Wenn ein Buchtitel explizit Einblicke in die Schul-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte einer Region verspricht und bereits das dritte Exemplar einer Reihe ist, wird selbstverstÀndlich die Neugier des an historischer Bildungsforschung Interessierten geweckt. So nimmt man dann das solide verarbeitete, mit einem festen Einband und zahlreichen Abbildungen versehene Buch in die Hand und wirft einen ersten Blick in das Inhaltsverzeichnis.
Dort versammelt sich unter den Ăberschriften âLebenslĂ€ufeâ, âBrauchtumâ, âPfĂ€lzer MĂŒhlen und MĂŒllerdynastienâ sowie âAlte Wirtschafts- und neuere Sozialgeschichteâ eine Vielzahl von Texten, deren Umfang zwischen einer und 55 Seiten schwankt.
Diese HeterogenitĂ€t lĂ€sst den Betrachter stutzen, und erst mit dem AufspĂŒren der Quellenangaben am Ende des Buches, die wie das Namens- und Ortsverzeichnis leider nicht im Inhaltsverzeichnis aufgefĂŒhrt werden, ist auch eine ErklĂ€rung gefunden. Es handelt sich nĂ€mlich um eine Sammlung von Zeitungsartikeln, AufsĂ€tzen und zum Teil Ă€lteren unveröffentlichten Manuskripten aus der Feder von Werner Weidmann, der bereits die BeitrĂ€ge fĂŒr die ersten beiden BĂ€nde verfasste und somit wohl durchaus als profunder Kenner der PfĂ€lzischen Geschichte gelten darf.
Da das Interesse des Bildungshistorikers sich in erster Linie auf die Schulgeschichte der Region richtet, soll ein zweiter Blick ins Inhaltsverzeichnis Aufschluss darĂŒber vermitteln, wie viele Texte sich explizit schulhistorischen Themen widmen. Dabei ist der Auftakt durchaus vielversprechend, denn gleich der erste und lĂ€ngste Aufsatz des Buches beschĂ€ftigt sich ausfĂŒhrlich mit einer Lehrerbiografie. Des weiteren finden sich acht Artikel zu schulgeschichtlichen Themen, die jeweils zwei Seiten umfassen und in der Zeitung âRheinpfalzâ erschienen, ein unveröffentlichtes Manuskript zum Schulwesen in Bacharach, ein lĂ€ngerer Aufsatz, in dem die Schulentwicklung zweier dörflicher Gemeinden exemplarisch dargestellt wird sowie ein weiterer Artikel im Umfang von sechs Seiten ĂŒber das Zentralabitur in der französischen Besatzungszone.
Alleine vom ZahlenverhÀltnis gesehen, schneidet die Schulgeschichte im Vergleich zu den anderen Themenschwerpunkten freilich schlecht ab: Nur 112 von knapp 600 Seiten widmen sich diesem Komplex.
Es bedarf also noch eines dritten Blicks, um ein abschlieĂendes Urteil ĂŒber die bildungshistorische Bedeutung des vorliegenden Buches fĂ€llen zu können. Dieser soll sich den beiden lĂ€ngeren AufsĂ€tzen zuwenden, denn bei diesen handelt es sich um durchaus wissenschaftlich gehaltene Arbeiten, die sich deutlich von den fĂŒr ein breiteres Publikum gedachten Zeitungsartikeln unterscheiden.
Beide beruhen u.a. auf Archiv- und Quellenmaterial, das jeweils in einem recht umfangreichen Anmerkungsapparat nachgewiesen wird. Der erste Artikel widmet sich der Biografie von Paul MĂŒnch, der in dem politisch bewegten Zeitraum von 1911 bis 1944 an der Oberrealschule in Kaiserslautern Zeichenunterricht gab und sich in vielfĂ€ltiger Form mit der Geschichte seiner PfĂ€lzischen Heimat beschĂ€ftigte. Weidmann zielt darauf ab, MĂŒnchs Geschick auf beiden TĂ€tigkeitsfeldern nachzuzeichnen, und lĂ€sst sich dabei seine Sympathie fĂŒr seinen ehemaligen Lehrer durchaus anmerken. Eigene Erinnerungen sowie die von seinem GroĂvater, seinem Vater und anderen Verwandten flieĂen dabei in die Darstellung ein und geben ihr einen spĂŒrbar subjektiven Anstrich.
