Die engere Literaturlage zum „lebenslangen Lernen“ erfüllt die skizzierte Anforderung keineswegs. Im Bereich der Erziehungswissenschaft, vor allem innerhalb der Teildisziplin der Erwachsenenpädagogik, gibt es inzwischen eine Reihe von Sammelbänden zum hier interessierenden Thema. Aber bislang lag noch keine Monographie vor, mit welcher der explizite Anspruch seiner Behandlung mit hinreichender thematischer Breite und systematischer Kohärenz verbunden werden konnte. In Anbetracht der skizzierten Ausgangslage ist das von Christiane Hof realisierte Vorhaben einer entsprechenden Einführung nicht bloß zu registrieren, sondern geradezu nachdrücklich zu begrüßen.
Das aktuelle Buch von Hof untergliedert sich in sechs Kapitel. Diese werden schrittweise besprochen.
In der Einleitung (11ff) sowie im ersten Kapitel (15ff) wird das lebenslange Lernen als ein „Lernphänomen wie auch Diskursphänomen“ (17) charakterisiert. Beide Komponenten müssten in ihrem Zusammenhang und auch in ihrer gesellschaftlichen Einbettung gesehen werden, betont die Autorin. Auszumachen sei eine phänomenale Vielfalt des Untersuchungsgegenstands. Um Ordnung zu stiften, kristallisiert Hof analytisch unterschiedliche Perspektiven heraus, innerhalb derer sich wiederum grundlegende Ansätze unterscheiden lassen. Diskursiv betracht, also hinsichtlich der „Art und Weise […), in der über Lernen gesprochen wird“ (17), fächert sich das lebenslange Lernen dann im Sinne einer thematischen Annäherung wie folgt auf:
- als ein individuelles Aneignungshandeln von Menschen, welches „alle Formen des Lernens über die gesamte Lebensspanne“ (15) beinhaltet;
- als ein Strukturen schaffendes Handlungsproblem, welches sowohl durch Setzung geeigneter sozialer und institutioneller Rahmungen mittels Bildungspolitik als auch durch pädagogisch-didaktische Gestaltung (Strukturierung von Lernumgebungen und professionelle Lernbegleitung) angegangen werden kann;
- als ein Erkenntnisproblem, welches zu empirischen Forschungsanstrengungen und sachhaltiger Theoriebildungsarbeit herausfordert.
Interessanter Weise dürfte sich der rekonstruierte Trend einer evolutionären Ausdifferenzierung und Formalisierung des Lernens im Zuge der heutigen Etablierung wissensgesellschaftlicher Strukturen beinahe wieder umkehren. Vor allem hinsichtlich der Bereiche Arbeit und Lernen sind teils Reintegrationsbestrebungen oder teils die Herausbildung neuartiger hybrider Synthesen im Gange. Bereits die Aufwertung informeller Formen des Wissens- und Kompetenzerwerbs im Rahmen betrieblicher Handlungssituationen deutet auf den partiellen Trend eines Rückbaus einstiger systemischer Ausdifferenzierungen in Form von separierten Weiterbildungs- und Schulungsmaßnahmen hin. Bei derartigen Vorgängen erweist sich das lebenslange Lernen als ein probates Steuerungs- und Regulationsinstrument, damit sich die Individuen kontextbezogen und passgenau mit den aktuell benötigen Kompetenzen ausstatten können.
Das erste Kapitel mündet in eine kumulative Begriffsbestimmung ein. Entsprechend definiert Hof das lebenslange Lernen unter Berücksichtigung des programmatischen wie des erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Diskussionsstandes als eine spezifische „Perspektive auf Lernen“ (31). Für diese sind die Merkmale der zeitlichen, räumlichen und inhaltlichen Ausdehnung leitend. Dabei ist unter dem Aspekt inhaltlicher Ausdehnung zu verstehen, dass sich Lernen „nicht nur auf einen bestimmten allgemein-bildenden Kanon oder konkrete berufsqualifizierende Inhalte beschränkt, sondern die Vielfältigkeit aller Lebensbereiche beinhaltet und neben Selbst- und Weltwissen auch Fertigkeiten und normative Orientierungen einschließt“ (31).
