Anfang des Jahres 2005 erschien der vorliegende Essay über die semantischen Grundlagen – aber auch Untiefen – einer Eruption, die zum Jahreswechsel 2003/2004 die wissenschaftspolitische Landschaft und die Universitäten der Bundesrepublik Deutschland irritierten: Plötzlich und gleichsam über Nacht sollten – je nach Expertenvotum in der Zahl unterschiedlich – viele Elite-Universitäten, Harvards, Princetons und Yales aus deutschem Wissenschaftsboden sprießen. Der anfängliche Aufruhr und der publizistische Flächenbrand, die mit diesem „Ruck“ verbunden waren, haben sich zwischenzeitlich wieder beruhigt bzw. sind gelöscht worden. Es ist jedoch vielleicht nicht zuletzt das Verdienst so besonnen analytischer Reflexionen des porösen Begriffshaushaltes dieser „Hochschulreform“, wie sie z. B. Ingo von Münch vorgelegt hat, die dafür gesorgt haben, dass der Trend mittlerweile von den „Elite-Universitäten“ Abstand genommen und sich den Exzellenz-Initiativen zugewendet hat: Hiermit ist ein zentraler Kritikpunkt Münchs auf eine Weise aufgegriffen worden, die ihn vielleicht nicht erfreut, die jedoch den unausgegorenen Gedanken ganzer Elite-Universitäten – sehr zu Recht – ad acta gelegt hat.
Was sich in der Folge heute schon recht deutlich als innere Differenzierung des Universitätssystem in der Realisierung der Exzellenz-Initiative artikuliert, bringt jedoch, nachhaltiger als die Kontrahenten der „Elite“-Debatte es ahnen konnten, eine hochstratifizierte Typik des Wissenschaftssystems hervor. Dabei ist eine Teilung des Universitätssystem in drei Sektoren absehbar: Zum einen in die Spitzengruppe jener 36 Universitäten, die zur Stellung von „Vollanträgen“ aufgefordert worden sind; zum zweiten jene 38 Universitäten, die zwar Anträge innerhalb der Exzellenz-Initiative gestellt haben, aber nicht erfolgreich waren – jedoch zumindest signalisiert haben, dass sie das Potential zur Stellung solcher Anträge besitzen; und schließlich jene 26 Universitäten, die überhaupt keine Anträge gestellt hatten.
Innerhalb der Spitzengruppe fällt dann nochmals eine Differenzierung nach Anzahl der „Vollanträge“ je Universität auf: Erkennbar wird es eine obere Spitze jener drei Universitäten geben, die je 7 bzw. 6 „Vollanträge“ stellen konnten; eine mittlere Spitze jener Universitäten (13), die je 4 bzw. 3 „Vollanträge“ eingereicht haben und eine untere Spitze, die 1 bis zu 2 Anträgen gestellt haben (20) [1]. Obwohl es also scheint, als sei die Entwicklung einen anderen Entwicklungspfad als den der „Elite“-Universitäten gegangen, kann doch die Lektüre des in jeder Hinsicht scharfsichtigen Essays von Münchs immer noch die Erkenntnis bringen, dass die wesentlichen Bedenken gegenüber dem Elitemodell auch im Modell der „Exzellenz-Initiative“ fortleben.
Nachdem von Münch den Elitebegriff im Denken des 18. Jahrhunderts aus dem Wortstamm „exlegere“ identifiziert und die historischen Ansätze sowohl der empirischen Eliteforschung wie auch den soziologischen Elitebegriff mit seinem Schwergewicht auf der Analyse von Funktionseliten den Lesern vorgestellt hat, wirft er die (naive?) Frage auf, was denn eigentlich konkret eine „Elite-Universität“ sei (11). Im Kontext politischen Denkens (Bulmahn u. a.) ist die Antwort simpel: Zur Elite gehören heißt, „in der ersten Liga weltweit mitspielen“. Den Wissenschaftler bewegen da schon bedeutungsvollere Fragen, die zeigen, dass die Beantwortung der scheinbar so einfachen Frage eine Fülle neuer Probleme generiert: Wie lässt sich denn Leistung in der Wissenschaft messen? Wer misst sie? Mit welchen Messinstrumenten? Sind „Drittmittel“, Publikationen, Graduiertenkollegs etc. (13ff.) wirklich Kriterien? Können „Hochschulrankings“ das leisten, was man von ihnen erwartet, sagen sie überhaupt etwas über „Elite-Universitäten“ aus? [2] Aber auch die Möglichkeit, sich seine Studenten auszusuchen, führt nicht automatisch zu „Elite-Universitäten“ (28), ebenso wenig die Erhebung von Studiengebühren (29ff.). Allenfalls das mit den (amerikanischen) Eliteuniversitäten verbundene Kapital und die damit mögliche intensivere Förderung von Forschung, Lehre und Ausbildung könnte etwas mit Elite zu tun haben, denn einem Hinweis Friedrich Wilhelm Grafs zufolge ist „Harvard nach der römisch-katholischen Kirche die zweitreichste nicht-staatliche Organisation der Welt“ (38ff.).
