seien.
„Innovationspotenziale und Integrationsdefizite der Kinder- und Jugendhilfe in kommunalen Bildungsnetzwerken“ lautet der Beitragstitel von Stephan Maykus, der die sich entwickelnden kommunalen Bildungslandschaften unter Berücksichtigung der Perspektive der Kinder- und Jugendhilfe und auch deren Beiträge zur Regionalisierung in den Blick nimmt. Dabei müsse eine kommunale Bildungsplanung stets auch einen partizipativen, lebensweltbezogenen Ansatz verfolgen.
Ratermann und Stöbe-Blossey fügen die Blickrichtungen der beiden vorangegangen Beiträge schließlich zusammen, indem sie die Rolle der Kommune und deren zentralen Beitrag zur Verknüpfung von Elementar- und Schulbereich diskutieren. Unterschiedliche thematische Schwerpunkte kommunaler Bildungspolitik werden erläutert, um einerseits zu prüfen, ob neue Steuerungsformen im Sinn des Educational Governance-Ansatzes entstehen und andererseits Perspektiven für weitere Forschungen im Bereich der „Regionalisierung“ vorzuschlagen.
Anschließend folgen Berichte aus der Praxisarbeit von Kommunen, wie z.B. den nordrhein-westfälischen Bildungsnetzwerken oder dem Regionalnetzwerk Südwest e.V. des Niedersächsischen Instituts für Frühkindliche Bildung und Entwicklung, die sinnvoll dazu beitragen, die vorangegangen Strukturen und Instrumente aus der Sicht der handelnden Akteure darzustellen.
Zusammenfassend befassen sich die Herausgeberinnen mit sich aus den Praxisbeispielen ergebenden Fragen und Perspektiven regionaler Vernetzung und blicken auf neue Strukturen sowie Inhalte. Eine koordinierende Instanz, wie die Kommune, sei hier eine wichtige Voraussetzung fĂĽr eine erfolgreiche, nachhaltige Kooperation beider Institutionen (319).
Letztlich zeigen Teil I und II des Bandes, dass ein ganzheitlicher, integrierender Steuerungsansatz für Kinder- und Jugendhilfe und Schule auch das Gesamtsystem von Educational Governance verändert. Dies verbessere ebenso „die Rahmenbedingungen für die Implementierung von neuen Steuerungsinstrumenten und von auf Landes- oder Bundeseben entwickelten Konzepten“ (320f). Dennoch fehle eine „systematische Verzahnung zentraler und dezentraler Initiativen“ (323) und die Sicherstellung, dass die betroffenen Akteure vor Ort entsprechende Initiativen auf den jeweiligen Ebenen auch umsetzen und inwieweit diese von den Adressaten „genutzt und angenommen“ werden (323). Die Effekte des beschriebenen „Zuwachs[es] dezentraler Aktivitäten“ lassen entsprechend Raum für weitere Forschungen.
Der vorliegende Band bietet einen umfangreichen Einblick in die länderspezifische Kooperations- und Vernetzungsarbeit von Schulen und Kindertagesstätten. Insbesondere die Praxisberichte illustrieren Entwicklungen die bislang wenig oder nicht empirisch erforscht sind.
Ratermann und Stöbe-Blossey erweitern den noch jungen Forschungsstand des Educational Governance-Ansatzes und erreichen mit dieser Publikation das zu Beginn von ihnen definierte Ziel „ein Forum für einen Dialog der Akteure aus beiden Feldern zu eröffnen, mit der Möglichkeit des Voneinander-Lernens“ (10).
So finden Leserinnen und Leser beider Professionsbereiche aus Wissenschaft und Praxis interessante Anknüpfungspunkte, die anregend für eine zielorientierte Diskussion über gemeinsame Governance-Strukturen und Steuerungsformen sein können, um die Bildungsqualität in den Institutionen des Elementar- und Schulbereichs zugunsten aller Beteiligten auf mehreren Ebenen zu steigern. Die dezentrale, regionale Ebene scheint besonders empfehlenswert für die Aktivität von Akteuren und Steuerung von Veränderungsprozessen zu sein.
EWR 12 (2013), Nr. 3 (Mai/Juni)
Governance von Schul- und Elementarbildung
Vergleichende Betrachtungen und Ansätze der Vernetzung
Wiesbaden: VS Verlag 2012
(250 S.; ISBN 978-3-531-18426-5; 29,95 EUR)
Ann-Kathrin JĂĽttner (Braunschweig)
Zur Zitierweise der Rezension:
Ann-Kathrin JĂĽttner: Rezension von: Ratermann, Monique / Stöbe-Blossey, Sybille (Hg.): Governance von Schul- und Elementarbildung, Vergleichende Betrachtungen und Ansätze der Vernetzung. Wiesbaden: VS Verlag 2012. In: EWR 12 (2013), Nr. 3 (Veröffentlicht am 28.05.2013), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353118426.html
Ann-Kathrin JĂĽttner: Rezension von: Ratermann, Monique / Stöbe-Blossey, Sybille (Hg.): Governance von Schul- und Elementarbildung, Vergleichende Betrachtungen und Ansätze der Vernetzung. Wiesbaden: VS Verlag 2012. In: EWR 12 (2013), Nr. 3 (Veröffentlicht am 28.05.2013), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353118426.html