Im zweiten Kapitel (33ff) werden zentrale Programmatiken sowie bildungs- und gesellschaftspolitische Rahmenkonzepte lebenslangen Lernens diskutiert. Hof rekurriert auf die Strategien der hier maßgeblichen supranationalen Agenturen wie UNESCO, OECD, Weltbank und vor allem EU. Gegen Ende dieses Kapitels beleuchtet sie Schwerpunkte der Umsetzung lebenslangen Lernens in Deutschland, wobei das recht ausgefeilte Strategie-Papier der BLK von 2004 sowie jüngere Aktivitäten des BMBF unter die Lupe genommen werden. Obwohl es sich insgesamt um eine zum Teil widersprüchliche Quellenlage handelt, lässt sich ein gemeinsamer Nenner dieser Politikstrategie in dem Bemühen erkennen, mit dem lebenslangen Lernen eine – den Wissensgesellschaften post-modernen Typs – situationsadäquate „Antwort auf den wissenschaftlichen und technologischen Wandel“ (34) zu finden.
Darüber hinaus gibt es demokratietheoretische Argumente für die konsequente und nachhaltige Verwirklichung des lebenslangen Lernens als Reformstrategie für das Bildungswesen. Vor allem einer zunehmenden Bildungsungleichheit solle gegengesteuert werden können. Nicht nur die einzelnen Bildungsbereiche will man gegenüber dem status quo systematischer bzw. flexibler aufeinander beziehen. Zugleich müssten sowohl „institutionalisierte Bildungsangebote für alle Menschen in allen Lebensphasen“ (34) ausgebaut als auch das sozial niederschwellige Potenzial so genannter „neuer Lernorte“ (ebd.) als inkludierende Handlungsfelder genutzt werden.
Insbesondere in den jüngeren Programmatiken hebt man in unterschiedlichen Schattierungen das Moment der „Selbstverantwortung“ im Rahmen lebensumspannender Bemühungen hinsichtlich einer marktfähigen Lern- und Kompetenzentwicklung hervor. Dieser – neoliberal eingefärbte – Topos findet in den Argumentationsfiguren der EU eine maßgebliche Ausformung als „Beschäftigungsfähigkeit“, welche es kontinuierlich – gewissermaßen – als bildungsökonomische Selbstsorge der Individuen zu pflegen gälte.
Obwohl in den supranationalen Programmdiskursen zum lebenslangen Lernen „eine sehr starke begriffliche Wechselhaftigkeit“ (47) vorherrscht, gelingt es der Autorin in diesem Kapitel überzeugend, die Gemengelage bildungspolitischer Programme zum lebenslangen Lernen nach den für die Erziehungswissenschaft bzw. Erwachsenenpädagogik bedeutsamen Relevanzkriterien zu erschließen und anschlussfähige Grundlinien der hier interessierenden Thematik aufzuzeigen.
Im dritten Kapitel (56ff) thematisiert die Autorin das lebenslange Lernen als eine pädagogische Gestaltungsherausforderung. Aufgenommen wird die im ersten Kapitel erarbeitete Begriffsbestimmung (30ff), wonach das lebenslange Lernen als ein „Lernen im Lebenslauf“ Gestalt gewinnt. Es hebt sich im erziehungsgeschichtlichen Maßstab gegenüber einer auf die Jugendphase beschränkten Bildungsinvestition vor allem durch seine zeitliche, räumliche und inhaltliche Ausdehnung ab.
Entsprechend der von Hof vorgeschlagenen Strukturierung behandelt sie zunächst Konzepte “subjekt- und biographieorientierter Bildungsarbeit“ (59ff) sowie solche zum „Selbstgesteuerten Lernen“ (61ff). Diese gelten als typische Beispiele für die zeitliche Dimension lebenslangen Lernens. Der zweite Diskussionsaspekt einer räumlichen Ausdehnung lebenslangen Lernens steht in einem Bedingungszusammenhang mit der Erweiterung des Lernbegriffs (formal, non-formal, informell) und führt – anlehnend an G. Dohmen – zu der These, „dass eine pädagogische Unterstützung lebenslanger Lernprozesse sich sowohl auf formelles als auch informelles Lernen zu beziehen habe“ (68).
Indem beim lebenslangen Lernen das produktiv Realität verarbeitende, also das aktive und lernende Subjekt in den Mittelpunkt pädagogischer Bemühungen rückt und Lernen nach konstruktivistischem Duktus als ein eigen gesteuertes, biographisch-reflexives Handeln verstanden wird, liegt eine Hauptaufgabe bei der Konzeptionierung und non-direktiven „Gestaltung unterschiedlicher Lernkontexte innerhalb und außerhalb pädagogischer Einrichtungen“ (71). Für eine Didaktik lebenslangen Lernens ist dabei kennzeichnend, dass konkreten Arbeits- und Lebenssituationen und die Ermöglichung der Reflexion darauf bezogener Erfahrungen ein hoher Stellenwert durch Schaffung lernförderlicher Rahmenbedingungen eingeräumt wird.
