Seit den 1990er Jahren wird den Schulen u.a. mit dem Ziel, die QualitĂ€t, EffektivitĂ€t und ResponsivitĂ€t schulischer Bildung zu steigern, zunehmend mehr Entscheidungsautonomie zur Schulentwicklung zugestanden. Der vorliegende 8. Band der Buchreihe âEducational Governanceâ stellt aus governanceanalytischer Perspektive dar, wie diese neuen GestaltungsspielrĂ€ume von Schulen zur Schulprofilierung genutzt und welche neuen Koordinationsprinzipien der Steuerung des Schulsystems in diesem Prozess sichtbar werden.
Im Rahmen des ersten Teils des Bandes (9 - 45) konkretisieren die Herausgeber zunĂ€chst das Konzept des âSchulprofilsâ, verorten Schulprofilierung im Kontext schulbezogener Autonomiepolitik, deren Entwicklung sie fĂŒr Deutschland und Ăsterreich nachzeichnen, und positionieren sich innerhalb der aktuellen Diskussion um die Koordinationsprinzipien âAutonomieâ und âWettbewerbâ. Nach einer EinfĂŒhrung der fĂŒr die weitere Darstellung notwendigen governanceanalytischen Begriffe und Instrumente verdeutlichen die Herausgeber die Zielsetzung des dreiteiligen Bandes. Im Vordergrund steht die Beschreibung und Interpretation des Gesamtzusammenhangs der in Schulprofilierungsprozessen sichtbar werdenden Prinzipien und Muster der Handlungskoordinationen (Governance-Regime). Weiterhin soll die Frage geklĂ€rt werden, inwieweit diese Entwicklung die traditionelle âhierarchisch-professionelle Doppelsteuerungâ (13) des Schulwesens verĂ€ndert.
In der theoretischen Diskussion wird leider die brisante Thematik der Schulprofilierung im aktuellen Kontext des Ausbaus von Ganztagsschulen ausgeklammert, was fĂŒr den Band insgesamt eine inhaltliche EinschrĂ€nkung bedeutet. Dies zeigt sich auch bei der nachfolgenden Darstellung des Forschungsstands zur Schulprofilierung im Kontext der Schulautonomiepolitiken in Ăsterreich und Deutschland, den die Herausgeber als ânicht unbedingt reichhaltigâ (25) kennzeichnen. Insgesamt bietet der erste gut strukturierte Teil jedoch sowohl fĂŒr Fachleute als auch fĂŒr interessierte Praktiker eine komprimierte und gut lesbare EinfĂŒhrung in die Thematik.
Im zweiten Teil (47-213), dem eigentlichen Schwerpunkt des Bandes, werden fĂŒnf qualitative und quantitative Forschungsprojekte zur Schulprofilierung referiert. Zu Beginn stellen Herbert Altrichter, Martin Heinrich, Eva Prammer-Semmler und Katharina Soukop-Altrichter ĂŒbergreifende Erkenntnisse einer Untersuchung an unterschiedlichen Schularten in der österreichischen Sekundarstufe vor (49-117). Die elf Schulfallstudien werden dabei vergleichend gegenĂŒbergestellt, um wichtige Merkmale des Governance-Regimes herauszuarbeiten. Hierbei werden strukturelle und schulinterne Entwicklungsimpulse zur Profilbildung thematisiert, Ergebnisse zu verschiedenen Koordinationsprinzipien (Wettbewerb, Klassen- vs. Schulprofilierung) vorgestellt sowie Auswirkungen von Profilbildungen im Kontext eines zweigegliederten Schulsystems einerseits und in Bezug auf die Autonomie von LehrkrĂ€ften andererseits dargestellt.
Aufbauend auf der vorgenannten Studie analysiert Ewald Feyerer die EntwicklungsverlĂ€ufe zweier österreichischer Hauptschulen bei der Ausformung eines Arbeitsschwerpunktes zur Integration von Kindern mit Behinderung (119-139). WĂ€hrend eine Hauptschule das Thema Integration offensiv als besonderes Angebot zur Profilierung nutzt, findet sich bei der anderen zwar eine gewisse Ăffnung des Unterrichtsgeschehens, aber hauptsĂ€chlich das Prinzip der Normalisierung. Die Entwicklungen beider Schulen werden im Hinblick auf ihre unterschiedliche schulstrukturelle Einbindung und die Bedeutung von Einstellungen maĂgeblicher Einzelpersonen analysiert.
Werner Specht widmet sich dem Thema Restschulen und Restklassen im Gefolge neuer Steuerungsformen und stellt Befunde der Untersuchung âSchule BEWUSST" an österreichischen Hauptschulen vor (141-163). Im Rahmen dieser Studie wurden Unterschiede auf Klassenebene in Bezug auf ausgewĂ€hlte QualitĂ€tsdimensionen von Schule untersucht. Die Ergebnisse legen nahe, dass die gefundenen Klasseneffekte nicht nur auf regionale Aspekte (z.B. Stadt vs. Land), sondern auch auf einzelschulische Schwerpunktsetzungen zurĂŒckgefĂŒhrt werden können. Der Beitrag endet mit Empfehlungen zur Vermeidung negativer Konsequenzen von Schwerpunktbildungen fĂŒr SchĂŒlerinnen und SchĂŒler. So wird die Notwendigkeit der Regulierung beispielsweise durch ein regionales Bildungsmanagement betont. DarĂŒber hinaus wird die Bedeutung eines Monitoring-Systems hervorgehoben, welches RĂŒckmeldungen an die Verantwortlichen gibt.