Dabei erfĂ€hrt man zwar viele interessante Details ĂŒber den Lebensweg und Ausbildungsgang dieses PĂ€dagogen und Heimatdichters (MĂŒnch ist der Verfasser des erstmals 1909 erschienenen Buches âDie PĂ€lzisch Weltgeschichtâ, einer in Versen gedichteten, humoristischen Hommage an seine Heimat), viele Schlussfolgerungen Weidmanns werden jedoch nicht belegt oder grĂŒnden auf einer zumindest zweifelhaften Basis.
So beschreibt Weidmann MĂŒnchs "weltanschaulich-politische Einstellung" als "rechts-liberal bis deutschnational" (43) und spricht im Hinblick auf seine Stellung zum nationalsozialistischen System von einer selbstverstĂ€ndlichen und strikten Distanz (44), bleibt aber einen ĂŒberzeugenden Beleg fĂŒr diese Behauptung schuldig. Der Hinweis darauf, dass MĂŒnch einem als Halbjuden entlassenen Freund geholfen habe (44), reicht dabei ebenso wenig als hinreichender Beweis aus wie die Schilderung einer selbst erlebten Unterrichtsstunde vom Oktober 1943, die die "WĂŒrde und GröĂe des pĂ€dagogischen Meisters" (53) zeigen soll. Nicht nur diese Angaben bleiben mit einer gewissen OberflĂ€chlichkeit behaftet. Der an weiterfĂŒhrender Forschung und verlĂ€sslichen Ergebnissen interessierte Leser kann sich somit zwar Anregungen holen, der eigene RĂŒckgriff auf die angegebenen Quellen bleibt aber unerlĂ€sslich.
Der zweite nĂ€her zu betrachtende Aufsatz beschreibt die Schulgeschichte der dörflichen Gemeinden Otterbach und Sambach. Dieser ursprĂŒnglich fĂŒr eine lokalgeschichtliche Veröffentlichung verfasste Text stellt eine zwar knapp gehaltene, aber gelungene schulhistorische Untersuchung dar, die sich auf die Darstellung des zugrundegelegten Archiv- und Quellenmaterials konzentriert. Dabei wird nicht nur eine interessante Fallstudie vorgelegt, sondern es finden sich auch verschiedene Anregungen fĂŒr weitere Forschungsarbeiten, wenn zum Beispiel die Existenz einer jĂŒdischen Schule in einem Schriftwechsel des 18. Jahrhunderts in Otterbach belegt wird (356) oder die konfessionellen und politischen Konfliktfelder, die sich mit den SchulentwicklungsplĂ€nen verbanden, geschildert werden.
Wenn man dann noch den sich unmittelbar anschlieĂenden Aufsatz zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte dieser beiden Dorfgemeinden berĂŒcksichtigt, hat man einen Eindruck davon gewonnen, was heimatgeschichtliche Untersuchungen trotz gewisser EinschrĂ€nkungen auch fĂŒr den bildungshistorischen Bereich leisten können.
Unzweifelhaft stellt der vorliegende Band keinen eigenstĂ€ndigen Beitrag zur schulgeschichtlichen Forschung dar. Vermutlich wollte er dies jedoch auch nie sein, sondern vielmehr eine Zielgruppe ansprechen, die âbei einem guten Schoppenâ in der eigenen Regionalgeschichte schmökern möchte. Dennoch hat das Buch von Werner Weidmann auch fĂŒr die schulgeschichtliche Forschung seinen Wert, denn es liefert Hinweise auf Archivalien, Literatur, VorgĂ€nge und Entwicklungen, die eine vertiefende Forschungsarbeit durchaus erleichtern oder zu dieser anregen können. Entsprechend kann es sich durchaus lohnen, dem ersten Blick in eine regional- und lokalgeschichtliche Studie einen zweiten oder dritten folgen zu lassen.
EWR 2 (2003), Nr. 6 (November/Dezember 2003)
Schul-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Pfalz
Band 3
Otterbach: Verlag Franz Arbogast 2002
(616 Seiten; ISBN 3-87022-301-4; 25,00 EUR)
RĂŒdiger Loeffelmeier (Berlin)
Zur Zitierweise der Rezension:
RĂŒdiger Loeffelmeier: Rezension von: Weidmann, Werner: Schul-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Pfalz, Band 3, Otterbach: Verlag Franz Arbogast 2002. In: EWR 2 (2003), Nr. 6 (Veröffentlicht am 01.12.2003), URL: http://klinkhardt.de/ewr/87022301.html
RĂŒdiger Loeffelmeier: Rezension von: Weidmann, Werner: Schul-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Pfalz, Band 3, Otterbach: Verlag Franz Arbogast 2002. In: EWR 2 (2003), Nr. 6 (Veröffentlicht am 01.12.2003), URL: http://klinkhardt.de/ewr/87022301.html