„Möglichst hohe Lernwirksamkeit!“ Mit diesem Ziel vor Augen ist die Lehrer*innen(aus)bildung an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich vor fünfzehn Jahren neu konzipiert worden. In der 2021 erschienen Publikation werden auf Basis wissenschaftlicher Befunde aus der aktuellen Lehr- und Lernforschung zentrale Inhalte des erziehungswissenschaftlichen Teils der Ausbildung einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Adressat*innen sind angehende und bereits praktizierende Lehrpersonen, Schulleiter*innen und Entscheidungsträger*innen in Bildungspolitik und Bildungsadministration. Eine weitere, nicht genannte Zielgruppe könnten Dozierende in der Lehrer*innenbildung sein.
Die Publikation umfasst zehn Kapitel. In Kapitel 1 verweisen die Herausgeber*innen Peter Greutmann, Henrik Saalbach und Elsbeth Stern auf die Bedeutung der Lehrperson für qualitativ hochwertigen Unterricht. Anschließend stellen sie eine an die Lehrer*innen(aus)bildung angepasste Variante des Angebot-Nutzungs-Modells vor, die den konzeptuellen Bezugsrahmen des Werkes bildet. Es folgen Vorschläge, wie sich die Lektüre des Buches zielführend nützen lässt, und eine kurze, übersichtliche Beschreibung der weiteren Kapitel. Diese behandeln in einer weitgehend abgeschlossenen Form signifikante Aspekte des Unterrichtsgeschehens, die fortlaufend zueinander in Beziehung gesetzt und mit Blick auf das Handlungswissen von Lehrpersonen diskutiert werden. So entsteht ein kohärentes Bild von den vielfältigen, komplexen Anforderungen an professionell handelnde Lehrpersonen. Am Ende jedes Kapitels werden zentrale Inhalte zusammengefasst und Bezüge zur Unterrichtspraxis hergestellt.
In Kapitel 2 widmet sich Elsbeth Stern dem menschlichen Lernen. Besonderes Augenmerk liegt auf schulischem Lernen. Ausgehend von der Bestimmung des Begriffs „Lernen“, wie er in der Publikation verstanden wird, befasst sich die Autorin mit dem Lernprozess und dessen Ergebnis. Vor dem Hintergrund eines an der ETH entwickelten Modells der menschlichen Informationsverarbeitung werden relevante Formen schulischen Lernens dargelegt. Anschließend wird auf den Zusammenhang von Intelligenz und Wissensaufbau eingegangen und die Bedeutung der Motivation für schulisches Lernen erörtert. Die theoretischen Ausführungen sind differenziert und detailreich, die Beispiele stellenweise etwas ausschweifend.
Peter Greutmann, Sarah Hofer und Lennart Schalk beschäftigen sich in Kapitel 3 mit der Planung von Unterricht. Dabei unterscheiden sie, wie in aktueller Fachliteratur üblich, zweckmäßig zwischen den Phasen der lang-, mittel- und kurzfristigen Unterrichtsplanung, deren Grundzüge und Vorgehensweisen sie einleuchtend beschreiben. Darauf bezugnehmend folgt eine luzide Skizzierung der komplexen Bülow’schen Lernzieltaxonomie und eine von Anderson et al. modifizierte Version, auf deren Basis die ETH das Planungsinstrument PUT (Programmatische Unterrichtsplanungstaxonomie) kreierte. Dabei werden die Dimensionen der kognitiven Prozesse auf wenige Kategorien reduziert. So entsteht ein simplifiziertes, leicht zu handhabendes Tool, das Lehrpersonen darin unterstützen soll, Lernziele und die Wahl der Unterrichtsmethoden passend aufeinander abzustimmen. Last but not least wird anhand von fünf Phasen die zeitliche Sequenzierung von Unterricht thematisiert, mit der Intention, schulische Lerngelegenheiten realistisch zu gestalten. Damit sind alle wesentlichen Punkte einer professionellen Unterrichtsplanung angesprochen.