Rekonstruiert ist in soweit ein Erklärungs- und Begründungzusammenhang für die Initiierung verschiedener Arrangements oder bereichsspezifischer Settings wie „Schaffung von Erlebnis- und Erfahrungsmöglichkeiten im sozialen Umfeld“ (72), „Konzeption medialer Lernumgebungen“ (72ff) und „Unterstützung von Lernen im Prozess der Arbeit“ (75ff). Zum vorgestellten Unterstützungsansatz einer räumlichen Ausdehnung lebenslangen Lernens zählt die Autorin noch die „Schaffung geeigneter institutioneller Rahmenbedingungen“ (76) wie „Vernetzung“ (77), „Modularisierung“ (78ff) sowie „Beratungsangebote“ (80).
Schließlich stellt bei Hof die inhaltliche Ausdehnung eine spezifische – dritte – Dimension lebenslangen Lernens dar. So wird in Anbetracht einer zunehmenden Wissensbasierung, die in vielen Handlungs- und Lebensbereichen der Gegenwartsgesellschaft Platz greift, Wissen „nun stärker unter einer Prozessperspektive betrachtet“ (81). Damit einher geht eine Pluralisierung des Wissens (80), indem „an die Stelle lehrzielorientierter Wissensvermittlung […] die subjektorientierte Kompetenzentwicklung“ (83) tritt. Und das insgesamt vielfältige, auf eine soziale Handlungspraxis bezogene Lernen beschränkt sich nicht darauf Neues hinzuzulernen; es manifestiert sich auch in der Neuinterpretation alter Erfahrungen.
Im Gesamtrahmen des Buchs dürfte das hier umrissene Kapitel zur pädagogischen Gestaltung lebenslangen Lernens von zentraler Bedeutung sein, denn es regt zu sowohl weiterführenden Forschungs- als auch disziplinären und professionstheoretischen Fragen an. Angesprochen seien lediglich zwei begrifflich-systematische Problemstellungen. Erstens erhebt sich die Frage, ob „Didaktik“ (der terminologisch nach wie vor eine unterrichts- und veranstaltungswissenschaftliche Konnotation anhaftet) überhaupt noch der geeignete Begriff ist, um die professionelle Aufgabe einer pädagogischen Unterstützung lebenslanger Lernprozesse kategorial angemessen fassen zu können. Zweitens müsste künftig noch eingehender erwogen werden, ob es überhaupt eine eigenständige spezifische Didaktik lebenslangen Lernens gibt und – wenn ja – in wiefern sich diese von der bisherigen bzw. konventionellen Erwachsenendidaktik unterscheiden ließe.
Im vierten Kapitel (85ff) interessiert der Grad der Durchsetzung des lebenslangen Lernens als gesellschaftliche Realität. Um die handlungspraktische, habituelle und einstellungsbedingte Verankerung lebenslangen Lernens in der Bevölkerung auszuloten, vermittelt die Autorin einen Überblick über neuere empirische Befunde einschließlich untersuchungsmethodologischer Problemstellungen. Eingangs wird das Problembewusstsein dahin gehend geschärft, in wiefern im Zuge der Ausweitung des Lernbegriffs auch Forschungsfragen weiter greifen müssen. Statt der bloßen Erfassung von „Teilnahmeaktivitäten“ in Bezug auf ein gegebenes Weiterbildungsangebot interessiert nunmehr das tatsächliche Spektrum an „Lernaktivitäten“ – also auch ein Aneignungshandeln informeller und hybrider Art, wenngleich hier methodologische Unschärfen noch einer befriedigenden Lösung harren. Insofern dürfte die bewusste Pflege eines kooperativen Forschungspluralismus zwischen quantifizierenden und fallbasierten Erhebungsstrategien sowie vor allem eine stärkere Berücksichtigung qualitativer bzw. biographietheoretisch fundierter Bildungsverlaufsstudien verheißungsvoll sein.
