Die Titel „Medien, Technik und Bildung“ spielen auf ein sehr breites Forschungsfeld an, dessen Grenzen nicht leicht bestimmbar scheinen. Die Herausgeber verstehen den thematischen Zuschnitt des Bandes jedoch nicht als modisch aktuell ausgerichtet, weil das „Thema als Mode abzutun hieße, sein Irritationspotenzial einzuschließen, um es seiner Wirkung zu berauben“ (7). Viel eher schließt der Band eine Thematik auf, die seit längerer Zeit und aus verschiedenen Perspektiven diskutiert wurde und wird – nicht zuletzt, weil in den bereits vorliegenden Diskussionen das Medienverständnis in seiner Relation zum Bildungsverständnis zumeist diffus bleibt. Ziel des Bandes sei es daher, „einige der in diesen Diskursen zum Ausdruck kommenden begrifflichen und theoretischen Probleme zum Gegenstand der bildungsphilosophischen Analyse und Diskussion zu machen“ (8f.). Der Band trägt diesem Ziel sicherlich Rechnung, auch wenn die sehr diversen theoretischen wie thematischen Zugänge kaum mehr erlauben, von vielen Gemeinsamkeiten dieser Auseinandersetzung zu sprechen. Gemeinsam sind den Beiträgen die Chiffren; aber schon in den inhaltlichen und methodischen Zugriffen zeigt sich Diversität.
Mit neueren medientheoretischen Überlegungen, nach denen Medien als Generatoren unserer Wirklichkeitserfahrungen fungieren, stellen sich die Fragen nach den Relationen von Medien, Technik und Bildung, nach Subjektkonstitution, technologischer Entwicklung und Gesellschaft neu und anders. Genau diesen Fragehorizonten nähern sich die Texte des Buches in vier unterschiedlichen Zugängen, in denen jeweils verschiedene Relationen im Zentrum stehen und die die Herausgeber mit „Medien und Technik, Medien und Bildung, Film und Bildung sowie Medien und Ethik“ (9) benennen. Diese vier Perspektiven stellen allerdings keine explizite Gliederung des Buches dar, denn die neun Beiträge finden sich im Band ohne ausgewiesene inhaltliche Strukturierung. Der vorliegende Sammelband umfasst Vorträge, die auf der Herbsttagung der DGfE-Kommission Bildungs- und Erziehungsphilosophie im Jahr 2007 gehalten wurden. Die Beiträge seien hier in aller Kürze skizziert, bevor das Buch dann als Sammelband in den Blick kommt.
Im ersten Beitrag unternimmt Ralf Mayer unter dem Titel „Schnittstelle – Leerstelle – Vermittlung“ Reflexionen zum Verhältnis von Medien, Technik und Bildung. Auf seinen Denkwegen passiert er die „Tücke des Mediums“ ebenso wie die „Tücke des Subjekts“. Ralf Mayer unternimmt den Versuch, die Problematik einer zum Medium gewordenen Technik aufzunehmen, um mögliche Konsequenzen für die Relation von medialer Performanz und der Tücke des Subjekts (S. Žižek) zu diskutieren. Ausgehend von der Medialität der Technik stellen sich Fragen nach dem Ort von Subjektivität ebenso wie nach differierenden Interpretationsausrichtungen von virtueller Realität, die sich als problemaufschließend verstehen.
Mit seinem Beitrag „Technik als Erkenntnismedium“ fokussiert Sönke Ahrens auf den technischen Aspekt der Medien und verfolgt die These, dass das naturwissenschaftlich-technische Labor als Medium von Erkenntnissen betrachtet werden könne – vorausgesetzt man erkenne die gegenseitige Verwobenheit medialer, technischer und semiotischer Prozesse (an) (vgl. 35). Es wird an Beispielen aus Film bzw. Kino sichtbar gemacht, worin die medialen Leistungen des technischen Labors bestehen. Dass einige der kritischen Einsätze (z.B. an der engen Verbindung von Blick und Erkenntnis, für einen erweiterten Schriftbegriff, für Hinweise auf die Bedeutung der Übersetzung) nicht neu seien, konstatiert Sönke Ahrens; und auch die Hoffung, dass sie „auf eine solche gemäßigte Weise schlampig wiederholt worden [seien; ES], wie es Max Delbrück in Bezug auf die erkenntnisbezogene Arbeit des Experimentators als Notwendigkeit beschrieben hat“ (47).