Als Nächstes gehen Peter Greutmann und Elsbeth Stern in Kapitel 4 der Frage nach, wie sich Unterricht methodisch lernwirksam gestalten lässt. Zunächst werden kooperative Lernformen und die direkte Instruktion beleuchtet und deren Einsatz im Unterricht diskutiert. Es folgen vier kurz beschriebene, methodenübergreifende Unterrichtstechniken, die sich anbieten, Schüler*innen kognitiv zu aktivieren. Anschließend erörtern die Autor*innen, worauf bei lernwirksamen Fragenstellungen bzw. Aufgabenformulierungen und dem Einsatz von Materialien und Hilfsmitteln zu achten ist. Das informationsreiche Kapitel schließt mit Befunden aus der Unterrichtsforschung zur Lernwirksamkeit von Hausaufgaben und daraus abgeleiteten, hilfreichen Handlungsempfehlungen für die Praxis ab.
Mit dem formativen Assessment exemplifizieren Sarah Hofer und Lennart Schalk in Kapitel 5 einen vielversprechenden Weg zur Unterstützung individuellen Lernens. Nach allgemeinen Ausführungen zu Formen von Heterogenität im Unterricht und konkreten Anregungen, wie Lehrpersonen mit den damit verbundenen Herausforderungen produktiv umgehen können, wird der Begriff "Formative Assessment" umrissen. Daran knüpfen Techniken und Tools an, die sich dem Ansinnen formativer Assessments entsprechend dazu eignen, Informationen über den Lernfortschritt der Schüler*innen zu sammeln und das Angebot der Lehrperson so an das Vorwissen der Lernenden anzupassen, dass Lernziele auch tatsächlich erreicht werden können.
Peter Edelsbrunner, Sarah Hofer und Lennart Schalk schlagen in Kapitel 6 die Brücke zum summativen Assessment und damit zur Beurteilung von Lernleistungen. Im Zuge eines Vergleiches von summativen und formativen Assessments werden eingangs die Bedeutung von Schulnoten und daraus resultierende Ansprüche an eine notenbasierte Leistungsbeurteilung besprochen. Daran reihen sich gängige Bezugsnormen der Leistungsbeurteilung, deren Vor- und Nachteile tragfähig analysiert werden. Davon ausgehend werden auf Grundlage der Psychometrie Test- und Prüfungsanforderungen dargelegt, die Vergleichbarkeit von Noten und deren motivationalen Aspekte erörtert und mit subjektiven Fehlerquellen neuralgische Punkte der Notengebung angesprochen. Zum Schluss wird anhand von neun Schritten die Gestaltung von Prüfungen rekonstruiert. Dabei greifen die Autor*innen immer wieder auf vorab vermittelte Inhalte zurück. Wenngleich eine gewisse Redundanz beabsichtigt ist, stellt sich die Frage, ob der Beitrag an den betreffenden Stellen dadurch an Spannung verliert.
In Kapitel 7 widmet sich Anne Deiglmayr der Klassenführung. Nach Skizzierung des Begriffs „Klassenführung“ und einem kurzen, fragmentarischen Abriss aus der Forschungsgeschichte über dieses wichtige Thema wendet sich die Autorin der Prävention von Unterrichtsstörungen zu. Die Darstellung gliedert sich in Ausführungen über die Etablierung von Regeln und Routinen, Strategien zur Förderung eines möglichst reibungslosen Unterrichtsflusses, zielführende Maßnahmen für eine breite Schüler*innenaktivierung, die Frage, wie sich eine positive Lernatmosphäre aufbauen bzw. erhalten lässt und Erläuterungen zur Bedeutung eines präsenten Auftritts von Lehrpersonen im Unterricht. Vor dem Hintergrund einer genaueren Betrachtung frühzeitiger und niederschwelliger Reaktionen sowie angemessener, gestufter Sanktionen werden bewährte Interventionsmaßnahmen vorgestellt. Ferner wird der Umgang mit Emotionen und Hintergrundwissen von Lernen aus „Konsequenzen“ besprochen. Damit sind sowohl Sanktionen für unerwünschtes Verhalten als auch kontingente Verstärkungen gemeint, die dazu dienen sollen, erwünschtes Verhalten zu intensivieren.