Schrittweise stellt die Autorin Ergebnistrends zunächst der klassischen Adressatenforschung, der neueren Milieuforschung und sodann der erwachsenenpädagogisch gewendeten Lernortforschung vor, wobei letztere vornehmlich auf die kontextspezifische Ausleuchtung verschiedener Formen non-formellen und informellen Lernens hinaus will. Generell lässt sich zur Forschungslage festhalten, dass einerseits zwar die Reichweite informeller Arten des (beruflichen) Kenntniserwerbs wesentlich höher liegt als die Beteiligung an der institutionalisierten Weiterbildung, andererseits aber auch die außerpädagogischen Formen des Kenntniserwerbs sozialstrukturell ungleich – im Sinne der Bildungskumulationsthese – verteilt sind. Bei der formellen wie auch der informellen Weiterbildung sind also vergleichbare Segmentierungsmuster zu beobachten – ein frühzeitig vom Soziologischen Forschungsinstitut der Universität Göttingen herausgearbeiteter Untersuchungsbefund, welcher zu der wenig optimistischen These führen dürfte, dass – ceteris paribus – bildungsferne Sozialgruppen ihre qualifikatorisch-kulturelle Hintanstellung keineswegs durch ein überproportional intensives Lernen informeller Art kompensieren können.
Neben der Rekapitulierung des Forschungsstands zeigt Hof noch Forschungsdesiderata auf, wobei stärker die epistemologischen Potenziale der qualitativ lebensgeschichtlichen Verlaufsforschung zur Geltung gelangen. So plädiert sie dafür, „detaillierter nach den Inhalten und zeitüberdauernden Mustern informellen Lernens zu forschen“ (94) und dem „Verhältnis zwischen formellen und informellen Lernen“ (ebd.) näher auf die Spur zu kommen. In diesen forschungsprogrammatischen Kontext gehört auch die Analyse des “Lernen(s) im Lebensverlauf“ (97). Dafür gilt als Basishypothese, „dass Ziele, Formen und Kontexte des Lernens in den verschiedenen Lebensaltern“ (100) variieren. Insofern überrascht nicht ein generell mit fortschreitendem Alter beobachtbarer Rückzug aus institutionalisierten Bildungsangeboten – insbesondere beruflicher Art. Dieserart Verlagerung der Lernformen und -präferenzen mit zunehmenden Alter ist nicht per se als problematisch zu erachten und vor allem „nicht gleichzusetzen mit dem Ende des aktiven Lernverhaltens“ (101).
In Abhebung zu vorherigen bildungspolitischen und stärker pädagogisch-praktisch ausgerichteten Diskurssträngen arbeitet die Autorin im fünften Kapitel (116ff) eine dezidiert erziehungswissenschaftliche und bildungsforscherische Perspektive lebenslangen Lernens heraus. Dabei konturiert sich eine interessante eigene Position Hofs, die unter Einbeziehung des internationalen Diskussionsstandes zwischen unterschiedlichen erziehungswissenschaftlichen Zugängen und entwicklungspsychologischen Paradigmen auslotet. So zeugt von großer fachlicher Souveränität, wie die Autorin das Problem der Bewältigung einzelner Altersphasen angeht und sich mit den Konzepten „universeller Entwicklungsaufgaben“ (126) und typischen „Lernaufgaben […] im Lebenslauf“ (128) – etwa bei Havighurst oder Loch – auseinandersetzt. In Weiterführung von Siebert und E. Weber plädiert die Autorin für einen „disziplinären Fokus der Erziehungswissenschaft“ (130), welcher den Lebenslauf als einen Ort veranschlagt, „an dem das Individuum durch subjektive Verarbeitung und Mitgestaltung der objektiven Gegebenheiten und durch Bewältigung der sich lebensgeschichtlich stellenden Aufgaben zu Welt- und Selbstverständnis, aber auch Handlungsfähigkeit und biographischer Identität gelangt“ (130).
Anschließend werden erste „Ansätze zur Formulierung einer Theorie lebenslangen Lernens“ (131) entfaltet. Den Mittelpunkt bildet hier die Erarbeitung eines differenzierten Lernbegriffs, der dezidiert über die „traditionelle(n) Vorstellung vom Lernen als Aneignung von Wissen oder Veränderung von Verhalten im Anschluss an den Erwerb neuer kognitiver Strukturen“ (133) hinausweist. Vielmehr richtet sich das Augenmerk gerade auf reflexive Prozesse der Generierung von Sinn im Kontext der erfahrenen Lebensgeschichte.