Auf Erkenntnishorizonte angesichts technischer Möglichkeiten bezieht sich auch der Beitrag von Claudia Niewels-Kersting. Der Text „Bilder des Lebens. Technische Versöhnung von Geist und Natur“ verfolgt die Frage nach der Relevanz von Bildern und bildgebenden Verfahren für die Formierung von Thesen und Theorien materieller Grundlagen geistiger Prozesse. Exemplarisch wird die Bedeutung bildhafter Technik sowohl an der Evolutionstheorie Charles Darwins als auch am Zusammenhang zwischen dem Verfahren des Neuroimaging und dem Aufkommen von Hirntheorien gezeigt. So lässt sich ein Reduktionismus in der Gleichsetzung von Bildung und Information konstatieren; und so wird sichtbar, was sich der Sichtbarkeit immer noch entzieht: „Das Vexierbild des Menschen als Geist- und Naturwesen tritt in seiner Spezifik in diesen auf Lokalisation ausgerichteten Bildern nicht in Erscheinung“ (55).
Michael Wimmers Beitrag „Vom individuellen Allgemeinen zur mediatisierten Singularität“ nimmt die Spuren nach Sprache als Bildungsmedium bei Humboldt und Derrida auf. Mit der Frage, wie individuelle Bildung angesichts der Medialität von Sprache denkbar ist, zeigt sich bereits bei Wilhelm von Humboldt der Gedanke einer unübersetzbaren Singularität der an Sprache gebundenen „Weltansichten“. Dieser Gedanke wird von Jacques Derrida mit Blick auf seine Gedanken einer „vor-ersten Sprache“ deutlich radikalisiert. Michael Wimmers Text fragt nach dem schwierigen Verhältnis von Subjektivität, Singularität und Medialität, erkundet die Möglichkeiten von Singularität unter den Bedingungen ihrer notwendigen Mediatisierung und sucht nach symbolischen Ordnungen und medialen Welten, die vielleicht öffentliche Schauplätze bereit stellen (vgl. 80).
Rudolf Kammerls Beitrag „Vor den Toren virtueller (Bildungs)Räume“ arbeitet an medienstrukturellen und medienökologischen Bedingungen internetbasierter Lernerfahrungen und ihrer bildungstheoretischen Relevanz. Er geht von der These aus, dass Interaktionen mit Interfaces für Lernprozesse zentral seien und als Kommunikationsprozesse verstanden werden müssten, was an verschiedenen Positionen der Mensch-Computer-Interaktion exemplifiziert und auf bildungstheoretische Anschlussfähigkeit hin untersucht wird. Der Text zielt – das mag erstaunen – auf eine Medien-Bildungstheorie, die das Subjekt – statt es als (auch durch Medien) dezentriertes zu lesen – wieder als ihr „altes und neues Zentrum“ (100) versteht.
Der Beitrag von Manuel Zahn „Film-Bildung“ nimmt die Frage nach der Bedeutung des Mediums Film für Bildungsprozesse aus unterschiedlichen Perspektiven auf. Der Argumentationsstrang um Bildungspotenzial von Filmen findet sich mit jenem um Film als Theorie der Medien und Bildung verbunden. Im Weiterdenken poststrukturalistischer Medientheorie, bezogen auf negative Filmphilosophie (Dieter Mersch) und auf Gilles Deleuzes Filmphilosophie wird exemplarisch an David Lynchs Film Lost Highway die Verwobenheit von filmischer Medialität und subjektiven Bildungsprozessen verfolgt. So schließt der Beitrag mit einer „filmischen Bildungstheorie“ (118): „Mit dem Film können wir erhöhte Aufmerksamkeit und eine feinere Wahrnehmung für das entwickeln, was in der identifizierenden Alltagswahrnehmung ausgeschlossen wird, was aber umso größere Bildungsmacht auf das Subjekt ausübt“ (119).
Olaf Sanders Beitrag „Kino als Bildungsmedium“ handelt von „Mannigfaltigkeiten“ (123) und entwickelt in der Aufnahme der beiden Kino-Bücher von Gilles Deleuze den Versuch, anhand von Kinofilmen Bildungsprozesse ästhetischer Figuren zu untersuchen. Das Kino wird als ein Ort der Interaktion von Kinofilm und ZuschauerInnen gefasst, wobei beide als Mannigfaltigkeiten verstanden werden. Die von Olaf Sanders nachvollziehbar positionierten Reflexionen der Begriffe und Gedanken Gilles Deleuzes Kinophilosophie zeigen Spielräume mit Blick auf cineastische Bildungsmöglichkeiten und eröffnen differenzierende Einsichten hinsichtlich Sprache und Film, Bildung und Bild oder auch Kino und Gehirn: „Zeitbildfilme sind Rhizome, die Allianzen bilden mit anderen Rhizomen wie dem Publikumsgehirn“ (133).
