
Im Teil ‚Theorien’ widmet sich Dederich den Disability Studies mit ihrem Verständnis von Behinderung, grenzt diese Studien von der Behinderten-/Sonderpädagogik ab und entwirft eine kulturwissenschaftliche Perspektive. Dabei bezieht er sich nicht auf die den Disability Studies nahen angelsächsischen Cultural Studies, die sich mit Fragen der Gesellschaft beschäftigen und eine politische Ausrichtung haben, sondern auf kulturwissenschaftliche Ansätze aus dem deutschen Sprachraum, die philosophisch-anthropologisch orientiert sind, von den Individuen ausgehen und sich für deren Verhältnis zu Kollektiven interessieren.
Diese Auswahl des Autors führt zum grundlegenden Problem der Übersetzung, das sich im Buch auch auf sprachlicher Ebene manifestiert. Im Kapitel zu den Körperdiskursen präsentiert Dederich historische, philosophische und soziologische Ansätze, wie sich Körper denken lassen. Hier hätte sich die Leserin Reflexionen zu unvermittelt auftretenden Begriffen wie ‚Behindertsein’ (47) und ‚behinderter Körper’ (59) gewünscht, da dieser Sprachgebrauch angesichts grundlegender Aussagen der Behindertenbewegung wie „behindert ist man nicht, behindert wird man“ irritiert.
Der Teil ‚Repräsentationen’ stützt sich auf die zuvor erläuterte Definition des Begriffs von Bernhard Waldenfels, nach dem Repräsentation sowohl Vorstellung, Vergegenwärtigung, Darstellung wie auch Stellvertretung umfasst (76). Die Ausführungen betreffen wissenschaftshistorische Studien zum Monströsen als „eine[r] Metapher für das Andere“ (86) sowie die Untersuchung der Konstruktion von Behinderung in Literatur und Kunst. Betreffend Konstruktion von Behinderung weist Dederich in einer Fußnote darauf hin, dass diese Annahme „die subjektive Erfahrung von Beeinträchtigungen“ nicht in Frage stelle und folgert daraus, dass die Disability Studies die Wechselwirkungen zwischen Behinderung und Subjektivität zu erforschen hätten (120/121).
‚Konstruktionen’ sind auch Gegenstand des dritten Buchteils. Zunächst werden die Begriffe ‚Norm’, ‚Normalität’, ‚Normalismus’, ‚Normalisierung’ und ‚Normativität’ erläutert. Im Anschluss geht der Autor auf das Verhältnis von Körper und Leib ein, um darauf aufbauend Behinderung als Konstruktion und Verkörperung darzustellen. Mit dieser Verkörperung bzw. Verleiblichung verbindet er individuelle Erfahrungen wie Leiden und Schmerz, wobei er auf die Ambivalenz des Themas hinweist.
Ein Kapitel zu Konstruktionen von Behinderung in den Biowissenschaften und zu einer aus diesen Erkenntnissen abgeleiteten Ethik des Körpers sowie ein Ausblick auf den Beitrag der Disability Studies zu Problemen der Biowissenschaften schließen das Buch ab.
Auf den verschiedenen „Erkundungen in einer [...] Theorie- und Diskussionslandschaft“ (10) hat die Leserin viele Stimmen vernommen und andere vermisst – etwa jene von Barbara Duden, der im deutschsprachigen Raum wohl bedeutendsten Forscherin zum Körper, die auch Studien zu Behinderung verfasst hat, und an manchen Stellen auch jene des Autors. Um die präsentierten Ansätze einzuordnen, wird Vorwissen benötigt. Aus diesem Grund spricht das Buch eher Fortgeschrittene als Studien-EinsteigerInnen an.