Diese insgesamt höchst aufschlussreichen Ausführungen zu einem erziehungswissenschaftlich fundierten, subjektorientierten Lernbegriff, für den „die Auseinandersetzung mit Welt“ (132) konstitutiv ist, beschränken sich m.E. nicht allein auf das Paradigma lebenslangen Lernens. Sie sind für die Erwachsenenbildung insgesamt instruktiv. So unterscheidet Hof in Anlehnung an die neuere Literatur- und Forschungslage zwischen „Lernen als aktive Auseinandersetzung mit Erfahrung“ (132ff), „Lernen als Sinnbildungsprozess“ (133ff), „Lernen als Transformationsprozess“ (134), „Lernen als ganzheitlicher Prozess“ (134ff) sowie „Lernen als sozial eingelagerter Prozess“ (135ff). Die vorgestellte Typologie beruht auf der Einsicht, dass Lernen nicht mehr „als Ausdruck und Ergebnis einer inneren Entwicklungs- und Veränderungsgeschichte zu begreifen“ (136) ist. Dass Lernen immer auch in einem gesellschaftlich vermittelten Kontext steht und hierdurch erst sein motivationales Timbre erfährt, wird geradezu offenkundig, wenn es um eine handlungsbefähigende Kompetenzentwicklung geht und wenn Lernen als eine angelagerte oder integrierte Komponente von Tätigkeitsvollzügen in Praxiszusammenhängen erfolgt.
In wiefern entwickelt sich das lebenslange Lernen im Zuge seiner Durchsetzung als gesellschaftliche Realität zu einem relativ eigenständigen pädagogischen Handlungs- und Arbeitsfeld? Mit dieser professionstheoretisch wichtigen und zukunftsorientierten Frage setzt sich Hof facettenreich im abschließenden Kapitel (147ff) auseinander. Dabei berücksichtigt sie, dass die Erwachsenenbildung sowie die Erwachsenenpädagogik als erziehungswissenschaftliche Teildisziplin mit dem Aufkommen lebenslangen Lernens nicht verschwinden würden, dass aber zugleich außer Frage stehe, dass das Verhältnis komplizierter geworden sei (162). Ein weiterer übergreifender Gesichtpunkt lautet, dass sich die professionelle Zuständigkeit von Pädagogen/-innen für die Unterstützung der Individuen hinsichtlich lebensbegleitender Lernprozesse nicht ausufern dürfe. Vielmehr gelte die Maxime einer kriterienorientierten „professionellen Selbstbegrenzung“ (148ff).
Grundlegend im Hinblick auf die Herausbildung eines spezifischen pädagogischen Handlungs- und Arbeitsfeldes „lebenslanges Lernen“ ist die „Orientierung am Lernen im Lebenslauf“ (162). Die biographische Vermitteltheit menschlichen Lernens soll der konstitutive „Bezugspunkt für die theoretische, empirische und pädagogisch-praktische Arbeit“ (162) sein. Solcherart Basishypothese impliziert, dass der „institutionenbezogene Fokus der Pädagogik in den Hintergrund rückt“, und zwar zugunsten der Frage, „wie die Übergänge von einer Lebensphase zu einer anderen, von einer Kompetenzstufe zur nächsten ablaufen“ (148). Insofern orientiert professionelles pädagogisches Handeln auf das Individuum unter dem Aspekt seiner möglichst allseitigen Entwicklung. Der Primat einer Förderung und Unterstützung des Bildungssubjekts hat zu Folge, dass „pädagogische Organisationen wie die Schule oder die Weiterbildungseinrichtung […] daraufhin bewertet (werden, R.B.), welchen Beitrag sie zur Förderung der individuellen Kompetenzentwicklung leisten“ (147).
Einzelne pädagogische Arbeitsschwerpunkte können in diesem Gesamtzusammenhang etwa sein: passgenaue professionelle Gestaltung und Begleitung von Lehr-Lernprozessen, Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen und Lernumgebungen für unterschiedliche Formen selbstgesteuerten Lernens (auch differenziert nach Zielgruppen), modulare Strukturierung von Bildungsangeboten, Kooperation und Vernetzung einzelner Bildungsinstitutionen auf regionaler Ebene, „ressort- und institutionenübergreifendes kohärentes Bildungsmanagement für das Lernen im Lebenslauf vor Ort“ (154) sowie nicht zuletzt diverse Formen der Beratung.