Nach von Münch gibt es im Ergebnis kaum ein ausschließlich befriedigendes Bündel von Faktoren, das deutlich machen könnte, was genau denn eine Elite-Universität auszeichnet. Es lässt sich daher auch mit guten Gründen keine Empfehlung für die Nachahmung irgendeines Beispiels geben. Vielmehr erscheint es von Münch in Anbetracht der seinerzeit etwas ungestümen Diskussion über eine handvoll deutsche Harvards aussichtsreicher, die Pluspunkte, die für deutsche Universitäten sprechen, stark zu machen. Zu ihnen zählt neben dem hohen Maß an „akademischer Freiheit“, die von Münch gegen die Gefahren einer Verschulung (etwa im Bachelor-Studium) hervorhebt, vor allem die Habilitation „als sinnvolle Qualifikation für den Beruf des Hochschullehrers“. Ihre Abschaffung oder Infragestellung erscheint ihm daher als „schwerer hochschulpolitischer Fehler“ (45).
Wollte man dies von Münch als eine konservative Haltung, die nicht mehr in unsere Zeit passe, vorwerfen, so würde man vorschnell handeln, denn er entwirft auf dieser Grundlage in seinen abschließenden „Thesen“ zur Bewertung der bisherigen Elite-Universitäts-Diskussion auch Elemente eines zukunftsweisenden Wettbewerbsmodells. Grundvoraussetzung allen Wettbewerbs ist danach eine breite Förderung aller Hochschulen und hierbei besonders die Nachwuchsförderung. Diese allgemeine Förderung schließt dann aber die spezielle Förderung einzelner Forscher oder Forschergruppen keineswegs aus (in diese Richtung hat sich die „Exzellenz-Initiative“ entwickelt). Wogegen er sich aber ganz entschieden und kompromisslos immer wieder wehrt, das ist die Förderung einzelner ganzer Universitäten. Das bringe nicht „Elite“ hervor, sondern führe sie ad absurdum. Zu sehr, so von Münch, sei die Elitedebatte auf Forschung orientiert gewesen. Eine „Eliteuniversität“, in der es aber keine exzellente Lehre gäbe, verdiente diesen Namen nicht.
Der eloquente Essay wird abgerundet durch einen Materialienanhang mit politischen Stellungnahmen zum Thema der Eliteuniversität. Angesichts der in weiten Teilen überstürzten Hochschulreformen im vermeintlich unumkehrbaren Bologna-Prozess muss man Ingo von Münch als einen solitären mutigen Rufer in der Wüste loben. Seiner kleinen Arbeit wünscht man daher – auch heute noch – uneingeschränkt geneigtes Gehör und zahlreiche aufmerksame bildungs- und wissenschaftspolitische Leser.
[1] Vgl. hierzu: Zechlin, Lothar: Im Zeitalter des Wettbewerbs angekommen. Der Differenzierungsprozess innerhalb der Universitäten läuft. In: Forschung & Lehre 13 (2006), S. 446-448.
[2] Zur Brauchbarkeit von Rankings vgl.: Lebherz, Carmen u.a.: Wie brauchbar sind Hochschul-Rankings? Eine empirische Analyse. In: Zeitschrift für Pädagogik 51 (2005). 50. Beiheft, S. 188-208.
EWR 5 (2006), Nr. 5 (September/Oktober 2006)
"Elite-Universitäten": Leuchttürme oder Windräder?
Hamburg: Reuter + Klöckner 2005
(76 S; ISBN 3-921174-21-X; 9,80 EUR)
Andreas von Prondczynsky (Flensburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Andreas von Prondczynsky: Rezension von: Münch, Ingo von: "Elite-Universitäten": Leuchttürme oder Windräder?. Hamburg: Reuter + Klöckner 2005. In: EWR 5 (2006), Nr. 5 (Veröffentlicht am 29.09.2006), URL: http://klinkhardt.de/ewr/92117421.html
Andreas von Prondczynsky: Rezension von: Münch, Ingo von: "Elite-Universitäten": Leuchttürme oder Windräder?. Hamburg: Reuter + Klöckner 2005. In: EWR 5 (2006), Nr. 5 (Veröffentlicht am 29.09.2006), URL: http://klinkhardt.de/ewr/92117421.html