Wie gewinnbringend eine Einführung in die psychosoziale Dimension des Lehrberufs sein kann, zeigt Peter Greutmann in Kapitel 8. Beginnend mit einer Erläuterung des Begriffs „psychosozial“ werden die psychische und körperliche Gesundheit von Lehrer*innen thematisiert. Es folgt eine Skizzierung der Begriffe „Stress“ und „Stressprozess“. Dabei stehen die ineinandergreifenden Elemente Stressoren, persönliche Voraussetzungen und Stressreaktion im Mittelpunkt. Anschließend wird erörtert, mit welchen Stressoren es Lehrpersonen zu tun haben und wie sich diese produktiv bewältigen lassen. Dabei spielt sozial kompetente Kommunikation eine wichtige Rolle, deren Grundzüge nach zentralen Begrifflichkeiten gemeinsam mit kommunikativen Instrumenten eingehend behandelt werden. Ebenso wichtig ist die Fähigkeit zur Selbstregulation, die abschließend im Zusammenhang mit Handlungsempfehlungen für erfolgreiches Zeit- und Aufgabenmanagement diskutiert wird.
Mit dem Ziel, das Interesse der Leser*innen an empirischer Lehr-Lernforschung zu fördern und sie in die Lage zu versetzen, wissenschaftliche Studien kritisch zu hinterfragen, beleuchtet Peter Edelsbrunner in Kapitel 9 den wissenschafts-theoretischen Hintergrund. Nach Einblicken in das Experiment, das Quasi-Experiment und die Korrelationsstudie, deren Prinzipien und Eigenschaften mittels Beispiele illustriert werden, folgen Überlegungen zu Gütekriterien, Stichprobengröße und Interpretationen wissenschaftlicher Studien.
Im Schlusswort, auf das sich Kapitel 10 bezieht, fassen die Herausgeber*innen die wichtigsten Erkenntnisse zusammen. Insgesamt ist es der rezensierten Publikation gelungen, professionelles Handlungswissen für Lehrpersonen in verdichteter Form nachvollziehbar darzulegen und relevante Befunde aus der empirischen Lehr-Lernforschung schlüssig aufzubereiten. Positiv hervorzuheben sind auch die zahlreichen praktischen Beispiele, durch die komplexe Inhalte erläutert werden. Zudem gelingt es auf diese Weise, die Theorie durchgehend mit der Praxis zu verknüpfen. Eine weitere Stärke sind die Zusammenfassungen am Ende der einzelnen Kapitel, in denen zentrale Erkenntnisse summiert werden. All dies trägt zu einem besseren Verständnis des Werkes bei und ermuntert Lehrpersonen, sich im schulischen Alltag vermehrt dem Theorie-Praxis-Transfer zu widmen, um so den Lernerfolg und die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler*innen kontinuierlich zu fördern. Damit ist die rezensierte Publikation ein gewinnbringender Beitrag für all jene, die sich vertiefend mit der beruflichen Praxis von Lehrpersonen und dem dafür erforderlichen professionellen Handlungswissen auseinandersetzen möchten.
EWR 21 (2022), Nr. 1 (Januar)
Professionelles Handlungswissen für Lehrerinnen und Lehrer
Lernen – Lehren – Können
Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2021
(256 S.; ISBN 978-3-17-031785-7; 32,00 EUR)
Barbara Saxer (Innsbruck)
Zur Zitierweise der Rezension:
Barbara Saxer: Rezension von: Greutmann, Peter / Saalbach, Henrik / Stern, Elsbeth: Professionelles Handlungswissen für Lehrerinnen und Lehrer, Lernen – Lehren – Können. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2021. In: EWR 21 (2022), Nr. 1 (Veröffentlicht am 19.01.2022), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978317031785.html
Barbara Saxer: Rezension von: Greutmann, Peter / Saalbach, Henrik / Stern, Elsbeth: Professionelles Handlungswissen für Lehrerinnen und Lehrer, Lernen – Lehren – Können. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2021. In: EWR 21 (2022), Nr. 1 (Veröffentlicht am 19.01.2022), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978317031785.html