Die insoweit besprochene Einführung von Hof kann nicht alle Punkte behandeln, die mit einem zeitgemäßen Verständnis lebenslangen Lernens in Verbindung gebracht werden. So bleiben die transsubjektiven Varianten lebenslangen Lernens unterbelichtet. Dazu zählen etwa die Konstrukte „Lernende Organisation“ oder „Lernende Region“, die eigens Gegenstand bildungspolitischer Förderung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten waren. Auch die Aufgabe der Kompetenzbilanzierung, die im letzten Jahrzehnt zu einem Spezialthema lebenslangen Lernens ausdifferenzierte und die inzwischen als neue pädagogische Dienstleistung Fuß gefasst hat, findet bei der Autorin keine Erwähnung. Gleichwohl stellt ihr Buch einen erheblichen Zugewinn für die Erziehungswissenschaft dar, indem es den programmatisch aufgeladenen Untersuchungsgegenstand des lebenslangen Lernens auf seine Grundstrukturen, gesellschaftsgeschichtlichen und wissenstheoretischen Einbettungen sowie Verschränkungen mit dem disziplinären Diskurs der Erziehungswissenschaft einschließlich der Erwachsenenpädagogik beleuchtet. Damit gewinnt man Anhaltspunkte für den Umgang mit dem vielschichtigen Gegenstand des lebenslangen Lernens unter Wahrung disziplinärer Identität.
Hof rückt beim lebenslangen Lernen das Bildungssubjekt und das Lernen im Lebenslauf mit seinen didaktischen und insbesondere forschungsstrategischen Implikationen in den Mittelpunkt erziehungswissenschaftlicher Betrachtung. Dadurch bekräftigt sie den synthetisierenden Gedanken einer – wie ich es nennen möchte – „Einheit lebenslangen Lernens“. Demgegenüber kontrastiert im gegebenen Bildungssektor häufig noch die segmentierende Realität institutioneller Grenzziehung und erstarrter beruflicher Arbeitsteilung im pädagogischen Handlungsfeld. Auch für die Erwachsenenbildung und ihre Wissenschaft birgt die Öffnung gegenüber dem lebenslangen Lernen Konsequenzen. Ich sehe diese im Zusammenhang mit dem zuvor angeführten Paradigma einer „Einheit lebenslangen Lernens“ in dem Erfordernis einer erziehungswissenschaftlichen Requalifizierung der erwachsenenbildnerischen Tätigkeit. Eine Art „Job-Enrichment“ ist bei der Verwirklichung lebenslangen Lernens angesagt. Entsprechend gilt mit Hof zu vergegenwärtigen, dass es nun zu den konstitutiven beruflichen Aufgaben von Erwachsenenbildnern/-innen gehört, „die Bildungsprozesse immer im Horizont der Gesamtheit biographischer Erfahrungen und Erwartungen der Lernenden“ (60) zu relationieren.
Insofern muss der erwachsenenbildnerische Professionsangehörige ein weit greifendes Orientierungswissen bezüglich der „Gesamtheit aller Lernprozesse von der Kindheit bis in das Alter und damit auf die Gesamtheit des institutionellen Gefüges des Bildungssystems“ (65) aktualisieren können. Der Erwachsenenbildner gilt damit einerseits – wie bisher – als Spezialist für die Vermittlung und Unterstützung von Lernprozessen in der Lebensphase des Erwachsenenalters. Andererseits muss er jedoch über das eingegrenzte Terrain bisherigen didaktischen Handelns hinaus schauen und sich mit relevanten Entwicklungen in den angrenzenden erziehungswissenschaftlichen Teildisziplinen und deren angestammten Arbeitsfeldern auskennen. Gewissermaßen zeichnet sich nun eine zeitgemäße komplexe erwachsenenbildnerische Handlungskompetenz durch den Zugewinn an intradisziplinärer Interdisziplinarität aus. Oder in anderen Worten: Es konturiert sich ein erwachsenenbildnerisches Berufsprofil, welches durch die dialektische Gleichzeitigkeit von einerseits Spezialisierung und andererseits fachlichem Generalistentum gekennzeichnet ist. Auf diese Weise mutiert der bisherige Erwachsenenbildner im Zuge der Verwirklichung lebenslangen Lernens vielleicht zum Prototypen eines handlungskompetenten allseitigen Erziehungswissenschaftlers.
Abschließend sei noch angemerkt, dass das Buch ein ausführliches Literaturverzeichnis enthält. Es ist am Buchende kapitelweise angeordnet und beinhaltet die von der Autorin verarbeiteten Quellen sowohl nationaler als auch internationaler Herkunft. Außerdem gehört zum Anhang ein umfangreicher und gut gegliederter Support mit Links zum Thema.