Ferdinand Eder referiert Ergebnisse einer Untersuchung an österreichischen Hauptschulen, die neben Regelklassen auch Klassen mit musikalischem Schwerpunkt eingerichtet haben (165-193). Es wurde der Frage nachgegangen, ob sich die SchĂŒlerinnen und SchĂŒler der Musikklassen hinsichtlich relevanter Prozess- und Outputmerkmale positiv abheben und ob es sich insgesamt um ein ausbaufĂ€higes Schulmodell handelt. TatsĂ€chlich zeigen sich hinsichtlich der untersuchten Kriterien Unterschiede zugunsten der Musikklassen, die laut den Ergebnissen jedoch durch Kompositionsmerkmale der SchĂŒlergruppen erklĂ€rt werden können und somit nicht unmittelbar auf die Schwerpunktsetzungen zurĂŒckzufĂŒhren sind.
Als letztes berichten Christian Maroy und AgnĂšs van Zanten Ergebnisse aus dem europĂ€ischen Forschungsprojekt âReguleduc", welches die Auswirkungen neuer Steuerungsmethoden in sechs europĂ€ischen, groĂstĂ€dtisch geprĂ€gten Schulregionen untersuchte (195-213). Von besonderem Interesse waren sogenannte âkompetitive Interdependenzenâ (198), d.h. die Betroffenheit der Einzelschule vom Handeln anderer Schulen. Solche EinflĂŒsse waren laut der Autoren in allen untersuchten Kontexten feststellbar und kommen u.a. durch die von Eltern genutzten SpielrĂ€ume bei der Schulwahl zustande. Der politische Wille zur Regulierung der Auswirkungen kompetitiver Interdependenzen variiert stark in den untersuchten Gebieten. Problematisierend weisen die Autoren in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Verwaltungseinheiten in der Regel nicht den tatsĂ€chlichen Grenzen von WettbewerbsrĂ€umen entsprechen. DarĂŒber hinaus machen die Autoren auf die fehlende Verbindung von Bildungs-, Bevölkerungs- und StĂ€dteplanungspolitik aufmerksam. Nach Ansicht der Autoren ist âes politisch dringend geboten, eine âKoordinierung der Koordinatorenâ [...] zu entwerfenâ (213).
Insgesamt erlauben die berichteten fĂŒnf Forschungsprojekte aus verschiedenen Blickwinkeln einen tiefen Einblick in die Rahmenbedingungen und Konsequenzen von Schulautonomie und Schulprofilierung. Der eindeutige Schwerpunkt liegt hierbei auf Befunden aus dem österreichischen Schulkontext, worauf im Hinblick auf Leserinnen und Leser aus anderen Kontexten leider weder im Klappentext noch direkt zu Beginn des Bandes hingewiesen wird.
Im dritten Teil (215-239) fassen die Herausgeber die in den Befunden sichtbar gewordenen Merkmale eines schulischen Governance-Regimes in zwölf pointierten Thesen zusammen, die insbesondere die sichtbar gewordene deutliche Wettbewerbsorientierung zwischen und innerhalb der Schulen um âguteâ SchĂŒlerinnen und SchĂŒler zum Ausdruck bringen. Aus Sicht der Herausgeber belegen die Daten, inwieweit ââalteâ Steuerungsprinzipien [âŠ] Seite an Seite mit den durch Modernisierung forcierten Koordinationsprinzipien wirksam sindâ (238f). Dieser Transformationsprozess im Schulwesen habe im Ergebnis eine âneue UnĂŒbersichtlichkeitâ (239) zur Folge.
Leider wird im Schlussteil die dem Ansatz inhĂ€rente RetrospektivitĂ€t beibehalten und nicht die Chance genutzt, mögliche weitere Forschungsfelder zumindest zu skizzieren. Die Rolle von SchultrĂ€gern/Schulerhaltern im Kontext der Schulprofilierung als Ganztagsschule wĂ€re z.B. genauso interessant wie eine Diskussion, ob der Befund, dass Wettbewerb ĂŒberwiegend innerhalb der Schularten stattfindet (229), wĂ€hrend der EinfĂŒhrungsphase der âNeue Mittelschuleâ in Ăsterreich oder im föderalen und durch schulische Reformvorhaben geprĂ€gten deutschen Kontext Bestand hat. Insgesamt wird an dieser Stelle aber auch deutlich, dass die Herausgeber den im ersten Teil formulierten ZielansprĂŒchen mehr als gerecht werden und mit ihrer Zusammenfassung eine solide und anregende Grundlage fĂŒr weitere Forschungsfragen bieten.
EWR 12 (2013), Nr. 1 (Januar/Februar)
Schulentwicklung durch Schulprofilierung?
Zur VerÀnderung von Koordinationsmechanismen im Schulsystem
Wiesbaden: VS Verlag fĂŒr Sozialwissenschaften 2011
(258 S.; ISBN 978-3-531-16671-1; 29,95 EUR)
Frank PfĂ€nder (AlthĂŒtte)
Zur Zitierweise der Rezension:
Frank PfĂ€nder: Rezension von: Altrichter, Herbert / Heinrich, Martin / Soukup-Altrichter, Katharina (Hg.): Schulentwicklung durch Schulprofilierung?, Zur VerĂ€nderung von Koordinationsmechanismen im Schulsystem. Wiesbaden: VS Verlag fĂŒr Sozialwissenschaften 2011. In: EWR 12 (2013), Nr. 1 (Veröffentlicht am 19.02.2013), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353116671.html
Frank PfĂ€nder: Rezension von: Altrichter, Herbert / Heinrich, Martin / Soukup-Altrichter, Katharina (Hg.): Schulentwicklung durch Schulprofilierung?, Zur VerĂ€nderung von Koordinationsmechanismen im Schulsystem. Wiesbaden: VS Verlag fĂŒr Sozialwissenschaften 2011. In: EWR 12 (2013), Nr. 1 (Veröffentlicht am 19.02.2013), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353116671.html