In ihrem Text „Jugend für den Sozialismus? Erziehungserwartung und Bildungsbefürchtung anhand von Jugendbildern in den DEFA-Filmen Berlin – Ecke Schönhauser… und Berlin um die Ecke''“ nehmen May Jehle und Henning Schluß die in diesen Filmen transportierten Jugendbilder als ihren Forschungsfokus auf. Sie analysieren die mit Erziehungsintentionen aufgeladene Perspektive der SED-Parteiführung, die Filme für die Erziehung der sozialistischen Jugend im Sinne eines Vorbildmediums instrumentalisierte, gleichzeitig aber auch mit Zensur und Verbot operierte. An den beiden ostdeutschen Filmen zeigen Jehle und Schluß exemplarisch das Oszillieren zwischen erhoffter und befürchteter Medienwirkung und legen die komplexen Beziehungen zwischen dem staatspolitischen Leitbild einer sozialistischen Jugend und den in den Filmen vorfindlichen Jugendbildern frei.
Alexander Filipovićs den Sammelband abschlieĂźender Beitrag „Literacy und die Bedeutung gesellschaftlicher Beteiligung“ bringt medien- und bildungsethische Ăśberlegungen zur Sprache. Darin wird die Bedeutung von Medien fĂĽr gesellschaftliche Inklusionen und Exklusionen thematisiert und ein Beitrag zu interdisziplinären medien- und bildungsethischen Ăśberlegungen intendiert. Es gehe um eine „Erweiterung der medienethischen ForschungsbemĂĽhungen durch bildungsrelevante Zusammenhänge“ (160), eine Erweiterung, die durch das Literacy-Konzept angeregt wird und die aus der Position der „Christlichen Sozialethik“ (160) vorgelegt wird. Neben diesen Zugängen wird auch der Pragmatismus als „geeignete praktisch-philosophische Grundlage fĂĽr Problemstellungen dieser Art [vorgestellt; ES], insofern er sowohl in kommunikationswissenschaftlichen, bildungsphilosophischen und menschenrechtlichen Fragestellungen herangezogen werden konnte“ (171).
Nicht nur der letzte hier vorgestellte Beitrag kann als Beispiel dafür gelten, dass die Referenztheorien, die methodischen Ausrichtungen, die Positionierungen oder Strukturierungen durch den Band hindurch sehr unterschiedlich sind und so kaum ‚ein gemeinsamer Blick’ auf Medien, Technik und Bildung im Buch oder durch das Buch ausgemacht werden kann. Die jeweiligen Einzelbeiträge bearbeiten ihre Fragestellungen wohl auf hohem Differenzierungsniveau und können daher zum Großteil nur ExpertInnen zur Lektüre anempfohlen werden. Studierenden ist das Buch wohl nur anzuraten, wenn sie sowohl thematisch als auch forschungsmethodisch bereits orientiert sind.
Die Bandbreite der Beiträge spannt sich von kritischen, problemaufschließenden Texten über heuristische und Forschungsmethoden explorierende hin zu (ethisch-) positionierten Texten, die mitunter erstaunliche Kombinatoriken von Theorieeinsätzen wagen. Als großer Gewinn kann das Buch unter der Perspektive gelesen werden, dass es – der Intention der Herausgeber folgend – eine grundlagenorientierte Forschungsarbeit im Bereich Medien, Technik und Bildung initiiert, die manche Beiträge auch einlösen. Ob das Buch auch im weiteren Bereich der Medienpädagogik Resonanz findet, bleibt zu hoffen. Pessimistisch gestimmt ließe sich das Unbehagen äußern, dass manche Beiträge auf einem hohen Level von – im Einzelnen zu schätzender – Eigensprachlichkeit und Eigenlogik in der breiten medienpädagogischen Praxis und Theorie wohl kaum Eingang finden werden. Doch vielleicht ermöglicht das Buch auch hier einen ersten Schritt zu einem weiteren gemeinsamen pädagogischen Denken – die jeweiligen Differenzierungen und Unterschiedlichkeiten der Zugänge anerkennend.
EWR 8 (2009), Nr. 6 (November/Dezember)
Medien, Technik und Bildung
Paderborn: Schöningh 2009
(178 S.; ISBN 978-3-506-76741-7; 24,90 EUR)
Elisabeth Sattler (Wien)
Zur Zitierweise der Rezension:
Elisabeth Sattler: Rezension von: Wimmer, Michael / Reichenbach, Roland / Pongratz, Ludwig (Hg.): Medien, Technik und Bildung. Paderborn: Schönigh 2009. In: EWR 8 (2009), Nr. 6 (Veröffentlicht am 01.12.2009), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978350676741.html
Elisabeth Sattler: Rezension von: Wimmer, Michael / Reichenbach, Roland / Pongratz, Ludwig (Hg.): Medien, Technik und Bildung. Paderborn: Schönigh 2009. In: EWR 8 (2009), Nr. 6 (Veröffentlicht am 01.12.2009), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978350676741.html