In der Berufs- und Wirtschaftspädagogik wird dem Berufsbegriff eine zentrale Bedeutung zugemessen. Hierbei wird das Konzept oft alltagsprachig aufgegriffen und wenig problematisiert, außer dass Berufe vielleicht eines Tages verschwinden und als solche nicht den modernen oder postmodernen Zeiterfordernissen entsprechen. Max Weber, Emil Durkheim und viele andere haben über die Rolle und Herkunft auch heute noch Grundlegendes formuliert, ohne aber auf die Frage der Beständigkeit des Berufs oder Ersetzung durch Professionen und Jobs näher eingegangen zu sein. Man kann aber auch anders über Berufe und deren Bedeutung in der Wirtschaft und Gesellschaft, als „wichtiger Strukturgeber des Lebenslaufs“ sprechen.
Die in Bielefeld verfertigte Habilitationsschrift „Die Berufsform der Gesellschaft“ des Soziologen Thomas Kurtz schuldet ihrem Entstehungsort ihr ganzes Rüstzeug. Es handelt sich um den Versuch einer Beschreibung, wie sie Niklas Luhmann in anderen Themenfeldern so bezogen auf Funktionssysteme der Erziehung, Religion, Wirtschaft, Wissenschaft u.a. schon geleistet hat. Die Analyse setzt seinem Theoriekonzept folgend, auf Kommunikation und auf die System-Umwelt-Differenz. Aber natürlich ist es nicht eine Replikation was der Autor betreibt, wenn er sich dem Thema Beruf widmet. Vielmehr stellt er eine strukturelle Koppelung dar als Form, eben als Beruf, zwischen Wirtschafts- und Erziehungssystem, bzw. zwischen pädagogischer und ökonomischer Kommunikation.
Nicht auf den Neoinstitutionalismus oder auf die klassisch-deskriptive Berufssoziologie, sondern auf die Inklusion und Exklusion zielt seine Darstellung, wenn der Beruf auch gegenüber der Profession profiliert wird. Der Anspruch liegt darin, den Beruf in eine übergreifende Theorie einzubetten. Insofern ist die Erkenntnis, dass der Beruf zwei Seiten hat und als Einheit einer Unterscheidung zu verstehen ist, einerseits wenig überraschend, andererseits aber folgenreich. Damit lässt sich auch das Amalgam von Moral und Qualifikation gleichsam entflechten, der Beruf wird moralisch ausgenüchtert und im Beschrieb der funktionalen Differenzierung entschlackt. Als gesellschaftlich kommunikative Form beruht er immer auf derselben zugrunde gelegten Ausgangsunterscheidung zwischen Ökonomie und Erziehung, denn immer muss Wissen einerseits gelernt und andererseits nutzbringend eingesetzt werden können, daher setzte die Form Beruf „Wissen voraus und bezeichnet die Koppelung von Wissensvermittlung und Wissensverwendung“ (133). Die berufspädagogisch strittige Frage, ob Berufe modern oder unmodern seien, wird hiermit gleich umgangen, wenn Formen struktureller Kopplung als „Bauprinzip der Moderne“ bezeichnet werden.
So anregend dieser Zugriff einerseits ist, so fraglich scheint andererseits, ob die Distanz zur Empirie der Berufe und Professionen nicht den Gehalt des Beschrieben gleichsam sterilisiert und immun macht gegenüber Irritationen. Als reflexives Stimulans ist diese Perspektive jedoch auf jeden Fall der berufspädagogischen und –soziologischen Debatte zu wünschen.
EWR 5 (2006), Nr. 5 (September/Oktober 2006)
Die Berufsform der Gesellschaft
Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2005
(283 S.; ISBN 3-934730-91-4; 28,00 EUR)
Philipp Gonon (Zürich)
Zur Zitierweise der Rezension:
Philipp Gonon: Rezension von: Kurtz, Thomas: Die Berufsform der Gesellschaft. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2005. In: EWR 5 (2006), Nr. 5 (Veröffentlicht am 29.09.2006), URL: http://klinkhardt.de/ewr/93473091.html
Philipp Gonon: Rezension von: Kurtz, Thomas: Die Berufsform der Gesellschaft. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2005. In: EWR 5 (2006), Nr. 5 (Veröffentlicht am 29.09.2006), URL: http://klinkhardt.de/ewr/93473091.html