Es ist Zeitgeschichte, interpretiert als eine Überlagerung von gleichzeitig und zeitlich verschoben verlaufenden Zeitgeschichten, welche Ulrich Wiegmann in seinem Band über den "Schulkampf in M…z" geschrieben hat. Anhand von Quellenanalysen, Gesprächen und informellen Nachforschungen spürt er einen unspektakulären Prozess auf, der 1986 in einem Dorf im Nordwesten der DDR anlässlich eines Elternabends "ganz harmlos begonnen hat" (22). Hartnäckiges Nachfragen bei den zuweilen verhalten antwortenden damaligen Beteiligten und die daraus gezogenen Schlüsse lassen Wiegmann den Konflikt zwischen Akteuren, vermeintlich Verantwortlichen, Opponierenden und vermeintlich Getäuschten als eine Folge von Aktionen und Reaktionen schildern. Diese Aufarbeitung belegt, wie relativiert geheimdienstliche "Intention" und elterliche "Opposition" vor dem Fall der Mauer im Ort M…z rückblickend zu beurteilen sind.
Der Autor fragt sich, wer angesichts der bildungspolitischen Umwälzung nach der "Wende" nun modern, wer antimodern argumentiert habe – und er entdeckt, selbst gleichermaßen erstaunt wie der Lesende, dass eindeutige "Schuld" kaum zuzuweisen ist. Immerhin lassen sich Verwerfungen von als starr eingestuften Rollengefügen und Abweichungen von "gewussten" Sicht- und Handlungsweisen eruieren und nachzeichnen. Mehrmals verweist Wiegmann auf die Geschichtsträchtigkeit der Gegenwart und auf die Diskrepanzen und Koinzidenzen zwischen erinnerter und erzählter Geschichte. Inwieweit das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) im Schulkonflikt zu M…z eine wesentliche Rolle gespielt haben soll, war außerdem zu erheben. Welche Aspekte diese Rolle im Verlauf des Wandels der Machtverhältnisse beinhaltet hat, hat Wiegmann zudem bis auf wenige Lücken geklärt.
Der Autor belegt mit seiner gut recherchierten Historiographie des "Machtkampfs" in M…z, dass bildungsgeschichtliche Prozesse sich einer Aufarbeitung beinahe störrisch widersetzen mögen, dass sie vielschichtig und nicht-linear verlaufen und dass – will man sie dokumentieren - ein beträchtlicher Aufwand unabdingbar ist, sollen sich brauchbare Ergebnisse einstellen, die dann auch noch sinnvoll darzustellen sind - was Wiegmann durchaus gelingt.
EWR 2 (2003), Nr. 6 (November/Dezember 2003)
Machtprobe
Die Staatssicherheit und der Kampf um die Schule in M…z
Berlin: Metropol Verlag 2003
(160 Seiten; ISBN 3-936411-21-2; 14,00 EUR)
Hans-Ulrich Grunder (TĂĽbingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Hans-Ulrich Grunder: Rezension von: Wiegmann, Ulrich: Machtprobe, Die Staatssicherheit und der Kampf um die Schule in M…z, Berlin: Metropol Verlag 2003. In: EWR 2 (2003), Nr. 6 (Veröffentlicht am 01.12.2003), URL: http://klinkhardt.de/ewr/93641121.html
Hans-Ulrich Grunder: Rezension von: Wiegmann, Ulrich: Machtprobe, Die Staatssicherheit und der Kampf um die Schule in M…z, Berlin: Metropol Verlag 2003. In: EWR 2 (2003), Nr. 6 (Veröffentlicht am 01.12.2003), URL: http://klinkhardt.de/ewr/93641121.html